Die Kriegsschuldfrage von 1914 - Fakten und Wertungen

Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts

Moderator: Barbarossa

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Marek1964
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Eine der vielleicht am intensivsten diskutierten Wertungen der Geschichte: Wer war Schuld am Ausbruch des ersten Weltkriegs. Hier wurde die Diskussion angeleiert:

http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... 691#p48691
Marek1964 hat geschrieben:
Katarina Ke hat geschrieben:Marek: Bei allem Verständnis, aber 1914 trug Deutschland eine Mitverantwortung. 1939 war Deutschland der Aggressor.
Ich habe aber auch nur geschrieben: Das Deutschtum (damit also auch dessen österreichische Version, die glaubte, Serbien angreifen zu müssen) hat den Krieg erklärt und begonnen - das ist unbestritten. Alles andere ist Spekulation oder aber Wertung - und das können wir aber in einem anderenThread besprechen:

http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... 690#p48690

Ich freue mich schon auf die Auseinandersetzungen mit den Revisionisten. Leute, holt das Popcorn. :mrgreen:
Katarina spricht von Mitverantwortung. Das tönt für mich fast so, als wäre jemand anders mehr verantwortlich als die Poltik des Deutschtums gewesen. Wer dann aber? Gavrilo Princip, Serbien? Die Russen? DIe Franzosen? Bismarck? Der Jude? Der ist ja immer an allem Schuld, das ist sehr praktisch.

Aber ich denke bei dieser ganzen Diskussion ist es wichtig, zwischen Fakten, also auch Ereignissen zu unterscheiden, und den Motiven und Wertungen hinter den Ereignissen.

hier noch ein kleiner Querverweis als Input: http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... 655#p48369
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Titus Feuerfuchs
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Was bitte soll eine "Politik des Deutschtums" sein?
MfG,
Titus Feuerfuchs
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Marek1964
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Titus Feuerfuchs hat geschrieben:Was bitte soll eine "Politik des Deutschtums" sein?
Die Politik der beiden von Deutschen Herrscherschichten geführten Kaisserreiche Deutschland und Österreich Ungarn.

Hier wurde die Diskussion schon einmal angeschnitten:

http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... =70&t=3873
Katarina Ke
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Marek: Wie du hier auf das Judentum kommst, ist für mir schleierhaft.

Auch der Begriff Deutschtum, bezogen auf die Kaiserreiche Deutschland und Österreich-Ungarn, ist unwissenschaftlich.

Marek, an anderer Stelle hattest du den Wunsch geäußert, man möge in diesem Forum mit Fakten argumentieren. Da stimme ich dir zu. "Deutschtum" ist für mich ein polemischer Begriff und hat mit Fakten nichts zu tun.

Was bedeutet also für dich Deutschtum? Noch einmal: Für eine Definition, die als Diskussionsgrundlage dienen kann, wäre ich dankbar.

In Deutschland gab es vor dem Ersten Weltkrieg die "Alldeutschen". Sie vertraten einen aggressiven Nationalismus, waren aber nicht repräsentativ für die deutsche Gesellschaft.

In Österreich-Ungarn existierten ebenfalls Strömungen, die von einem Krieg eine „innere Erneuerung“ erhofften. Wie stark die waren, kann ich nicht sagen.

In den Jahren 1912 bis 1914 hatte sich das deutsch-englische Verhältnis etwas entspannt. Die Reichsleitung unter Reichskanzler Bethmann-Hollweg versuchte, nach dem katastrophalen Ausgang der Zweiten Marokkokrise 1911 eine zurückhaltendere Außenpolitik zu treiben. Zwar gelang es Bethmann nicht, beim Kaiser eine Änderung der Flottenbaupolitik durchzusetzen, aber es kam zwischen London und Berlin in den letzten beiden Jahren vor dem Krieg zu Interessenabsprachen über die Zukunft portugiesischer Kolonien oder die Bagdad-Bahn.

Das deutsche Verhältnis zu Frankreich war seit 1871 durch die Annexion von Elsass-Lothringen belastet.

Zwischen Berlin und Sankt Petersburg gab es keine Meinungsverschiedenheiten. Da Deutschland allerdings ein Bündnispartner von Österreich-Ungarn war, belastete jede Krise zwischen Österreich und Russland auch das deutsch-russische Verhältnis.

Meiner Meinung nach trägt Deutschland für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht die Alleinverantwortung. Die deutsche Außenpolitik machte zwischen 1890 und 1911 schwere Fehler. Der Flottenbau gehört für mich dazu. Aber einen Krieg strebten Wilhelm II. und sein Kanzler nicht an.
Geschichte sollte so geschrieben werden, wie man eine Geschichte erzählt - lebendig und an den Fakten orientiert. Meine Homepage: http://www.katharinakellmann-historikerin.de/
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Marek1964
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Katarina Ke hat geschrieben:Marek: Wie du hier auf das Judentum kommst, ist für mir schleierhaft.
Mir auch. Wo habe ich das Wort Judentum erwähnt? Bitte nachweise mir frisch.
Katarina Ke hat geschrieben:Auch der Begriff Deutschtum, bezogen auf die Kaiserreiche Deutschland und Österreich-Ungarn, ist unwissenschaftlich.
Wenn es denn so ist, dann ist das der Fehler der Wissenschaft und nicht meiner, harhar.
Katarina Ke hat geschrieben:Was bedeutet für dich Deutschtum? Ich wäre für eine Definition dankbar.
Habe ich oben erwähnt. Sowohl das Deutsche Reich wie auch Österreich wurdem vom Deutschen Element regiert, Kaiser Wilhelm feuerte Kaiser Franz Josef an, jetzt mit den Serben und dem Slawentum abzurechnen. So auch die Falken im Generalstab der KuK Monarchie. Und genauso sahen es die meisten Tschechen damals: als ein Krieg fremder Interessen. Und ja, die Alldeutschen, sie waren stark in der KuK Monarchie und sie wurden stärker.

Deutschtum - das Gefühl, anderen Rassen oder nationen überlegen zu sein und daraus den Anspruch herzuleiten, diese zu beherrschen. Prominentester Vertreter: Adolf Hitler, der der KuK Monarchie vorwarf, zu "lasch" gewesen zu sein.
Katarina Ke hat geschrieben:In Deutschland gab es vor dem Ersten Weltkrieg die "Alldeutschen". Sie vertraten einen aggressiven Nationalismus, waren aber nicht repräsentativ für die deutsche Gesellschaft.
Und wie war das mit der Diagonale? Einen Frieden ohne Annexionen stellten sie sich jedenfalls nicht vor...
Katarina Ke hat geschrieben:In Österreich-Ungarn existierten ebenfalls Strömungen, die von einem Krieg eine „innere Erneuerung“ erhofften. Wie stark die waren, kann ich nicht sagen.
Kann ich schon: Sehr stark. Das Verhältnis zu den slawischen Völkern war endgültig zerstört.
Katarina Ke hat geschrieben:Das deutsche Verhältnis zu Frankreich war seit 1871 durch die Annexion von Elsass-Lothringen belastet.
Hätte man durch eine Abtretung (evtl. nach erfolgter Abstimmung) jederzeit lösen können.
Katarina Ke hat geschrieben:Zwischen Berlin und Sankt Petersburg gab es keine Meinungsverschiedenheiten. Da Deutschland allerdings ein Bündnispartner von Österreich-Ungarn war, belastete jede Krise zwischen Österreich und Russland auch das deutsch-russische Verhältnis.
Jepp, das wäre Bismarck nie passiert. Warum sollte man ein Bündnis mit der KuK Monarchie haben?
Katarina Ke hat geschrieben:Meiner Meinung nach trägt Deutschland für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges nicht die Alleinverantwortung. Die deutsche Außenpolitik machte zwischen 1890 und 1911 schwere Fehler. Der Flottenbau gehört für mich dazu. Aber einen Krieg strebten Wilhelm II. und sein Kanzler nicht an.
Wieso dann in allerwelt erklärten sie ihn? Ein Verzicht auf einen Angriff Österreich-Ungarns auf Serbien hätte genügt. Das serbische Volk wurde ohnehin durch Massaker in Sarajevo an dortigen Serben bestraft. Ganz in der später wieder aufgegriffenen Tradition von Wehrmacht und SS: 100 Tote Serben für einen Wehrmachtstoten/gefallenen Adligen.

Die Falken in Berlin und Wien wollten den Krieg - Wilhelm in seiner Wankelmütigkeit redete mal so mal so - aber am Schluss stellten die Falken ihn vor vollendete Tatsachen.

Der Preis war die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts.

Ein starker Regent hätte dies aber zu vermeiden gewusst.

Und hier noch der Hinweis auf einen Thread zu den deutsch-österreichischen Verbrechen an den Serben gleich nach Beginn des Krieges.
http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... =70&t=4912

Auch Frauen wurden gehängt. Aber klar doch, man dachte fortschrittlich. Gleichberechtigung.
Katarina Ke
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Du hattest „der Jude“ geschrieben und nicht das „Judentum“. Korrekt. Aber dennoch bleibt für mich die Frage, warum du überhaupt Menschen mosaischen Glaubens in diesem Zusammenhang erwähnst.


Marek schrieb:

„Habe ich oben erwähnt. Sowohl das Deutsche Reich wie auch Österreich wurdem vom Deutschen Element regiert, Kaiser Wilhelm feuerte Kaiser Franz Josef an, jetzt mit den Serben und dem Slawentum abzurechnen. So auch die Falken im Generalstab der KuK Monarchie. Und genauso sahen es die meisten Tschechen damals: als ein Krieg fremder Interessen. Und ja, die Alldeutschen, sie waren stark in der KuK Monarchie und sie wurden stärker.

Deutschtum - das Gefühl, anderen Rassen oder nationen überlegen zu sein und daraus den Anspruch herzuleiten, diese zu beherrschen. Prominentester Vertreter: Adolf Hitler, der der KuK Monarchie vorwarf, zu "lasch" gewesen zu sein.“


Deine Definition des Begriffs Deutschtums bleibt für mich ungenau. Wenn du die Alldeutschen im deutschen Kaiserreich meinst, dann benenne sie auch so.

Was Adolf Hitler mit der „Kriegsschuldfrage“ zu tun hat, ist für mich schleierhaft. Meines Wissens hatte er vor dem Ersten Weltkrieg als gescheiterter Kunstmaler keinen Einfluss auf die Politik der Regierungen in Berlin und in Wien.

Wilhelm II. glaubte im Juli 1914, seinen österreichischen „Amtsbruder“ zu einem harten Vorgehen gegen Serbien ermutigen zu müssen. In Belgrad betrieb man seit Jahren eine aggressiv-nationalistische Politik und wurde von Russland teilweise ermutigt. Diese Politik bedrohte die Stellung von Österreich-Ungarn, einem Vielvölkerstaat, der in der Tat reformbedürftig war. In Berlin und Wien glaubten die führenden Politiker und Militärs, Österreich könne mit einem begrenzten Krieg, der eher als Strafaktion gedacht war, Serbien in seine Schranken weisen. Die von dir angeführte Randbemerkung des letzten deutschen Kaisers ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Sie zeugt nicht von politischer Klugheit, aber ist keineswegs ein Beleg für die vorsätzliche Absicht Deutschlands, einen Weltkrieg anzuzetteln.

„Die Entscheidungen, die den Krieg herbeiführten, entwickelten sich unterdessen im Dreieck Berlin, Wie und Petersburg“, schrieb der Historiker Michael Stürmer (Michael Stürmer, Das ruhelose Reich, Deutschland 1866-1918, Berlin 1998, S. 368).

Die dritte Größe in der Sommerkrise war Russland. Die voreilige Mobilmachung des russischen Heeres verschärfte die Krise.

Marek schrieb:

„Und wie war das mit der Diagonale? Einen Frieden ohne Annexionen stellten sie sich jedenfalls nicht vor...“

Die Politik der Diagonale, so bezeichnete Bethmann-Hollweg in seinen Memoiren seinen Versuch, im Reichstag von Fall zu Fall Mehrheiten zu gewinnen. Die Reichstagwahlen hatten 1912 zu einer Sitzverteilung geführt, in der die liberal-konservative Politik des Reichskanzlers nur mit Zugeständnissen an alle Seiten des Hohen Hauses möglich wurde. Einige Historiker werten diese Tatsache bereits als Ansatz zu einer Parlamentarisierung des Reiches, aber das ist in der deutschen Geschichtswissenschaft eine Mindermeinung.

Mit dem Ausbruch des Krieges, unserem Thema, hat das nichts zu tun. Der Reichstag spielte im Juli 1914 überhaupt keine Rolle. Das Problem der Annexionen ebenfalls nicht. Viele Deutsche, auch große Teile der SPD, teilten die Meinung der Reichsleitung, dass Deutschland einen Verteidigungskrieg führen müsse.

Marek schrieb:

„Wieso dann in allerwelt erklärten sie ihn? Ein Verzicht auf einen Angriff Österreich-Ungarns auf Serbien hätte genügt. Das serbische Volk wurde ohnehin durch Massaker in Sarajevo an dortigen Serben bestraft. Ganz in der später wieder aufgegriffenen Tradition von Wehrmacht und SS: 100 Tote Serben für einen Wehrmachtstoten/gefallenen Adligen.“

Aus heutiger Sicht kann man einfach sagen, Österreich - Ungarn hätte Serbien nicht angreifen müssen. Die Ermordung eines Thronfolgers war keine Kleinigkeit. Im Sommer 1914 waren überall Politiker und Monarchen an der Macht, die in anderen Kategorien dachten. Für Österreich war es eine Frage der Ehre; in Deutschland redete man von Nibelungentreue, und in Russland wollte man sich an Habsburg für diplomatische Niederlagen auf dem Balkan retten.

Was die von dir angesprochenen Massaker an den Serben betrifft; das fehlen mir die Informationen. Außerdem geht es in diesem thread um die Frage der Verantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Auch deine Schlenker zu deutschen Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg oder zu Fragen der Gleichberechtigung von Mann und Frau haben nichts mit dem Thema zu tun.

Die Zweibund zwischen Berlin und Wien wurde 1879 geschlossen. Bismarck wollte damit Russland zu einer Annäherung an Deutschland und Österreich-Ungarn bewegen, was vorübergehend auch gelang. Nach 1890 zerfiel das Bismarck'sche Bündnissystem. Möglicherweise wäre ein Politiker vom Format eines Bismarck in der Lage gewesen, im Juli 1914 mäßigend auf Wien einzuwirken. Aber auch in Sankt Petersburg hätten der Zar und seine Berater besonnener reagieren können.

Christopher Clark hat in seinem grandiosen Buch „Die Schlafwandler“ auf die Problematik eines Forschungsansatzes hingewiesen, der in erster Linie an der Schuldfrage interessiert ist (vgl. Christopher Clark, Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, 10. Aufl., Stuttgart 2013, S.715 ff.). Er musste sich ja auch mit dem Vorwurf auseinandersetzen, die Deutschen kämen bei ihm zu gut weg. Dabei kritisiert Clark Fehler der deutschen Außenpolitik.

Ich bleibe bei meinem Standpunkt: Deutschland trägt eine Mitverantwortung. In den entscheidenden Wochen im Juli 1914 erkannte man in Berlin nicht die Brisanz der Krise. Man glaubte, es würde sich um einen lokalen Konflikt handeln.

Aber die Reichsleitung hat das Attentat vom 28. Juni 1914 nicht als Vorwand genutzt, um einen seit langem geplanten Krieg vorsätzlich vom Zaun zu brechen.
Geschichte sollte so geschrieben werden, wie man eine Geschichte erzählt - lebendig und an den Fakten orientiert. Meine Homepage: http://www.katharinakellmann-historikerin.de/
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Barbarossa
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Marek1964 hat geschrieben:
Titus Feuerfuchs hat geschrieben:Was bitte soll eine "Politik des Deutschtums" sein?
Die Politik der beiden von Deutschen Herrscherschichten geführten Kaisserreiche Deutschland und Österreich Ungarn.

Hier wurde die Diskussion schon einmal angeschnitten:

http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... =70&t=3873
Also insbesondere Österreich-Ungarn betrieb mit Sicherheit keine "Politik des Deutschtums" - auch keine antislawische Politik. Im Gegenteil: Erzherzog Franz Ferdinand plante sogar, einen dritten, südslawischen Reichsteil zu gründen, um so den österreich-ungarischen Dualismus in einen Trialismus umzuwandeln - das Reich also zu reformieren. Das wiederum stand im Widerspruch zu den Interessen Serbiens und der bosnischen Serben, die einen großserbischen Nationalstaat anstrebten oder gar einen südslawischen Bundesstaat unter der Führung der Serben. Dass ausgerechnet Franz Ferdinand ermordet werden sollte, war also kein Zufall und auch nicht, dass die Attentäter in Serbien an Waffen ausgebildet wurden und selbst die Waffen aus Serbien kamen.
Österreich-Ungarn wollte Serbien "unschädlich" machen, aber nicht aus deutsch-nationalen Interessen. Österreich-Ungarn war ein übernationales Staatsgebilde und wollte es auch bleiben.
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Marek1964
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Katarina Ke hat geschrieben:Du hattest „der Jude“ geschrieben und nicht das „Judentum“. Korrekt. Aber dennoch bleibt für mich die Frage, warum du überhaupt Menschen mosaischen Glaubens in diesem Zusammenhang erwähnst.
Was Adolf Hitler mit der „Kriegsschuldfrage“ zu tun hat, ist für mich schleierhaft. Meines Wissens hatte er vor dem Ersten Weltkrieg als gescheiterter Kunstmaler keinen Einfluss auf die Politik der Regierungen in Berlin und in Wien.
wegen dem hier: https://www.youtube.com/watch?v=NLo_tHQgunw

Der hat behauptet, dass das internationale Finanzjudentum die Welt in einen Krieg gestürzt hat.
Deine Definition des Begriffs Deutschtums bleibt für mich ungenau. Wenn du die Alldeutschen im deutschen Kaiserreich meinst, dann benenne sie auch so.
Tja, es wäre schön, wenn man Dinge so klar definieren könnte. Es sind aber nicht nur die Alldeutschen, sondern eben das Deutsche Element in Europa. So habe ich es gemeint. Wenn es eine bessere Defintion gibt - her damit.
Wilhelm II. glaubte im Juli 1914, seinen österreichischen „Amtsbruder“ zu einem harten Vorgehen gegen Serbien ermutigen zu müssen. In Belgrad betrieb man seit Jahren eine aggressiv-nationalistische Politik und wurde von Russland teilweise ermutigt. Diese Politik bedrohte die Stellung von Österreich-Ungarns, einem Vielvölkerstaat, der in der Tat reformbedürftig war. In Berlin und Wien glaubten die führenden Politiker und Militärs, Österreich könne mit einem begrenzten Krieg, der eher als Strafaktion gedacht war, Serbien in seine Schranken weisen. Die von dir angeführte Randbemerkung des letzten deutschen Kaisers ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Sie zeugt nicht von politischer Klugheit, aber ist keineswegs ein Beleg für die vorsätzliche Absicht Deutschlands, einen Weltkrieg anzuzetteln.
Und hier sind wir eben bei der Interpretation. Kann man auch anders sehen. Ausserdem - was hatte Österreich-Ungarn da auf dem Balkan zu suchen? Wie es ein kluger Kopf sagte: Ausser ein paar Maulbeerbäume und einen Haufen unzufriedene Untertanen gab es das nichts zu holen. Bismarck sagte zu Recht, der Balkan sei keinen Deutschen Knochen wert. Ausserdem hatte Österreich-Ungarn seinen Erfolg in der Bosnien Krise verbuchen können, wo sich Russland kompromissbereit zeigte. Aggressive Politik der Serben? Man hatte halt die Idee des allsüdslawischen Staates. Dann hätte ja Franz Ferdinand auch nicht ausgerechnet an einem serbischen Feiertag nach Sarajevo fahren müssen. Aber ausser ein paar Waffen an bosnische Serben hat man sich nichts zu Schulden kommen lassen.
„Die Entscheidungen, die den Krieg herbeiführten, entwickelten sich unterdessen im Dreieck Berlin, Wie und Petersburg“, schrieb der Historiker Michael Stürmer (Michael Stürmer, Das ruhelose Reich, Deutschland 1866-1918, Berlin 1998, S. 368).
Die dritte Größe in der Sommerkrise war Russland. Die voreilige Mobilmachung des russischen Heeres verschärfte die Krise.
Voreilig? Und wieder sind wir bei der Wertung oder Interpretation. Die Österreicher hatten gerade einem Verbündeten von Russland den Krieg erklärt - Mobilisierung war das noch das mildere Mittel, dass noch Raum liess für eine diplomatische Lösung. Aber auch Entschlossenheit demonstrierte - damit die Gegner das ernst nahmen.
Katarina Ke hat geschrieben:
Marek schrieb:

„Und wie war das mit der Diagonale? Einen Frieden ohne Annexionen stellten sie sich jedenfalls nicht vor...“
Die Politik der Diagonale, so bezeichnete Bethmann-Hollweg in seinen Memoiren seinen Versuch, im Reichstag von Fall zu Fall Mehrheiten zu gewinnen. Die Reichstagwahlen hatten 1912 zu einer Sitzverteilung geführt, in der die liberal-konservative Politik des Reichskanzlers nur mit Zugeständnissen an alle Seiten des Hohen Hauses möglich wurde. Einige Historiker werten diese Tatsache bereits als Ansatz zu einer Parlamentarisierung des Reiches, aber das ist in der deutschen Geschichtswissenschaft eine Mindermeinung.

Mit dem Ausbruch des Krieges, unserem Thema, hat das nichts zu tun. Der Reichstag spielte im Juli 1914 überhaupt keine Rolle. Das Problem der Annexionen ebenfalls nicht. Viele Deutsche, auch große Teile der SPD, teilten die Meinung der Reichsleitung, dass Deutschland einen Verteidigungskrieg führen müsse.
Das Thema ist hier aber die Kriegsschuldfrage - und die kann auch die Schuld der Politik für die Fortsetzung des Krieges mitbeinhalten. Da man stur auf Siegfrieden setzte bis zuletzt, und zuletzt nur noch das Deutsche Reich, während Österreich-Ungar zum Vasall wurde, sehe ich die Kriegsschuldfrage auch in diesem Kontext.
Katarina Ke hat geschrieben:
Marek schrieb:

„Wieso dann in allerwelt erklärten sie ihn? Ein Verzicht auf einen Angriff Österreich-Ungarns auf Serbien hätte genügt. Das serbische Volk wurde ohnehin durch Massaker in Sarajevo an dortigen Serben bestraft. Ganz in der später wieder aufgegriffenen Tradition von Wehrmacht und SS: 100 Tote Serben für einen Wehrmachtstoten/gefallenen Adligen.“
Aus heutiger Sicht kann man einfach sagen, Österreich - Ungarn hätte Serbien nicht angreifen müssen. Die Ermordung eines Thronfolgers war keine Kleinigkeit. Im Sommer 1914 waren überall Politiker und Monarchen an der Macht, die in anderen Kategorien dachten. Für Österreich war es eine Frage der Ehre; in Deutschland redete man von Nibelungentreue, und in Russland wollte man sich an Habsburg für diplomatische Niederlagen auf dem Balkan retten.
Gavrilo Princip war ein Bosnier - so auch seine Mitstreiter. Wenn er auch Waffen aus Belgrad bekam, war er doch ein österreichischer Bürger. Das ist ein Grund einen Krieg anzuzetteln? Darauf wäre Bismarck nie hereingefallen...
Katarina Ke hat geschrieben:Was die von dir angesprochenen Massaker an den Serben betrifft; das fehlen mir die Informationen. Außerdem geht es in diesem thread um die Frage der Verantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Auch deine Schlenker zu deutschen Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg oder zu Fragen der Gleichberechtigung von Mann und Frau haben nichts mit dem Thema zu tun.
Ein paar bissige Bemerkungen. Zweifellos war es 1914 etwas unerhörtes, Frauen so hinzurichten, genauso wie die Kriegsverbrechen in Belgien. Im Zweiten Krieg baute man auf dieser Tradition auf.
Katarina Ke hat geschrieben:Die Zweibund zwischen Berlin und Wien wurde 1879 geschlossen. Bismarck wollte damit Russland zu einer Annäherung an Deutschland und Österreich-Ungarn bewegen, was vorübergehend auch gelang. Nach 1890 zerfiel das Bismarck'sche Bündnissystem. Möglicherweise wäre ein Politiker vom Format eines Bismarck in der Lage gewesen, im Juli 1914 mäßigend auf Wien einzuwirken.
ja
Katarina Ke hat geschrieben:Aber auch in Sankt Petersburg hätten der Zar und seine Berater besonnener reagieren können.
nein, man kann nicht mitansehen, wie ein Verbündeter angegriffen wird, ohne dass man selbst aktiv wird. Zumal klar war, dass die russische Armee lange brauchen würd, mobilisiert zu werden. Aber genau in diesem Punkt widerspreche ich den "Schuldverwässerungstheoretikern" am vehementesten - und denke an München 1938.
Christopher Clark hat in seinem grandiosen Buch „Die Schlafwandler“ auf die Problematik eines Forschungsansatzes hingewiesen, der in erster Linie an der Schuldfrage interessiert ist (vgl. Christopher Clark, Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, 10. Aufl., Stuttgart 2013, S.715 ff.). Er musste sich ja auch mit dem Vorwurf auseinandersetzen, die Deutschen kämen bei ihm zu gut weg. Dabei kritisiert Clark Fehler der deutschen Außenpolitik.

Ich bleibe bei meinem Standpunkt: Deutschland trägt eine Mitverantwortung. In den entscheidenden Wochen im Juli 1914 erkannte man in Berlin nicht die Brisanz der Krise. Man glaubte, es würde sich um einen lokalen Konflikt handeln.

Aber die Reichsleitung hat das Attentat vom 28. Juni 1914 nicht als Vorwand genutzt, um einen seit langem geplanten Krieg vorsätzlich vom Zaun zu brechen.
Das ist Deine Intepretation, meine ist ein andere. Ich sehe keinen entscheidenden Fehler, den die Entente gemacht hätte. Allenfalls könnte man die Waffenlieferungen der Schwarzen Hand an die Bosnischen Serben als Fehler sehen. Aber bitte, das als Grund für ein Völkergemetzel? Wie gesagt, man hat am gleichen Abend in Sarajevo 200 Serben massakriert. Das hätte es sein können.
Katarina Ke
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Da wird Adolf H. zum wichtigen Zeitzeugen erklärt - fürwahr Marek, das ist eine Leistung.

Die Kriegsschuldfrage beinhaltet nicht automatisch die Frage, wer verantwortlich für einen Krieg ist.

Aber wenn ich deine Behauptung jetzt mal aufgreife, dann gibt es hier noch andere Punkte, die man berücksichtigen muss: Waren die beiden Machtblöcke bereit, Frieden zu schließen? Welche Vorstellungen hatten die kriegsführenden Parteien über eine Nachkriegsordnung? Dieses sehr komplexe Thema wird von dir schlicht und ergreifend verkürzt.

Russland war mit Serbien verbündet? Gab es da einen offiziellen Bündnisvertrag?

Der Zweibund verpflichtete Deutschland zur Unterstützung. Dass die deutsche Seite dabei Fehler machte, bestreite ich nicht. Mit der russischen Teilmobilmachung, die am 25. Juli 1914 begann, trug Russland maßgeblich zur Eskalation bei.

Deine ständigen Verweise auf spätere Ereignisse - wie beispielsweise das Münchner Abkommen von 1938 - sind völlig ahistorisch. Das ist noch nicht einmal Geschichtspolitik.

Die Frage, wer die Schuld am Kriegsausbruch trägt, ist in der Tat auch eine Frage der Bewertung. Wenn du wenigstens Argumente hättest, die man bei Fritz Fischer und seinen Schülern nachlesen kann. Ich kenne Historiker, die die These von der deutschen Alleinschuld vertreten. Aber viele Argumente von dir habe ich da nie gehört oder gelesen.

In einer pluralistischen Gesellschaft gibt es Meinungsfreiheit. Du hast deine Meinung, ich halt eben meine.
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Marek1964
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Katarina Ke hat geschrieben:Da wird Adolf H. zum wichtigen Zeitzeugen erklärt - fürwahr Marek, das ist eine Leistung.
Zugegeben, ein provokativer Einwurf, aber auch er hatte seine Kriegsschuldtheorie, und die ist hier das Thema; dass das internationale Finanzjudentum den ersten Weltkrieg verursacht hat. Diese Theorie ist längst auf dem Misthaufen der Geschichte gelandet; da können wir sie jetzt auch gerne lassen.
Katarina Ke hat geschrieben:Russland war mit Serbien verbündet? Gab es da einen offiziellen Bündnisvertrag?
Russland war Schutzmacht von Serbien - und machte nach dem Attentat klar, dass man zwar gegen Untersuchungen nach dem Attentat keine Einwände haben würde, man aber eine weitere Schwächung Serbiens nicht tolerieren würde. Das wurde auch so bekannt gegeben, auch in Wien, Mitte Juli. Eigentlich hatten ja Russland und Österreich vereinbart, sich den Balkan aufzuteilen. In der Bosnienkrise bekam Russland dann eigentlich nicht das, was es bekommen sollte, allerdings wegen England und nicht wegen Österreich.
Katarina Ke hat geschrieben:Der Zweibund verpflichtete Deutschland zur Unterstützung. Dass die deutsche Seite dabei Fehler machte, bestreite ich nicht. Mit der russischen Teilmobilmachung, die am 25. Juli 1914 begann, trug Russland maßgeblich zur Eskalation bei.

Die Frage, wer die Schuld am Kriegsausbruch trägt, ist in der Tat auch eine Frage der Bewertung. Wenn du wenigstens Argumente hättest, die man bei Fritz Fischer und seinen Schülern nachlesen kann. Ich kenne Historiker, die die These von der deutschen Alleinschuld vertreten. Aber viele Argumente von dir habe ich da nie gehört oder gelesen.
Was die Schuld für den Kriegsausbruch anbelangt, kristallisiert sich für mich eben alles auf die zwei Fragen, ob die Teilmobilmachung Russlands als Grund für eine Kriegserklärung reicht - und ebenso das Attentat von Sarajevo. Und beide Ereignisse werten wir anders.

Eine Mobilmachung kann man mit einer eigenen Mobilmachung beantworten. Und nicht mit einer Kriegserklärung. Die Lieferung von Waffen und sonstige Unterstützung der Attentäter - die zu dem Zeitpunkt vermutet war - kann man mit der Bestrafung der Attentäter ahnden, mit verschärften Grenzkontrollen, mit Untersuchungen usw. Auch mit einer Forderung nach einer Untersuchung im anderen Land. Das aber als Kriegsgrund?

Alles andere sehe ich als zwar interessante Aspekte zu den Motiven der handelnden, aber letztlich nach meiner Auffassung nicht entscheidend, also zumindest nicht für die Schuld für den Kriegsbeginn. Es sind wieder nur Indizien.

Selbst die Rezeption der Kriegsratssitzung vom Deutschen Reich 1912 wird unterschiedlich gewichtet:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kriegsrat_ ... #Rezeption

Dies ist aber nur ein Beispiel von vielen, die verschieden interpretiert werden.

Fakt ist, dass die Mittelmächte den Krieg erklärt hatten. Und es eine Fülle von Indizien gibt, dass sie ihn schon länger wollten oder zumidest in Kauf nahmen.

Wie Barbarossa oben richtig erwähnt, gab es auch vernünftige Tendenzen in Österreich Ungarn; es dann als Teil des "Deutschtums" zu bezeichnen entbehrt nicht der Polemik, das räume ich ein. Aber im Juli 1914 setzten sich eben diese Tendenzen durch. Wobei auch das schon eine gewisse Interpretation der Motive dieser Leute ist, die sicher auch diskutabel ist. Klar ist, dass man den Weg des Konfliktes mit Serbien suchte. Drei Wochen nach dem Attentat plötzlich ein massives Ultimatum zu setzen und dem Gegner 48 Stunden Bedenkzeit zu geben... für mich ein klarer Fall. Und dass Russland eingreifen würde - damit musste man zumindest rechnen. Und man wusste, dass Poincarée gerade von St, Petersburg ablegte und damit eine Beratung zwischen Frankreich und Russland nun sehr viel schwerer war.

Ein Aspekt der Sache ist auch, dass das Handeln der Akteure bisweilen schwer verständlich ist, was sie eigentlich wollten. Für mich ist der erste Weltkrieg vor allem das Ergebnis unklarer Zielsetzungen und deshalb Handlungen. Was wollte man mit dem Krieg erreichen? Schwache Monarchen und verschiedene Drahtzieher im Hintergrund, die bisweilen auch ihr Süppchen kochten und sogar den Willen des Kaiser sabotierten, wie den Widerruf des Kriegsgrundes nach der weitgehenden Annahme des Ultimatums durch Serbien verzögert und unvollständig weitergaben.

Das denke ich, ist ein wichtiger Aspekt, warum es auch bei den Historikern so unterschiedliche Bewertungen der Ereignisse gibt.
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