von Wallenstein » 20.09.2015, 11:56
In diesem Forum wird gerade über Demokratie diskutiert. Vielleicht deshalb ein kleiner Beitrag über Demokratietheorien nach 1945.
Während des zweiten Weltkriegs und danach entstanden neue Theorien über die Demokratie, die bis heute entscheidend sind.
Joseph Schumpeter (1883-1950) entwickelte am Beispiel der USA die sogenannte „realistische Demokratietheorie“, die sich am Markt orientiert und sie lediglich als Konkurrenzmodell begreift. Der Bürger hat nur die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Eliten zu wählen, sollte sich aber sonst aus der Politik heraushalten. „Die Wähler außerhalb des Parlaments müssen die Arbeitsteilung zwischen ihnen selbst und den von ihnen gewählten Politikern respektieren. Sie dürfen diesen zwischen den Wahlen nicht allzu leicht das Vertrauen entziehen und müssen einsehen, dass, wenn sie einmal jemanden gewählt haben, die politische Tätigkeit seine Sache ist und nicht die ihre.“ (J.A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Berlin 1956, S. 468)
Die „realistische Demokratietheorie“ geht davon aus, dass es einen Gegensatz gibt zwischen politikinkompetenten Massen und verantwortlichen Eliten.
Gibt es also eine demokratische Elitenherrschaft? Dies wurde in den USA heftig diskutiert. David Riesman sprach von einem pluralistischen Gegeneinander von „Veto Gruppen“, nicht nur in der Politik, sondern auch von Wirtschaftsverbänden, Medien, Militärs, Gewerkschaften, die sich gegenseitig in Schach halten. Charles Wrigt Mills hingegen glaubte eine „Machtelite“ verorten zu können, mit asymmetrischen Einflussmöglichkeiten auf die Politik.
Diese Diskussion fand auch Eingang in der jungen BRD. Sie wurde weitgehend bestimmt durch die Pluralismus Theorie von Ernst Fraenkel (1898-1975). Seine Vorstellung: Die westlichen Demokratien sollten sich am Idealtypus eines autonom-heterogen-pluralistischen Rechts- und Sozialstaats orientieren im Gegensatz zu einer totalitären Diktatur.
„Autonom“ bedeutet: Das Gemeinwohl wird nicht durch Ideologien vorgegeben, sondern ist das Ergebnis freier, streitiger Opposition legitimierender Diskussion.
„Heterogen“ besagt: Die unterschiedlichen Interessen und Strukturen einer differenzierten Gesellschaft dürfen nicht durch Zwang gleichgeschaltet werden.
„Pluralistisch“ besagt, dass die Interessen , d.h. die bewusst gewordenen Bedürfnisse sich in allen faktisch zur Verfügung stehenden verfassungsrechtlich zulässigen Formen artikulieren und organisieren können, wobei die Aktivität und Rivalität konkurrierender Gruppen den Willensbildungs- und Entscheidungsprozess auszeichnet. Die politischen Entscheidungen ergeben sich dann wie in einem Kräfteparallelogramm durch das Aufeinanderwirken der Gruppierungen, innerhalb und außerhalb des Parlaments. Die demokratische Partizipation der Bürger erfolgt durch Wahlen, Abstimmungen und Mitwirkungen in Parteien und Vereinigungen.
Ein konfliktfähiges Gemeinwesen braucht aber einen Basiskonsens. Fraenkel unterscheidet zwischen einem notwendigen „unstreitigen Sektor“, Konsens (Grund- und Menschenrechte, gesicherte Verfahrensregeln) und einem „streitigen Sektor“ Dissens, dem Bereich des politischen Konflikts und Kontroversen. Je stabiler der Konsensbereich ist, desto tragfähiger das System.
Die demokratische Eliteherrschschaft kann abgemildert werden durch innerparteiliche Demokratie und andere Theoretiker sprachen von „Funktionseliten“, nicht von Machteliten.
Dieses Konzept von Fraenkel geriet bald in Kritik:
1. Nicht alle Interessen sind autonom organisierbar. Säuglinge oder Embryos oder kleine Kinder hätten gleichfalls Interessen. Sie sind aber ebenso wenig organisierbar wie die Interessen von Randgruppen, psychisch Kranken, Drogensüchtigen, Alkoholikern oder Obdachlosen.
2. Der Pluralismus suggeriert ein Machtgleichgewicht zwischen den Gruppen. Dieses sei aber nicht vorhanden. Wirtschaftsverbände haben z. B. größere Macht als Verbraucherverbände. Die Beziehungen in der Gesellschaft sind asymmetrisch. Manche Gruppen sind kaum konfliktfähig. Gewerkschaften können streiken, Arbeitslose nicht.
3. Der Staat ist nicht neutral. In ihm haben Machteliten das sagen, die nicht wirklich vom Wähler kontrollierbar sind.
4. Das Gemeinwohl ergibt sich nicht immer automatisch als Folge der Diskussion der Gruppen. Es wird natürlich ein Kompromiss angestrebt, aber manche Gruppen können von ihren Forderungen mehr durchsetzen als andere.
5. Sind die Funktionseliten in den Verbänden nicht in Wirklichkeit doch Machteliten mit eigennützigen Forderungen?
Fraenkel wollte nun allerdings auch keinen Idealstaat schaffen, weil er dies für nicht realistisch hielt. Er wollte aber einen funktionsfähigen Staat schaffen, soweit dies überhaupt möglich ist.
In diesem Forum wird gerade über Demokratie diskutiert. Vielleicht deshalb ein kleiner Beitrag über Demokratietheorien nach 1945.
Während des zweiten Weltkriegs und danach entstanden neue Theorien über die Demokratie, die bis heute entscheidend sind.
Joseph Schumpeter (1883-1950) entwickelte am Beispiel der USA die sogenannte „realistische Demokratietheorie“, die sich am Markt orientiert und sie lediglich als Konkurrenzmodell begreift. Der Bürger hat nur die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Eliten zu wählen, sollte sich aber sonst aus der Politik heraushalten. „Die Wähler außerhalb des Parlaments müssen die Arbeitsteilung zwischen ihnen selbst und den von ihnen gewählten Politikern respektieren. Sie dürfen diesen zwischen den Wahlen nicht allzu leicht das Vertrauen entziehen und müssen einsehen, dass, wenn sie einmal jemanden gewählt haben, die politische Tätigkeit seine Sache ist und nicht die ihre.“ (J.A. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, Berlin 1956, S. 468)
Die „realistische Demokratietheorie“ geht davon aus, dass es einen Gegensatz gibt zwischen politikinkompetenten Massen und verantwortlichen Eliten.
Gibt es also eine demokratische Elitenherrschaft? Dies wurde in den USA heftig diskutiert. David Riesman sprach von einem pluralistischen Gegeneinander von „Veto Gruppen“, nicht nur in der Politik, sondern auch von Wirtschaftsverbänden, Medien, Militärs, Gewerkschaften, die sich gegenseitig in Schach halten. Charles Wrigt Mills hingegen glaubte eine „Machtelite“ verorten zu können, mit asymmetrischen Einflussmöglichkeiten auf die Politik.
Diese Diskussion fand auch Eingang in der jungen BRD. Sie wurde weitgehend bestimmt durch die Pluralismus Theorie von Ernst Fraenkel (1898-1975). Seine Vorstellung: Die westlichen Demokratien sollten sich am Idealtypus eines autonom-heterogen-pluralistischen Rechts- und Sozialstaats orientieren im Gegensatz zu einer totalitären Diktatur.
„Autonom“ bedeutet: Das Gemeinwohl wird nicht durch Ideologien vorgegeben, sondern ist das Ergebnis freier, streitiger Opposition legitimierender Diskussion.
„Heterogen“ besagt: Die unterschiedlichen Interessen und Strukturen einer differenzierten Gesellschaft dürfen nicht durch Zwang gleichgeschaltet werden.
„Pluralistisch“ besagt, dass die Interessen , d.h. die bewusst gewordenen Bedürfnisse sich in allen faktisch zur Verfügung stehenden verfassungsrechtlich zulässigen Formen artikulieren und organisieren können, wobei die Aktivität und Rivalität konkurrierender Gruppen den Willensbildungs- und Entscheidungsprozess auszeichnet. Die politischen Entscheidungen ergeben sich dann wie in einem Kräfteparallelogramm durch das Aufeinanderwirken der Gruppierungen, innerhalb und außerhalb des Parlaments. Die demokratische Partizipation der Bürger erfolgt durch Wahlen, Abstimmungen und Mitwirkungen in Parteien und Vereinigungen.
Ein konfliktfähiges Gemeinwesen braucht aber einen Basiskonsens. Fraenkel unterscheidet zwischen einem notwendigen „unstreitigen Sektor“, Konsens (Grund- und Menschenrechte, gesicherte Verfahrensregeln) und einem „streitigen Sektor“ Dissens, dem Bereich des politischen Konflikts und Kontroversen. Je stabiler der Konsensbereich ist, desto tragfähiger das System.
Die demokratische Eliteherrschschaft kann abgemildert werden durch innerparteiliche Demokratie und andere Theoretiker sprachen von „Funktionseliten“, nicht von Machteliten.
Dieses Konzept von Fraenkel geriet bald in Kritik:
1. Nicht alle Interessen sind autonom organisierbar. Säuglinge oder Embryos oder kleine Kinder hätten gleichfalls Interessen. Sie sind aber ebenso wenig organisierbar wie die Interessen von Randgruppen, psychisch Kranken, Drogensüchtigen, Alkoholikern oder Obdachlosen.
2. Der Pluralismus suggeriert ein Machtgleichgewicht zwischen den Gruppen. Dieses sei aber nicht vorhanden. Wirtschaftsverbände haben z. B. größere Macht als Verbraucherverbände. Die Beziehungen in der Gesellschaft sind asymmetrisch. Manche Gruppen sind kaum konfliktfähig. Gewerkschaften können streiken, Arbeitslose nicht.
3. Der Staat ist nicht neutral. In ihm haben Machteliten das sagen, die nicht wirklich vom Wähler kontrollierbar sind.
4. Das Gemeinwohl ergibt sich nicht immer automatisch als Folge der Diskussion der Gruppen. Es wird natürlich ein Kompromiss angestrebt, aber manche Gruppen können von ihren Forderungen mehr durchsetzen als andere.
5. Sind die Funktionseliten in den Verbänden nicht in Wirklichkeit doch Machteliten mit eigennützigen Forderungen?
Fraenkel wollte nun allerdings auch keinen Idealstaat schaffen, weil er dies für nicht realistisch hielt. Er wollte aber einen funktionsfähigen Staat schaffen, soweit dies überhaupt möglich ist.