von Dietrich » 24.01.2015, 13:36
Katarina Ke hat geschrieben:Vielen Dank für die Antworten.
Zu den Aufgaben eines Historikers oder Historikerin gehört es ja, sich in die Gedankenwelt der Verantwortlichen zu versetzen und mit einer kritischen Distanz die Quellen auszuwerten. Und da fällt mir auf, dass ein Teil der deutschen Bevölkerung, organisiert in der „Vaterlandspartei“ die überzogenen Forderungen der Obersten Heeresleitung teilte. Ob diese Partei, die eher einer Bewegung ähnelte, wirklich 800 000 Mitglieder hatte, wird von Historikern bezweifelt.
Auf beiden Seiten des Rheins - sowohl in Frankreich als auch in Deutschland - gab es solche irrealen Pläne zur Aufteilung des gegnerischen Staates. Wie stark die Anhänger dieser Großmachtphantasien waren, lässt sich heute nicht mehr genau sagen. Auf jeden Fall war es ein kleinerer nationalistischer Teil und die ungezügelte Kriegspropaganda trug zu einer enthemmten Betrachtung des Gegners bei.
Die von dir zitierte rechtsradikale und nationalistische "Deutsche Vaterlandspartei" wurde 1917 gegründet und bereits 1918/19 liquidiert. Sie war nicht im Reichstag vertreten, erlebte zunächst einen kurzen Aufschwung und parallel zum militärischen Niedergang einen rasanten Absturz. Dennoch gehörten ihr viele führende Industrielle, Großgrundbesitzer und Wirtschaftsverbandsfunktionäre an, darunter Max Roetger, Wilhelm von Siemens, Carl Duisberg, Carl Ziese, Ernst von Borsig, Hugo Stinnes, Emil Kirdorf, Jakob Wilhelm Reichert, Alfred Hugenberg, Ernst Schweckendieck, Conrad Freiherr von Wangenheim und Hermann Röchling. Das wirft ein bezeichnendes Licht auf die politische Einstellung der deutschen Elite und zeigt überdeutlich, mit welchen Schwierigkeiten später die Weimarer Republik zu kämpfen hatte. Kein Wunder, dass bereits Ende der 20er Jahre die NSDAP breiteste Zustimmung sowohl im Volk als auch bei den Herren der Industrie und des Kapitals fand.
Katarina Ke hat geschrieben:
Aber dieser vermeintlich hochqualifizierte Generalstab hätte doch 1917/18 erkennen müssen, dass ein Siegfrieden nicht mehr möglich ist. Im kleinen Kreis soll Ludendorff sich vor dem 21. März 1918 auch skeptisch geäußert haben. Woher kommt dieser Größenwahn von Männern (ich räume ein, es hat in der Geschichte auch größenwahnsinnige Frauen gegeben), die ja keine Dummköpfe waren? Ludendorff hatte maßgeblichen Anteil am Sieg bei Tannenberg (natürlich konnten die Deutschen den russischen Funkverkehr abhören, aber dadurch alleine wurde die Schlacht nicht gewonnen), und er hat im Frühjahr 1917 mit seiner Führung dafür gesorgt, dass die Westfront stabilisiert wurde.
Es fiel den Generälen der OHL unglaublich schwer, sich selbst und dem deutschen Volk die drohende Niederlage einzugestehen. Besonders nachdem die Militärs jahrelang die miliärische Überlegenheit Deutschlands verkündet hatten. Zudem regte sich Hoffnung, nachdem im Zuge der russischen Oktoberrevolution 1917 Russland einen Separatfrieden abgeschlossen hatte. Dadurch konnten die Truppen von der Ostfront an die Westfront verlegt werden. Die Rechnung wäre vielleicht sogar aufgegangen, wenn die USA nicht 1917 in den Krieg eingetreten wären. Die deutsche Frühjahrsoffensive 1918 scheiterte, bald danach musste Deutschland um einen Waffenstillstand ersuchen.
Katarina Ke hat geschrieben:Natürlich gibt es in der deutschen Führung, die 1917/18 von Militärs dominiert wurde, auch die Vorstellung, man könne mit einem Siegfrieden im Innern eine Demokratisierung verhindern. Glaubte man ernsthaft, dass auch gemäßigte Sozialdemokraten wie Friedrich Ebert oder Gustav Noske weiterhin das Dreiklassenwahlrecht in Preußen akzeptiert hätten, nur weil Deutschland im Falle eines Sieges Belgien und Teile Nordfrankreichs annektiert hätte?
Das ist sicher eine richtige Feststellung. Dabei lässt sich nicht sicher abschätzen, inwieweit die Generäle der OHL einem Selbstbetrug erlagen, also noch bis zur Frühjahrsoffensive 1918 an einen Sieg glaubten, oder ob sie wider besseres Wissen und ohne Achtung der Verluste handelten. Das mag sicher von Fall zu Fall verschieden sein, aber letzten Endes gewann die Prämisse vom Endkampf um jeden Preis die Oberhand.
Zu Gunsten der deutschen Seite ist allerdings zu beachten, was ich schon weiter oben sagte: Als die Einsicht auf deutscher Seite wuchs, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei, beschloss eine Reichstagsmehrheit aus SPD, Zentrum und Fortschrittsspartei am 19. Juli 1917 eine Friedernsresolution. In ihr wurde der Verzicht auf Gebietserwerb erklärt und die Bereitschaft zu einem Verständigungsfrieden betont. Die Alliierten sahen darin ein Zeichen deutscher Schwäche und lehnten die Resolution ab. Entscheidend war dafür der Kriegseintritt der USA am 6. April 1917, der zu einem Strom an Waffen und Rohstoffen führte und frische US-Soldaten an die Westfront brachte.
[quote="Katarina Ke"]Vielen Dank für die Antworten.
Zu den Aufgaben eines Historikers oder Historikerin gehört es ja, sich in die Gedankenwelt der Verantwortlichen zu versetzen und mit einer kritischen Distanz die Quellen auszuwerten. Und da fällt mir auf, dass ein Teil der deutschen Bevölkerung, organisiert in der „Vaterlandspartei“ die überzogenen Forderungen der Obersten Heeresleitung teilte. Ob diese Partei, die eher einer Bewegung ähnelte, wirklich 800 000 Mitglieder hatte, wird von Historikern bezweifelt.[/quote]
Auf beiden Seiten des Rheins - sowohl in Frankreich als auch in Deutschland - gab es solche irrealen Pläne zur Aufteilung des gegnerischen Staates. Wie stark die Anhänger dieser Großmachtphantasien waren, lässt sich heute nicht mehr genau sagen. Auf jeden Fall war es ein kleinerer nationalistischer Teil und die ungezügelte Kriegspropaganda trug zu einer enthemmten Betrachtung des Gegners bei.
Die von dir zitierte rechtsradikale und nationalistische "Deutsche Vaterlandspartei" wurde 1917 gegründet und bereits 1918/19 liquidiert. Sie war nicht im Reichstag vertreten, erlebte zunächst einen kurzen Aufschwung und parallel zum militärischen Niedergang einen rasanten Absturz. Dennoch gehörten ihr viele führende Industrielle, Großgrundbesitzer und Wirtschaftsverbandsfunktionäre an, darunter Max Roetger, Wilhelm von Siemens, Carl Duisberg, Carl Ziese, Ernst von Borsig, Hugo Stinnes, Emil Kirdorf, Jakob Wilhelm Reichert, Alfred Hugenberg, Ernst Schweckendieck, Conrad Freiherr von Wangenheim und Hermann Röchling. Das wirft ein bezeichnendes Licht auf die politische Einstellung der deutschen Elite und zeigt überdeutlich, mit welchen Schwierigkeiten später die Weimarer Republik zu kämpfen hatte. Kein Wunder, dass bereits Ende der 20er Jahre die NSDAP breiteste Zustimmung sowohl im Volk als auch bei den Herren der Industrie und des Kapitals fand.
[quote="Katarina Ke"]
Aber dieser vermeintlich hochqualifizierte Generalstab hätte doch 1917/18 erkennen müssen, dass ein Siegfrieden nicht mehr möglich ist. Im kleinen Kreis soll Ludendorff sich vor dem 21. März 1918 auch skeptisch geäußert haben. Woher kommt dieser Größenwahn von Männern (ich räume ein, es hat in der Geschichte auch größenwahnsinnige Frauen gegeben), die ja keine Dummköpfe waren? Ludendorff hatte maßgeblichen Anteil am Sieg bei Tannenberg (natürlich konnten die Deutschen den russischen Funkverkehr abhören, aber dadurch alleine wurde die Schlacht nicht gewonnen), und er hat im Frühjahr 1917 mit seiner Führung dafür gesorgt, dass die Westfront stabilisiert wurde. [/quote]
Es fiel den Generälen der OHL unglaublich schwer, sich selbst und dem deutschen Volk die drohende Niederlage einzugestehen. Besonders nachdem die Militärs jahrelang die miliärische Überlegenheit Deutschlands verkündet hatten. Zudem regte sich Hoffnung, nachdem im Zuge der russischen Oktoberrevolution 1917 Russland einen Separatfrieden abgeschlossen hatte. Dadurch konnten die Truppen von der Ostfront an die Westfront verlegt werden. Die Rechnung wäre vielleicht sogar aufgegangen, wenn die USA nicht 1917 in den Krieg eingetreten wären. Die deutsche Frühjahrsoffensive 1918 scheiterte, bald danach musste Deutschland um einen Waffenstillstand ersuchen.
[quote="Katarina Ke"]Natürlich gibt es in der deutschen Führung, die 1917/18 von Militärs dominiert wurde, auch die Vorstellung, man könne mit einem Siegfrieden im Innern eine Demokratisierung verhindern. Glaubte man ernsthaft, dass auch gemäßigte Sozialdemokraten wie Friedrich Ebert oder Gustav Noske weiterhin das Dreiklassenwahlrecht in Preußen akzeptiert hätten, nur weil Deutschland im Falle eines Sieges Belgien und Teile Nordfrankreichs annektiert hätte?[/quote]
Das ist sicher eine richtige Feststellung. Dabei lässt sich nicht sicher abschätzen, inwieweit die Generäle der OHL einem Selbstbetrug erlagen, also noch bis zur Frühjahrsoffensive 1918 an einen Sieg glaubten, oder ob sie wider besseres Wissen und ohne Achtung der Verluste handelten. Das mag sicher von Fall zu Fall verschieden sein, aber letzten Endes gewann die Prämisse vom Endkampf um jeden Preis die Oberhand.
Zu Gunsten der deutschen Seite ist allerdings zu beachten, was ich schon weiter oben sagte: Als die Einsicht auf deutscher Seite wuchs, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei, beschloss eine Reichstagsmehrheit aus SPD, Zentrum und Fortschrittsspartei am 19. Juli 1917 eine Friedernsresolution. In ihr wurde der Verzicht auf Gebietserwerb erklärt und die Bereitschaft zu einem Verständigungsfrieden betont. Die Alliierten sahen darin ein Zeichen deutscher Schwäche und lehnten die Resolution ab. Entscheidend war dafür der Kriegseintritt der USA am 6. April 1917, der zu einem Strom an Waffen und Rohstoffen führte und frische US-Soldaten an die Westfront brachte.