von ehemaliger Autor K. » 13.10.2014, 15:49
Die Statistik ist heute ein unentbehrliches Merkmal in fast allen Bereichen geworden, um Prozesse und Abläufe zu verstehen und berechenbar zu machen. Schon seit mehreren Jahrzehnten findet sie auch verstärkt Anwendung in der Historischen Sozialforschung. Allerdings ist sie vielen Historikern noch nicht vertraut.
Vor einigen Wochen hatte ich vor Geschichsstudenten einen Vortrag über Quantitative Methoden in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften gehalten und festgestellt, das oft noch nicht einmal die einfachsten Grundbegriffe bekannt sind.
Daran hat sich den letzten Jahren nicht viel geändert, da Statistik kein Pflichtfach für die Studierenden ist. Dieses Fach ist allerdings generell nicht beliebt, da die Durchfallquoten in den Klausuren bei uns oft 50% betragen und viele Soziologen, Psychologen etc. verzweifeln daran. Die Formeln sehen häufig extrem schwierig und kryptisch aus, die Studenten benötigen zumindest mathematische Grundkenntnisse in der Infinitesimalrechnung, Matrizenrechnung, Stochastik, Logarithmen, Eulersche Zahl usw.…
Dabei liefert die Statistik eine Fülle von Informationen, etwa Zusammenhänge zwischen Bildung und Einkommen, Geschlecht und Wählerverhalten etc., um nur einige Beispiele zu nennen. Was für die Gegenwart funktioniert, sollte auch für die Vergangenheit gelten. Wir brauchen aber nicht nur Daten, sondern interessieren uns vor allem für ihre Zusammenhänge, den Korrelationen.
Generell unterscheiden wir:
Nominale Merkmale (Unterschiedsmerkmale) wie etwa Geschlecht oder Beruf und ihren Häufigkeiten.
Ordinale Merkmale (Rangmerkmale) heute z.B. heute Schulnoten.
Metrische Merkmale, (Abstandsmerkmale), die Differenzen zwischen Ausprägungen, wie z.B. Einkommen, Alter, Größe, Einwohnerzahl.
Zunächst sammeln wir diese Daten und in einem zweiten Schritt versuchen wir Korrelationen zwischen ihnen festzustellen. Dabei müssen wir unterscheiden zwischen Scheinkorrelationen und kausalen Zusammenhängen.
Eine Scheinkorrelation wäre z.B.: In einer Region wurde festgestellt, das immer dann, wenn die Storchenpopulation zunimmt, auch die Geburtenrate steigt. Bringt also der Storch die Kinder? Natürlich nicht, das ist eine Scheinkorrelation. Solche Zufälle gibt es häufig. Was ist aber, wenn in einem Stadtteil die Zahl der Ausländer zunimmt und gleichzeitig die Kriminalität steigt? Populisten behaupten dann immer sofort einen Zusammenhang, doch der Wissenschaftler braucht in einem solchen Fall noch viele weitere Variable mit quantitativen Ausprägungen, um dann mit einer sogenannten multiplen Regression festzustellen, ob es sich hier tatsächlich um einen kausalen Zusammenhang handelt oder nicht.
Die Vorgehensweise in der Statistik ist wie folgt: Man geht aus von der sogenannten Null-Hypothese (es gibt keinen Zusammenhang) und setzt ihr eine Alternativ-Hypothese gegenüber (es gibt einen Zusammenhang). Die vorhandenen Daten werden dann mit mathematischen Verfahren ausgewertet und erst dann, wenn die Wahrscheinlichkeit der Alternativ-Hypothese einen gewisse Signifikanz erreicht, in der Regel 95%, wird die Null-Hypothese aufgegeben. So vermeidet man Schnellschüsse.
Seit dem 19. Jahrhundert gibt es eine Fülle von statistischen Informationen, z.B. in Preußen in dem Statistischen Büro ab 1805. Aus den früheren Zeiten haben wir weniger Material.
Was den Statistiker interessiert sind vor allem: Demographische Entwicklungen, Geburten- und Sterberaten, Steueraufkommen, Preise, Löhne, Ernteerträge, Zahl der verschiedenen Berufe, Produktivität des Gewerbes, Betriebszählungen, Klimadaten usw. Aus ihnen können wir viel erfahren über den Aufbau der Gesellschaften, deren Gliederung in Schichten, Konsumgewohnheiten der gesellschaftlichen Gruppen, soziale Milieus, Vermögenverteilung usw. Die Instrumente sind auch hier die üblichen wie heute, wie z.B. die Lorenzkurve für die Einkommensverteilung oder den GINI-Koeffizienten für die Vermögensverteilung.
Dann können wir Korrelationen ermitteln: Zwischen Klimadaten und Ernteerträge, daraus resultierende Einkommensentwicklungen, Wanderungsbewegungen vom Land in die Stadt, etc.
Mit Hilfe der quantitativen Methoden und immer neuen Daten können wir die Vergangenheit und die gesellschaftlichen Abläufe in früheren Zeiten immer besser nachvollziehen. Es gibt bereits zahlreiche Studien, vor allem im Bereich der Regionalforschung, in denen so verfahren wird. Ich persönlich schätze immer noch die bereits älteren, aber immer noch hervorragenden Arbeiten von Wilhelm Abel über die Agrarentwicklungen in Deutschland.
Die Statistik ist also bestens geeignet zur Erforschung der Vergangenheit als Teil der historischen Sozialforschung und ist gleichwertig gegenüber der sogenannten Narrativen Geschichtsschreibung, die heute immer noch vielfach betrieben wird. Die Statistik bietet uns mathematische Verfahren an, die heute von immer größerem Nutzen sind.
Die Grenzen liegen dort, wo uns (noch!) nicht genügend Material vorliegt und problematisch ist die Bewertung der Stichproben, denn aus der Vergangenheit liegen uns oft immer nur Überreste vor. In der Gegenwart wissen wir in der Regel, wie groß die Stichprobe sein muss, um Rückschlüsse auf die Gesamtmasse ziehen zu können. Das ist aber für die Vergangenheit meistens nicht möglich.
Also, jeder Geschichtsstudent sollte sich mit diesen Dingen beschäftigen und ich hoffe sehr, dass diese Disziplin Pflichtfach im Studium wird, genauso wie übrigens auch Volkswirtschaft, Soziologie um nur einige zusätzliche Fächer zu nennen. (Die sind, soweit ich weiß, auch nicht überall vorgeschrieben als Ergänzung zum Geschichtsstudium)
(Wer sich für Statistik interessiert: Es gibt in jeder guten Buchhandlung diverse Literatur. Und wer das Programm EXCEL auf seinem Computer hat, kann auch die einfacheren Verfahren dort selber ausprobieren, z.B. die Korrelationskoeffizienten von Pearson, Regressionsrechnung, Chi-Quadrat-Test, Varianzanalysen usw.)
Siehe auch zur Einführung: Kersten Krüger, Historische Statistik, in: Geschichte, Hrsg. Hans-Jürgen Goertz, Reinbek 2007, S.66 ff.
Dort auch viele Hinweise auf Forschungsarbeiten.
Die Statistik ist heute ein unentbehrliches Merkmal in fast allen Bereichen geworden, um Prozesse und Abläufe zu verstehen und berechenbar zu machen. Schon seit mehreren Jahrzehnten findet sie auch verstärkt Anwendung in der Historischen Sozialforschung. Allerdings ist sie vielen Historikern noch nicht vertraut.
Vor einigen Wochen hatte ich vor Geschichsstudenten einen Vortrag über Quantitative Methoden in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften gehalten und festgestellt, das oft noch nicht einmal die einfachsten Grundbegriffe bekannt sind.
Daran hat sich den letzten Jahren nicht viel geändert, da Statistik kein Pflichtfach für die Studierenden ist. Dieses Fach ist allerdings generell nicht beliebt, da die Durchfallquoten in den Klausuren bei uns oft 50% betragen und viele Soziologen, Psychologen etc. verzweifeln daran. Die Formeln sehen häufig extrem schwierig und kryptisch aus, die Studenten benötigen zumindest mathematische Grundkenntnisse in der Infinitesimalrechnung, Matrizenrechnung, Stochastik, Logarithmen, Eulersche Zahl usw.…
Dabei liefert die Statistik eine Fülle von Informationen, etwa Zusammenhänge zwischen Bildung und Einkommen, Geschlecht und Wählerverhalten etc., um nur einige Beispiele zu nennen. Was für die Gegenwart funktioniert, sollte auch für die Vergangenheit gelten. Wir brauchen aber nicht nur Daten, sondern interessieren uns vor allem für ihre Zusammenhänge, den Korrelationen.
Generell unterscheiden wir:
Nominale Merkmale (Unterschiedsmerkmale) wie etwa Geschlecht oder Beruf und ihren Häufigkeiten.
Ordinale Merkmale (Rangmerkmale) heute z.B. heute Schulnoten.
Metrische Merkmale, (Abstandsmerkmale), die Differenzen zwischen Ausprägungen, wie z.B. Einkommen, Alter, Größe, Einwohnerzahl.
Zunächst sammeln wir diese Daten und in einem zweiten Schritt versuchen wir Korrelationen zwischen ihnen festzustellen. Dabei müssen wir unterscheiden zwischen Scheinkorrelationen und kausalen Zusammenhängen.
Eine Scheinkorrelation wäre z.B.: In einer Region wurde festgestellt, das immer dann, wenn die Storchenpopulation zunimmt, auch die Geburtenrate steigt. Bringt also der Storch die Kinder? Natürlich nicht, das ist eine Scheinkorrelation. Solche Zufälle gibt es häufig. Was ist aber, wenn in einem Stadtteil die Zahl der Ausländer zunimmt und gleichzeitig die Kriminalität steigt? Populisten behaupten dann immer sofort einen Zusammenhang, doch der Wissenschaftler braucht in einem solchen Fall noch viele weitere Variable mit quantitativen Ausprägungen, um dann mit einer sogenannten multiplen Regression festzustellen, ob es sich hier tatsächlich um einen kausalen Zusammenhang handelt oder nicht.
Die Vorgehensweise in der Statistik ist wie folgt: Man geht aus von der sogenannten Null-Hypothese (es gibt keinen Zusammenhang) und setzt ihr eine Alternativ-Hypothese gegenüber (es gibt einen Zusammenhang). Die vorhandenen Daten werden dann mit mathematischen Verfahren ausgewertet und erst dann, wenn die Wahrscheinlichkeit der Alternativ-Hypothese einen gewisse Signifikanz erreicht, in der Regel 95%, wird die Null-Hypothese aufgegeben. So vermeidet man Schnellschüsse.
Seit dem 19. Jahrhundert gibt es eine Fülle von statistischen Informationen, z.B. in Preußen in dem Statistischen Büro ab 1805. Aus den früheren Zeiten haben wir weniger Material.
Was den Statistiker interessiert sind vor allem: Demographische Entwicklungen, Geburten- und Sterberaten, Steueraufkommen, Preise, Löhne, Ernteerträge, Zahl der verschiedenen Berufe, Produktivität des Gewerbes, Betriebszählungen, Klimadaten usw. Aus ihnen können wir viel erfahren über den Aufbau der Gesellschaften, deren Gliederung in Schichten, Konsumgewohnheiten der gesellschaftlichen Gruppen, soziale Milieus, Vermögenverteilung usw. Die Instrumente sind auch hier die üblichen wie heute, wie z.B. die Lorenzkurve für die Einkommensverteilung oder den GINI-Koeffizienten für die Vermögensverteilung.
Dann können wir Korrelationen ermitteln: Zwischen Klimadaten und Ernteerträge, daraus resultierende Einkommensentwicklungen, Wanderungsbewegungen vom Land in die Stadt, etc.
Mit Hilfe der quantitativen Methoden und immer neuen Daten können wir die Vergangenheit und die gesellschaftlichen Abläufe in früheren Zeiten immer besser nachvollziehen. Es gibt bereits zahlreiche Studien, vor allem im Bereich der Regionalforschung, in denen so verfahren wird. Ich persönlich schätze immer noch die bereits älteren, aber immer noch hervorragenden Arbeiten von Wilhelm Abel über die Agrarentwicklungen in Deutschland.
Die Statistik ist also bestens geeignet zur Erforschung der Vergangenheit als Teil der historischen Sozialforschung und ist gleichwertig gegenüber der sogenannten Narrativen Geschichtsschreibung, die heute immer noch vielfach betrieben wird. Die Statistik bietet uns mathematische Verfahren an, die heute von immer größerem Nutzen sind.
Die Grenzen liegen dort, wo uns (noch!) nicht genügend Material vorliegt und problematisch ist die Bewertung der Stichproben, denn aus der Vergangenheit liegen uns oft immer nur Überreste vor. In der Gegenwart wissen wir in der Regel, wie groß die Stichprobe sein muss, um Rückschlüsse auf die Gesamtmasse ziehen zu können. Das ist aber für die Vergangenheit meistens nicht möglich.
Also, jeder Geschichtsstudent sollte sich mit diesen Dingen beschäftigen und ich hoffe sehr, dass diese Disziplin Pflichtfach im Studium wird, genauso wie übrigens auch Volkswirtschaft, Soziologie um nur einige zusätzliche Fächer zu nennen. (Die sind, soweit ich weiß, auch nicht überall vorgeschrieben als Ergänzung zum Geschichtsstudium)
(Wer sich für Statistik interessiert: Es gibt in jeder guten Buchhandlung diverse Literatur. Und wer das Programm EXCEL auf seinem Computer hat, kann auch die einfacheren Verfahren dort selber ausprobieren, z.B. die Korrelationskoeffizienten von Pearson, Regressionsrechnung, Chi-Quadrat-Test, Varianzanalysen usw.)
Siehe auch zur Einführung: Kersten Krüger, Historische Statistik, in: Geschichte, Hrsg. Hans-Jürgen Goertz, Reinbek 2007, S.66 ff.
Dort auch viele Hinweise auf Forschungsarbeiten.