In den vergangenen Jahren ist durch Volksinitiativen selektiv ins Strafrecht eingegriffen worden. Dazu gehört die Verwahrungs-Initiative, die Abstimmung über die Unverjährbarkeit von Sexualdelikten an Kindern und im weiteren Sinne auch die Ausschaffungs-Initiative. Dass der Souverän zu strafrechtlichen Fragen an die Urne gerufen wird, ist nicht neu. Im 19. Jahrhundert kam es mehrfach zu Abstimmungen über die Todesstrafe.
Mit der neuen Bundesverfassung von 1874 wurde die Todesstrafe auf dem gesamten Gebiet der Schweiz verboten. Damit lag die Schweiz im Trend. Kurz zuvor hatten etwa Portugal 1867 und Holland 1870 die Todesstrafe aus dem Strafgesetz gestrichen. Die Volksabstimmung über die neue Bundesverfassung warf punkto Todesstrafe keine grossen Wellen, denn es ging um ganz andere staatspolitische Grundsatzfragen. Nachdem die revidierte Bundesverfassung aber in Kraft getreten war, konzentrierte sich das öffentliche Augenmerk plötzlich auf dieses in Artikel 65 der Bundesverfassung verankerte Verbot. Die Verfassung von 1848 hatte lediglich die Todesstrafe für politische Delikte verboten.
Todesurteile nicht vollstreckt
Seit 1868 war indessen in der Schweiz kein einziges Todesurteil vollstreckt worden. Nun kam es nach 1874 eigenartigerweise zu einer von keiner Seite bestrittenen Zunahme der Kriminalität. Von 1874 bis 1878 verurteilten die Gerichte 56 Personen wegen Mordes, 96 wegen Totschlags, 60 wegen Kindsmords und 15 wegen Brandstiftung. Eine der Ursachen für die zunehmende Kriminalität waren eine Wirtschaftskrise in den frühen 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts und «ein verbreiterter Notstand der unteren Klassen». Auch die Selbstmordrate war gestiegen.
Die Exportindustrie brach nach 1873 in der Schweiz regelrecht ein. Betroffen waren vorab vorallem die Uhren- und die Seidenindustrie. Schliesslich kam die Eisenbahnkrise 1878 dazu. Die wirtschaftlichen Nöte der Bevölkerung gingen mit der Angst vor Kriminalität einher.
Die massive Zunahme der Verurteilungen wegen Mord mag aber auch damit begründet gewesen sein, dass nach dem Verbot der Todesstrafe die Richter nicht automatisch über die Hinrichtung eines Angeklagten entscheiden mussten. Das Wegsperren ins Gefängnis verursachte möglicherweise weniger Gewissensbisse.
Petition für die Todesstrafe
Die Stimmung war aufgeheizt und einige schreckliche Mordfälle, die auch publizistisch über die jeweiligen Kantonsgrenzen hinausgetragen wurden, führte schliesslich zu einer Volkspetition für die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Schweiz. Eine Volksinitiative auf Partialrevision der Bundesverfassung war damals (bis 1891) noch nicht möglich. Das Interesse für die Petition war riesig. Im Kanton Waadt unterschrieben mehr als 12'800 Personen, in Freiburg über 7000 und in St. Gallen fast 6000. Im Kanton Zürich waren es nur 458.
An die Spitze der Bewegung stellte sich der Schaffhauser Ständerat Hermann Freuler (1841–1903). Gestützt auf diese Petition, verlangte er im Parlament die Wiedereinführung der Todesstrafe und der Prügelstrafe. Die Petition war zwar rechtlich nicht verbindlich und einer Totalrevision wollte man die soeben erlassene Bundesverfassung nicht wegen einer einzelnen Frage – auch nicht wegen der Todesstrafe – unterziehen. Dieses Problem konnte Ständerat Freuler rasch aus der Welt schaffen, indem er zum parlamentarischen Mittel einer Motion zur Wiedereinführung der Todesstrafe zurückgriff.
Bundesrat lehnt Wiedereinführung ab
Der Bundesrat lehnte eine Änderung der Verfassung und somit die Wiedereinführung der Todesstrafe ab. Er bestritt nicht, dass es in den letzten Jahren zu einer Zunahme der Verurteilung wegen Mord gekommen sei, negierte aber die abschreckende Wirkung der Todesstrafe. Ohnehin könne die fünfjährige Periode seit 1874 kein relevantes statistisches Material liefern. Freuler behauptete, die Abschaffung der Prügel- und Todesstrafe sei «unserer christlichen Religion» zuwider. Überdies seien die Gefängnisse «überall auf Kosten gutgesinnter Bürger übermässig» voll. Die Zahl der Verbrecher nehme von Jahr zu Jahr zu.
Die Ständeratskommission war sich uneins: Vier Standesherren stimmten für die Wiedereinführung, drei dagegen. Freuler als Berichterstatter der Kommissionsmehrheit führte aus, die am 19. April 1874 angenommene Verfassung sei «nicht wegen, sondern trotz des Artikels 65» mit 340'000 Ja- gegen 198'000 Nein-Stimmen angenommen worden. Überdies rügte man den Bundesrat, der die Zunahme der Kriminalität unter anderem mit dem «Notstand der Trunkenheit» begründete. Es gebe überall Armenbehörden, Pflegeanstalten, Waisenhäuser und Spitäler. Suppenanstalten seien wie Pilze aus der Erde geschossen. Bald jeder Fabrikherr baue Arbeiterwohnungen. Unverschuldete Not sei nie Anlass für Mord. Letzterer resultiere aus «Hass, Eifersucht, Habgier, Genusssucht, Arbeitsscheu, ungezügeltem Geschlechtstrieb».
Druck von der Strasse
Angeführt wurden verschiedene Tötungsfälle wie der Mord des Josef Wittlin im solothurnischen Kienberg oder der berühmte Gefangenenausbruch von 1876 aus der Basler Strafanstalt Schällemätteli. Die schrecklichen Kriminalfälle dienten mehr der Stimmungsmache als einer sauberen Analyse. Viele Kantone, darunter Basel-Stadt, Baselland und Zürich, hatten die Todesstrafe bereits vor 1874 abgeschafft. Insofern waren diese Beispiele nicht besonders relevant, denn nach wie vor sollte das Strafrecht in der Kompetenz der Kantone bleiben.
Im Nationalrat versuchten die Gegner der Todesstrafe mit Nichteintretens- oder Verschiebungsanträgen die Angelegenheit vom Tisch zu bekommen, aber der Druck der Strasse liess keine Verzögerung mehr zu. Das Parlament beschloss, eine Volksabstimmung abzuhalten. Die Stimmbürger sprachen sich am 18. Mai 1879 mit 200'485 Ja- gegen 181 598 Nein-Stimmen für die Todesstrafe aus. Der Kanton Basel-Stadt verwarf die Vorlage mit 3481 Nein gegen 2359 Ja, der Kanton Baselland mit 3732 Nein gegen 3238 Ja. Angenommen wurde die Vorlage in zwölf Kantonen und vier Halbkantonen. So war auch das Ständemehr zur Verfassungsänderung gegeben.
Wiedereinführung in zahlreichen Kantonen
Somit wurde der vor 1874 geltende Zustand wieder hergestellt, denn ein eidgenössisches Strafgesetzbuch bestand noch nicht. Verboten war in den Kantonen lediglich die Todesstrafe für politische Verbrechen. In der Folge führten die Kantone Appenzell Innerrhoden, Uri, Zug, Schwyz, St. Gallen, Wallis und Luzern die Todesstrafe wieder ein. Hierbei kam es nun zu kantonalen Abstimmungen, in der die grundsätzliche Thematik wieder neu aufgerollt wurde. In Schaffhausen musste Ständerat Freuler sein gesamtes politisches Gewicht einbringen, um in der Volksabstimmung von 1893 eine Mehrheit für die Todesstrafe zu gewinnen. Allerdings hat der Kanton Schaffhausen anschliessend kein einziges Todesurteil vollstreckt.
Der Kanton Freiburg war der erste Kanton gewesen, der 1848 die Todesstrafe vollumfänglich abgeschafft hatte. Nach einem schrecklichen Mord in Neyruz kippte die Stimmung und die Todesstrafe wurde 1894 wieder eingeführt. Zahlreiche Kantone, darunter Basel-Stadt, Baselland, blieben bei einem Strafrecht ohne Todesstrafe. Besonders umstritten war die Frage im Kanton Zürich. Bereits 1883 wurde ein kantonales Volksbegehren eingereicht, in dem die Initianten die kantonale Wiedereinführung der Todesstrafe verlangten. Obwohl die eidgenössische Abstimmung 1879 in Zürich ein klares Resultat von 19'243 Ja- gegen 46'460 Nein-Stimmen gebracht hatte.
Hin und her in Zürich
Die Initianten versuchten taktisch geschickt einen Verfassungstext vorzulegen, in dem von humanen Grundsätzen des Strafrechts die Rede war und die Todesstrafe «nur in Fällen von vorsätzlicher Tötung zur Anwendung kommen» dürfe. In Umkehrung der fünf Jahre zuvor durchgeführten eidgenössischen Abstimmung, stimmte das Zürcher Stimmvolk dem allgemein formulierten Volksbegehren nun plötzlich mit 28'600 Ja- gegen 25'330 Nein-Stimmen knapp zu. Nun hatte der Kantonsrat einen Verfassungstext vorzulegen. Dieser unterbreitete dem Volk einen abgeänderten Artikel, in dem die Todesstrafe bei Mord vorgesehen war. Gleichzeitig wurde die Verwerfung dieses abgeänderten Verfassungsgrundsatzes beantragt. In der Volksabstimmung vom 5. Juli 1885 wurde das Ergebnis wieder umgekehrt und 27'577 Nein- gegen 21'377 Ja-Stimmen führten schliesslich zur definitiven Ächtung der Todesstrafe in Zürich.
Die Rolle Zürichs war von Bedeutung, da die letzte Hinrichtung (gemäss dem zivilen Strafrecht) 1940 auf ein Tötungsdelikt im Kanton Zürich zurückging. Der Täter erschoss später bei der Festnahme in Obwalden einen Polizisten. Das Auslieferungsbegehren Zürichs wurde abgelehnt, da man dort die Todesstrafe nicht kannte.
Für zivile Straftaten abgeschafft
Aus den beiden Basel sind keine nennenswerten Vorstösse zur Wiedereinführung bekannt, jedenfalls haben keine Volksabstimmungen zur Wiedereinführung der Todesstrafe durchgeführt werden müssen. Mit der Volksabstimmung vom 3. Juli 1938 über die Einführung des schweizerischen Strafgesetzbuches wurde die Todesstrafe ausserhalb der militärischen Zuständigkeiten wieder abgeschafft. Wie bereits bei der Bundesverfassung 1874 wurde die Thematik aber nicht einzeln dem Stimmvolk vorgetragen, sondern es ging um das Strafgesetzbuch als Ganzes.
Das Strafgesetzbuch trat erst am 1. Januar 1942 in Kraft, weswegen der Kanton Obwalden am 18. Oktober 1940 das letzte Todesurteil noch nach kantonalem Recht vollstrecken konnte.
Die Debatten und Abstimmungen über die Todesstrafe wurden teilweise sehr heftig und emotional geführt. Verständlicherweise liess sich das Stimmvolk durch schwere Verbrechen beeinflussen. Lagen solche Delikte eher weiter zurück, hielt man die Todesstrafe auch im 19. Jahrhundert für inhuman. Gab es schreckliche Verbrechen, so erregte dies die Gemüter.
Hans Vollenweider starb durch das Fallbeil am 18. Oktober 1940
Hans Vollenweider im Gerichtsaal während seiner Verhandlung (Bild aus meiner Sammlung)
Hans Vollenweider wollte nicht sterben. Aber sein Begnadigungsgesuch wurde abgelehnt. Am 18. Oktober 1940 beförderte das Fallbeil den dreifachen Mörder in der Strafanstalt von Sarnen vom Leben in den Tod. Der 32-jährige Zürcher erschoss 1939 innerhalb von zehn Tagen einen Chauffeur, einen Briefträger und einen Polizisten.
Mehr als 500 Freiwillige meldeten sich als Scharfrichter, darunter Metzger, Ärzte und Rechtsanwälte; das Fallbeil auslösen durfte schliesslich ein Hotelportier aus Baden. Vollenweider war der letzte Verbrecher, der nach einem zivilen Strafprozess in der Schweiz hingerichtet worden ist. Zweieinhalb Monate später war die Todesstrafe in der Schweiz abgeschafft.
Das Volk hiess am 3. Juli 1938 mit 53,5 Prozent Ja-Stimmen eine Revision des Strafgesetzes gut, in der die Todesstrafe nicht mehr vorgesehen war. Aber das Gesetz trat erst am 1. Januar 1942 in Kraft. Das Todesurteil gegen Vollenweider war darum umstritten, sogar die Witwe des von Vollenweider erschossenen Polizisten setzte sich für die Begnadigung Vollenweiders ein.
Sie schrieb als gläubige Christin ein Gnadengesuch an den Kantonsrat (Landestag in Deutschland), doch man wollte den Kopf von Vollenweider rollen sehen, weil er zwei Leute ermordete, beim Polizisten war es Totschlag aus heutiger Sicht. Bei der Beerdigung kamen aus der ganzen Schweiz Polizisten um ihrem Kollegen das letzte Geleit zu geben.
Vollenweider war ein Kind der Wirtschaftskrise, der durch unglückliche Umstände kriminell wurde, ausserdem war er ein Waffennarr, eine Kombination die ihn schliesslich auf das Schafott brachten.
Quellen: TA, Basler Zeitung und eingene Aufzeichnungen.
Kriminalfälle,die die Schweiz bewegten - Hans Vollenweider-Die letzte zivile Hinrichtung (SF 2007)
http://www.youtube.com/watch?v=uHbsdA0G8ME
In den vergangenen Jahren ist durch Volksinitiativen selektiv ins Strafrecht eingegriffen worden. Dazu gehört die Verwahrungs-Initiative, die Abstimmung über die Unverjährbarkeit von Sexualdelikten an Kindern und im weiteren Sinne auch die Ausschaffungs-Initiative. Dass der Souverän zu strafrechtlichen Fragen an die Urne gerufen wird, ist nicht neu. Im 19. Jahrhundert kam es mehrfach zu Abstimmungen über die Todesstrafe.
Mit der neuen Bundesverfassung von 1874 wurde die Todesstrafe auf dem gesamten Gebiet der Schweiz verboten. Damit lag die Schweiz im Trend. Kurz zuvor hatten etwa Portugal 1867 und Holland 1870 die Todesstrafe aus dem Strafgesetz gestrichen. Die Volksabstimmung über die neue Bundesverfassung warf punkto Todesstrafe keine grossen Wellen, denn es ging um ganz andere staatspolitische Grundsatzfragen. Nachdem die revidierte Bundesverfassung aber in Kraft getreten war, konzentrierte sich das öffentliche Augenmerk plötzlich auf dieses in Artikel 65 der Bundesverfassung verankerte Verbot. Die Verfassung von 1848 hatte lediglich die Todesstrafe für politische Delikte verboten.
Todesurteile nicht vollstreckt
Seit 1868 war indessen in der Schweiz kein einziges Todesurteil vollstreckt worden. Nun kam es nach 1874 eigenartigerweise zu einer von keiner Seite bestrittenen Zunahme der Kriminalität. Von 1874 bis 1878 verurteilten die Gerichte 56 Personen wegen Mordes, 96 wegen Totschlags, 60 wegen Kindsmords und 15 wegen Brandstiftung. Eine der Ursachen für die zunehmende Kriminalität waren eine Wirtschaftskrise in den frühen 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts und «ein verbreiterter Notstand der unteren Klassen». Auch die Selbstmordrate war gestiegen.
Die Exportindustrie brach nach 1873 in der Schweiz regelrecht ein. Betroffen waren vorab vorallem die Uhren- und die Seidenindustrie. Schliesslich kam die Eisenbahnkrise 1878 dazu. Die wirtschaftlichen Nöte der Bevölkerung gingen mit der Angst vor Kriminalität einher.
Die massive Zunahme der Verurteilungen wegen Mord mag aber auch damit begründet gewesen sein, dass nach dem Verbot der Todesstrafe die Richter nicht automatisch über die Hinrichtung eines Angeklagten entscheiden mussten. Das Wegsperren ins Gefängnis verursachte möglicherweise weniger Gewissensbisse.
Petition für die Todesstrafe
Die Stimmung war aufgeheizt und einige schreckliche Mordfälle, die auch publizistisch über die jeweiligen Kantonsgrenzen hinausgetragen wurden, führte schliesslich zu einer Volkspetition für die Wiedereinführung der Todesstrafe in der Schweiz. Eine Volksinitiative auf Partialrevision der Bundesverfassung war damals (bis 1891) noch nicht möglich. Das Interesse für die Petition war riesig. Im Kanton Waadt unterschrieben mehr als 12'800 Personen, in Freiburg über 7000 und in St. Gallen fast 6000. Im Kanton Zürich waren es nur 458.
An die Spitze der Bewegung stellte sich der Schaffhauser Ständerat Hermann Freuler (1841–1903). Gestützt auf diese Petition, verlangte er im Parlament die Wiedereinführung der Todesstrafe und der Prügelstrafe. Die Petition war zwar rechtlich nicht verbindlich und einer Totalrevision wollte man die soeben erlassene Bundesverfassung nicht wegen einer einzelnen Frage – auch nicht wegen der Todesstrafe – unterziehen. Dieses Problem konnte Ständerat Freuler rasch aus der Welt schaffen, indem er zum parlamentarischen Mittel einer Motion zur Wiedereinführung der Todesstrafe zurückgriff.
Bundesrat lehnt Wiedereinführung ab
Der Bundesrat lehnte eine Änderung der Verfassung und somit die Wiedereinführung der Todesstrafe ab. Er bestritt nicht, dass es in den letzten Jahren zu einer Zunahme der Verurteilung wegen Mord gekommen sei, negierte aber die abschreckende Wirkung der Todesstrafe. Ohnehin könne die fünfjährige Periode seit 1874 kein relevantes statistisches Material liefern. Freuler behauptete, die Abschaffung der Prügel- und Todesstrafe sei «unserer christlichen Religion» zuwider. Überdies seien die Gefängnisse «überall auf Kosten gutgesinnter Bürger übermässig» voll. Die Zahl der Verbrecher nehme von Jahr zu Jahr zu.
Die Ständeratskommission war sich uneins: Vier Standesherren stimmten für die Wiedereinführung, drei dagegen. Freuler als Berichterstatter der Kommissionsmehrheit führte aus, die am 19. April 1874 angenommene Verfassung sei «nicht wegen, sondern trotz des Artikels 65» mit 340'000 Ja- gegen 198'000 Nein-Stimmen angenommen worden. Überdies rügte man den Bundesrat, der die Zunahme der Kriminalität unter anderem mit dem «Notstand der Trunkenheit» begründete. Es gebe überall Armenbehörden, Pflegeanstalten, Waisenhäuser und Spitäler. Suppenanstalten seien wie Pilze aus der Erde geschossen. Bald jeder Fabrikherr baue Arbeiterwohnungen. Unverschuldete Not sei nie Anlass für Mord. Letzterer resultiere aus «Hass, Eifersucht, Habgier, Genusssucht, Arbeitsscheu, ungezügeltem Geschlechtstrieb».
Druck von der Strasse
Angeführt wurden verschiedene Tötungsfälle wie der Mord des Josef Wittlin im solothurnischen Kienberg oder der berühmte Gefangenenausbruch von 1876 aus der Basler Strafanstalt Schällemätteli. Die schrecklichen Kriminalfälle dienten mehr der Stimmungsmache als einer sauberen Analyse. Viele Kantone, darunter Basel-Stadt, Baselland und Zürich, hatten die Todesstrafe bereits vor 1874 abgeschafft. Insofern waren diese Beispiele nicht besonders relevant, denn nach wie vor sollte das Strafrecht in der Kompetenz der Kantone bleiben.
Im Nationalrat versuchten die Gegner der Todesstrafe mit Nichteintretens- oder Verschiebungsanträgen die Angelegenheit vom Tisch zu bekommen, aber der Druck der Strasse liess keine Verzögerung mehr zu. Das Parlament beschloss, eine Volksabstimmung abzuhalten. Die Stimmbürger sprachen sich am 18. Mai 1879 mit 200'485 Ja- gegen 181 598 Nein-Stimmen für die Todesstrafe aus. Der Kanton Basel-Stadt verwarf die Vorlage mit 3481 Nein gegen 2359 Ja, der Kanton Baselland mit 3732 Nein gegen 3238 Ja. Angenommen wurde die Vorlage in zwölf Kantonen und vier Halbkantonen. So war auch das Ständemehr zur Verfassungsänderung gegeben.
Wiedereinführung in zahlreichen Kantonen
Somit wurde der vor 1874 geltende Zustand wieder hergestellt, denn ein eidgenössisches Strafgesetzbuch bestand noch nicht. Verboten war in den Kantonen lediglich die Todesstrafe für politische Verbrechen. In der Folge führten die Kantone Appenzell Innerrhoden, Uri, Zug, Schwyz, St. Gallen, Wallis und Luzern die Todesstrafe wieder ein. Hierbei kam es nun zu kantonalen Abstimmungen, in der die grundsätzliche Thematik wieder neu aufgerollt wurde. In Schaffhausen musste Ständerat Freuler sein gesamtes politisches Gewicht einbringen, um in der Volksabstimmung von 1893 eine Mehrheit für die Todesstrafe zu gewinnen. Allerdings hat der Kanton Schaffhausen anschliessend kein einziges Todesurteil vollstreckt.
Der Kanton Freiburg war der erste Kanton gewesen, der 1848 die Todesstrafe vollumfänglich abgeschafft hatte. Nach einem schrecklichen Mord in Neyruz kippte die Stimmung und die Todesstrafe wurde 1894 wieder eingeführt. Zahlreiche Kantone, darunter Basel-Stadt, Baselland, blieben bei einem Strafrecht ohne Todesstrafe. Besonders umstritten war die Frage im Kanton Zürich. Bereits 1883 wurde ein kantonales Volksbegehren eingereicht, in dem die Initianten die kantonale Wiedereinführung der Todesstrafe verlangten. Obwohl die eidgenössische Abstimmung 1879 in Zürich ein klares Resultat von 19'243 Ja- gegen 46'460 Nein-Stimmen gebracht hatte.
Hin und her in Zürich
Die Initianten versuchten taktisch geschickt einen Verfassungstext vorzulegen, in dem von humanen Grundsätzen des Strafrechts die Rede war und die Todesstrafe «nur in Fällen von vorsätzlicher Tötung zur Anwendung kommen» dürfe. In Umkehrung der fünf Jahre zuvor durchgeführten eidgenössischen Abstimmung, stimmte das Zürcher Stimmvolk dem allgemein formulierten Volksbegehren nun plötzlich mit 28'600 Ja- gegen 25'330 Nein-Stimmen knapp zu. Nun hatte der Kantonsrat einen Verfassungstext vorzulegen. Dieser unterbreitete dem Volk einen abgeänderten Artikel, in dem die Todesstrafe bei Mord vorgesehen war. Gleichzeitig wurde die Verwerfung dieses abgeänderten Verfassungsgrundsatzes beantragt. In der Volksabstimmung vom 5. Juli 1885 wurde das Ergebnis wieder umgekehrt und 27'577 Nein- gegen 21'377 Ja-Stimmen führten schliesslich zur definitiven Ächtung der Todesstrafe in Zürich.
Die Rolle Zürichs war von Bedeutung, da die letzte Hinrichtung (gemäss dem zivilen Strafrecht) 1940 auf ein Tötungsdelikt im Kanton Zürich zurückging. Der Täter erschoss später bei der Festnahme in Obwalden einen Polizisten. Das Auslieferungsbegehren Zürichs wurde abgelehnt, da man dort die Todesstrafe nicht kannte.
Für zivile Straftaten abgeschafft
Aus den beiden Basel sind keine nennenswerten Vorstösse zur Wiedereinführung bekannt, jedenfalls haben keine Volksabstimmungen zur Wiedereinführung der Todesstrafe durchgeführt werden müssen. Mit der Volksabstimmung vom 3. Juli 1938 über die Einführung des schweizerischen Strafgesetzbuches wurde die Todesstrafe ausserhalb der militärischen Zuständigkeiten wieder abgeschafft. Wie bereits bei der Bundesverfassung 1874 wurde die Thematik aber nicht einzeln dem Stimmvolk vorgetragen, sondern es ging um das Strafgesetzbuch als Ganzes.[i] Das Strafgesetzbuch trat erst am 1. Januar 1942 in Kraft, weswegen der Kanton Obwalden am 18. Oktober 1940 das letzte Todesurteil noch nach kantonalem Recht vollstrecken konnte.[/i]
Die Debatten und Abstimmungen über die Todesstrafe wurden teilweise sehr heftig und emotional geführt. Verständlicherweise liess sich das Stimmvolk durch schwere Verbrechen beeinflussen. Lagen solche Delikte eher weiter zurück, hielt man die Todesstrafe auch im 19. Jahrhundert für inhuman. Gab es schreckliche Verbrechen, so erregte dies die Gemüter.
Hans Vollenweider starb durch das Fallbeil am 18. Oktober 1940
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Hans Vollenweider im Gerichtsaal während seiner Verhandlung (Bild aus meiner Sammlung)
Hans Vollenweider wollte nicht sterben. Aber sein Begnadigungsgesuch wurde abgelehnt. Am 18. Oktober 1940 beförderte das Fallbeil den dreifachen Mörder in der Strafanstalt von Sarnen vom Leben in den Tod. Der 32-jährige Zürcher erschoss 1939 innerhalb von zehn Tagen einen Chauffeur, einen Briefträger und einen Polizisten. [i]Mehr als 500 Freiwillige meldeten sich als Scharfrichter, darunter Metzger, Ärzte und Rechtsanwälte; das Fallbeil auslösen durfte schliesslich ein Hotelportier aus Baden.[/i] Vollenweider war der letzte Verbrecher, der nach einem zivilen Strafprozess in der Schweiz hingerichtet worden ist. Zweieinhalb Monate später war die Todesstrafe in der Schweiz abgeschafft.
Das Volk hiess am 3. Juli 1938 mit 53,5 Prozent Ja-Stimmen eine Revision des Strafgesetzes gut, in der die Todesstrafe nicht mehr vorgesehen war. Aber das Gesetz trat erst am 1. Januar 1942 in Kraft. Das Todesurteil gegen Vollenweider war darum umstritten, sogar die Witwe des von Vollenweider erschossenen Polizisten setzte sich für die Begnadigung Vollenweiders ein.
Sie schrieb als gläubige Christin ein Gnadengesuch an den Kantonsrat (Landestag in Deutschland), doch man wollte den Kopf von Vollenweider rollen sehen, weil er zwei Leute ermordete, beim Polizisten war es Totschlag aus heutiger Sicht. Bei der Beerdigung kamen aus der ganzen Schweiz Polizisten um ihrem Kollegen das letzte Geleit zu geben.
Vollenweider war ein Kind der Wirtschaftskrise, der durch unglückliche Umstände kriminell wurde, ausserdem war er ein Waffennarr, eine Kombination die ihn schliesslich auf das Schafott brachten.
Quellen: TA, Basler Zeitung und eingene Aufzeichnungen.
Kriminalfälle,die die Schweiz bewegten - Hans Vollenweider-Die letzte zivile Hinrichtung (SF 2007)
http://www.youtube.com/watch?v=uHbsdA0G8ME