von Barbarossa » 28.10.2015, 00:22
Aus einem anderen Pfad, hier ein Beitrag von Wallenstein (siehe:
http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... 093#p60093 ), weil mir der Inhalt nicht aus dem Kopf ging. Ganz ähnliches haben ja auch andere Mitglieder aus den westlichen Bundesländern berichtet:
Wallenstein hat geschrieben:Wie sich die Bilder gleichen.
Anfang 1990 kamen zahlreiche Übersiedler aus der DDR nach Westdeutschland. Willkommen waren sie nicht. Hier Ausschnitte aus einem Artikel im Spiegel vom 19.02.1990.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13507374.html
„Wieso kommen die noch?"
"In Westdeutschland kocht Haß auf die DDR-Übersiedler hoch. Die Staatenwechsler werden zunehmend als Konkurrenten auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt betrachtet. Vor allem in den Fluren der westdeutschen Sozialämter entlädt sich der Zorn auf die Zuzügler. Ein Beamter: "Wir sind froh, wenn das Mobiliar heil bleibt."
In seiner alten Heimatstadt Neuruppin gilt der Übersiedler Martin Laubsch, 43, heute als gemachter Mann. Vor zwei Wochen, auf Besuch im Osten, saß er mit alten Freunden im "Brauhof", seiner ehemaligen Stammkneipe. Beim Bier trumpfte der gelernte Schlosser groß auf: Eine Arbeit habe er im Westen schon gefunden und auch eine Wohnung. Die sei zwar klein, "aber für den Anfang reicht es".
Alles falsch. In Wahrheit haust Laubsch unter erbärmlichen Umständen in einer dringend renovierungsbedürftigen Turnhalle im Zentrum von Bochum. Jeden Tag kommt es in dem Notquartier zu Streit und Schlägereien, und nachts kann der Mann kaum schlafen, weil Betrunkene krakeelend durch die Gänge torkeln. Laubsch: "Es ist die Hölle."
Auch die Reaktionen der Einheimischen waren ähnlich:
„Schon haben Unbekannte in einigen Hamburger Stadtteilen an Plakaten, die Verständnis für die Staatenwechsler wecken sollen, bei dem Slogan "Offene Grenzen, offene Herzen" den Zusatz "Willkommen bei uns" mit Messern zerfetzt und herausgerissen.
In Herne, bei einer Übersiedlerdiskussion, flogen letzte Woche Steine. In einem neuerrichteten Übersiedlerheim in Godorf bei Köln legten Brandstifter Anfang des Monats gleich zweimal kurz hintereinander Feuer. In Stuttgart brannten Übersiedlergegner ein Übergangsquartier bis auf die Grundmauern nieder….
Vor allem bei den Ärmeren im Lande, die sich durch die Konkurrenz aus dem Osten noch weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt sehen, kocht nun Haß hoch. Besonders heftig entladen sich die sozialen Konflikte auf den Fluren von westdeutschen Sozial- und Wohnungsämtern. Immer häufiger reagierten ortsansässige Wohnungssuchende "mit nackter Wut" auf die DDR-Konkurrenz….
Mancherorts wehren sich Anwohner gegen den Zuzug in ihre Nachbarschaft. In Dortmund beispielsweise, wo 6 von 150 Turnhallen mit Übersiedlern belegt sind, forderte der Vorstand des Vorort-Vereins TuS Westfalia Sölde in einer Resolution Rat und Stadtverwaltung auf, nicht länger "an der langsamen Aushöhlung unseres Turn- und Sportbetriebes" mitzuwirken. In Bremen-Vegesack besetzten letzte Woche 60 Eltern mit ihren Kindern kurzerhand eine Halle, in die Übersiedler einquartiert werden sollten.“
Menschliche Verhaltensweisen sind immer ähnlich und vorhersehbar. Was heute passiert, kann doch keinen überraschen. Nicht Neues unter der Sonne.
Ich habe einmal eine Statistik gesehen über die Zahlen darüber, wie viele Menschen aus dem Gebiet der DDR in den Westen gingen. Das waren (in der Hauptsache von der Maueröffnung am 9. November '89 an) in den Jahren 1989 und 1990 jeweils knapp 400.000, d. h. in etwas über einem Jahr an die 800.000 Übersiedler - also ganz ähnliche Dimensionen, wie die derzeitige Flüchtlingswelle. Nur damals nach der Maueröffnung waren es keine politisch Verfolgten mehr, aber es waren eben Deutsche, die in den anderen Teil Deutschlands wollten!
Zwar sprach man auch bei uns von "drüben", wenn man vom Westen sprach, aber man war doch immer eine Nation - besonders wer "Westverwandte" hatte, spürte das doch ganz besonders. Es gab zwei deutsche Staaten bzw. Kohl sprach bis zum Schluss von "zwei Staaten in Deutschland" - so war ja seine Definition. Aber es gab eben keine extra DDR-Nation und schon gar keine BRD-Nation, sondern "nur" zwei Staaten einer Nation, wobei wir uns die Lebensbedingungen im Westen auch für uns wünschten.
Wir in der DDR hatten gelernt, selbst kleinste Unterschiede bei den Redewendungen zu verstehen und zu schätzen und auch "zwischen den Zeilen zu lesen".
In vielem orientierten wir uns am Westen. Bekam jemand ein "Westpakt" (meist von dessen Verwansten), wurde das bestaunt und hatte jemand etwas "von drüben", dann hatten diese Dinge beinahe schon den Status von "göttlichen Attributen".
Unsere Generation, die Jugend der '80er Jahre, hörte auch so gut keine Musik aus dem Osten mehr. Es gibt dazu auch Erhebungen von Wissenschaftlern, die also feststellten, dass bei uns DDR-Musik - selbst Rockmusik, die eigentlich für uns gemacht war - bei uns zu 95% nicht mehr vorkam. Dies kann ich auch so bestätigen, denn wir hörten ja auch fast nur die Westsender - wir kannten die wöchentliche Top 10 der westdeutschen Verkaufscharts stets auswendig.
In den Discos sollte eigentlich immer zu einem bestimmten Prozentsatz auch DDR-Musik gespielt werden (ich glaube, das waren 40%), aber das konnte kein Discjockey durchhalten, denn jedesmal, wenn er solch eine Scheibe auflegte, leerte sich die Tanzfläche völlig. Hörten wir, dass in unserer Disco eine Band spielte, drehten wir uns um und gingen wieder nach Hause. Ich habe das selbst so erlebt - diese Musik war bei uns "Megaout", wie man heute so schön sagt. In den '70er Jahren mag das noch etwas anders gewesen sein, aber bei unserer 80er-Generation war das auf jeden Fall so - und zwar tatsächlich in diesem Ausmaß.
Wir wussten über die Medien relativ viel über den Westen und so erklärt es sich auch, dass die, die in den Westen gingen, nicht das Gefühl hatten, in ein völlig fremdes Land zu gehen - nur in ein besseres Deutschland.
Aus einem anderen Pfad, hier ein Beitrag von Wallenstein (siehe: http://geschichte-wissen.de/forum/viewtopic.php?p=60093#p60093 ), weil mir der Inhalt nicht aus dem Kopf ging. Ganz ähnliches haben ja auch andere Mitglieder aus den westlichen Bundesländern berichtet:
[quote="Wallenstein"][b]Wie sich die Bilder gleichen. [/b]
Anfang 1990 kamen zahlreiche Übersiedler aus der DDR nach Westdeutschland. Willkommen waren sie nicht. Hier Ausschnitte aus einem Artikel im Spiegel vom 19.02.1990.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13507374.html
[b]
„Wieso kommen die noch?"[/b]
"In Westdeutschland kocht Haß auf die DDR-Übersiedler hoch. Die Staatenwechsler werden zunehmend als Konkurrenten auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt betrachtet. Vor allem in den Fluren der westdeutschen Sozialämter entlädt sich der Zorn auf die Zuzügler. Ein Beamter: "Wir sind froh, wenn das Mobiliar heil bleibt."
In seiner alten Heimatstadt Neuruppin gilt der Übersiedler Martin Laubsch, 43, heute als gemachter Mann. Vor zwei Wochen, auf Besuch im Osten, saß er mit alten Freunden im "Brauhof", seiner ehemaligen Stammkneipe. Beim Bier trumpfte der gelernte Schlosser groß auf: Eine Arbeit habe er im Westen schon gefunden und auch eine Wohnung. Die sei zwar klein, "aber für den Anfang reicht es".
Alles falsch. In Wahrheit haust Laubsch unter erbärmlichen Umständen in einer dringend renovierungsbedürftigen Turnhalle im Zentrum von Bochum. Jeden Tag kommt es in dem Notquartier zu Streit und Schlägereien, und nachts kann der Mann kaum schlafen, weil Betrunkene krakeelend durch die Gänge torkeln. Laubsch: "Es ist die Hölle."
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Auch die Reaktionen der Einheimischen waren ähnlich:[/b]
„Schon haben Unbekannte in einigen Hamburger Stadtteilen an Plakaten, die Verständnis für die Staatenwechsler wecken sollen, bei dem Slogan "Offene Grenzen, offene Herzen" den Zusatz "Willkommen bei uns" mit Messern zerfetzt und herausgerissen.
In Herne, bei einer Übersiedlerdiskussion, flogen letzte Woche Steine. In einem neuerrichteten Übersiedlerheim in Godorf bei Köln legten Brandstifter Anfang des Monats gleich zweimal kurz hintereinander Feuer. In Stuttgart brannten Übersiedlergegner ein Übergangsquartier bis auf die Grundmauern nieder….
Vor allem bei den Ärmeren im Lande, die sich durch die Konkurrenz aus dem Osten noch weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt sehen, kocht nun Haß hoch. Besonders heftig entladen sich die sozialen Konflikte auf den Fluren von westdeutschen Sozial- und Wohnungsämtern. Immer häufiger reagierten ortsansässige Wohnungssuchende "mit nackter Wut" auf die DDR-Konkurrenz….
Mancherorts wehren sich Anwohner gegen den Zuzug in ihre Nachbarschaft. In Dortmund beispielsweise, wo 6 von 150 Turnhallen mit Übersiedlern belegt sind, forderte der Vorstand des Vorort-Vereins TuS Westfalia Sölde in einer Resolution Rat und Stadtverwaltung auf, nicht länger "an der langsamen Aushöhlung unseres Turn- und Sportbetriebes" mitzuwirken. In Bremen-Vegesack besetzten letzte Woche 60 Eltern mit ihren Kindern kurzerhand eine Halle, in die Übersiedler einquartiert werden sollten.“
[b]Menschliche Verhaltensweisen sind immer ähnlich und vorhersehbar. Was heute passiert, kann doch keinen überraschen. Nicht Neues unter der Sonne.[/b][/quote]
Ich habe einmal eine Statistik gesehen über die Zahlen darüber, wie viele Menschen aus dem Gebiet der DDR in den Westen gingen. Das waren (in der Hauptsache von der Maueröffnung am 9. November '89 an) in den Jahren 1989 und 1990 jeweils knapp 400.000, d. h. in etwas über einem Jahr an die 800.000 Übersiedler - also ganz ähnliche Dimensionen, wie die derzeitige Flüchtlingswelle. Nur damals nach der Maueröffnung waren es keine politisch Verfolgten mehr, aber es waren eben Deutsche, die in den anderen Teil Deutschlands wollten!
Zwar sprach man auch bei uns von "drüben", wenn man vom Westen sprach, aber man war doch immer eine Nation - besonders wer "Westverwandte" hatte, spürte das doch ganz besonders. Es gab zwei deutsche Staaten bzw. Kohl sprach bis zum Schluss von "zwei Staaten in Deutschland" - so war ja seine Definition. Aber es gab eben keine extra DDR-Nation und schon gar keine BRD-Nation, sondern "nur" zwei Staaten einer Nation, wobei wir uns die Lebensbedingungen im Westen auch für uns wünschten.
Wir in der DDR hatten gelernt, selbst kleinste Unterschiede bei den Redewendungen zu verstehen und zu schätzen und auch "zwischen den Zeilen zu lesen".
In vielem orientierten wir uns am Westen. Bekam jemand ein "Westpakt" (meist von dessen Verwansten), wurde das bestaunt und hatte jemand etwas "von drüben", dann hatten diese Dinge beinahe schon den Status von "göttlichen Attributen".
Unsere Generation, die Jugend der '80er Jahre, hörte auch so gut keine Musik aus dem Osten mehr. Es gibt dazu auch Erhebungen von Wissenschaftlern, die also feststellten, dass bei uns DDR-Musik - selbst Rockmusik, die eigentlich für uns gemacht war - bei uns zu 95% nicht mehr vorkam. Dies kann ich auch so bestätigen, denn wir hörten ja auch fast nur die Westsender - wir kannten die wöchentliche Top 10 der westdeutschen Verkaufscharts stets auswendig.
In den Discos sollte eigentlich immer zu einem bestimmten Prozentsatz auch DDR-Musik gespielt werden (ich glaube, das waren 40%), aber das konnte kein Discjockey durchhalten, denn jedesmal, wenn er solch eine Scheibe auflegte, leerte sich die Tanzfläche völlig. Hörten wir, dass in unserer Disco eine Band spielte, drehten wir uns um und gingen wieder nach Hause. Ich habe das selbst so erlebt - diese Musik war bei uns "Megaout", wie man heute so schön sagt. In den '70er Jahren mag das noch etwas anders gewesen sein, aber bei unserer 80er-Generation war das auf jeden Fall so - und zwar tatsächlich in diesem Ausmaß.
Wir wussten über die Medien relativ viel über den Westen und so erklärt es sich auch, dass die, die in den Westen gingen, nicht das Gefühl hatten, in ein völlig fremdes Land zu gehen - nur in ein besseres Deutschland.