Die DDR - ein Rechtsstaat? - Kritik an Erwin Sellering

Antwort erstellen


Diese Frage dient dazu, das automatisierte Versenden von Formularen durch Spam-Bots zu verhindern.
Smileys
:shifty: :shh: :problem: :lolno: :eh: :crazy: :clap: :angel: :wtf: :D :) :( :o :shock: :? 8) :lol: :x :P :oops: :cry: :evil: :twisted: :roll: :wink: :!: :?: :idea: :arrow: :| :mrgreen:
Mehr Smileys anzeigen

BBCode ist eingeschaltet
[img] ist eingeschaltet
[url] ist eingeschaltet
Smileys sind eingeschaltet

Die letzten Beiträge des Themas
   

Ansicht erweitern Die letzten Beiträge des Themas: Die DDR - ein Rechtsstaat? - Kritik an Erwin Sellering

Re: Die DDR - ein Rechtsstaat? - Kritik an Erwin Sellering

von Barbarossa » 29.08.2012, 18:56

norvegia hat geschrieben:Ich verstehe nur nicht, was gegen diesen Paragraphen spricht.
Was ist falsch an sozialistischer Moral und was ist falsch daran sie zu schützen?
Unsere sozialistische Moral unterschied sich nicht von dem was im Westen christliche Nächstenliebe ist...
Na ja, Christentum und Kommunistische Ideologie, das sind für mich im Grunde tatsächlich beides Religionen, die sich an eine Utopie klammern, die es so nicht gebt und nie geben wird. Die Christen glauben, an Gott und an ein Paradies nach dem Tod und die Kommunisten an eine Gesellschaftsordnung namens Kommunismus - in ferner Zukunft. Beides sind für mich Utopien, die so nie eintreten werden. Und es gibt noch eine interessante Parallele: Beide hielten sich eine Zeit lang für unfehlbar. Dieser Unfehlbarkeitsanspruch führte bei beiden zum Totalitarismus (auch die "Heilige Inquisition" war in Grunde nichts anderes, als ein totalitäres Regime) und zu entsetzlichen Verbrechen, gegen die sich niemand wehren konnte. Hexenverbrennungen hier; "Säuberungswellen", Gulags bzw. Stasigefängnisse und "Eiserner Vorhang"+Schießbefehl dort und dazu eine drückende Unfreiheit, das zeichnet solche Regime aus.
Was falsch an "sozialistischer Moral" ist? Der Kollektivismus, der dem Individualismus keinen Platz läßt. Wer dort ausbrechen wollte, kam sofort mit dem System in Konflikt. Sogar ich bin damals in der DDR schon einige Male in Erklärungsnotstand geraten:
"Du willst nicht in die DSF (Deutsch-Sowjetische Freundschaft)? Warum nicht?"
"Du willst nicht in die Partei? Warum nicht?"
"Du willst keine militärische Berufslaufbahn einschlagen? Überleg es dir doch noch mal!"
Ich hatte da wirklich "keinen Bock" mehr drauf.
:evil:

norvegia hat geschrieben:Womit sicherlich auch die Loslösung der Menschen von der Kirche zusammen hing.
In der DDR brauchte keiner mehr eine Kirche.
Das ist allerdings ein interessantes Thema, das sich lohnen würde, das mal genauer zu untersuchen.
Ich bin ja eigentlich durch die Erziehung meiner Eltern Atheist geworden. Der Staat hatte auf meine persönlichen Überzeugungen keinen meßbaren Einfluß, denke ich.

Ich mache da mal ein neues Thema daraus.
hier: http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... =77&t=3338

Re: Die DDR - ein Rechtsstaat? - Kritik an Erwin Sellering

von norvegia » 29.08.2012, 17:23

Ich verstehe nur nicht, was gegen diesen Paragraphen spricht.
Was ist falsch an sozialistischer Moral und was ist falsch daran sie zu schützen?
Unsere sozialistische Moral unterschied sich nicht von dem was im Westen christliche Nächstenliebe ist.
Nur in der DDR funktionierte das alles viel besser.
Womit sicherlich auch die Loslösung der Menschen von der Kirche zusammen hing.
In der DDR brauchte keiner mehr eine Kirche.

Re: Die DDR - ein Rechtsstaat? - Kritik an Erwin Sellering

von Peppone » 29.08.2012, 11:06

Barbarossa hat geschrieben:Und gerade das muß man sich ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen:
Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn jemand Ziele verfolgt, die gegen die "sozialistische Moral" verstoßen.
Das heißt, in dem Moment war man rechtlos. Ist so etwas ein Rechtsstaat? Wohl kaum.
Klasse Beleg, noch dazu in der Deutlichkeit.
Das ZGB war ja bis 1990 gültig und ersetzte das BGB, das allerdings bis 1976 auch schon gravierend verändert worden war.

Beppe

Re: Die DDR - ein Rechtsstaat? - Kritik an Erwin Sellering

von Barbarossa » 29.08.2012, 08:39

Ich bin kein "Großkapitalist" und habe kein Geld (mehr) und habe auch über die DDR als Unrechtsstaat geschrieben, hier --> http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... 9774#p9774
Einfach mal lesen ab: "Es gibt 20 Jahre nach der Friedlichen Revolution und der Vollendung der Deutschen Einheit recht heftige Diskussionen..."
Es ist tatsächlich ein umstrittenes Thema, aber wenn man sich ausgiebig mit dem Thema beschäftigt, kann man nur zu dem einen Schluß kommen:
Was einen Rechtsstaat auszeichnet, ist hingegen klar:
Es ist "ein Staat, der die Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit der Gerichte, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Rechtsschutz gegen Akte öffentlicher Gewalt und eine öffentlich-rechtliche Entschädigung als unverzichtbare Institute anerkennt". Genau diese Bedingungen erfüllte die DDR aber eben nicht...
Mein "Lieblingsparagraph" ist ja dieser hier:
„Zivilgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 19. Juni 1975“, Erster Teil: „Grundsätze des sozialistischen Zivilrechts“, Viertes Kapitel, 2. Absatz (...) wo es heißt:
„(2) Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn damit den Rechtsvorschriften oder den Grundsätzen der sozialistischen Moral widersprechende Ziele verfolgt werden.“
Damit konnten im Grunde alle anderen Bestimmungen in diesem Gesetzbuch ad absurdum geführt werden.
Und gerade das muß man sich ganz langsam auf der Zunge zergehen lassen:
Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn jemand Ziele verfolgt, die gegen die "sozialistische Moral" verstoßen.
Das heißt, in dem Moment war man rechtlos. Ist so etwas ein Rechtsstaat? Wohl kaum.

Re: Die DDR - ein Rechtsstaat? - Kritik an Erwin Sellering

von norvegia » 29.08.2012, 07:43

Ich denke mal, daß die DDR in erster Linie so als Unrechtsstaat verdammt wurde, weil man im Westen Angst vorm Kommunismus hatte.
Angst die von oben bewußt geschürt wurde.
Weil die Großkapitalisten ja Angst um ihr Geld hatten.
Und der böse Kommunismus hätte das ja bestimmt alles weg genommen dieses viele tolle Geld.
Ausserdem war der Kommunismus ja ein viel zu guter Konkurent fürs eigene System.
Also suchte man sich die böse Stasi und schob der alles mögliche und unmögliche in die Schuhe.
Und so kämpft man dann gegen den bösen Kommunismus...

Re: Die DDR - ein Rechtsstaat? - Kritik an Erwin Sellering

von Barbarossa » 27.08.2012, 08:37

norvegia hat geschrieben:Also ich für meinen Teil, hatte nicht das Gefühl in einem Unrechtsstaat zu leben.
Du bist ja auch nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten, insbesondere politisch. Und darum geht es. Aber auch das Gerichtsverfahren, bei dem ich zusammen mit meiner damaligen Schulklasse war, kam mir zumindest teilweise wie ein Schauprozess vor.
norvegia hat geschrieben:Und was den Mauerbau und den Staatssicherheitdienst angeht, dann war das ja der kalte Krieg, der dazu führte.
Einen Krieg führt man aber nicht allein, da gehören mindestens zwei dazu...
Mauer und auch ganze Abteilungen der Staatssicherheit richteten sich gegen das eigene Volk, vor dem die Machthaber große Angst hatten. Mit dem sogenannten "Eisernen Vorhang" einsperren und dann noch einschüchtern, damit keiner den Mund zu weit aufmacht - das war die Politik der Kommunisten.
Ich werde meine Verachtung über sie Zeit meines Lebens nicht mehr ablegen.

Re: Die DDR - ein Rechtsstaat? - Kritik an Erwin Sellering

von norvegia » 27.08.2012, 05:07

Also ich für meinen Teil, hatte nicht das Gefühl in einem Unrechtsstaat zu leben.
Und was den Mauerbau und den Staatssicherheitdienst angeht, dann war das ja der kalte Krieg, der dazu führte.
Einen Krieg führt man aber nicht allein, da gehören mindestens zwei dazu...

Re: DDR-Diskussion: Kritik um Äußerungen von Erwin Sellering

von Barbarossa » 08.08.2011, 01:48

Interessant ist auch folgendes:
23.08.2010
Letzter Regierungschef
Lothar de Maizière – "DDR war kein Unrechtsstaat"

Der letzte DDR-Ministerpräsident hält die Vokabel "Unrechtsstaat" für unglücklich: "Auch in der DDR war Mord Mord und Diebstahl Diebstahl."

Der letzte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière (CDU), lehnt die Verwendung des Begriffs „Unrechtsstaat“ für die DDR ab. „Ich halte diese Vokabel für unglücklich“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“ anlässlich des 20. Jahrestags des Volkskammer-Beschlusses zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik.
„Die DDR war kein vollkommener Rechtsstaat. Aber sie war auch kein Unrechtsstaat. Der Begriff unterstellt, dass alles, was dort im Namen des Rechts geschehen ist, Unrecht war.“

Wenn die DDR ein Unrechtsstaat gewesen wäre, hätte im Einigungsvertrag nicht vereinbart werden können, dass Urteile aus DDR-Zeiten weiter vollstreckt werden können, sagte der CDU-Politiker...
weiter lesen: http://geschichte-wissen.de/go/lothardemaizierezuddr

Und genau das letzte hat mich nach 1990 so erzürnt, daß man in einem Rechtsstaat weiterhin nach Gesetzen urteilt, die in einer Diktatur erlassen wurden.
In meinem Buch, das in Kürze erscheinen wird, habe ich auch dazu etwas ausgearbeitet.
Hier die entsprechende Textstelle daraus:
Es gibt 20 Jahre nach der Friedlichen Revolution und der Vollendung der Deutschen Einheit recht heftige Diskussionen darum, ob die DDR nun ein Rechtsstaat oder ein Unrechtsstaat gewesen sei, mit dem Argument, es hätte zwar politische Gefangene gegeben, aber die normalen Zivilprozesse verliefen rechtsstaatlich. Zudem wird auch darauf verwiesen, den Begriff "Unrechtsstaat" gäbe es rechtswissenschaftlich bzw. völkerrechtlich gar nicht.
Die Frage dabei ist nur: Wie soll man einen Staat nennen, der eben kein Rechtsstaat ist?
Was einen Rechtsstaat auszeichnet, ist hingegen klar:
Es ist "ein Staat, der die Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit der Gerichte, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Rechtsschutz gegen Akte öffentlicher Gewalt und eine öffentlich-rechtliche Entschädigung als unverzichtbare Institute anerkennt". Genau diese Bedingungen erfüllte die DDR aber eben nicht. Selbst Rechtsgeschichtler begehen bei der Beurteilung der Justiz in der DDR Fehler, denn:
"Der Rechtsgeschichtler Prof. Uwe Wesel stellte fest, dass das DDR-Recht bis auf den Umgang mit den politischen Gegnern nicht schlechter als in der Bundesrepublik war."

Diese Aussage des Herrn Wesel ist nicht haltbar:
Aus eigenem Erleben: Ich war mit meiner damaligen Schulklasse in den ´80er Jahren bei einer solchen "normalen" Gerichtsverhandlung als Zuschauer und habe gesehen, wie eine solche Gerichtsverhandlung in einem völlig normalen Zivilprozess ablief. Dabei stellte ich fest, daß eine sehr arrogante Richterin während der Aussagen des Angeklagten nicht nur strafrechtlich relevante Fragen stellte, sondern auch moralische Äußerungen von diesem abverlangte. Daß er etwas falsch gemacht hatte, als er unter Einfluß von Alkohol einen Unfall verursachte, wußte der Angeklagte natürlich selbst. Aus diesem Grunde verlief der Prozeß aus meiner Sicht nicht nach einem rechtsstaatlichen Muster. Daß die Prozesse häufig nach diesem Muster verliefen, habe ich einer Äußerung meiner damaligen Klassenleiterin entnommen, in der sie meinte, daß wir Schüler kein Mitleid mit dem Angeklagten zeigen sollten, auch wenn er etwas hart angegangen werden würde.

Daß es zu solchen Auswüchsen kam, lag im Rechtssystem der DDR selbst begründet:
Bereits die in der Verfassung der DDR festgeschriebene Staatsform als „Staat der Arbeiter und Bauern“ unter der Führung der SED und deren Ideologie zeigt auf, worauf alles in diesem Staat ausgerichtet war - so eben auch die Rechtsprechung. Auch kann man die meisten Richter und Anwälte schon aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der SED nicht als unabhängig bezeichnen. Selbst zivilrechtliche Gesetze, die auf den ersten Blick durchaus als nachvollziehbar erscheinen, konnten durch ein anderes Gesetz wieder hinfällig werden. Insbesondere ist hier eine Bestimmung im „Zivilgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 19. Juni 1975“, Erster Teil: „Grundsätze des sozialistischen Zivilrechts“, Viertes Kapitel, 2. Absatz zu nennen, wo es heißt:
„(2) Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn damit den Rechtsvorschriften oder den Grundsätzen der sozialistischen Moral widersprechende Ziele verfolgt werden.“
Damit konnten im Grunde alle anderen Bestimmungen in diesem Gesetzbuch ad absurdum geführt werden.
Als weitere Beispiele für die eben nicht vorhandene Rechtsstaatlichkeit der DDR können auch mehrere Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch der DDR von 1968/74 herangezogen werden.
In § 42 heißt es z. B.:
„§ 42. Arbeitserziehung. (1) In den gesetzlich vorgesehenen Fällen kann auf Arbeitserziehung erkannt werden, wenn der Täter arbeitsfähig ist und auf Grund seines asozialen Verhaltens zur Arbeit erzogen werden muß. Die Arbeitserziehung beträgt mindestens ein Jahr und dauert so lange, bis der Erziehungserfolg eingetreten ist. Sie darf die Obergrenze der Freiheitsstrafe, neben der sie angedroht ist, nicht überschreiten. § 39 Absatz 5 gilt entsprechend.
(2) Das Gericht beschließt nach Ablauf von mindestens einem Jahr die Beendigung der Arbeitserziehung, wenn durch die Haltung des Verurteilten, insbesondere durch seine regelmäßige Arbeitsleistung und seine Disziplin, zu erkennen ist, daß der Erziehungserfolg eingetreten ist.“
Ebenfalls anzuführen ist hier der Zusammenrottungs-Paragraph:
„§ 217. Zusammenrottung. (1) Wer sich an einer die öffentliche Ordnung und Sicherheit beeinträchtigenden Ansammlung von Personen beteiligt und sie nicht unverzüglich nach Aufforderung durch die Sicherheitsorgane verläßt, wird mit Haftstrafe oder Geldstrafe bestraft.
(2) Wer eine Zusammenrottung organisiert oder anführt (Rädelsführer), wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.
(3) Der Versuch ist strafbar.“
Später wurde noch die Möglichkeit der Bewährung eingeführt, änderte aber nichts an der Strafbarkeit. Dieser Paragraph ließ sich sehr gut gegen eventuelle politische Protestaktionen anwenden, obwohl die spezielle Anwendung absichtlich nicht näher umschrieben wurde und daher auch gegen nicht politisch motivierte Ansammlungen von Personen - wie z. B. Punks - angewandt werden konnte.
Über die Entwicklung der Justiz in der DDR gibt es eine genaue Studie der hu-berlin, die auf der Internetseite http://s6.rewi.hu-berlin.de/online/fhi/ ... ollnau.htm nachzulesen ist.
Bekannt ist auch, dass es in der DDR eine hohe Anzahl von politischen Gefangenen gab. Auch hierzu gibt es eine statistische Erhebung auf der Seite:
http://hsr-trans.zhsf.uni-koeln.de/hsrr ... 98_470.pdf

von Barbarossa » 09.04.2009, 19:42

Thierse heizt die DDR-Diskussion weiter an:
Thierse für faire Bewertung der DDR

Bundestagsvizepräsident: "Das System ist gescheitert, nicht die Menschen" / Biografien der Ostdeutschen angemessen beurteilen / Grundstein für Einheitsdenkmal nicht am 9. November
Frank Herold, Holger Schmale

BERLIN. Der stellvertretende Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat gefordert, die DDR nicht pauschal zu verdammen, sondern differenziert zu betrachten. Thierse sagte der Berliner Zeitung: "Der Umgang mit der DDR-Geschichte leidet daran, dass sie in den 90er-Jahren politisch und medial vermarktet worden ist als eine Skandalgeschichte von Feigheit und Verrat. Stasi war das Faszinosum. Das ist verständlich, aber darin geht die DDR-Geschichte nicht auf."

Es müsse unterschieden werden zwischen dem System namens DDR und den Menschen, die in diesem System gelebt haben. "Das Urteil über die DDR ist eindeutig: Sie war kein Rechtsstaat. Sie war eine Diktatur. Sie war ein System der Misswirtschaft, das deshalb am Schluss auch in sich zusammengebrochen ist", sagte der SPD-Politiker. "Das System ist gescheitert, aber die Menschen sind nicht gescheitert."...
weiter lesen: http://www.berlinonline.de/berliner-zei ... index.html


Interview:
"Das System ist gescheitert, nicht die Menschen"
Wolfgang Thierse über das Erbe der DDR, demokratischen Sozialismus und das Berliner Stadtschloss
Frank Herold, Holger Schmale

Im Jubiläumsjahr der friedlichen Umwälzung in der DDR ist der Streit um die Bewertung des verschwundenen Staates erneut heftig entbrannt. Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Bundestages, mahnt einen differenzierten Umgang mit der DDR-Geschichte an.
Interview lesen: http://www.berlinonline.de/berliner-zei ... index.html

von Barbarossa » 31.03.2009, 16:58

INTERVIEW:
Wahlkampf mit Geschichts-Floskeln
Der Historiker Ulrich Herbert über DDR-Debatten, die unaufgeregte Bundesrepublik und die Krise
Interview lesen: http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/ ... n-die.html

von elysian » 29.03.2009, 13:36

Barbarossa hat geschrieben: Wobei im BGB auch noch Paragraphen stehen, die z. T. noch aus dem 19. Jh. stammen, die somit absolut nicht mehr zeitgemäß sind.
Das ist mit Verlaub falsch.
Ein Paragraph ist nicht deswegen zeitgemäß, weil er vor zehn oder zehntausend Jahren eingang in das Gesetzbuch fand, sondern weil er für die zu lösenden Probleme eine angemessene Lösung bietet.
Man kann ganz moderne Probleme sogar mit römischen, antiken, 2000 Jahre alten Rechtssätzen lösen! Diese sind zeitlos und damit jederzeit zeitgemäß.
Davon abgesehen stammt das BGB nicht aus dem 19. Jh., sondern aus dem 20. Jh.; Du meintest wohl, einige Paragraphen seien im 19. Jh. entwickelt worden. ;)
Mir auch nicht.
Zwischen der DDR und dem NS-Reich gab es jedoch den gravierenden Unterschied, daß die Nazis ganze Gruppen innerhalb der Bevölkerung allein auf Grund ihrer Abstammung ausgrenzten und sogar zu "Volksfeinden" erklärten. Andererseits haben die Kommunisten die Mauer gebaut und haben damit gleich das gesamte Volk dahinter eingesperrt. Zum Staatsfeind wurde dann derjenige, der dagegen aufbegehrte.
:?

Aus diesem Grunde finde ich es immer etwas problematisch, diese beiden Regimes direkt zu vergleichen - da sie auf Grund ihrer sehr unterschiedlichen Ideologien auch unterschiedlich waren.
Die DDR hat diese Ausgrenzung nicht anhand der Abstammung, dafür aber anhand der politischen Gesinnung betrieben. Dies zwar nicht mit demselben mörderischen Impetus, mit der die Nazis gegen Ethnien oder die Russen unter Stalin gegen vermeintliche Klassen vorgegangen sind, aber nicht erst der Massenmord macht ein Unrechtsregime zu einem solchen!

Beide Regime vertreten gewisse Spielarten derselben Ideologie und verfügen über eine hinreichende Menge Gemeinsamkeiten.

von Barbarossa » 29.03.2009, 04:42

"Natürlich war die DDR kein Rechtsstaat."
".aber manches war auch gut" - Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident verteidigt seine Sicht auf die Ost-Republik

Der Sozialdemokrat Erwin Sellering führt eine Koalition mit der CDU in Schwerin. Aber die Linkspartei wäre ihm als Partner genauso lieb, sagt er im Interview...
das Interview lesen: http://www.berlinonline.de/berliner-zei ... index.html

von Barbarossa » 26.03.2009, 17:04

elysian hat geschrieben:Naja, unproblematisch ist dieser Artikel aber auch nicht.
Es ist aber wohl offensichtlich von einem Laien verfasst, also ist einiges nachzusehen.

Über die Lesequalität des DDR-Zivilrechtbuchs kann man vielleicht streiten, es hatte jedenfalls nicht die überragende intellektuelle Qualität des BGB. Dieses hat dafür sicherlich seine Schwachstellen in der Verständlichkeit. Vorbildhaft ist hier aber eher das Zivilrecht der Schweiz.
Wobei im BGB auch noch Paragraphen stehen, die z. T. noch aus dem 19. Jh. stammen, die somit absolut nicht mehr zeitgemäß sind.
elysian hat geschrieben:Aber einige wenige Sätze umreißen das Problem besonders deutlich:
Dennoch gab es Gesetze, auch gute Gesetze, an die sich Justiz und Behörden hielten.
....
Man wird auch schwer behaupten können, „Unrecht“ sei das bestimmende Handlungsmotiv von Staat und Regierung gewesen. Sicher aber ging es auch nicht darum, eine „Herrschaft des Rechts“ zu verwirklichen. Insofern war die DDR ein Unrechtsstaat. Oder besser: Ein Nichtrechtsstaat.
Dasselbe kann man mit Fug und Recht (leider!) auch über das Dritte Reich sagen. Auch dort war ein Dieb ein Dieb, etc.
Gleichwohl ist es (schwer erarbeiteter und bissig verteidigter) Konsens in unserer Gesellschaft, dass dieses Regime ein Unrechtsstaat war.
Warum man dies bei der DDR auf einmal anders sehen will, leuchtet mir nicht ein.
Mir auch nicht.
Zwischen der DDR und dem NS-Reich gab es jedoch den gravierenden Unterschied, daß die Nazis ganze Gruppen innerhalb der Bevölkerung allein auf Grund ihrer Abstammung ausgrenzten und sogar zu "Volksfeinden" erklärten. Andererseits haben die Kommunisten die Mauer gebaut und haben damit gleich das gesamte Volk dahinter eingesperrt. Zum Staatsfeind wurde dann derjenige, der dagegen aufbegehrte.
:?

Aus diesem Grunde finde ich es immer etwas problematisch, diese beiden Regimes direkt zu vergleichen - da sie auf Grund ihrer sehr unterschiedlichen Ideologien auch unterschiedlich waren.

von elysian » 26.03.2009, 00:20

Naja, unproblematisch ist dieser Artikel aber auch nicht.
Es ist aber wohl offensichtlich von einem Laien verfasst, also ist einiges nachzusehen.

Über die Lesequalität des DDR-Zivilrechtbuchs kann man vielleicht streiten, es hatte jedenfalls nicht die überragende intellektuelle Qualität des BGB. Dieses hat dafür sicherlich seine Schwachstellen in der Verständlichkeit. Vorbildhaft ist hier aber eher das Zivilrecht der Schweiz.

Aber einige wenige Sätze umreißen das Problem besonders deutlich:
Dennoch gab es Gesetze, auch gute Gesetze, an die sich Justiz und Behörden hielten.
....
Man wird auch schwer behaupten können, „Unrecht“ sei das bestimmende Handlungsmotiv von Staat und Regierung gewesen. Sicher aber ging es auch nicht darum, eine „Herrschaft des Rechts“ zu verwirklichen. Insofern war die DDR ein Unrechtsstaat. Oder besser: Ein Nichtrechtsstaat.
Dasselbe kann man mit Fug und Recht (leider!) auch über das Dritte Reich sagen. Auch dort war ein Dieb ein Dieb, etc.
Gleichwohl ist es (schwer erarbeiteter und bissig verteidigter) Konsens in unserer Gesellschaft, dass dieses Regime ein Unrechtsstaat war.
Warum man dies bei der DDR auf einmal anders sehen will, leuchtet mir nicht ein.

von Barbarossa » 25.03.2009, 16:39

Im Tagesspiegel hab ich zu diesem Thema noch einen - wie ich finde - sehr guten Artikel gefunden, den ich auch mit unterschreiben kann und deshalb mal ein paar Zeilen mehr, als in den übrigen Zitaten:
DDR
Was ist ein Unrechtsstaat?
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) will die DDR nicht als Unrechtsstaat bezeichnen. Andere schon. Was ist überhaupt ein Unrechtsstaat?
(...)
Grundlegend war eine Überlegung Immanuel Kants, die den Rechtsstaat als „Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“ definierte. Nicht mehr Herrscher sollten herrschen, sondern das Recht.
(...)
Angeklagte bekamen Rechte, staatliche Willkür wurde zurückgedrängt. Mit am wichtigsten war, Staatsrecht von Verwaltungsrecht zu trennen. Das Staatsrecht ordnete Parlament und Regierung. Das Verwaltungsrecht band die Exekutive: Es wurde eine neue Ebene geschaffen, um die Staatsmacht im Zaum zu halten und die Bürger zu schützen. Die Bundesrepublik knüpfte mit ihrem Grundgesetz an diese Traditionen an. Die Gesetzgebung ist an die „verfassungsmäßige Ordnung“ gebunden, Justiz und Exekutive an Recht und Gesetz. Staatliches Handeln muss voraussehbar und verhältnismäßig sein sowie von Gerichten kontrolliert werden können. Und: Ein Rechtsstaat soll immer auch ein „Gerechtigkeitsstaat“ sein.

In der DDR-Verfassung sah es zunächst ähnlich bürgerlich aus, mit Volks- und Länderkammer, Präsident und Regierung sowie unabhängiger Justiz. Allerdings sah die Verfassung bereits vor, Richter abzuberufen, ein Verfassungsgericht fehlte. In den fünfziger Jahren verschwanden die Länder, die höheren Behörden stärkten ihre Durchgriffsrechte. Aus der DDR wurde ein zentralistischer Einheitsstaat ohne Gewaltenteilung. Die sozialistische Doktrin fand sich jetzt in Verfassung und Gesetzen ebenso wie die Verpflichtung auf die SED. Das Parlament wurde entwertet, es gab nur ein „oberstes Gericht“. Rechtswege wurden verkürzt, Gerichtszweige zusammengelegt. Das Justizministerium behielt sich die Anleitung der Gerichte vor, Instrukteure überwachten die Rechtsauslegung. Vor allem aber erklärte Walter Ulbricht die Trennung von Staats- und Verwaltungsrecht zu einem „bürgerlichen Prinzip, das wir aufgeben sollten“. Den rechtsstaatlichen Tiefpunkt bildeten die tausendfachen maßlosen Verurteilungen wegen politischer Straftatbestände, die massenhafte Durchdringung der Gesellschaft mit Stasi-Spitzeln, die Enteignungen und die Todesschüsse an der Grenze.

Eine „Vereinigung von Menschen unter Rechtsgesetzen“, wie sie Kant vorschwebte, sieht anders aus. Dennoch gab es Gesetze, auch gute Gesetze, an die sich Justiz und Behörden hielten. Das Familienrecht war fortschrittlich, im Arbeitsrecht hatten Mutter- und Kündigungsschutz hohes Niveau, statt Verwaltungsklagen entwickelte sich ein durchaus leistungsfähiges Eingabewesen. Das DDR-Zivilgesetzbuch gilt bis heute als Musterbeispiel, wie man Gesetze so schreiben kann, dass Menschen sie verstehen. Man wird auch schwer behaupten können, „Unrecht“ sei das bestimmende Handlungsmotiv von Staat und Regierung gewesen. Sicher aber ging es auch nicht darum, eine „Herrschaft des Rechts“ zu verwirklichen. Insofern war die DDR ein Unrechtsstaat. Oder besser: Ein Nichtrechtsstaat.
Den Artikel vollständig lesen: http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Frag ... 93,2759046

Nach oben