von Balduin » 27.02.2013, 00:20
Karlheinz hat geschrieben:In dem von Ralph vorgegebenen Aufsatz von Prof. Scholz über Demokratiedefizite wird unter anderem das alte Problem: Europa der Vaterländer“ (Intergouvernementalisten) oder Europa als Föderation wieder aufgegriffen und diskutiert.
Meines Erachtens ist derzeit ein großes Problem, das viele Bürger überhaupt nicht wissen, wie die Europäische Union überhaupt funktioniert. Man hört darüber oft die erstaunlichsten Auffassungen. Als Vergleich können sich die meisten nur die nationale Demokratie vorstellen. Die Bürger wählen dort ein Parlament, je nach Ausgang der Wahlen bekommen die verschiedenen Parteien unterschiedliche Stimmenanteile und können daraufhin eine Regierung bilden. Aber so funktioniert es derzeit in Europa nicht. Das Europäische Parlament hat bei den meisten Gesetzen der EU nur ein Mitspracherecht, das Parlament kann aus sich heraus keine Regierung bilden. Der EU-Rat ist gewissermaßen die Regierung. Der wird aber nicht gewählt, höchstens indirekt, da die jeweiligen Landesregierungen ihre Vertreter in den Rat senden. Der wählt dann wiederum die Kommissare aus, die die Beschlüsse dann europaweit durchsetzen sollen. Wenn die Bürger den EU-Rat wählen könnten, und zwar direkt und nicht indirekt wie bisher, könnte vielleicht eher ein europäisches Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen. Aber das würde vermutlich nur funktionieren, wenn Europa eine Föderation wäre und nicht wie jetzt ein Staatenverbund.
Mich verwirrt derzeit mehr, dass es anscheinend seitens der Regierung keine Vision gibt, wie die europäische Einigung sich entwickeln sollte. Es wird ja keine Antwort darauf gegeben, ob Europa sich hin zu einer Föderation entwickelt oder ob es weiter intergouvernemental regiert wird. Die Eurokrise hat ja wohl die Stärkung der Intergouvernementalisten bewirkt.
Das ist insoweit aber auch nicht verwunderlich, weil die Euro-Zone ein Konstrukt der Vaterländer ist.
Letztlich würde das bedeuten: Aufhebung der bisherigen Staaten, stattdessen Bildung von Regionen, ein gesamteuropäisches Parlament, welches nach der Wahl eine Regierung bestimmen kann. Die einzelnen Regionen könnten ihre Interessen in einer Art Bundesrat wahrnehmen, in dem dann, wie bei uns, die verschiedenen Gebiete über eine unterschiedliche Anzahl von Abgeordneten vertreten wären, damit auch kleine Distrikte ihre Bedürfnisse artikulieren können. Zwischen den einzelnen Gebieten müsste eine Art Länderfinanzausgleich existieren. Vielleicht wäre dies gerechter als das gegenwärtige System, in dem ganze Länder Hilfe erhalten und nicht nach Regionen differenziert. Auch in den bedürftigen Staaten gibt es ärmere und reichere Gebiete. Soweit ich weiß, wird dies derzeit nicht berücksichtigt.
Aber bis dahin wird es ein weiter Weg sein und ob es überhaupt dazu kommt, glaube ich eigentlich nicht.
Ich denke nicht, dass Staaten aufgehoben würden. Das würde doch wohl eher in kleineren Schritten ablaufen (die Dualität würde fortbestehen): Einführung eines EU-Haushaltes, Erhebung von Steuern, gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik, gemeinsame Außenpolitik... (über einen längeren Zeitraum)
Die Wirklichkeit ist doch bereits so, dass die EU die Rechtssetzung diktiert (EU-Richtlinien) und auch zu einer gewissen Vereinheitlichung geführt hat.
Hier ein kleiner Exkurs von meiner Seite, weil mich das im Studium sehr interessiert hat:
Historisch stehen sich das deutsche und das französische Recht näher als das deutsche oder das französische Recht zum englischen Recht (England hat ein Fallrecht (Präjudizien), wogegen Frankreich und Deutschland Kodifizierungen haben (Gesetzbücher)).
Recht hat immer auch eine sehr einigende Wirkung - man denke nur an den Code Civil (Napoleon) oder das römische Recht: Eventuell kann man auch bereits daraus die zukünftige Rolle Großbritanniens in der EU ableiten.
Großbritannien ist ein wichtiger Faktor in der EU - aber sollte auf wichtige Entwicklungen verzichtet werden, nur um GB in der EU zu halten?
[quote="Karlheinz"]In dem von Ralph vorgegebenen Aufsatz von Prof. Scholz über Demokratiedefizite wird unter anderem das alte Problem: Europa der Vaterländer“ (Intergouvernementalisten) oder Europa als Föderation wieder aufgegriffen und diskutiert.
Meines Erachtens ist derzeit ein großes Problem, das viele Bürger überhaupt nicht wissen, wie die Europäische Union überhaupt funktioniert. Man hört darüber oft die erstaunlichsten Auffassungen. Als Vergleich können sich die meisten nur die nationale Demokratie vorstellen. Die Bürger wählen dort ein Parlament, je nach Ausgang der Wahlen bekommen die verschiedenen Parteien unterschiedliche Stimmenanteile und können daraufhin eine Regierung bilden. Aber so funktioniert es derzeit in Europa nicht. Das Europäische Parlament hat bei den meisten Gesetzen der EU nur ein Mitspracherecht, das Parlament kann aus sich heraus keine Regierung bilden. Der EU-Rat ist gewissermaßen die Regierung. Der wird aber nicht gewählt, höchstens indirekt, da die jeweiligen Landesregierungen ihre Vertreter in den Rat senden. Der wählt dann wiederum die Kommissare aus, die die Beschlüsse dann europaweit durchsetzen sollen. Wenn die Bürger den EU-Rat wählen könnten, und zwar direkt und nicht indirekt wie bisher, könnte vielleicht eher ein europäisches Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen. Aber das würde vermutlich nur funktionieren, wenn Europa eine Föderation wäre und nicht wie jetzt ein Staatenverbund.[/quote]
Mich verwirrt derzeit mehr, dass es anscheinend seitens der Regierung keine Vision gibt, wie die europäische Einigung sich entwickeln sollte. Es wird ja keine Antwort darauf gegeben, ob Europa sich hin zu einer Föderation entwickelt oder ob es weiter intergouvernemental regiert wird. Die Eurokrise hat ja wohl die Stärkung der Intergouvernementalisten bewirkt.
Das ist insoweit aber auch nicht verwunderlich, weil die Euro-Zone ein Konstrukt der Vaterländer ist.
[quote]Letztlich würde das bedeuten: Aufhebung der bisherigen Staaten, stattdessen Bildung von Regionen, ein gesamteuropäisches Parlament, welches nach der Wahl eine Regierung bestimmen kann. Die einzelnen Regionen könnten ihre Interessen in einer Art Bundesrat wahrnehmen, in dem dann, wie bei uns, die verschiedenen Gebiete über eine unterschiedliche Anzahl von Abgeordneten vertreten wären, damit auch kleine Distrikte ihre Bedürfnisse artikulieren können. Zwischen den einzelnen Gebieten müsste eine Art Länderfinanzausgleich existieren. Vielleicht wäre dies gerechter als das gegenwärtige System, in dem ganze Länder Hilfe erhalten und nicht nach Regionen differenziert. Auch in den bedürftigen Staaten gibt es ärmere und reichere Gebiete. Soweit ich weiß, wird dies derzeit nicht berücksichtigt.
Aber bis dahin wird es ein weiter Weg sein und ob es überhaupt dazu kommt, glaube ich eigentlich nicht.[/quote]
Ich denke nicht, dass Staaten aufgehoben würden. Das würde doch wohl eher in kleineren Schritten ablaufen (die Dualität würde fortbestehen): Einführung eines EU-Haushaltes, Erhebung von Steuern, gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik, gemeinsame Außenpolitik... (über einen längeren Zeitraum)
Die Wirklichkeit ist doch bereits so, dass die EU die Rechtssetzung diktiert (EU-Richtlinien) und auch zu einer gewissen Vereinheitlichung geführt hat.
Hier ein kleiner Exkurs von meiner Seite, weil mich das im Studium sehr interessiert hat:
Historisch stehen sich das deutsche und das französische Recht näher als das deutsche oder das französische Recht zum englischen Recht (England hat ein Fallrecht (Präjudizien), wogegen Frankreich und Deutschland Kodifizierungen haben (Gesetzbücher)).
Recht hat immer auch eine sehr einigende Wirkung - man denke nur an den Code Civil (Napoleon) oder das römische Recht: Eventuell kann man auch bereits daraus die zukünftige Rolle Großbritanniens in der EU ableiten.
Großbritannien ist ein wichtiger Faktor in der EU - aber sollte auf wichtige Entwicklungen verzichtet werden, nur um GB in der EU zu halten?