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Moderator: Barbarossa

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Reise nach China, Teil IV
Shanghai und das Geheimnis der großen Flüsse


In dem Zugabteil saßen außer mir noch zwei junge, abenteuerlustige Japaner, was sich als Glücksfall erwies, denn sie sprachen ausgezeichnet Englisch, für dieses Volk eher ungewöhnlich, und sie konnten die chinesischen Schriftzeichen lesen, was nun allerdings nicht erstaunlich ist, haben doch die Japaner einst aus China deren Zeichen übernommen. Im Laufe der Zeit wurden sie von ihnen etwas abgeändert und um einige Buchstaben ergänzt, doch im Großen und Ganzen können die Japaner die chinesische Schrift lesen. Das war gut, denn der Zug hielt öfters an Bahnstationen, die wunderbar ausgeschildert waren, aber eben leider nur auf Chinesisch. Die Japaner erklärten mir dann immer, wo wir uns gerade befanden. Die Beamten im Zug brachten laufend kostenlosen Tee, waren aber sonst mangels Sprachkenntnisse wenig hilfreich.

Sehr viel zu sehen gab es während der Fahrt eigentlich nicht. Wir durchquerten Ebenen und immer wieder Hügelland. Die Dörfer und kleinen Orte hatten eine Einheitsfarbe: Grau. Das hatten mir schon andere Reisende erzählt. In China überwiegt überall der Grauton, das machte die Städte langweilig im Vergleich zu anderen Ländern in Ostasien, wo alles immer bunt angemalt und oft mit Blumen geschmückt ist und auch die Menschen farbenfroh gekleidet sind. In China trugen sie 1986 fast alle noch den sogenannten Mao-Anzug, blaue Jacke und blaue Hose, für Männer und Frauen gleichermaßen. Eingeführt hatte diese Einheitskleidung der Gründer der ersten Republik, Dr. Sun –Yat-sen , 1912 für die Beamten. Die Kommunisten übertrugen sie dann auf die ganze Bevölkerung. Zwar gab es keine direkte Kleiderordnung, doch westliche Mode galt als dekadent und imperialistisch. Heute trägt kaum noch jemand diese Mao-Anzüge. Damals erweckten sie zusammen mit dem allgegenwärtigen Grau der Häuser eine Monotonie und Langeweile.

Am Morgen erreichten wir endlich Wuhan, eine scheußliche Industriestadt am Jangtsekiang. Während der Fahrt hatten wir den Hoang-ho überquert und jetzt erreichte ich die zweite chinesische Lebensader, den Jangtsekiang. Ich war erschrocken über die gigantischen Ausmaße dieser riesigen Flüsse. Von einem Ufer aus konnte man kaum das gegenüberliegende erkennen. Jedem Beobachter wird sofort klar, das das Geheimnis der chinesischen Kultur in der Bewältigung dieser gigantischen Wassermassen zu suchen ist. Zwar ist China das drittgrößte Land der Erde, doch vielen ist nicht bewusst, das der größte Teil davon aus Wüsten, Steppen und unwirtlichen Gebirgsregionen besteht. Nur ein kleiner Teil ist bewohnbar und die meisten Menschen wohnen in den Flusstälern dieser beiden Riesenströme. Hier liegt ein Reisfeld neben dem anderen, tausende von Dörfern reihen sich an den Ufern aneinander wie auf einer Perlenschnur, noch heute wird fast die gesamte Nahrung für das Land in diesen beiden Tälern erzeugt.

Doch die beiden Ströme sind launisch und unberechenbar. Immer wieder brechen sie aus ihrem Flussbett aus und überschwemmen weiträumig das ganze Land. Millionen von Bauern verlieren dann ihre Ernte und es droht eine Hungersnot.

Um dies zu verhindern, haben die Regierungen schon vor über 2.000 Jahren damit begonnen, ein gigantisches System der Flutabwehr zu entwickeln. Deiche, die sich über tausende von Kilometern Länge erstrecken, Seitenkanäle, Staubecken, Rückhaltebecken, ein hochkomplexes System, das nur von einer zentralen Regierung mit ihrer Bürokratie effizient verwaltet, repariert und ausgebaut werden konnte. Aufgabe jeder Dynastie war es, dafür zu sorgen, das dieses komplizierte System, von dem alles abhing, reibungslos funktionierte. Daher auch die Idee von Konfuzius mit seiner „Großen Harmonie“. Nur wenn Familien, Sippen, Dorfgemeinschaften, Adlige, Beamte und der Kaiser, wenn alle diese Teile der Gesellschaft wie Räder in einem Zahnrad ineinander griffen, wenn also die „Große Harmonie“ oder die „Große Ordnung“ im Lande herrschte, konnte dieses ausgeklügelte System funktionieren.

Der Schüler von Konfuzius, Menzius, schrieb sogar, das das Volk ein Recht auf Revolution besitzt, wenn die Regierung ihre Aufgabe nicht erfüllt. Dynastien legitimieren sich in China nicht durch göttliche Abstammung, sondern durch Leistung. Eine Regierung, die nichts leistet, hat das Recht auf Herrschaft, das Mandat des Himmels, verloren. Das Volk hat ein Recht auf Revolution. Davon haben die Chinesen auch häufig Gebrauch gemacht. Egal, wer regiert, Kaiser, Nationalisten oder Kommunisten, sie alle müssen sich durch Leistung beweisen. Das wissen auch die Parteifunktionäre in Peking, die wirtschaftliche Entwicklung um jeden Preis erzwingen wollen und auch müssen, denn auch ihnen ist Menzius bekannt: Das Volk hat ein Recht auf Revolution bei einer schlechten Regierung.

Nachmittags erreichte ich endlich Shanghai und suchte mir zunächst einmal ein Zimmer. Dies bereitete immer ein wenig Schwierigkeiten, denn auf Individualreisende waren die Chinesen nicht eingestellt, sie liebten Gruppenreisen mit langen Voranmeldungen, keine Reisende, die plötzlich aus dem Nichts auftauchten. Doch ich fand schließlich eine Bleibe in einer Nebenstraße der Nanjing Road, dem Zentrum der Stadt, zu einem stolzen Preis von heute ungefähr 80,- Euro.

Shanghai machte auf den ersten Blick einen rein europäischen Eindruck, die Stadt hätte auch irgendwo in England liegen können. Sie war schließlich auch ein koloniales Gebilde und bot für die ausländischen Mächte eine ideale Ausgangsbasis, da sie direkt an der Mündung der Flüsse Jangtsekiang und Huangpu liegt. Die Architektur hatte sich seit den dreißiger Jahren kaum verändert, die große Transformation begann in den neunziger Jahren, als die KPCH die Stadt nach modernsten Gesichtspunkten umzugestalten begann.

Doch das ganz alte Shanghai hatte ohnehin 1949 aufgehört zu existieren und das war auch nicht schade drum. Mein Onkel, der früher zur See gefahren war, hatte in den zwanziger Jahren dort ein halbes Jahr gelebt. Die Stadt war berühmt und berüchtigt bei den Seefahrern. Sie war ein riesiges Bordell mit unzähligen Prostituierten. Arme Bauern verkauften ihre Töchter, um die Pacht bezahlen zu können. Daneben existierten überall Opiumhöhlen, ein Teil der Bevölkerung war rauschgiftsüchtig. Die Stadt wurde beherrscht von der „Grünen Gang“, eine kriminelle Bande mit 10.000 Mitgliedern, die die Bordelle, den Rauschgifthandel und das Glücksspiel kontrollierte. Ihr Anführer, Yuesheng, gehörte zu den berüchtigten Triaden, die auch die Stadtverwaltung kontrollierten. 1927 veranstalteten die Triaden mit der Kuomintang ein blutiges Massaker an den Arbeitern in der Stadt, die unter kommunistischem Einfluss standen und dem 40.000 Menschen zum Opfer fielen.

In der Stadt residierte auch der Soong-Clan, die reichste Familie Chinas, deren Töchter mit Dr. Sun Yat-Sen und dessen Nachfolger Tschiang-Kai-shek verheiratet waren. (Gut beschrieben in dem Buch von Seagrave, Die Soong-Dynastie). Teile der Stadt waren zudem ausländische Konzessionen, in denen die Europäer unter sich lebten und in die kein Chinese Zutritt hatte. Krasse Gegensätze zwischen Arm und Reich kennzeichneten das Leben im alten Shanghai. Unzählige Kulis rannten mit ihren Rikschas buchstäblich um ihr Leben, da sie nur eine Schüssel Reis am Tag bekamen. 1950 haben die Kommunisten die Rikschas verboten und den Kulis eine andere Arbeit gegeben. Früher taumelten ausgemergelte Gestalten durch die Straßen, Opiumsüchtige und Unterernährte, morgens mussten die Leichen von den Bürgersteigen entfernt werden. Horden bettelnder Kinder sah man überall, Hunger und Krankheiten bestimmten das Leben der meisten Menschen.

Immerhin, damit haben die Kommunisten aufgeräumt. Der Kommunismus hat die Armut gleichmäßig verteilt, aber offensichtlich so, das die meisten Menschen wohl zumindest ein wenig besser lebten als früher. Das alte Shanghai mit all seinem Elend existierte nicht mehr.

In der Stadt fühlte ich mich wieder wie zu Hause, alles war europäisch, alles irgendwie vertraut. In der Nanjing Road, dem Geschäftszentrum, gab es zahlreiche Geschäfte mit einem Warenangebot, welches das in Peking weit übertraf. Hier stand sogar ein Kaufhaus, welches sich Nr.1 nannte. Baujahr dreißiger Jahre, die Aufzüge waren nur Attrappen, die hölzernen Vorkriegs-Rolltreppen liefen schon seit Jahren nicht mehr, also mussten alle Kunden die Treppen rauf und runter laufen.

Und dann gab es natürlich den Bund, die berühmte Prachtstraße an der Uferpromenade mit den Prunkbauten der kolonialen Zeit, sogar eine Nachbildung des Big-Ben-Glockenturms hatten sie hier. Und dann die gewaltigen Gebäude der Hong Kong & Shanghai Bank, Machtsymbol einer vergangenen Ära. 1,5 km lang ist der Bund und ständig voll von Menschen, hier ist man nie allein. Gegenüber vom Bund liegt Pudong, heute das Finanzviertel von Shanghai mit mehreren futuristischen Türmen, einer ist 632 m hoch, heute das Wahrzeichen des modernen Shanghai. Damals war in Pudong aber noch nichts zu sehen, alles befand sich erst in der Planungsphase.

Heute gibt es auch eine U-Bahn, die 1990 erstmals auf Teilstrecken operierte. Die alte Straßenbahn der Kolonialzeit wurde 1975 endgültig außer Dienst genommen. Im Süden der Stadt, der ehemaligen französischen Konzession, lebt noch das alte Shanghai, viele kleine Häuser und enge Gassen, so sah es früher überall aus.

Shanghai war auch in der kommunistischen Zeit sehr stark westlich geprägt gewesen, für eine Hafenstadt vielleicht nicht verwunderlich. Ein größerer Teil der Bewohner hatte auch inzwischen die Mao-Anzüge eingemottet. Gleichzeitig war aber die Stadt auch lange Zeit Hochburg der sogenannten Viererbande gewesen, angeführt von Maos Witwe, seiner vierten Frau, die in den dreißiger Jahren in Shanghai als Tänzerin gearbeitet hatte. Das früher umfangreiche Kulturleben wurde von ihr ausgeschaltet und durch revolutionäre Tanzchoreographien, wie z.B. das „Rote Frauenbataillon“ ersetzt. Junge Frauen kämpfen in diesem Stück gegen die Reaktionäre, ziemlich kitschig und maßlos übertrieben. Maos Witwe hatte acht Modellopern konzipiert, die für ganz China wegweisend werden sollten. Dazu ist es nach ihrer Entmachtung 1976 aber nicht mehr gekommen.

Ich hätte noch lange in der Stadt bleiben können, doch meine Zeit war begrenzt. Weiter ging es jetzt nach Guilin, die Stadt, in deren Nähe die berühmten Kalkfelsen liegen, die Lieblingsmotive der chinesischen Maler.


Fortsetzung folgt
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Auf nach Potsdam
Wir stiegen am Morgen nach den Frühstück in eine S-Bahn am Bahnhof Zoo, die uns nach Potsdam bringen sollte. Es waren uralte Wagen rotgelb gestrichen, die anscheinend noch vor dem 2. Weltkrieg gebaut worden waren. Die S-Bahn gehörte zur vorherigen Reichsbahn, die zur DDR gehört hatte. Die Stationsvorsteherinnen, welche die Züge abfertigten bei den einzelnen Bahnhöfen, hatten alle eine rote Mütze auf. Als wir in Potsdam angekommen waren suchten wir einen Bus, der uns nach den Schloss Sanssouci bringen sollte. Fanden dann auch einen Bus. Ich fragte dann den Busfahrer, ob unsere Netzkarte, die wir schon anfangs in Berlin gelöst hatten auch für Potsdam gilt. Der antwortete, ob wir nicht lesen könnten :?: Ich muß schon sagen, der versprühte einen unangenehmen ostdeutschen Charme. :evil: :twisted: Das ist uns dann nochmal passiert, komme darauf noch zu schreiben. Wir erreichten das Schloss, wollten Eintrittskarten für das Schloss kaufen, hätten aber nochmal zwei Stunden warten müssen. Verschoben dann die Besichtigung. Schauten uns den schönen Schlosspark an, der Bergpark in Kassel-Wilhelmshöhe ist schöner. Wir sahen die Windmühle, bei der ein Müller einen Rechtsstreit mit Friedrich hatte. Suchten das Grab Friedrichs des Großen, fragten eine Einheimische, von der erhielten wir die schnippische Antwort, "der würde sie nicht interessieren." :evil: :twisted:
Fanden das Grab mit seinen vielen Gräbern für seine Hunde doch, es lagen ein paar Nelken drauf. Gingen dann Essen, da gab es die kleinsten Rouladen, die wir bisher je gegessen hatten.
In 2002 besuchten wir Schloss Sanssouci nochmal und konnten tatsächlich die schöne Inneneinrichtung besichtigen.
Auf der Rückfahrt hatten wir rechtsradikale Rocker in der S-Bahn und zwei Abteile von denen entfernt saßen zwei Vietnamesen, Fidschis von denen genannt. Wenn die denen was hätten tun wollen, dann hätten wir ihnen verbal helfen müssen.
Lieber Barbarossa, was gibt es denn bei Euch für Menschen :?: :?: :?: In Frankfurt/M. wäre eine solche Handlungsweise unmöglich. Auch den herben Charme, den die beiden von mir angesprochenen Einheimischen hatten, wäre bei uns nicht möglich. :evil: :twisted:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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Reise nach China, Teil V
Südchina: Auf der Speisekarte: Ratten und Katzen

Von Shanghai fuhr ich jetzt mit der Eisenbahn in den tiefsten Süden von China, in die Provinz Guangxi, die Grenzregion zu Vietnam, um die Stadt Guilin und die umliegende Region zu erkunden. Dies ist ein touristisches Highlight, auch für viele Chinesen, denn hier befindet sich die schönste Landschaft in China überhaupt: Die vielen Kalkberge, die auf zahlreichen Malereien abgebildet sind.

Schon Guilin ist mit seinen 300.000 Einwohnern sehenswert, breite Alleen, Kalkberge direkt in der Stadt, wunderschöne Parkanlagen, die Stadt ist auch für viele Chinesen ein beliebtes Ausflugziel. Der neue Kurs der Partei zeigte hier Wirkung. Überall gab es Handwerksläden, Schumacher, Schneider, Schlosser, kleine Läden mit Waren aus Hongkong, alles was das Herz begehrt.

Es gab wieder Probleme mit der Hotelsuche, doch ich kam schließlich in einem ehemaligen sowjetischen Quartier unter. In den fünfziger Jahren gab es in China zahlreiche sowjetische Berater, die den Chinesen beim Aufbau des Sozialismus helfen sollten. Doch 1962, nach längeren Auseinandersetzungen zwischen Moskau und Peking, zog Chruschtschow alle Berater plötzlich ab, eine Maßnahme, die eine erbitterte Feindschaft zwischen den kommunistischen Großmächten zur Folge hatte. Die Unterkünfte der Sowjets verwandelten die Chinesen in Hotels, doch sie waren inzwischen ziemlich verschlissen und nicht sehr komfortabel.


In der Nacht hörte ich im Zimmer plötzlich ein Rascheln und als ich das Licht anmachte, merkte ich, dass Tiere ein Stück Brot von mir angeknabbert hatten. Es waren Ratten! Als ich das Licht wieder ausmachte, kamen sie zurück, die ganze Nacht über liefen sie in dem Zimmer herum. Am nächsten Morgen erzählte ich dies dem Pförtner an der Rezeption. Der zuckte nur mit den Achseln und gab mir ein anderes Zimmer. In dem liefen nur Geckos an den Wänden herum, etwa 10 cm lange Eidechsen. Die sind harmlos, ich kannte sie aus anderen Ländern. Es sind nützliche Tiere, da sie Ungeziefer fressen, die Menschen aber nicht behelligen.

In den zahlreichen Restaurants offerierten die Gastwirte kantonesische Küche, die uns aus den heimischen Chinalokalen bekannt ist. Ich bestellte mein Lieblingsgericht: Schweinefleisch, süß-sauer. Hervorragend! Die Süd-Chinesen verspeisen alles, was vier Beine hat, außer Tische und Stühle. In den Lokalen gab es ungewöhnliche Dinge zu essen: Bambusratten, Wildkatzen, Schlangen, alle noch lebendig. Wenn man sie bestellt, werden sie geschlachtet und dann serviert. Ich verzichtete. Auch faule Eier mag ich nicht, ebenfalls keine Riesenmaden. In Südchina packt man einen ganzen Schuhkarton voll mit Maden und vergräbt ihn dann. Die Maden fressen sich nun gegenseitig auf. Nach vierzehn Tagen wird der Karton ausgegraben und dann ist nur noch eine einzige riesige Made darin enthalten, die Überlebende. Die wird dann gebraten und serviert. Mahlzeit und guten Appetit!

Guilin liegt am Li-Fluss und von der Stadt aus kann man eine wunderschöne Bootsfahrt machen nach Yangzhou. Sie dauert etwa 6 Stunden und zurück fahren die Touristen mit dem Bus. Die Fahrt begann in aller früh und gegen 14. 00 Uhr erreichten wir den Zielort. Auf einem großen Ausflugsdampfer fuhren wir durch eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch. Die bizarre Berglandschaft und die Bambushaine am Ufer sind unglaublich schön, ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Die Luft fühlte sich an wie Seide, es war leicht diesig, die Berge tauchten langsam und unwirklich aus dem Dunst hervor. Eine Gegend zum Träumen, unglaublich schön. Allein deswegen hatte sich die Reise nach China gelohnt.

Auch Yangzhou, die Endstation, ist phantastisch. Der kleine Ort mit seinen zweistöckigen, weißen Häusern versetzt den Besucher zurück in das alte China, hier bekommt er einen Eindruck von dem Leben in der Ming-Zeit. Leider hatten wir nur ungefähr zwei Stunden Aufenthalt und die meisten Chinesen nutzten dies zum Essen und zum Kauf von Souvenirs in einem der vielen Läden.

Als ich nach Kanton weiter reisen wollte, erfuhr ich zu meinem Ärger, dass die Eisenbahn dorthin schon seit längerer Zeit ausverkauft sei und es keine Fahrkarten mehr gibt, doch in einem Touristenbüro wurde mir weiter geholfen. Ich bekam ein günstiges Flugticket von Guilin nach Kanton (auf Chinesisch: Guangzhou). Am Nachmittag ging es los. Der Flug dauerte nur eine halbe Stunde. Zu Essen gab es nichts, aber jeder Passagier erhielt eine Brieftasche aus Leder. Auch nicht schlecht.

Abends kam ich in Guangzhou an, nahm mir aufs Geratewohl ein Taxi und bat den Fahrer, mich zu irgendeinem Hotel zu fahren. Das machte er dann auch, aber natürlich glaubte er, das für einen Ausländer das beste Hotel gerade gut genug ist. Das Zimmer kostete umgerechnet ca. 150,- Euro. Na gut, man ist nur einmal in China.

Kanton liegt am Perlenfluss, der von hier nach Hongkong weiterfließt. Die 3.5 Millionen Stadt war gleichfalls ein Einfallstor für den Kolonialismus und hier wurde das Opium eingeführt, welches in Indien angebaut und von China mit Silber und Tee bezahlt wurde. In Kanton begann auch der Kampf gegen die Mandschu-Dynastie und die Ausländer unter Dr. Sun-Yat-Sen, dessen Gedenkhalle in Kanton ich mir ansah.

Ich lief ohne festen Plan in der Stadt umher. Sie kam mir vor wie Patch-Work, alle Baustile standen kunterbunt durcheinander, nichts passte zusammen. Gleichzeitig schien das Leben hier angenehmer zu sein als in Peking, dafür sorgte schon das milde subtropische Klima. Die Einwohner schliefen nachts auf Pritschen, die auf den Bürgersteigen standen oder auf den Dächern der Häuser. Es gab ein gewaltiges Warenangebot, verteilt auf viele kleine Läden, in einigen davon verkauften sie Raubkopien von CDs, ich hörte die neuesten Schlager von Michael Jackson und Madonna. Der Perlenfluss ist die Werkbank von China, hier wurden zahlreiche Fabriken errichtet, die alle möglichen Produkte herstellen, unter anderem jede Menge illegale Kopien von Markenzeichen.

Am Perlenfluss liegt der berühmte Qingping-Markt, der alles anbietet, was die kantonesische Küche zu bieten hat und über deren Absonderlichkeiten ich bereits an anderer Stelle berichtet hatte. Auf dem Fluss ankerten verschiedene große Dschunken, die als Restaurants hergerichtet waren. Es gab eine riesige Auswahl zu essen, leider keine Übersetzung der Speisekarte und ich bestellte auf gut Glück. Kurz darauf erhielt ich eine Schüssel mit eigenartigem Glibber Zeug, es sah aus wie eine Qualle und hatte überhaupt keinen Geschmack. Pech.

Sehenswert war noch der Liurong-Tempel mit einer gewaltigen, 57,6 m hohen Pagode. Einst und jetzt wieder ein Zentrum des Buddhismus in China, inzwischen lebten hier auch wieder einige Mönche.

In Kanton sah ich mehrmals Einheiten der Volksbefreiungsarmee, die durch die Stadt marschierten. Ernste, junge Leute mit unbewegten Gesichtern. China hat eine allgemeine Wehrpflicht und 2,5 Millionen Soldaten. Weil sich viele freiwillig melden, kommt die Wehrpflicht aber kaum zum Tragen. Alle Männer und Frauen müssen jedoch eine 30-40tägige militärische Grundausbildung durchlaufen und werden dann den diversen Volksmilizen zugeordnet, die gelegentlich Übungen abhalten. Über den Kampfwert der Armee wird im Ausland viel gerätselt. Zuletzt kämpfte sie 1979 fünf Wochen gegen Vietnam, um das Land für dessen Besetzung von Kambodscha zu bestrafen. In diesem Krieg machte sie eine sehr schlechte Figur und verlor zwischen 40.000 bis 60.000 Soldaten. Eine gewaltige Zahl für fünf Wochen. Die USA verloren 58.000 Soldaten in Vietnam, kämpften aber jahrelang.

Doch die Armee hat wohl im Lande noch immer einen guten Ruf. Die Soldaten der früheren Warlords und auch die der Nationalisten der Kuomintang glichen mehr den Armeen aus dem Dreißigjährigen Krieg bei uns. Sie erhielten selten Sold, plünderten die Bevölkerung aus, vergewaltigten und verschleppten die Frauen aus den Dörfern, organisierten Bordelle, Rauschgifthandel und Glücksspiel. Die Generäle der Kuomintang kommandierten Geisterarmeen, die Truppen existierten überhaupt nicht, aber sie kassierten deren Sold in die eigene Tasche. Die Soldaten haben traditionell in China einen schlechten Ruf, da es sich eigentlich um Banditen handelt. Damit verglichen schnitt die Rote Armee ganz gut ab.

Der Süden schien viel höher entwickelt und dem Westen gegenüber aufgeschlossener zu sein als der Norden. Diese Zweiteilung Chinas bestand schon seit mehr als 100 Jahren und ist nicht verwunderlich, da der Kolonialismus über die südlichen Städte Kanton, Hongkong und Shanghai in das Land eindrang und der Norden davon weniger berührt wurde.
Nach dem Massaker 1989 wollten die Hardliner in Peking alle Reformen rückgängig machen, doch Teng-Hsiao –Ping reiste daraufhin in den Süden, verbündete sich mit den dortigen Parteifunktionären und Provinzgouverneuren und erzwang auf diese Weise eine Weiterführung des Reformkurses auf wirtschaftlichem Gebiet.

Leider näherte sich der Urlaub meinem Ende. Jetzt wartete noch die letzte Station auf mich: Hongkong!

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Zweites Mal nach Berlin im Jahre 2002
Da wir das vorherige Jahr in China waren und uns ein neues Auto (Polo) gekauft hatten, mußten wir es finanziell etwas kürzer treten, außerdem hatten wir die Inneinrichtung von Sanssouci noch nicht gesehen. Fuhren mit dem ICE 1.Klasse. Diesmal sahen wir in der Norddeutschen Tiefebene die vielen Windräder zur Stromgewinnung. Fuhren wieder bis zum Bahnhof Zoo. Dass Taxi sollte uns in die Joachimstaler Str. bringen. Der Taxifahrer kannte sich selbst nicht aus und mußte erst suchen. Das Hotel war am Gleis Dreieck, bekannt aus Fernsehserien. War neu zurecht gemacht und noch nicht fertig mit dem Umbau. Die erste Nacht war furchtbar, wir waren neben einer Tankstelle. Bekamen am nächsten Tag ein anderes Zimmer, die hatte auf dem Flur eine Metalltür, die vor allem Nachts gehörigen Krach machte.
Besuchten noch mal das Pergamon Museum, diesmal auch die Gemäldegalerie und den Berlin Dom, erster ev. Dom von Kaiser Wilhelm II. gebaut. Wir suchten uns zum Besuch des Reichtages (Bundestages) einen Montag aus, weil da die einen Gäste weg und die anderen noch nicht richtig da waren. Waren in der Glaskuppel und dann im Bundesstag-Restaurant Käfer, wo wir zu Mittag aßen. Abends gingen wir in ein Kabarett, dass mir als Sozialdemokraten trotzdem sehr links vorkam.
Nehme an, dass das alles PDS-Anhänger waren. :wink: :mrgreen: Sahen die russische und amerikanische Botschaft
Unter den Linden und das Bundesfinanzministerium. :wink: :mrgreen:
Wir fuhren dann mit dem ICE wieder zurück nach Ffm.
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Reise nach China, Teil VI und Ende
Hongkong und Macao


Von Kanton aus setzte sich der Zug Richtung Hongkong in Bewegung. Dorthin fährt er aber nicht direkt, sondern der letzte Halt in der VR China ist Shenzhen, eine hässliche Ansammlung von Betonhochhäusern, die China direkt an der Grenze hochgezogen hat. Dort müssen alle Passagiere aussteigen und nun geht es über einen Fluss, der von der einst weltberühmten Lu Wu Brücke überspannt wird. Im Kalten Krieg senkte sich über Rot China der sogenannte Bambusvorhang herab, ein Pendant zum europäischen Eisernen Vorhang. Die Lu Wu Brücke bildete damals die einzige Verbindung zwischen dem Westen und dem völlig abgeschotteten Reich der Mitte und nur wenige Reisende durften sie früher überqueren und durch dieses Nadelöhr in die Volksrepublik einreisen.

Aber jetzt, 1986, Hongkong war noch britische Kolonie, gab es dort ein ständiges Kommen und Gehen, Ausländer und Hongkong-Chinesen strömten auf dieser Brücke in beide Richtungen. Ich musste mich in einer langen Schlange anstellen für den Ausreisestempel und dann zu einem anderen Schalter gehen, um den Einreisestempel für Hongkong zu erhalten. Die Polizisten auf der Hongkong-Seite sahen aus wie englische Bobbys, nur das sie wegen des Klimas kurze Hosen trugen, ein etwas kurioser Anblick. Die Formalitäten waren schnell erledigt.

Seit dem 1. Juli 1997 gehört die Stadt wieder zu China, doch die Grenze existiert noch immer. Die meisten Ausländer können zwar problemlos, wie auch schon während der britischen Ära, ohne Visum nach Hongkong einreisen, nicht aber in die VR China, für die weiterhin Visumzwang gilt. Diese werden nach wie vor an der Lu Wu Brücke kontrolliert. Seit einiger Zeit dürfen auch Bewohner der Volksrepublik nach Hongkong fahren, erhalten aber nur eine maximale Aufenthaltsdauer von 7 Tagen. Auch sie werden an der Grenze überprüft. Zuwanderung in die Stadt will Peking um jeden Preis verhindern, für die 7 Millionen Einwohner reicht schon jetzt der Platz nicht aus.

Hongkong besitzt weiterhin seine eigene Währung, den Hongkong Dollar (1 HK = 0,094 Euro), der an den US-Dollar gekoppelt ist. Es gilt jetzt das Prinzip: Ein Land – Zwei Systeme. Die Stadt zählt als autonome Sonderverwaltungsregion (SVR), der Bürgermeister wird, wie früher der Gouverneur aus England, jetzt von Peking eingesetzt (Chief Executive). Das Parlament hat 70 Mitglieder, 35 werden gewählt, 35 von der VR bestimmt. Die Legislative besitzt aber wenige Kompetenzen, sie kann vor allem nicht die örtliche Regierung wählen. Doch ansonsten gilt weiterhin das britische Rechtssystem (Common law). Presse-, Meinungs-, und Versammlungsfreiheit sind, anders als in China, offiziell erlaubt, doch üben sich viele in Selbstzensur. In der Stadt geht es aber wesentlich freiheitlicher zu als auf dem Festland.

Vom Grenzort aus fuhr ich mit dem Bus 32 km durch die sogenannten New Territories, eine Region mit Ackerland und vielen Fabriken, von denen viele nach 1997 in die VR verlegt wurden, auf die Halbinsel Kowloon, das dicht bevölkerte Wohn – und Geschäftsviertel und quasi Zentrum der Metropole. Kowloon gegenüber liegt, getrennt durch einen schmalen Meeresarm, die langgestreckte, nicht sehr breite Hongkong Island, der Central District, ein Hotel – und Bankenviertel mit zahlreichen Wolkenkratzern, die eine eindrucksvolle Skyline bilden, welche in der Abenddämmerung golden schimmert, wenn sich die Sonnenstrahlen in den unzähligen Glasfenstern spiegeln.

Auf der Insel findet man Laden um Laden mit allem, was der Mensch braucht, Märkte in den Seitenstraßen, die Produkte aus der ganzen Welt offerieren. Hier liegt auch das Rotlichtviertel Wanchai, bekannt durch den Roman von Richard Mason „Suzie Wong“, die reizende Liebesgeschichte zwischen einem Europäer und einem chinesischen Freudenmädchen. Am südlichen Ende liegt Aberdeen, ein Hafen mit alten Dschunken. Eine Seilbahn bringt den Besucher auf den höchsten Punkt der Insel, den Viktoria Peak, von dem man einen wunderschönen Ausblick auf den gesamten Hafen hat, den man aus unerfindlichen Gründen den „duftenden Hafen“ getauft hat.. (Übersetzung von Hongkong). Wie dem auch sei, Hongkong ist ohne Zweifel eine der schönsten Städte der Welt. Auf Honkong Island findet sich auch ein großer Vergnügungspark mit Seilbahnen, Achterbahn und Delphinschau, ebenfalls eine riesige Rennbahn für Pferde. In der Stadt ist Glückspiel verboten, nicht aber Wetten auf Pferderennen, ein Lieblingsfreizeitsport der Chinesen. Heute, 2014, wird die Rennbahn von einem Deutschen verwaltet, der im Fernsehen kürzlich erzählte, das hier täglich mehrere Millionen Euro umgesetzt werden.

Zwischen Kowloon und Hongkong Island fährt pausenlos die Star Ferry, mit der man in wenigen Minuten das gegenüberliegende Ufer erreichen kann.

Kowloon durchzieht eine Hauptstraße mit Namen Nathan Road und an ihrem Ende, in der Nähe der Star Ferry, lagen die Chunking Mansions, ein 16-stöckiges Gebäude, unterteilt in A-, B-, C- und D-Blocks. In den höheren Stockwerken befanden sich diverse Hotels mit sehr günstigen Zimmerpreisen, leider alle Räume ohne Bad und auch nur sehr spartanisch eingerichtet, ohne Komfort, aber sonst gar nicht so schlecht. Dort mietete ich mich ein. Wohnraum ist in Hongkong sehr knapp und teuer, viele Familien teilen sich deshalb Wohnungen, jede bekommt ein Zimmer, Küche und Bad sind für alle gemeinsam.

Hongkong glich einer gigantischen Shopping Meile. Das Warenangebot war unglaublich groß und extrem günstig. Alles konnte zollfrei ein – und ausgeführt werden, Steuern fielen fast überhaupt keine an, die Geschäfte schlossen so gut wie nie und in den Abendstunden entstanden noch zusätzliche riesige Nachtmärkte in den Straßen. Die unzähligen Restaurants wurden ständig gut besucht, hier gab es alle Küchen, die auf der Welt existieren, man konnte hervorragend und billig essen. Ein Geschäftsmann aus England schwärmte mir vor:

„ Hier gibt es einen unbegrenzten Kapitalmarkt, Geld kann in jeder beliebigen Höhe eingeführt oder transferiert werden, es herrscht der totale, freie Markt.“ Diesbezüglich hatte ich aber keine Interessen.

In Hongkong herrscht Kapitalismus pur, Business total. Soziale Sicherungssysteme existieren nicht, jeder ist für sich selbst verantwortlich. Man vertraut auf die Solidarität der chinesischen Großfamilie. Doch gerade die ist in einem Zerfallsprozess begriffen. 1995 hat die Volksrepublik deshalb ein System der Renten- und Unfallversicherung eingeführt und seitdem müssen die Arbeitgeber Beiträge abführen.

Hongkong ist noch immer das führende Finanzzentrum in Asien. Viele Firmen halten hier weiterhin ihre Stammsitze, auch wenn sie in China ihre Geschäfte tätigen. Die produzierende Industrie ist zwar verschwunden, doch der Dienstleistungssektor füllt diese Lücke langsam auf, auch wenn die ganz goldene Zeit für die Stadt wohl vorbei ist, doch sie bleibt immens wichtig. Sieht man sich an, welche Länder heute in der VR China investieren, macht der Anteil von Hongkong über 60% aus. Doch es handelt sich hier in der Regel nicht um chinesische Firmen, sondern um Kapital aus allen Ecken der Welt, welches zunächst aufgrund der eingespielten Netzwerke und der sicheren Rechtslage in Hongkong geparkt wird, um dann in der VR China angelegt zu werden.

Ich bin kein Einkaufsfreak, doch die Festlandschinesen besaßen in der Nathan Road ein riesiges Kaufhaus mit Waren, von denen die Menschen in Peking nur träumen konnten. Bei den niedrigen Preisen konnte auch ich nicht widerstehen. Ich kaufte Lederjacken, einen neuen Mantel, Hemden und so einiges mehr. Alles spottbillig und von hervorragender Qualität. Eine Jacke und den Mantel trage ich selbst heute noch.

Gegenüber von Hongkong liegt die frühere portugiesische Kolonie Macau, die seit 1557 zu Lissabon gehört und 1999 ebenfalls an China zurückgegeben wurde und seitdem auch eine eigenständige Selbstverwaltungsregion bildet. Mit einem Fährschiff konnte ich Macau innerhalb von 2 ½ Stunden erreichen. Kontrollen gab es nicht. Die Stadt besaß eine eigene Währung, den Macao Pataca. Der Umtauschkurs zum Hongkong Dollar betrug 1:1. Es konnte aber überall mit Hongkong Dollar bezahlt werden.

Die Stadt war lange nicht so hektisch wie die britische Kolonie und hier konnte man sich ganz in das alte China zurückversetzt fühlen, die vielen malerischen Häuser im klassischen Baustil, die engen Gassen, die kleinen Läden und Garküchen. Macau sah so aus, wie ich mir China immer vorgestellt hatte.

Auch der portugiesische Einfluss war an den Kirchen und den portugiesischen Straßennamen deutlich zu erkennen. Hier gab es auch die portugiesische Küche, die ich sehr schätze und ich gönnte mir ein ausgiebiges Mittagsessen, Kaninchen im Tontopf, Gemüsesuppe, dazu eine Karaffe Vinho Verde.

Die Chinesen sind fanatische Glücksspieler, doch in Hongkong ist dies untersagt, nicht aber in Macau, die Stadt finanziert sich zum größten Teil durch die Einnahmen der Casinos. Im Hafen schwamm ein dreistöckiges Casino in Gestalt einer gewaltigen Dschunke, in dem Hotel Lissabon, gleich am Hafeneingang, war das Casino Nr.1 untergebracht. Neben dem Roulette gab es noch Spielautomaten und zahlreihe andere Glücksspiele. Es war nett anzusehen, mit welchem Eifer und Ernst die Chinesen bei der Sache waren, ich selber interessiere mich nicht dafür.

Und dann war er leider endlich zu Ende, der Urlaub, und ich musste meine Reise abschließen und flog über Singapur zurück nach Hamburg. Der Flug startete noch von dem Kai Tak Flughafen, einem der schwierigsten der Welt, da er sich mitten in der Stadt befand und jeder Pilot eine Spezialausbildung benötigte, um dort zu landen oder zu starten. Seit 1998 hat die Stadt einen neuen Flughafen auf einer vorgelagerten Insel.

Übrigens Inseln. Vor der Stadt liegen über 200 davon, einige besuchte ich auch, beliebte Ausflugsziele für viele Chinesen. Aber nun war es gut. Auf Wiedersehen!


ehemaliger Autor K.

Dieter:

Auf der Rückfahrt hatten wir rechtsradikale Rocker in der S-Bahn und zwei Abteile von denen entfernt saßen zwei Vietnamesen, Fidschis von denen genannt. Wenn die denen was hätten tun wollen, dann hätten wir ihnen verbal helfen müssen.
Lieber Barbarossa, was gibt es denn bei Euch für Menschen :?: :?: :?: In Frankfurt/M. wäre eine solche Handlungsweise unmöglich. Auch den herben Charme, den die beiden von mir angesprochenen Einheimischen hatten, wäre bei uns nicht möglich. :evil: :twisted:

Ja, es gibt schon böse Menschen in der "DDR". Rechtsradikale Rocker haben wir in Hamburg aber auch.
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Karlheinz hat geschrieben:
Dieter:

Auf der Rückfahrt hatten wir rechtsradikale Rocker in der S-Bahn und zwei Abteile von denen entfernt saßen zwei Vietnamesen, Fidschis von denen genannt. Wenn die denen was hätten tun wollen, dann hätten wir ihnen verbal helfen müssen.
Lieber Barbarossa, was gibt es denn bei Euch für Menschen :?: :?: :?: In Frankfurt/M. wäre eine solche Handlungsweise unmöglich. Auch den herben Charme, den die beiden von mir angesprochenen Einheimischen hatten, wäre bei uns nicht möglich. :evil: :twisted:

Ja, es gibt schon böse Menschen in der "DDR". Rechtsradikale Rocker haben wir in Hamburg aber auch.
Lieber Karlheinz,
kenne die DDR durch meine Verwandtschaft im Osten und meinem Besuch in Sachsen-Anhalt schon etwas. So sind nicht die meisten Menschen. In Frankfurt/M. habe ich noch keine rechtsradikale Rocker gesehen. Bei den vielen Ausländern bei uns, hätten sie schon etwas aufs Maul bekommen. :wink: :mrgreen:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
ehemaliger Autor K.

Ich trampe über Land nach Australien
Teil I: Ich habe eine Idee

Frühsommer 1973


Die Schnapsidee, über Land nach Australien zu trampen, kam mir, als ich morgens betrunken auf einer harten Holzbank im Hamburger Stadtpark aufwachte, weil ich es nicht von meiner Stammkneipe in meine Einzimmerwohnung geschafft hatte.

Es handelte sich im wahrsten Sinne um eine Schnapsidee, denn ich hatte es am Abend zuvor einmal zur Abwechslung mit Apfelkorn versucht. Ein höllisches Getränk. Schmeckt hervorragend, man spürt den Alkohol gar nicht, ist aber unglaublich tückisch. Zuerst merkt man lange Zeit überhaupt nichts, aber wenn man dann aufsteht! Lieber nicht mehr daran denken.
Dabei hatte ich mir nur die Weisheit unseres verstorbenen Altbundeskanzler, Konrad Adenauer, zu Eigen gemacht:

„Was schert mich mein Geschwätz von gestern! Schließlich kann mich niemand daran hindern, jeden Tag klüger zu werden.“

Ich wollte klüger werden und hatte es statt mit Bier einmal mit Korn versucht. Keine gute Idee. Besser man bleibt dumm.

Ich hatte gar keine Ahnung, wie beschwerlich die Fahrt werden sollte. Schließlich warteten diverse Länder auf mich, Italien, Griechenland, Türkei, Iran, Afghanistan, Pakistan, Indien, Nepal, Burma, Thailand, Malaysia, Singapur, Indonesien und dann erst das Ziel meiner Träume, Australien. Es sollte ein halbes Jahr dauern, durch Wüste, Steppen, Hochgebirge und Urwald, Aufenthalte in quirligen Metropolen und verschlafenen Dörfern mit einer misstrauischen Bevölkerung, anstrengende Fahrten mit Bus, Eisenbahn, Schiffen, Autos und Flugzeugen, mal Hitze, mal Kälte. Aber immer der Reihe nach.

Ausschlaggebend für meinen Entschluss wurde ein Gespräch mit meinem alten Bekannten Markus, den ich am Tage zuvor nach längerer Zeit wieder einmal zufällig getroffen hatte.

Markus hatte zwar nicht unbedingt die tiefen Teller erfunden, auch vergaß er häufig beim Reden das Gehirn einzuschalten. Dafür war er aber eine sehr verlässliche Quelle, wenn man in Erfahrung bringen wollte, wie es um das gesunde Volksempfinden bestellt war, was also der berühmte Mann auf der Straße so dachte, meinte und wollte.

Wir saßen auf einer Bank vor der Jugendherberge bei den Hamburger Landungsbrücken. Sie liegt etwas erhöht an einem Hang und bietet den Vorteil, von dort einen schönen Ausblick auf den Hamburger Hafen zu genießen. Auf der Elbe trieb lautlos in der Dämmerung ein großes Handelsschiff aus Griechenland vorbei, voll beladen mit Containern. Ein sehr friedlicher, zum Meditieren geeigneter Anblick. Hoffentlich trieb auf dem Schiff kein cholerischer Kapitän sein Unwesen und tyrannisierte die Mannschaft. Beim Anblick des Hafens erfasste mich wieder die Reiselust. Ich fragte Markus:

„Sag einmal, hast du nicht auch Lust, dir die Welt anzugucken. Ich möchte überall hin, mir alles ansehen. Du kennst doch die Bremer Stadtmusikanten. Die sagten damals: Etwas Besseres als den Tod werden wir überall finden, und schon zogen sie los. Viellicht ist es ja woanders schöner als hier.“

Markus brummte nur: „Wieso Tod? Will dich jemand umbringen?“

„Nein, natürlich nicht. Das ist doch nur so ein Spruch. Aber die Leute sind hier im Moment alle ziemlich unfreundlich zu mir. Vielleicht passen denen meine langen Haare nicht oder meine Kleidung.“

„Das liegt dann wohl an dir selber. Ich habe damit keine Probleme. Aber ob das woanders besser ist? Das glaube ich nicht. Die Menschen müssen überall Essen, Trinken, Schlafen, brauchen ein Dach über dem Kopf. Viele haben das aber gar nicht. Les ich jedenfalls immer in der Zeitung. In Afrika krepieren sie wie die Fliegen. Also wie soll es ihnen dann besser gehen als hier, wo wir so was doch alles haben?“

„Ja, du hast sicher Recht. Aber trotzdem, ich möchte das alles selber sehen.“

„Von mir aus. Reisende Leute soll man nicht aufhalten. Und wo willst du hin?“

„Ich weiß noch nicht so genau. Ich möchte meinen Bruder in Australien besuchen, der lebt in Sydney. Also quer durch Asien. Zunächst nach Indien und dann immer weiter nach Osten.“

Markus grinste mich an:

„Kommst du auch nach Thailand? Da soll es doch so scharfe Mädels geben. Dann komm ich mit dir.“

„Denkst du eigentlich nur an Bumsen?“

„Nicht immer, aber meistens. Übrigens, die Menschen müssen nicht nur Essen, sondern auch Vögeln. Und das machen die da wohl reichlich. Woher kommen denn sonst die vielen Kinder? Nichts zu beißen, aber bumsen den ganzen Tag. Und wir sollen diese vielen Gören auch noch bezahlen mit der Entwicklungshilfe. Die haben ihren Spaß und wir zahlen dann dafür. Das ist doch eine Scheißwelt.“

Langsam kam Markus auf Touren. Zeit einzugreifen.

„Du solltest in die Politik gehen, die brauchen so kluge Leute wie dich. Übrigens, in Thailand gibt es aber ziemlich üble Geschlechtskrankheiten.“

Markus drehte jetzt voll auf.

„Na und ob. Ein Kumpel von mir ist Seemann, der hat sich dort einen heftigen Tripper geholt. Der zieht dir die Harnröhre zu und die fängt furchtbar an zu jucken. Das Pissen tut wahnsinnig weh und morgens läuft dir Eiter aus dem Schwanz. Bonjourtropfen nennen das die Franzosen, die haben so was wohl dauernd. Nee, das ist nicht lustig, Alter. Das ist überhaupt nicht lustig.“

„Siehst du, das ist schon mal ein guter Grund, nicht in den Puff zu gehen.“

Markus schien unschlüssig:

„Muss ja nicht immer passieren. Außerdem gibt es gute Medikamente. Hat er jedenfalls mir erzählt. Wenn du krank bist, hörst du eben für ein paar Tage auf mit dem Pimpern. Danach kannst du wieder weitermachen.“

Die Unterhaltung wurde mir langsam zu blöd. Also schwieg ich lieber, bis er mich fragte:

„Was soll der Spaß denn kosten?“

„Ich weiß nicht genau. 4.000 DM oder 5.000 DM. Irgendetwas in der Größe.“

„Und? Hast du soviel Zaster?“

„Nun, Nullen hab ich genug. Was fehlt, ist die Ziffer am Anfang.“

„Das habe ich mir schon gedacht. Dann wird das wohl nichts.“

„Oh, doch. Mein Bruder hat es ja auch geschafft. Von Sydney über Land nach Europa, dann mit dem Flugzeug in die USA und von dort wieder zurück nach Sydney.“

„Australien ist doch eine Insel. Willst du den Rest schwimmen?“

„Natürlich nicht. Das letzte Stück werde ich fliegen. Vielleicht von Singapur. Oder von Bali oder Timor nach Darwin im Norden von Australien.“

„Und all die anderen Länder? Willst du da zu Fuß durch?“

„Ach was. Es gibt überall Busse, Eisenbahn. Irgendwie kommt man weiter. Haben andere schließlich auch geschafft. Mein Bruder hatte ein Motorrad. Ich will es aber ohne machen. Muss funktionieren, muss einfach. Du musst halt Zeit haben, darfst keine Ansprüche stellen. Billig ist es dort, viel billiger als hier. Das klappt schon, das kann ich dir versichern.“

Das Gespräch hatte mich ermutigt, die Reise tatsächlich anzutreten. Anschließend erzählte ich meinen plötzlichen Einfall Freunden von mir und in einem Lokal am Hamburger Hafen kam es daraufhin zu einem fürchterlichen Besäufnis. Alle wetteten darauf, dass ich diese Reise niemals machen würde.

Am nächsten Morgen wachte ich dann im Stadtpark auf. Und eines war sicher: Jetzt musste ich mein großmäuliges Versprechen auch einlösen. Also los! Packen und abfahren!

history-darling102
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Wunderschöne Reiseberichte lieber Karlheinz, du bist viel herumgekommen und hast viel erlebt. Respekt
ehemaliger Autor K.

history-darling102 hat geschrieben:Wunderschöne Reiseberichte lieber Karlheinz, du bist viel herumgekommen und hast viel erlebt. Respekt
Danke für das Feedback. Wie ich sehe, bist du neu. Vielleicht hast du ja auch interessante Dinge erlebt?
ehemaliger Autor K.

Ich trampe über Land nach Australien
Teil II: Es geht los. Von Hamburg nach München

Wenn jemand eine Reise macht, dann gibt es anschließend viel zu erzählen, doch bevor es losgeht, müssen zahlreiche Vorbereitungen getroffen werden.

Zuerst kündigte ich meinen öden Job, zu dem ich schon lange keine Lust mehr hatte. Anschließend meldete ich mich krank. Da ich einen guten Doc Holiday hatte, gab es keine Schwierigkeiten. Ich erzählte ihm etwas von Kopfschmerzen, ständiges Unwohlsein und blah, blah. Das genügte vollauf für eine lange Auszeit.

Die Wohnung würde zwischenzeitlich ein Freund übernehmen und weiter die Miete zahlen. Okay. Ich kratzte alle Ersparnisse zusammen und kam auf immerhin etwas über 6.000,- DM. Gar nicht so schlecht. Wie lange würde ich davon leben können? Ich hatte keine Vorstellung. In Asien war es spottbillig, aber wie billig wirklich? Nun, das würde man sehen.

Dann: Impfungen! Waren zwingend vorgeschrieben für diverse Länder. Also: Cholera, Pocken zur Auffrischung, Gelbfieber, Typhus. Das reichte erst einmal. Gegen Malaria gab es nur Prophylaxe, Tabletten, Resochin, aber keinen Impfstoff. Glücklicherweise kosteten diese Impfungen in dem Tropeninstitut nicht viel Geld und waren gut verträglich.

Für die meisten Länder benötige ich kein Visum und wenn doch, war es an der jeweiligen Grenze problemlos zu bekommen. Nur ausgerechnet Australien machte Zicken. Ein Visum gab es nur gegen Vorlage eines Rückflugtickets. Auf diese Weise wurde sichergestellt, dass niemand illegal einwanderte. Was tun? Ein Nachbar gab mir einen Tipp: Der Kauf eines offenen Tickets war die Lösung. Man lässt sich von einer renommierten Fluggesellschaft, die in dem Einreiseland auch vertreten ist, ein offenes Ticket ausstellen, nur mit einem Geldbetrag versehen, also eine Art Gutschein. Den Abflugort und das endgültige Ziel konnten dann nachgetragen werden. Die Australier akzeptierten dies, aber der Betrag musste mindestens 1.500,- DM betragen! Das war ein Haufen Geld, Junge, Junge, aber wohl oder übel musste ich den Betrag herausrücken.

Der Rest war kein Problem: Rucksack, Schlafsack, Kleidung usw., hygienische Artikel, Reisewecker, kleine Apotheke, Nähzeug, die üblichen Sachen halt, ganz easy. Je weniger, desto besser, das Gepäck musste schön leicht sein. Viel benötigt der Reisende meistens gar nicht, weniger ist oft mehr. Man muss nur die richtigen Sachen mitnehmen, nützlich und nicht belastend. Wertsachen wie Schecks, Bargeld, Pass, Ticket etc. verteilt man am besten am ganzen Körper, im Brustbeutel, Geldgürtel, eingenähte Geheimtaschen in der Kleidung. Bei einem Überfall erwischen sie dann nie alles, sondern immer nur einige wichtige Reiseutensilien, was allerdings ärgerlich genug ist.

Das Geld tauschte man damals am besten in Reiseschecks um, die bei Verlust ersetzt wurden, ein Teil davon in Dollars, den Rest in DM. So, das war es schon. Drei Wochen dauerten die Vorbereitungen, die längste Zeit benötigte das Visum für Australien.

Ein Freund von mir, Erwin, hatte sich einen uralten Mercedes gekauft für 500, DM, wollte nach Ludwigshafen und war bereit, mich bis Frankfurt mitzunehmen. An einem Montag ging es am Nachmittag los, ganz ohne Abschiedsfeier, ohne Tränen, ganz profan. Das ich erst in einem halben Jahr zurückkommen würde, war mir in diesem Moment noch gar nicht bewusst.

Wir fuhren auf der Autobahn Richtung Süden. Hinter Hannover fing es an zu regnen, obwohl Juni, war es ziemlich kalt. Die berüchtigte Schafskälte hatte eingesetzt. Ich freute mich schon auf die südlichen Gefilde in Europa, ich liebte Wärme und hasste Kälte.

Erwin fragte mich:

„Markus, dieser Flachkopf, erzählt mir schon seit Tagen, dass du nach Australien willst. Aber zuerst geht es nach Indien, nicht wahr? Bist du jetzt auch auf so einem Selbstfindungstrip, mit diesen indischen Philosophen, diesen Gurus, oder wie die heißen?“

„Blödsinn! Gurus sind keine Philosophen, sondern nur Geschäftemacher. Die fahren in einem dicken Rolls Royce durch die Gegend und klopfen sinnlose Sprüche. Dem Philosoph ist nichts zu doof, was? Nee, die wissen nur, wie man bekloppten Westlern das Geld aus der Tasche zieht, mehr nicht.“

„Nun, das hätte ich mir von dir auch nicht vorstellen können. Aber liest du Hermann Hesse oder Kipling? Das machen doch die Indienfahrer.“

„Nein, Hermann Hesse finde ich langweilig, kann ich nicht viel mit anfangen. Und Kipling ist rassistische Scheiße.“

„So, ist er das? Auch das Dschungelbuch? Ist das auch Rassismus?“

„Nein, ich habe auch den Film von Disney gesehen. Ganz nett, diese Geschichte mit Mowgli . Aber was er sonst schreibt, ist Bockmist. Weiße Herrenrasse und so. Hör bloß auf mit dem Quatsch.“

Wir näherten uns Frankfurt und er ließ mich am Hauptbahnhof heraus. Inzwischen war es fast Mitternacht und ich beschloss, frühmorgens mit dem Zug nach München weiter zu fahren. Vorher musste ich mir noch die Nacht um die Ohren schlagen.

In dem Bahnhof trieb sich der Bodensatz der Mainmetropole herum, Strichjungen, Besoffene, Süchtige, keine feine Gesellschaft. Und gleich in der Nähe der Bahnstation lag das Rotlichtviertel mit der Kaiserstraße, Stripteaselokale, Sexshops, Prostituierten, Drogisten, Pusher, auch nicht gerade toll. Ich war froh, als ich in der Frühe einen Zug nach München besteigen konnte.

Ich kannte die bayerische Hauptstadt schon von früher her und fühlte mich dort immer unheimlich wohl. Die Stadt besaß ein angenehmes Flair und auch die Menschen gefielen mir. Münchener und Bayern sind ein großer Unterschied, in der Metropole wohnte eine kosmopolitische, ziemlich weltoffene Bevölkerung, mit der ich gut zu Recht kam.

Beim Verlassen des modernen Bahnhofs sah ich ein großes Schild mit der Aufschrift: „Vorsicht Tram!“ Ich überlegte, was das wohl sein konnte, aber dann ruckelte sie heran. Natürlich, die Straßenbahn, die Tram war kein Monster oder dergleichen.

Vom Bahnhof ging es dann durch die Fußgängerzone mit den vielen Straßenmusikanten, Akrobaten und Urbayern, die sich in ihrer Kluft den Touristen zur Schau stellten. Hier war immer was los. Weiter entlang an der Frauenkirche und hin zum Neuen Rathaus mit dem viertgrößten Glockenspiel Europas (43 Glocken), die um 11 Uhr, 12 Uhr und im Sommer auch um 17 Uhr anfangen zu dröhnen und dann sieht man hoch oben Figuren aus einer Tür herauslaufen, welche die Hochzeit im Jahre 1562 von Herzog Wilhelm V. mit Renate von Lothringen nachspielen. Das Paar erscheint, ein Hofmarschall und 16 weitere Figuren. Was für eine Gaudi, gell! Ein Spaß für die Touristen, wenn einem so etwas gefallen sollte. Mich interessierte das aber nicht die Bohne.

Mein erstes Ziel war zunächst der Odeonsplatz mit der Feldherrnhalle, denn dahinter liegt das berühmte Schwabing.
Die imposante Feldherrnhalle ist eine hohe Halle, die von drei Rundbögen begrenzt wird. In ihr befinden sich drei Statuen, eine von Graf Tilly, die mittlere stellte siegreiche Soldaten der bayerischen Armee dar, die andere Fürst Wrede. Ich kannte nur Tilly (1559-1632), den berüchtigten Heerführer der Katholischen Liga im Dreißigjährigen Krieg, der 1631 Magdeburg plattgemacht hatte. Vorher lebten dort 35.000 Menschen, danach zählte man nur noch 449! Ganze Arbeit, mein Lieber! Und solche Leute bekommen ein Denkmal! Vor der Feldherrnhalle brach 1923 der dilettantische Putsch von Adolf Hitler gegen die Weimarer Republik zusammen. Ihm hat man aber kein Denkmal gesetzt.

Vom Odeonsplatz geht es dann die Ludwigstraße weiter bis zum Siegestor, welches ein wenig dem Arc de Triomphe in Paris gleicht, nur etwas kleiner ist. Es soll an die Befreiungskriege gegen Napoleon 1815 erinnern. (Baubeginn 1840). Auf dem Siegestor sieht man stadtauswärtsblickend eine Bronzeskulptur der Bavaria mit vier Löwen. Und dahinter beginnt dann endlich die lange Leopoldstraße, das eigentliche Schwabing mit zahlreichen Cafés und Kneipen.
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Barbarossa
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dieter hat geschrieben:...
Lieber Barbarossa, was gibt es denn bei Euch für Menschen :?: :?: :?: In Frankfurt/M. wäre eine solche Handlungsweise unmöglich. Auch den herben Charme, den die beiden von mir angesprochenen Einheimischen hatten, wäre bei uns nicht möglich. :evil: :twisted:
Ja also von übertiebener Höflichkeit halten wir hier nichts. Das dürfte das sein, was Norvegia schon des öfteren ansprach - da die DDR nunmal der "Arbeiter- und Bauern-Staat" war, hat sich ein entsprechender Jargon eingebürgert.
:wink:

Oder anderer Erklärungsversuch: Die "Berliner Schnauze" ist ja viel älter, als die DDR, ist aber berühmt dafür, etwas rustikal zu sein. Brandenburger sind da nicht so viel anders, allerdings glaube ich, das die Berliner die "größere Klappe" haben.
:wink:

Such dir was aus, Dieter.
:mrgreen:


Kurz und gut: Ist hier eben so.
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dieter
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Barbarossa hat geschrieben:
dieter hat geschrieben:...
Lieber Barbarossa, was gibt es denn bei Euch für Menschen :?: :?: :?: In Frankfurt/M. wäre eine solche Handlungsweise unmöglich. Auch den herben Charme, den die beiden von mir angesprochenen Einheimischen hatten, wäre bei uns nicht möglich. :evil: :twisted:
Ja also von übertiebener Höflichkeit halten wir hier nichts. Das dürfte das sein, was Norvegia schon des öfteren ansprach - da die DDR nunmal der "Arbeiter- und Bauern-Staat" war, hat sich ein entsprechender Jargon eingebürgert.
:wink:

Oder anderer Erklärungsversuch: Die "Berliner Schnauze" ist ja viel älter, als die DDR, ist aber berühmt dafür, etwas rustikal zu sein. Brandenburger sind da nicht so viel anders, allerdings glaube ich, das die Berliner die "größere Klappe" haben.
:wink:

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Lieber Barbarossa,
dann müßt Ihr noch viel unternehmen, um mitteleuropäische Standarts zu erreichen. :wink: Ich suche mir nichts aus, habe keine Lust mich anpflaumen zu lassen. Zweimal Berlin und zweimal Potsdam reichen mir. Erwarte keine "übertriebene Höflichkeit" sondern nur normales Benehmen. Nicht mit einer Rakete durch die Kinderstube gerast sein. :wink: :mrgreen: (Vorsicht, Ironie)
Übrigends, habe Verwandte in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, die sind anders. Waren es auch zu DDR-Zeiten bei meinem Besuch dort. :wink:
Ist schon schlimm, dass man bei Euren Rechtsradikalen aufpassen muß, dass sie nicht einen Ausländer zusammen schlagen. :evil: :twisted: In Frankfurt/M. wäre das alles unmöglich. :oops:
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Ich trampe über Land nach Australien
Teil III: In München und dann weiter


Die Leopoldstraße in Schwabing ist ätzend lang, aber es gibt eine Menge zu sehen, viele Kneipen, Cafés und zahlreiche hochinteressante, teils ausgeflippte Personen, auffallend schrill gekleidet, es ging vor allem darum, die Blicke auf sich zu ziehen und allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen. Schwabing war lange Zeit ein Viertel für Künstler gewesen oder zumindest für diejenigen, die sich dafür hielten, eine Münchener Bohème, außerdem Wohnort für Studenten, Treffpunkt von Hippies, Gammlern, Außenseitern der Gesellschaft.

Vor dem zweiten Weltkrieg hatten tatsächlich zahlreiche Größen aus Literatur und Malerei hier gelebt, doch nach 1945 gab es nicht mehr so viele bedeutsame Personen in dem Stadtteil wie früher.


Dann, Ende der sechziger Jahre, begann dieses Viertel immer mehr zum Zentrum einer neuen Gesellschaftsschicht zu werden, die allgemein als Schickeria bezeichnet wird. Angezogen von dem lockeren Lebensstil in Schwabing, zogen immer mehr Leute mit Geld in dieses Viertel, Menschen, die weniger etwas von der Kunst an sich, dafür aber umso mehr von der Kunst des Geldmachens verstanden. Die Lokale wurden schicker, teurer und waren nicht mehr für alle da, Türsteher mit einem Riecher für Geld selektierten das Publikum nach Einkommen und schlossen weniger betuchte von vornherein aus. Die Immobilienpreise und Mieten explodierten, nirgendwo ist es so teuer wie in München, eine Stadt, die lange Zeit als heimliche Hauptstadt von Deutschland galt und die ihren Einwohnern nicht nur lieb, sondern vor allem auch teuer ist. In den achtziger Jahren hat die Spider Murphy Gang ein Lied über die Schickeria geschrieben, von dem ich hier die erste Strophe wiedergebe:

Ja in Schwabing gibt's a Kneipen
Die muss ganz was besondres sein
Da lassens solche Leit
Wie di und mi erst gar net nei
In d'Schickeria, in d'Schickeria
Jeder spielt'n Superstar
Und sauft en Champus an der Bar
In der Schickeria


Dieses Lied repräsentiert gut den neuen Zeitgeist, der in Schwabing bis heute dominiert. Doch 1973 befand sich dieser Prozess, auf neuhochdeutsch Gentrifizierung genannt, erst am Anfang und war noch lange nicht vollendet. Es wehte hier noch etwas von dem Wind des Aufruhrs, der sich 1964 zum ersten Mal in der Bundesrepublik in den „Schwabinger Krawallen“ zeigte, ein tagelanger Protest junger Leute gegen veraltete Politstrukturen und gegen die „Wirtschaftswunderhaie“ der sechziger Jahre, ein Aufruhr, der dann 1968 überall in Europa aufflammte.

Von der Leopoldstraße aus zweigte ich östlich ab und ging in den englischen Garten, eine große Parkanlage in Schwabing. Hier steht ein chinesischer Turm, beliebter Treffpunkt für Biertrinker und es gibt den Monopteros, ein offener Rundbau mit Säulen, der aussieht wie ein griechischer Tempel. Hier lagerten ständig viele Gammler und Hippies herum, echte oder nur Freizeithippies, die sich so am Wochenende verkleideten. Junge Leute spielten Gitarre und tanzten, es wurde Rotwein getrunken oder Haschisch geraucht, die Atmosphäre war angenehm und entspannt. Viele schliefen hier nachts in ihren Schlafsäcken, aber dazu hatte ich keine Lust. Das war mir zu unruhig und außerdem kontrollierte die Polizei auch ständig in der Nacht die Ausweise, weil man nach jugendlichen Ausreißern suchte, die aus Heimen getürmt waren.

Einige Jugendliche versuchten Geld zu verdienen, in dem sie kleine Kunststücke aufführten, mit Bällen jonglierten oder die Flexibilität des menschlichen Körpers durch akrobatische Verrenkungen demonstrierten. Einer hatte einen netten Trick auf Lager. Er zeigte mir seine rechte Hand, in der 50 Pfennige lagen und fragte mich:

„Weißt du, wie man daraus jetzt eine Mark machen kann? Ganz einfach, in dem du mir jetzt noch ein fünfzig Pfennigstück gibst!“

Ja, netter Versuch, aber kein Interesse.

Glücklicherweise hatten die Semesterferien begonnen und viele Studenten hatten die Stadt verlassen, deshalb konnte ich in einem Studentenheim ein Zimmer bekommen für 6,- DM pro Nacht, ein außerordentlich günstiger Preis.

Die nächsten Tage stromerte ich in der bayerischen Metropole herum, besuchte Museen und andere Sehenswürdigkeiten, vor allem aber genoss ich das Leben und Treiben in München und am besten lernt man die Menschen in den vielen Bierkellern kennen. Für die steifen Hanseaten ist dies immer ein Erlebnis. In Hamburg setzen sich die Gäste möglichst weit von einander entfernt an die Tische, niemand käme auf die Idee, einen wildfremden Menschen anzusprechen. In München allerdings setzen sich die Leute dorthin, wo schon andere sitzen und mit Fremden kommen sie sofort ins Gespräch, ja, sie suchen dieses sogar, eine Verhaltensweise, die in Hamburg undenkbar ist, die als ausgesprochen ungehörig gilt. Der Hamburger ist stock und steif und versucht, Kontakte zu vermeiden.

Natürlich fiel mein Dialekt sofort auf und man verdächtigte mich, womöglich ein Preuße zu sein. Normalerweise ist das aber eigentlich nicht so schlimm, auch wenn man in einem solchen Fall natürlich kein richtiger „Mannskerl“ ist, das ist klar. Auch der Hinweis, das Hamburg niemals zu Preußen gehört hat, bringt in der Regel nichts, denn für die Bayern sind alle Personen, die im Norden außerhalb des Weißwurstäquators leben, das ist die Grenze, die Bayern von Deutschland trennt, automatisch Preußen, ihre geographischen Kenntnisse sind vergleichsweise bescheiden, aber so ist es nun einmal im Land der Bajuwaren. Normalerweise meinen sie es aber nicht so ernst.

Nicht weit von der Feldherrnhalle liegt das berühmte Hofbräuhaus, ständig überfüllt, vor allem mit Touristen, aber doch ein Platz zum Wohlfühlen. Beim ersten Besuch saß ich dicht gedrängt auf einer langen Holzbank an einem eben so langen Holztisch, reichlich ungemütlich, aber interessant. Neben mir und gegenüber saßen Besucher aus allen möglichen Ländern, Amerikaner, Schweden, Italiener und sogar ein Bayer. Fast keiner verstand den anderen, alle redeten mit Händen und Füßen, aber dennoch konnten wir uns stundenlang großartig unterhalten. Die Frauen in ihrem Dirndl schleppten pausenlos die Maßkrüge herbei, schleppten zehn auf einmal, eine tolle Leistung. Das Bier ist ziemlich schwach, schmeckt aber süffig und verlangt nach mehr. Klar, so soll es auch sein. Aber irgendwann steigt es doch in den Kopf.

En amerikanisches Ehepaar setzte sich später zu mir und sie erzählten etwas von einer Europareise. Auch ihre geographischen Kenntnisse waren eher gering, wollten sie doch wissen, ob es vom Hofbräuhaus noch weit bis zur Akropolis ist. Na ja, ein paar Kilometer sind es halt noch. Auch andere Fragen kamen mir merkwürdig vor, z.B. ob wir in Hamburg Strom haben und das Wasser aus der Leitung kommt. Nun, so unzivilisiert sind wir ja nun auch nicht mehr.

In den nächsten Tagen lernte ich verschiedene Leute kennen und verbrachte eine tolle Zeit. Ich fühlte mich in dieser Stadt unheimlich wohl, doch zu meinem Schrecken bemerkte ich, dass ich mich jetzt schon drei Wochen hier aufhielt! So ging es nicht weiter, ich wollte doch nach Australien! Bis jetzt hatte ich nur 800 km zurückgelegt, ein Bruchteil der Strecke, die noch vor mir lag. So ging es jetzt wirklich nicht weiter. Also ab über die Alpen nach Italien!


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Barbarossa
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dieter hat geschrieben: Lieber Barbarossa,
dann müßt Ihr noch viel unternehmen, um mitteleuropäische Standarts zu erreichen. :wink: Ich suche mir nichts aus, habe keine Lust mich anpflaumen zu lassen. Zweimal Berlin und zweimal Potsdam reichen mir. Erwarte keine "übertriebene Höflichkeit" sondern nur normales Benehmen. Nicht mit einer Rakete durch die Kinderstube gerast sein. :wink: :mrgreen: (Vorsicht, Ironie)
Übrigends, habe Verwandte in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, die sind anders. Waren es auch zu DDR-Zeiten bei meinem Besuch dort. :wink:
Ist schon schlimm, dass man bei Euren Rechtsradikalen aufpassen muß, dass sie nicht einen Ausländer zusammen schlagen. :evil: :twisted: In Frankfurt/M. wäre das alles unmöglich. :oops:
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Vielleicht hattest du aber auch gerade Pech, auf ein paar besonders seltsame Exemplare gestoßen zu sein. Auch hier gilt:
Es gibt solche und solche.
Allerdings, das mit der "Berliner Schnauze", da ist schon was dran.
Und Rechtsradikale, die gibts ja überall. Die sind vor allem dann gefährlich, wenn sie im "Rudel" auftreten und unter Alkoholeinfluss stehen. :wink:
Die Diskussion ist eröffnet!

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