Karlheinz: Der deutsche Nationalismus war anders als in Frankreich nicht das Kind der Aufklärung, sondern entwickelte sich im Gegensatz zu ihr als Kind der Romantik.
Im Gegensatz denke ich, das die Romantik wurde ein Kunst-bzw. Ideen-Strömung, durch die die entstehende Nation sich manifestierte und verstärkte. Ich denke, es kann hier nicht Ursache (Romantik) ->Wirkung (Nationalgefühl) als eine in eine Richtung gerichtete kausale Kette angesehen werden. Es wurde eine
gegenseitig sich bestärkenden rückkoppelnden Wirkungen, in denen das beginnende Nationalgefühl, Gefühl der Gemeinsamkeit, sich in Romantik niederschlug, deren Veröffentlichungen den Nerv der Gesellschaft trafen und das Nationalgefühl verstärkten. Es wiederum in der Romantisierung, teilweise Erfindung der nationalen Geschichte und Symbolen sich spiegelte.
Diese Ansicht (sich rückkoppelnd verstärkenden Wirkungen) wird unterstützt durch die Verbreitung der Romantik in Europa, die auch zeitlich „gerahmt“ ist. Die Mittelschicht suchte nach ihrer Identifikation. Zu der gehörten Künstler, Denker und Bourgeoise, die verkehrten und einander beeinflussten. Die wachsende Mittelschicht seinerseits bedeutet angehende Wirtschaft, die später durch industrielle Revolution ihre wirkliche Macht entfaltet.
Sie entdeckte die Volksgemeinschaft als Kriterium der Nationalität. In ihr wird man hineingeboren, als Glied eines durch Abstammung miteinander verbundenen Volkskörpers. Man kann ihr nicht beitreten, da nur die Blutsverwandtschaft entscheidend ist.
Aus E. Hobsbawm „Nationen und Nationalismus“:
Eine höchst aufschlussreiche Erörterung dieses Verwirrspieles stammt aus Deutschland des 18. Jhd.. Für die Enzyklopädisten Johann Heinrich Zedler bedeutet 1740 die Nation in ihrem „eigentlichem und ersten“ Sinn:
„eine vereinigte Anzahl von Bürger, die einerley Gewohnheiten, Sitten und Gesetze haben... Daraus folget, daß gewisser, großer oder kleiner Bezirk...eigentlich nicht den Unterschied der Nationen ausmache, sondern daß dieser Unterschied einzig und allein auf Verschiedenheit der Lebens-Art und Gebräuche beruhe, folglich in einer oftmals kleinen Provintz Leute von unterschiedlichen Nationen bey einander wohnen können. Schwerlich wird sich z. E. jemand zu behaupten unterstehen, daß die Wenden, ob sie gleich annoch, und zwar fast mitten in Deutschland, in einem schmalen Strich Landes wohnen, auch auf allen Seiten Deutsche Nachbarn haben, zur Deutschen Nation gehören, welches aber notwendig folgen würde, wenn der Unterschied der nationen nach den Provintzen sollte beurteilet werden (Zedler, 1732). Für Zedler müßten „verschiedenen Nationen, die in einem Bezircke wohnen,...eigentlich ein Volck (heißen)“.
Es ist eigentlich ganz anderes als von dir Karlheinz vorgeführte Bedeutung des Nation bzw. Volkes. Es wird nicht auf die Abstammung der Akzent gesetzt. Es sind Gewohnheiten, Sitten und Gesetze. Allgemein jedoch hat ein Sprachgebrauch „das Wort Nation auch im Sinne von Volk verwendet, manchmal als Synonym für einen gesellschaftlichen „Stand“ (ordo) oder für eine „Gesellschaft“ (sozietas).“
Peppone: Das hatte aber mit Nationalismus nix zu tun, schließlich zählten da auch die Böhmen ganz zwanglos dazu! Außerdem gab´s an den Unis, wo die "Nationes" überhaupt erst entstanden sind, viele "Nationen", die man heut nicht im Traum so sehen würde:
(Auszug aus Wiki):
"An der Pariser Universität wurden die nationes gallicorum, normannorum, picardorum und anglicorum unterschieden, wobei zur „gallischen“ auch die Italiener, Spanier, Griechen und Orientalen zählten und zur „englischen“ auch die Deutschen und ihre nördlichen und östlichen Nachbarvölker. An der Prager Universität gehörten zur „polnischen“ Nation neben den Studenten aus dem Königreich Polen auch die Studenten der östlichen Reichsteile, zur „böhmischen“ auch Ungarn und Südslawen, zur „bayerischen“ außer den Bayern die Schwaben, Franken, Hessen, Rheinländer und Westfalen sowie zur „sächsischen“ die Norddeutschen, Dänen, Schweden und Finnen."
Nation als
Herkunft oder Abstammung (altfranzösisches Wörtebuch) „Je fus retourne au pays de ma nation en la conte de Haynnau“(Man schickte mich zurück in das Land ,einer Geburt/Herkunft in der Grafschaft Hennegau).
Nation als Synonym für „
Fremder“. Größere, abgeschlossene Gruppen, wie Zünfte oder ähnliche Korporationen, die von anderen, neben denen sie bestehen, unterscheiden müssen: In Spanien die „Nationen“ ausländischer Kaufleute oder auch von Beppe beschriebene „Nationen“ in Universitäten. Wobei hier in der Herkunft (der als Ort bzw. Territorium verstanden wird) Akzent auf die
Fremdschaft zur Einheimischen gegeben wird. (Quelle: Hobsbawm, Nationen und Nationalismus)
Alle die Bedeutungen offenbar noch weit von moderner Bedeutung entfernt. Diese Bedeutung entstand erst, wenn man begrifflich eine Eigenartigkeit der politischen Entwicklung fassen wollte, die erst mit der Ende der Aufklärungsepoche (erst mit der Nordamerikanischen und Französischen Revolutionen) sich äußerte. Dafür nahm man ein schon bekannten Begriff und verwendete ihn ausschließlich für dieses Phänomen, der schwer wörtlich zu definieren ist. Übrigens zweifele ich, dass die Bezeichnung von Stalin wirklich von ihm stand. Er war kein Theoretiker. Wenn, dann hat es von einem unbekannten Theoretiker vereinnahmt, den dann in Gulag umgebracht wurde.
Barbarossa: Schließlich bezeichnete sich das alte Reich ja bereits seit 1474 selbst als "...Deutsche Nation".
Harald: Für meine Begriffe ist der entscheidende Moment für die Entstehung der deutschen Nation die Schlacht auf dem Lechfeld 955...
Da dieser Phänomen der Nation und Nationalstaaten war bis dahin nicht präsent, kann man zwar Wurzeln sehen, die zur späteren Nationen führten, nicht aber die Nationalstaaten und Nationen in der Zeit suchen. Übrigens zu aller Verwirrung hatte ich zuletzt auch in einer Dokumentation gehört, wie mittelalterliche Staatsgebilde als Nationalstaaten bezeichnet wurden. Es muss wirklich so sein, dass die „Demokratisierung“ der Medien eine Verwirrung für der Leien sorgt. Das beobachte ich auch in populär-natuwissenschaftlichen Veröffentlichungen.
Die Zusammengehörigkeit der Menschen muss s. z. aus innen heraus ausgehen, nicht von gegebenen Umstand der schon vorhandenen Hierarchie, in die man hineingeboren wird. Auch dort war eine Zusammengehörigkeit, aber eben
anderer Qualität. Daher finde ich die Akzentuierung der Rolle der Romantik sehr wichtig in der Entstehung einer Nation. Dort wird Legenden und Symbolen beschrieben, die für Nation eine Art Referenz bilden. So ist nicht irgendwelche vorh. Macht zum „Klebestoff“ der Nation. Es sind die Ideen, die Vorstellungen, die das unsichtbares „dunkle Materie“, die Nation zusammenzieht. Es gab in feudalem System nicht Vergleichbares.
------------
Ach ja, noch ein Zitat aus Karlheinz ersten Beitrag:
“Ich will den Hass gegen die Franzosen, nicht bloß für diesen Krieg, ich will ihn für immer...(E.N. Arndt, 1813)“
Ich möchte diesem einseitigen Bild, das oft beschrieben wird (auch in
http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... =64&t=4958) etwas zufügen. Ich meine, dass die Gegebenheiten in Deutschland waren nicht so homogen.
Quelle: Walter Grab. Die Französische Revolution. Die Ausstrahlung der Revolution nach Deutschland, 1989.
Unter den etwa siebentausend Wissenschaftlern, Künstlern. Schriftstellern und und Journalisten, die im deutschsprachigen Raum publizierten, gab es drei Reaktionsmöglichkeiten auf die revolutionäre Herausforderung, Sie äußerten sich in drei politisch-geistigen Strömungen:
-gegenrevolutionär-konservative,
-konstitutionell-gemäßigte, die Reformen von oben postulierte und
-radikal demokratisch-jakobinische, die zum aktiven Handeln und zum Bündnis mit den Volksmassen aufrief
Übrigens schrieb Schiller noch nach den Pariser Massakern von September 1792, dem Vorstoß der Revolutionsarmee ins Rheinland und der Errichtung des Mainzer Jakobinerclubs an seinen Freund Körner, dass er den Französen einen „glücklichen Erfolg ihres Kriegs“ wünsche und seinen Jenaer Lehrstuhl aufgeben wolle, um nach Frankreich übersiedeln. Nur später begann er zu zweifeln.
Das Auftreten von radikalen Jakobinern bedeutete, dass der revolutionäre Brand Frankreichs auf Deutschland überzugreifen begann. Die Herrscher trafen daher Vorkehrungen, um Unruheherd im eigenen Machtbereich auszulöschen. Es wurden Zensurbestimmungen verschärft und durch Verbot ihrer Schriften der Existenzgrundlage beraubt. Spitzelwesen in den meistens Reichstädten und Fürstentümern zwangen viele Jakobiner zu emigrieren. Daher bildete sich in 1791-92 zwei Zentren demokratischer Agitation in Territorien, die dem Zugriff deutscher Potentaten entzogen waren: Staßburg und Altone in Holstein, das zu Dänemark gehörte (neben Hamburg)
Unter den etwa hundert deutschen Demokraten, die nach Elsaß auswanderten, befanden sich zahlreiche katholische Geistliche, die den Obskuranismus und die Orthodoxie der Kirche bekämpften und sich die Vernunftprinzipien der Aufklärung zu eigen gemacht hatten. Zentralfiguren in Starßburg waren Eulogius Schneider und Staatstheoretiker Karl Clauer, in Hamburg – Journalist und Schriftsteller Friedrich Wilhelm von Schütz. Nach der Besetzung von Mainz schuffen dortige Demokraten einen Jakobinerclub, zu dessen wichtigsten Mitgliedern gehörten Universitätsproffessoren Metthias Metternich, Andreas Hoffmann, Georg Wedekind und Felix Blau, Kulturphilosoph und Schriftsteller Georg Foster.
Einer der wichtigsten Gründe für die Erfolglossigkeit und Enttäuschung der deutschen Jakobiner wurzelte in der Wandlung der Kriegszielpolitik der französischen Revolutionäre.
Die meisten deutschen Jakobinischen Kosmopoliten, die ins Land der Freiheit geflohen waren, wurden während Jakobinnerherrschaft in Frankreich verhaftet, weil man sie als Ausländer Spionage verdächtigt hat. Einige, darunter Eulogius Schneider, wurden hingerichtet.
-----
Zu dem Thema: Französische Revolution und ihre Auswirkungen (teilweise Fortschreitung der Diskussion unter
http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... 8&start=30werde ich später mehr schreiben, aber in einem separaten Thread. Hier ging mir vor allem um die Feststellung, dass auch in Deutschland gab es ein differenziertes Bild, der mit Fortschreitung des Krieges in
Patriotismus überging. Gerade DAS ist m. E. sehr wichtig für die Entstehung eines Gemeinschaftsgefühls, der nationale Zugehörigkeit (in modernen Bedeutung) bestärkte. Etwas ähnliches übrigens auch in England vorging, in dem jeder Abweichung von gehobenen Patriotismus als Landverrat angesehen war. So dass Französische Revolution doch durch Einwirkung von außen – auf Umwege - initiierte die Entstehung der Nationen.