Ich habe zumindest die erste Einigung Deutschlands nach dem Zerfall des ,,Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation'' tatsächlich ein bisschen begossen.
Zugegeben, die Demütigung Frankreichs durch die Art und Weise der Proklamation hätte man sich auch sparen können, aber bei den Verantwortlichen von damals spielten solche Überlegungen wohl keine Rolle. Man wollte Frankreich wohl auch nicht unbedingt zum Freund. Bismarck versuchte wohl auch danach noch, Frankreich politisch zu isolieren.
Und heute wird es natürlich kritisch gesehen, dass Bismarck erst 3 Kriege führte, um diese ,,kleindeutsche Lösung'' zu erreichen. Aber einen anderen Weg gab es offenbar nicht - das hat kürzlich auch der Historiker Christopher Clark (von dem ich persönlich eine Menge halte) eingeräumt.
Und übrigens: Wurden nicht auch die USA erst im Zuge eines Unabhängigkeitskrieges gegründet?
Und gab es in diesem demokratischen Staat nicht noch eine recht lange Zeit Sklaverei? Und als Präsident Lincoln die Sklaverei abschaffen wollte, erklärten sich die Südstaaten kurzerhand für unabhängig und führten einen Bürgerkrieg, um sich das Recht der Sklaverei zu erhalten.
Was ich mit diesem Beispiel sagen will ist, selbst in dieser ersten demokratischen Nation der Welt gab es Elemente, die alles andere als demokratisch waren. Auch die USA haben erst eine Entwicklung durchgemacht, die eigentlich bis heute nicht beendet ist, wenn man sich das Rassismusproblem dort vor Augen hält.
Warum man andererseits dem Deutschen Kaiserreich nicht eine ähnliche Entwicklungsfähigkeit zugestehen will, leuchtet mir nicht so richtig ein. Aus dem Kaiserreich mit eingeschränkten parlamentarischen Befugnissen hätte auch eine echte Parlamentarische Monarchie werden können, ähnlich, wie es Schweden, Norwegen, Dänemark oder die Niederlande etc. heute sind. Genau genommen war das Kaiserreich im letzten Kriegsmonat (immerhin einen Monat lang, bis die Republik ausgerufen wurde) eine solche Parlamentarische Monarchie. Die Verfassung des Deutschen Kaiserreiches ließ diese Option auch offen. Und deswegen wäre für mich die jetzige Staatsform mit dem GG aus historischer Sicht nicht zwingend alternativlos gewesen - obwohl ich mich nun nicht unbedingt als Monarchist sehe.
Christopher Clark spricht beim Ersten Weltkrieg nicht mehr von einer Schuld am Krieg bei einer einzelnen Nation, auch wenn sich Deutschland (da war es schon Republik) im sog. Versailler Vertrag zu dieser Unterschrift erpressen lassen musste.
Eine Schuld des Kaiserreiches am Zweiten Weltkrieg halte ich für zu weit hergeholt. Die sehe ich auch nicht. Es war zwar so, dass bspw. die Dolchstoßlegende schon von den Militärführern des Kaiserreiches in die Welt gesetzt wurde, aber letztlich hatte die Machtübernahme durch die Nazis ein ganzes Bündel von Gründen - nicht zuletzt versagten gerade die demokratischen Parteien der Weimarer Republik auf ganzer Linie, anstatt das zu verhindern. Die Möglichkeiten dazu hätten sie wohl gehabt.
Daneben gab es - zugegeben - bereits in der Kaiserzeit erste gesellschaftliche Entwicklungen, die für das NS-Regime später prägend wurden - nicht zuletzt ein immer stärker werdender Antisemitismus. Auch die Rassenlehre entstand lange vor der NS-Zeit - sie war nicht einmal eine Erfindung von Hitler.
Aber selbst hier würde ich eher einen gesellschaftlichen Zeitgeist als Verantwortlichen ausmachen, als dem Kaiserreich als Staat. Wie die gesellschftliche Entwicklung verlaufen wäre, wenn es bereits 1848/49 zu einer staatlichen Einheit Deutschlands gekommen wäre, wissen wir nicht. Dass es diese Einheit zwingend geben musste steht für mich aber fest. Eigentlich kam sie für meinen Geschmack viel zu spät. Sowohl 1815, wie auch 1848/49 war sie von den damals politisch Verantwortlichen nicht gewollt - von der deutschen Bevölkerung aber sehr wohl. Letzteres ist für mich das Entscheidende.