Stellvertretend für Ruadhri einige Anmerkungen. Obwohl ich durchaus der AfD gewogen bin, finde ich eine Reihe ihrer Forderungen irritierend oder verstörend:Titus Feuerfuchs hat geschrieben: Welche der AfD-Forderungen machen dir Sorgen?
1. Die AfD will das "Schrumpfen des deutschen Volks" verhindern, plädiert für eine Ehe mit vielen Kindern und will die öffentlichen Medien dazu bewegen, Ehe und Familie positiver darzustellen. Die bundesdeutsche Realität trifft das nicht. Natürlich gibt es noch Familien mit Vater, Mutter, Kind, doch die Wirklichkeit ist längst vielfältiger. Es gibt auch Alleinerziehende, Patchwork-Familien, berufstätige Mütter oder gleichgeschlechtliche Paare. Auch diese Lebenskonzepte haben ihren Platz. Die AfD will das nicht wahrhaben und propagiert ein rückständiges Familienbild.
2. Die AfD lehnt Frauenquoten, Gleichstellungsbeauftragte und staatliche Zuwendungen für sexuelle Minderheiten rigoros ab. (Wahlprogramm BaWü, S. 6). Zudem befürwortet die AfD eine Volkabstimmung zum Verbot von Abtreibungen, denn: “Die deutsche Politik hat eine Eigenverantwortung, das Überleben des eigenen Volkes, der eigenen Nation sicherzustellen”, so Frauke Petry im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung. “Schädliche, teure, steuerfinanzierte Gesellschaftsexperimente, die der Abschaffung der natürlichen Geschlechterordnung dienen […] sind sofort zu beenden”, so Thüringens AfD-Sprecher Björn Höcke gegenüber der Thüringischen Landeszeitung. Um die deutsche Familie wieder “zu stärken” geht die AfD noch einen Schritt weiter und will die hart erkämpfte Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper abschaffen.
Ein solches Bild von Gleichberechtigung und der Gleichstellung von Mann und Frau ist nicht nur antiquiert, sondern widerspricht möglicherweise auch dem Gebot der Gleichbereechtigung im Grundgesetz.
3. Erstaunlicherweise ist die AfD gegen den Mindestlohn, der inzwischen in Deutschland bei Arbeitgebern und Arbeitnehmern gut verankert ist. “Wir sind gegen einen gesetzlich festgelegten allgemeinen Mindestlohn”, so AfD-Chefin Petry im Interview mit der Thüringischen Landeszeitung. Nach Ansicht der AfD könne der Mindestlohn keine verlässliche soziale Absicherung für Geringverdiener leisten “[…] da viele Menschen in prekären Arbeitsmarktsituationen nur wenige Stunden Arbeit haben. Zudem sind diese Arbeitsplätze gerade durch den Mindestlohn gefährdet.” (Europawahlprogramm der AfD 2014, S.14).
Insbesondere Frauen, Ungelernte, Beschäftigte in Dienstleistungsbranchen profitieren vom gesetzlichen Mindestlohn. Laut Statistisches Bundesamt komme der Mindestlohn genau dort an, wo die Löhne am niedrigsten waren. Von der gesetzlichen Lohnuntergrenze profitieren rund 3,6 Millionen Menschen. Mindestlöhne stellen sicher, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können und keine weitere Unterstützung vom Staat benötigen. Insofern ist die Forderung der AfD nach Abschaffung des Mindestlohns einigermaßen unverständlich.
4. In der Asylpolitik vertritt die AfD genau meine Linie. Asylsuchende, die über sichere Drittstaaten einreisen, werden abgewiesen. Dazu soll es an der Grenze entsprechende Auffangstellen geben, wo Asylgesuche innerhalb von 48 Stunden entschieden werden. Die AfD sagt aber auch in ihren Leitlinien: "Ernsthaft politisch Verfolgte müssen in Deutschland Asyl finden können. Zu einer menschenwürdigen Behandlung gehört auch, dass Asylbewerber hier arbeiten können." Bis ein Asylantrag entschieden ist, erhalten die Asylsuchenden lediglich Sach- und keine Geldleistungen.
5. Problematisch finde ich die Vorstellungen der AfD zur Schul- und Bildungspolitik. Bei einer geforderten Überarbeitung der Lehrpläne soll z.B. die Zeit des Nationalsozialismus verkürzt behandelt werden (Nachtigall ick hör dir trapsen!). Dazu die AfD: „Eine einseitige Konzentration auf zwölf Unglücksjahre unserer Geschichte verstellt den Blick auf Jahrhunderte, in denen eine einzigartige Substanz an Kultur und staatlicher Ordnung aufgebaut wurde.“ (Wahlprogramm Sachsen-Anhalt, S.1)."
Hier ist das Bestreben offensichtlich, sich der NS-Zeit allmählich zu entledigen, was völlig inakzeptabel ist. - Hierzu weiter die AfD: "Im Geschichtsunterricht sollen positive Beispiele gelehrt werden, damit sich Schüler/innen mit Stolz auf Deutschland berufen können." Überall ist der Trend herauszuhören, das Bild von "Volk" und "Heimat" zu stärken. Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden, doch dürfen schwarze Stellen der Geschichte wie z.B. die NS-Zeit dabei nicht unter die Räder kommen.
6. Was sagt die AfD zu "Kunst und Kultur"? “Museen, Orchester und Theater sind in der Pflicht, einen positiven Bezug zur eigenen Heimat zu fördern. Die Bühnen des Landes Sachsen-Anhalt sollen neben den großen klassischen internationalen Werken stets auch klassische deutsche Stücke spielen und sie so inszenieren, dass sie zur Identifikation mit unserem Land anregen.” (Wahlprogramm AfD Sachsen-Anhalt, S. 24).
Wie will die AfD das erreichen? Will sie die staatlichen Theater und Orchester per Gesetz dazu zwingen, deutsche Komponisten zu spielen und deutsche Theaterstücke und Opern aufzuführen? Da würde Goebbels im Grabe jubeln. Es ist nichts dagegen einzuwenden, Theater, Opernhäuser und Medien zu bitten (!), der deutschen Kultur angemessenen Raum zu gewähren. Das tun auch die Franzosen, z.B. in ihrer Filmindustrie. Eine solche "Bitte" ist aber auch schon das äußerste. Mehr ist vom Grundgesetz nicht gedeckt, schon gar kein Zwang.
7. Ein besonders trauriges Kapitel ist die Einstellung der AfD zur Frage der sexuellen Minderheiten. Sie äußert sich so: “Schulbücher, welche die Familie relativieren und zugleich gesellschaftlich kaum relevante Konstellationen (LSBTTIQ) überhöhen, sollen für den Gebrauch an öffentlichen Schulen nicht zugelassen werden.” (Wahlprogramm AfD BaWü 2016, S. 30). Sex-Darstellungen und Informationen zu Sex-Praktiken sollen komplett aus dem Unterricht gestrichen werden. Die Thüringer Landtagsfraktion forderte gar eine Zählung aller Homosexuellen im Land. - Allerdings sagt die AfD in ihren "politischen Leitlinien" ebenfalls: "Als Rechtsstaatspartei sind wir den Grundrechten verpflichtet. Die AfD wird
sich stets dafür einsetzen, dass die Grundrechte des Grundgesetzes aller Bürger, seien sie Angehörige der
Mehrheitsbevölkerung oder gesellschaftlicher Minderheiten, uneingeschränkt in gleicher Weise respektiert werden." Insgesamt ist die Position der AfD hier widersprüchlich. Dass die AfD Frauenquoten ablehnt, muss nicht besonders betont wrden.
In Deutschland sind wir ganz überwiegend stolz darauf darauf, dass Minderheiten mit abweichender sexueller Präferenz vom Gesetzgeber geschützt und in der Öffentlichkeit überwiegend respektiert werden. Das gilt auch für ethnische und andere Minderheitengruppen. Der sexuelle Mief der Nachkriegs-BRD ist zum Glück verflogen und dahinter will zumindest ich nicht mehr zurück.
Als Fazit ist zu sagen, dass das Programm der AfD gegenwärtig noch widersprüchlich ist. Aussagen in den "politischen Leitinien" und Aussagen mancher Vertreter der AfD sind nicht immer deckungsgleich und weichen zuweilen stark voneinander ab. Hier wird erst das Parteiprogramm eindeutige Klarheit schaffen, das nach Aussagen der AfD im April verabschiedet werden soll.