Nur wenige Frauen in Schottland zeigten anfangs Interesse an der schottischen Unabhängigkeit. Das hat sich im Laufe der Referendums-Kampagne dramatisch geändert. Ein gewisser TV-Werbespot spielte bei dieser Wende eine Rolle: Mit dem hatten sich die Unionisten arg verschätzt ...
Falls Schottland sich nächste Woche von England trennt und Grossbritannien auf spektakuläre Weise endet: Ist dieses Ende einer 307-jährigen Allianz dann, fragen manche Briten bang, Schuld eines Werbespots von 2 Minuten und 40 Sekunden Länge gewesen?
Die Frage klingt kurios, hat aber einen ernsten Ursprung. Sie hat damit zu tun, dass noch Anfang August den Umfragen zufolge nur jede dritte Schottin sich für die schottische Unabhängigkeit erwärmen konnte.
Die Frau (eine Schauspielerin) dreht einen Becher in beiden Händen, seufzt viel und hat sehr schreckensgeweitete Augen. So recht versteht sie nicht, was in der grossen Welt da draussen vor sich geht. Zum Beispiel ist sies leid, dass ihr Mann Paul früh morgens schon mit Politik anfängt und «einfach nicht damit aufhören» kann. «Iss lieber deine Cornflakes!» fordert sie Paul auf.
Sie selbst findet, «dass einem nie genug Zeit bleibt», um über Dinge wie Unabhängigkeit nachzudenken. Sicher ist sie sich nur, dass «dem Kerl aus dem Fernsehen», dessen Name ihr gerade entfallen ist, nicht zu trauen ist. «Der Kerl aus dem Fernsehen» ist Alex Salmond. Es ist nicht leicht, seinen Namen zu vergessen. Salmond ist seit sieben Jahren Schottlands Regierungschef. Er ist der Führer der schottischen Nationalisten, und seit zwanzig Jahren der bekannteste schottische Politiker überhaupt.
Jedenfalls hat unserer Hausfrau nicht gefallen, was sie den «Kerl» hat sagen hören. Es klingt gefährlich. Unabhängigkeit ist riskant. Also beschliesst sie am Ende der 2 Minuten und 40 Sekunden, «um der Kinder willen» gegen Unabhängigkeit zu stimmen.
Damit ist alles gesagt. Die Entscheidung ist getroffen. Jetzt kann es mit Hausarbeit weitergehen. «Die Frau, die sich für etwas entschied», war der Filmclip betitelt. Er löste einen Proteststurm, eine Flut wütender Reaktionen aus.
Aus ganz Schottland – und aus beiden Lagern der Kampagne – meldeten sich Frauen, die empört waren über «solchen Sexismus». «Unglaublich» fanden unzählige Schottinnen «diese Arroganz». Frauen, die bis dahin tatsächlich noch unschlüssig gewesen waren, gaben nach der Ausstrahlung bekannt, dass sie zur Unabhängigkeits-Seite stossen würden – weil sie «die selbstzufriedene Herablassung» hassten, mit der «London» um sie (und um Schottland) warb.
Zugleich füllte sich das Web mit dem bösen Witz aufgebrachter Benutzer(innen), und in den sozialen Medien wird der Spot heftig diskutiert:
http://www.youtube.com/watch?v=OLAewTVmkAU
Fantasievolle neue Slogans zierten das Bild der Teetrinkerin. «Ich weiss halt nicht, wie man googelt – darum stimme ich mit Nein», liess jemand sie sagen. «Denken ist schwer», hiess es woanders. «Also sage ich besser Nein.»
Ein andermal sah man sie, per aufgesetztem Text, plappern: «Der Mann im Telly hat irgendwas von einem schottischen Referendum erzählt. Aber was ist, wenn ein Bär meine Kinder anfällt?» Unabhängigkeit sei viel zu gefährlich. Alles könne passieren. Da gebe es nur eine Antwort: «Nein danke, lieber nicht.» Wieder ein anderer Beitrag spottete: «Und was wär, bitte schön, wenn die Pandas im Edinburgher Zoo sich mit Ebola ansteckten – und sich Isis anschlössen? Na, ich hab mich entschieden. Ich stimme mit Nein.»
Historiker werden zurückblickend auf diesen September gewiss noch andere Gründe fürs plötzliche Verlangen nach schottischer Unabhängigkeit finden. Es war nicht nur «Die Frau, die sich für etwas entschied».
Wahr ist aber, dass viele Frauen sich – anders – entschieden. Offenbar ist der Anteil der Unabhängigkeits-Befürworterinnen unter Schottlands Frauen mittlerweile von einem Drittel auf die Hälfte gestiegen. Wäre es nicht doch ein Witz – wenn am Ende ein paar wenige Stimmen den Ausschlag gäben, und die Unionisten sich sagen müssten, dass ein dämlicher Werbespot sie die Union gekostet hat?
Peter Nonnenmacher
Peter Nonnenmacher, Zürich
Unser Korrespondent in London. Er wohnt an der Themse, nicht weit vom Stadion des Fulham FC, mit Frau, Kindern und zwei schwarzen Katzen. Spricht Englisch mit unüberhörbar irischem Einschlag, hat aber auch der Queen schon die Hand gedrückt und ist von Haus aus Philosoph und Literaturwissenschaftler. Autor mehrerer Bücher übers UK.
14 Kommentare zu „Wehe, wenn die Bären kommen!“
Egon Heim
11. September 2014 um 08:27
Ganz ehrlich, aber ich verstehe nicht, was an diesem Spot sexistisch sein soll (gut, ich bin ein Mann…). Natürlich bedient die Schauspielerin sämtliche Klischees der Hausfrau und Mutter, welche nicht mit der Zukunft ihrer Kiddies spielen möchte. Aber die Kernaussage ist, dass sie viele Versprechungen und keine konkreten Antworten erhalten hat. Das mag zwar plakativ daher kommen, aber das ist doch nichts Neues im Abstimmungskampf – und sicher kein Grund, sich als Frau darüber aufzuregen…
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Martin Schmid
11. September 2014 um 09:39
Stellen Sie sich einfach mal vor, es wäre ein Mann, der sich im Werbespot genau gleich verhalten und das gleiche sagen würde. Was würden SIe von dem Mann denken? Vermutlich “was ist das für ein unbedarfter Trottel” oder so? Genau deshalb ist der Spot sexistisch.
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Ursula Berger
11. September 2014 um 09:43
Herr Heim – sexistisch ist es, weil man Frauen auf das “kinderkriegen-Hausfrauen”-Dasein reduziert und obendrein auch noch mitschwingen lässt, dass nur der Mann im Haus zum Denken fähig ist. Es geht nicht immer um die Kernaussage die man(n) transportieren wollte.
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caro
11. September 2014 um 10:04
Lieber Herr Heim, Sexismus ist in der heutigen Zeit nie der Inhalt, sondern immer die Unterschwelligkeit.
Beispiel: Niemand würde heute Aussagen wie “Frauen gehören an den Herd” machen, aber Bilder, Symbole und Nebenschauplätze (wie Diskussionen um Fremdbetreeung) suggerieren diese Message.
Also, ich empfinde die Bild- und Symbolsprache sehr wohl als sexistisch.
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Mary
11. September 2014 um 10:19
Dann sind sie komplett neben der Spur!
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sepp z.
11. September 2014 um 08:41
Erinnert mich des Dialekts wegen etwas an die unterbelichteten Darstellerinnen in Geordie Shore.
Nur haben die etwas grössere Brüste als diese Hausfrau.
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Heinz Nacht
11. September 2014 um 09:20
Typisch für die “Better together”-Seite. Man bedient sich praktisch ausschliesslich Stereotypen und begreift gar nicht, dass man dem Zielpublikum damit auf die Zehen tritt, ihm Unrecht tut und vor allem, sie in die Arme der Befürworter treibt. Ganz interessant ist auch ein kurzer Ausschnitt aus einer Parlamentssitzung in Westminster noch vor der Ansetzung des Referendums, als ein schottischer Abgeordneter anfragte, wie die Regierung dazu stehe, Schottland einen grösseren Anteil an den Einnahmen aus dem (notabene zum überwiegenden Teil schottischen) Öl abzugebben. Das ganze Parlament lachte und der Premier sagte zum schottischen Abgeordneten, auf eine dumme Frage müsse er mit einer dummen Antwort rechnen. So denkt England über Schottland. Deshalb: VOTE YES!
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Martin Tschuemperlin
11. September 2014 um 12:23
Natülich geht es hier wiedermal um einen total emotionalen Wahlkampf und da werden alle Mittel eingesetzt.
Die Fakten werden nur zögerlich auf den Tisch gelegt – die zukünftige Währung, die Bezahlung von Nato, die
Beibehaltung von Monarchen – also beginnen wir eben bei der Schule, was die Frauen ja am ehsten interessieren könnte:
doch, etwas sexistisch – oder diskriminierend ist dieser gefällige Spot schon-
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Hanspeter
11. September 2014 um 13:25
Die Unionisten haben doch nur einen Werbespot für ihr Zielpublikum gemacht. Anscheinend ist es nicht so zahlreich…
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Merz
11. September 2014 um 13:29
Der ‘Bär’ ist Russland – Putin.
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Ralph Geh
11. September 2014 um 14:39
Vielleicht hätten sie ja einmal den brillianten Rugby-Clip mit Charles Dance anschauen sollen, wie man Leute zum Zusammenhalt motiviert:
http://www.youtube.com/watch?v=bl9ahNhH3Cc.
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Hannes Müller
11. September 2014 um 15:40
Ich dachte, der Spot sei von den Befürwortern der Unabhängigkeit.
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Gerda
11. September 2014 um 17:56
@Hannes Müller: “…auch du Brutus….”
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Daniel Meier
11. September 2014 um 19:05
Ich finde diesen Spot auch nicht sexistisch; es sei denn, man ist der Auffassung, bereits das blosse Zeigen einer Hausfrau in einem Spot sei unterschwelliger Sexismus. Was diese Frau jedoch sagt, ist wahrscheinlich das, was die Mehrheit aller Schottinnen und Schotten denkt: Dass sie hin- und hergerissen sind und nicht wissen, ob die vollmundigen Versprechen der Politikerinnen und Politiker beider Seiten, die wie immer vorgeben, die Situation bis ins letzte Detail zu durchschauen und die Zukunft genau vorhersagen zu können, wirklich stimmen. Dies nennt man politische Ambivalenz. Schade, dass das heutzutage mit Dummheit verwechselt wird.
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