Türkei nach Atatürk: Kampf Fortschritt gegen Rückschritt

Diskussionen über die Nicht-Mitgliedstaaten der EU

Moderator: Barbarossa

Paul
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In den PKK nahen , kurdenfreundlichen Medien werden die Phasen von Vorfällen, durchaus glaubwürdig, immer anders dargestellt.
Die grundsätzliche Situation verlief so.
-Es gab auch in der Vergangenheit immer schon blutige Auseinandersetzungen zwischen Osmanen/Türkischen Staat und Kurden.
-Die PKK organisierte einen Widerstand gegen die politische, wirtschaftliche, soziale....Unterdrückung. Sie verstand sich als "linke" Bewegung. Deswegen gab es auch immer religiös traditionell begründeten Widerstand innerhalb der Kurden und eine gewisse Kollaboration z.B. mit dem Dorfwächtersytem. Es entstanden auch immer wieder neue kurdische Parteien, die den Weg der Gleichberechtigung und demokratischen Mitwirkung auf parlamentarischen Weg versuchten.
-Dagegen ging der türkische Staat mit Parteiverboten und entsprechenden Repressionen vor.
Die Türkei reagierte mit Kriegsrecht und Dorfzerstörungen auf den Widerstand z.B. der PKK. Über viele Jahrzehnte wurde täglich in den Nachrichten über die vielen militärischen Auseinandersetzungen im nördlichen Kurdistan berichtet. Es starben vor allem kurdische Zivilisten durch die Hände türkischer Soldaten und Dorfwächter.
Vor einigen Jahren wurde die HDP nicht mehr verboten und errang trotz vielfältigem Wahlbetrug, entsprechend Erfolge auf politischer kommunaler Ebene. Die Kurden schöpften Hoffnung, das ein politischer Weg der Reformen möglich wäre und reduzierten den bewaffneten Kampf, bis es zum Waffenstillstand kam. Die Verletzungen des Waffenstillstands werden von den verschiedenen Gruppen und Medien sehr unterschiedlich dargestellt. Hier kann sich jeder selbst über die Motivation der Darstellung eine eigne Meinung bilden. Zur Zeit sind fast alle PKK Mitglieder in Westkurdistan(Nordsyrien) und Südkurdistan(Nordirak)im Kampf mit Isis beschäftigt.
Belegt ist, das der Türkische Staat FSA und Al Nusra aktiv mit Waffen versorgt und auch Isis keine Probleme hat Waffen und Kämpfer über die Grenze zu bringen, während kurdische Freiwillige für Kobane und Zivilisten an der Grenze manchmal erschossen wurden. Andererseits gibt es jetzt auch wieder den legalen Grenzübertritt für die Zivilisten und entsprechende Versorgung mit Lastwagen. Die Autonomiestreitkräfte von Nordsyrien haben bei den getöteten Isismitgliedern oft die Ausweise und Mitgliedsmarken des türkischen Geheimdienstes gefunden und in die Medien gestellt. Es gibt entsprechende Videos über den Grenzübertritt von Isis mit türkischen Soldaten.
Die türkische Regierung bemüht sich teilweise um ein gutes Verhältnis mit der konservativen südkurdischen Regionalregierung. Beide provitieren vom Handel. Sie ermöglicht es auch den Peschmerga in der Region Kobane zu helfen. Das Bild ist also auf allen Ebenen widersprüchlich. Auch das Verhältnis der beiden Autonomieregierungen unterlag einem Wandel. Seit der Hilfe der Peschmerga in Kobane und der Hilfe der PYD und PKK in Shingal und den anderen Fronten in Südkurdistan haben sich die Beziehungen sehr verbessert.
Die Alliierten dürfen türkische Flugplätze für ihre Einsätze gegen Isis nicht benutzen und behelfen sich mit Flugzeugträgern.
Die türkische Regierung hat seit einigen jahren ein gespanntes Verhältnis zum Regime in Syrien, während die Autonomieregierung in Syrien sich immer mal wieder mit dem Regime arangiert und die Waffenstillstände meistens halten.
FSA, Al Nusra u.a. islamistische Rebellen halten inzwischen auch Waffenstillstände mit der Autonomie meist ein. Einige FSA Gruppen kämpfen auch aktiv militärisch mit der Autonomie gegen Isis zusammen.
Die PKK propagiert inzwischen nicht die Loslösung von der Türkei, sondern ein System der Autonomie, welches ja in Nordsyrien verwirklicht wurde. Dort bedeutet es aber praktisch die Unabhängigkeit.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Jan H.
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Danke für den Beitrag, ich denke das zeigt, dass man Erdogans Verhalten differenziert betrachten muss. Worin besteht der Unterschied zwischen »Loslösung von der Türkei« und »System der Autonomie«?
Hinweis: Nicht zu verwechseln mit dem User "Jan".
Spartaner
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Jan H. hat geschrieben:Danke für den Beitrag, ich denke das zeigt, dass man Erdogans Verhalten differenziert betrachten muss. Worin besteht der Unterschied zwischen »Loslösung von der Türkei« und »System der Autonomie«?
Ich denke es geht der Pkk mittlerweile nicht um Autonomie und Loslösung von der Türkei. Die Forderungen sind eher bescheiden. Man möchte Frieden schließen mit türkischen Regierung. Man möchte die Freilassung ihres Führers Öcalan erreichen, man möchte nicht mehr verfolgt werden, bzw. getötet, wie es mom in Südosten der Türkei wieder der Fall ist. Man möchte von der Liste der Terrororganisationen gestrichen werden. Damit tut sich sowohl die Türkei als auch Deutschland schwer. Deutschlands Loyalität zum türkischen Staat ist bekannt, ist doch die Türkei mögliches Beitrittsland der EU und NATO- Mitgled. Kuba soll von der Terrorliste von Länder und Organisationen von den USA gestrichen werden, die PKK nicht!? Die Frage ist welche Bewertungsgrundlagen liegen zu Grunde? Was sind die konkreten Gründe, dass das nicht gemacht wir? Es wird kaum erwähnt, dass die PKK einen Fluchtkorridor unter hohen eigenen Verlusten in die Flüchtlingslager des Sindjar-Gebirges geschlagen haben, mehrere Tage mit minderwertigen Waffen offen gehalten haben und damit tausenden Menschen das Leben gerettet hatten. Die Frage ist was ist daran Terror?

Beim Istanbuler Filmfestival wurde vor kurzem ein Dokumentar- Film über die PKK mit dem Namen Bakur " Der Norden"untersagt aufzuführen : Man wollte wahrscheinlich über ein langes Genehmigungsverfahren den Film blockieren.
Sollte man hinsichtlich Kultur die Medienfreiheit differenziert betrachten und sollte man dann wenn man es so handhabt auch für Russland die Medienfreiheit differenziert betrachten? :?: :idea:
http://de.euronews.com/2015/04/15/eklat ... -geplatzt/
Jan H.
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Spartaner hat geschrieben:Beim Istanbuler Filmfestival wurde vor kurzem ein Dokumentar- Film über die PKK mit dem Namen Bakur " Der Norden"untersagt aufzuführen : Man wollte wahrscheinlich über ein langes Genehmigungsverfahren den Film blockieren.
Sollte man hinsichtlich Kultur die Medienfreiheit differenziert betrachten und sollte man dann wenn man es so handhabt auch für Russland die Medienfreiheit differenziert betrachten? :?: :idea:
http://de.euronews.com/2015/04/15/eklat ... -geplatzt/
Jetzt wird es tatsächlich etwas spartanisch – wir reden hier über den Friedensprozess mit den Kurden (bzw. die anderen beiden Kritikpunkte) und nicht über die Medienfreiheit in der Türkei. Grundsätzlich bin ich für differenzierte Sichtweisen und ja, auch bei Russland. Im Übrigen wäre es nett, wenn Ihr – wie Barbarossa – Quellen angeben könntet, wenn Ihr kontroverse Aussagen macht. Paul hat zwar keine angegeben, aber ich denke, dass es sich dabei eher um Allgemeinwissen handelt. Wertende und kontroverse Aussagen Deinerseits kannst Du natürlich machen, aber dann bitte belegt.
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Dietrich
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Jan H. hat geschrieben:Danke für das Gegenargument, werde ich ihn mal drauf ansprechen. (Wahrscheinlich wird er eine Quelle sehen wollen, woher hast Du die Info?)
Die Unterdrückung der kurdischen Sprache und Kultur durch die türkische Regierung während der letzten Jahrzehnte lässt sich zahlreichen Publikationen sowie stetigen Berichten der Tagespresse entnehmen.

Lange betrieb die Türkei eine Assimilierungspolitik gegenüber den Kurden und leugnete kulturelle und ethnische Unterschiede. So wurde versucht, die iranischen Kurden als ein türkisches Volk darzustellen, das aus Zentralasien eingewandert sei. Als ich seinerzeit die Türkei bereiste, nannte man sie "Bergtürken". Aufgrund staatlicher Restriktionen konnte die kurdische Kultur nicht frei ausgelebt werden. Noch 1979 hieß es im offiziellen Wörterbuch (Türkçe Sözlük) der Türk Dil Kurumu zur Erklärung des Wörtchens „Kurde“:

Inzwischen hat es zwar rechtsstaatliche Reformen gegeben, die die Position dre Kurden stärken, aber einen Autonomiestatus wie z.B. die Basken, Katalanen oder Schotten haben die Kurden bis heute nicht erlangt. Nach wie vor ist muttersprachlicher Kurdischunterricht an staatlichen Schulen laut Verfassung verboten. In Art. 42, Abs. 9 heißt es: „Den türkischen Staatsbürgern darf in den Erziehungs- und Lehranstalten als Muttersprache keine andere Sprache beigebracht und gelehrt werden als Türkisch."

http://de.wikipedia.org/wiki/Kurden_in_der_T%C3%BCrkei
Jan H.
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Danke, das kann man also an Erdogan kritisieren – andererseits: Ist die Unterdrückung nicht das, was die Mehrheit der Türken will und somit auch ein Zeichen der »Demokratie«?
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Dietrich
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Jan H. hat geschrieben:Danke, das kann man also an Erdogan kritisieren – andererseits: Ist die Unterdrückung nicht das, was die Mehrheit der Türken will und somit auch ein Zeichen der »Demokratie«?
Die türkische Regierung ist ein Ergebnis türkischer Wahlen und die Maßnahmen dieser Regierung sind somit Ausdruck von Forderungen türkischer Wähler.

Die Kurden stellen etwa 15 - 20% der in der Türkei lebenden Bevölkerung. Das ist ein beträchtlicher Anteil, der seit der Gründung der Türkei die Angst schürt, der Staat könnte zerfallen, wenn man den ethnischen Minderheiten zuviel Raum und Selbstbestimmung gibt. Diese Befürchtung darf allerdings kein Grund dafür sein, die Rechte von Minderheiten zu beschneiden, wie sie im übrigen Europa gültiger Konsens sind.

Zur Zeit ist Erdogan dabei, ein Präsidialsystem zu installieren, dss dem Staatspräsidenten - also Erdogan - nahezu diktatorische Vollmachten einräumt. Allerdings bedarf das einer verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit, die er bei den bevorstehenden Wahlen zu erreichen hofft. Da seine AKP das nicht im Alleingang schafft, sucht er die kurdischen Parteien auf seine Seite zu ziehen. Daher ist seine aktuelle Konzilianz gegenüber den Kurden reine Zweckpolitik.
Spartaner
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Jan H. hat geschrieben:
Jetzt wird es tatsächlich etwas spartanisch – wir reden hier über den Friedensprozess mit den Kurden (bzw. die anderen beiden Kritikpunkte) und nicht über die Medienfreiheit in der Türkei. Grundsätzlich bin ich für differenzierte Sichtweisen und ja, auch bei Russland. Im Übrigen wäre es nett, wenn Ihr – wie Barbarossa – Quellen angeben könntet, wenn Ihr kontroverse Aussagen macht. Paul hat zwar keine angegeben, aber ich denke, dass es sich dabei eher um Allgemeinwissen handelt. Wertende und kontroverse Aussagen Deinerseits kannst Du natürlich machen, aber dann bitte belegt.
Eine Quelle habe ich dir bereits aufgezeigt und wenn du meine bisherigen Beiträge über die Türkei gelesen hättest, würdest du nicht danach fragen, denn da habe ich zu hauf Quellen reinkopiert, die ich hier nicht alle noch mal wiederholen will. Die Meinungsfreiheit ist nunmal nicht in der Türkei gewährleistet.
Hier noch einmal der jüngste Beweis, dass Medien- und Meinungsfreiheit nicht groß geschrieben wird in der Türkei .
http://de.euronews.com/2015/04/15/eklat ... -geplatzt/
Zum Thema Internetverbote wirst du auch einiges finden wenn du mal googlest.
Hier mal aus der Sicht einer älteren Frau, was sie an der Politik unserer etablierten Parteien aususetzen hat.

"Nach dem Vorführverbot für die kurdische Dokumentation “Bakur” (“Der Norden”) ist es beim 34. Istanbuler Filmfestival zum Eklat gekommen.
Mehr als 20 türkische Regisseure haben ihre Filme nach Angaben der Veranstalter aus Protest aus
dem Programm genommen. Der Wettbewerb platzte.
“Bakur” fehlte nach Angaben des türkischen Kulturministeriums ein für öffentliche Vorführungen erforderliches Zertifikat.
Für Festival-Direktorin Azize Tan entspricht das einem Akt der Zensur:
“Wir verlangen die Freiheit, die Filme zu zeigen, die wir ausgewählt haben. Und zwar ohne die Vorlage irgendwelcher Dokumente, wie es weltweit auch sonst bei Festivals und anderen Kuklturveranstaltungen üblich ist. Wenn ein Film dieses Zertifikat nicht erhält, kommt das einer Zensur gleich.”
“Bakur” zeigt den Alltag von Kämpfern der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. Auch PKK-Funktionäre kommen darin zu Wort.
Der Friedensprozess zwischen Ankara und der PKK wird zur Zeit durch neue Kampfhandlungen im Südosten der Türkei bedroht."

http://de.wikipedia.org/wiki/Zensur_im_Internet
"Türkei: Im Februar 2014 wurde die Zensur in der Türkei gesetzlich verschärft. Zukünftig können Behörden Internetseiten ohne Gerichtsbeschluss sperren. So war z.B. im März 2014 der Internetdienst Twitter betroffen.[67]Außerdem sollen die Behörden das Recht bekommen, das Surfverhalten von Internetnutzern aufzuzeichnen und zwei Jahre lang zu speichern, ohne die Betroffenen darüber zu informieren.[68] Die Verabschiedung des neues Gesetzes hatte gewaltsame Proteste in der Türkei ausgelöst."

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/w ... 88686.html
http://www.zeit.de/digital/internet/201 ... net-zensur
http://www.welt.de/politik/ausland/arti ... nicht.html
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/inte ... 62453.html

Einschränkung und Behinderung der Gerichtsbarkeit :
http://www.spiegel.de/politik/ausland/k ... 52882.html
Spartaner
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Jan H. hat geschrieben:Danke, das kann man also an Erdogan kritisieren – andererseits: Ist die Unterdrückung nicht das, was die Mehrheit der Türken will und somit auch ein Zeichen der »Demokratie«?
Das hat leider mit Demokratie nichts zu tun wenn 20 Prozent der Bevölkerung tyrannisiert wird bzw. unterdrückt werden,dass kann man dann eher mit einer Diktatur vergleichen. Zumal die freie Gerichtsbarkeit durch die Entlassung von Richtern und die Medien-und Pressefreiheit durch Film und Internetverbote konterkariert wird.
Allerdings muss man noch dazu vermerken, ein paar Fortschritte hat es in den etzten Jahren doch gegeben. z.B. dass die kurdische Sprache an Schulen wieder unterrichtet werden darf.
Jan H.
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@Spartaner.
1. Danke für die Quellen. Deine anderen Beiträge kenne ich nicht, ich wollte Dich auch nicht persönlich angreifen, falls das evtl. so rüberkam.
2. Dass die Medienfreiheit bedenklich ist, habe ich auch schon aus diversen Quellen gehört und das möchte ich nicht abstreiten/anzweifeln.
3. Was ist Demokratie? Der Wille des Volkes, wäre ein grober Definitionsvorschlag von mir. Wenn also die 80% gegen die 20% sind, dann kann man das – trotz bedenklicher Menschenrechtslage – als »demokratisch« bezeichnen (ich bezweifel allerdings, dass mehr als 50% gegen die 20% Kurden sind).

@Dietrich
1. Danke für den Beitrag, das klingt nach einer berechtigten Kritik an Erdogan.
2. Kannst Du genauer sagen, was das für Vollmachten sind? Ich hab' kurz gegooglet und laut einer ARD-Quelle gab es im März diesen Jahres mehr Macht für die Polizei, mehr konnte ich jetzt aber nicht finden.

@Alle:
Mein türkischer Bekannter hat behauptet, dass es bei der letzten YouTube-Sperre um ein geheim aufgenommenes Gespräch ging, das einen Krieg hätte auslösen können. Weiß jemand zu dieser Behauptung mehr? Klang eher unglaubwürdig und noch hat er mir nicht geantwortet, was genau er damit meinte… :?
Hinweis: Nicht zu verwechseln mit dem User "Jan".
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Jan H. hat geschrieben:+
3. Was ist Demokratie? Der Wille des Volkes, wäre ein grober Definitionsvorschlag von mir. Wenn also die 80% gegen die 20% sind, dann kann man das – trotz bedenklicher Menschenrechtslage – als »demokratisch« bezeichnen (ich bezweifel allerdings, dass mehr als 50% gegen die 20% Kurden sind).
Lieber Jan,
modernen Demokratie, wie z.B. wie in Frankreich, gibt es kaum Widersprüche zwischen der Demokratie und den Menschenrechten. Die Demokratie ist in Frankreich gewachsen aus den Wurzeln der französischen Revolution mit den Losungsworten: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit .
Die Türkei muss sich erst aus einer Diktatur, und vorher war es ein Sultanat zu einer Demokratie entwickeln. Dabei stösst sie natürlich auf Hindernisse vielfältiger Art. Mit einer modernen Demokratie würde ich die Türkei nicht vergleichen, auch wenn die Regierung demokratisch gewählt ist. Zu einer modernen Demokratie gehören Medienfreiheit; richterliche Unabhängigkeit, Religionsfreiheit und nichtzuletzt die Einhaltung der Menschenrechte.

Hier dazu ein Auszug aus einer Publikation von Prof. Dr. Georg Lohmannn:
" Die revolutionären Gründungen der modernen Demokratien verstehen sich als Umsetzung, als Verwirklichung der jedem Menschen zustehenden Menschenrechte. Die neue Staatsform der Demokratie soll die Menschenrechte schützen und sichern. Zugleich aber, und das zeigt das grundlegende Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Menschenrechten an, sind die Menschenrechte auch subjektive Rechte des einzelnen gegen die neue Demokratie. Sie sind, besonders die einzelnen Freiheitsrechte, Abwehrrechte des einzelnen Bürgers gegen staatliche Willkürgewalt. Die Menschenrechte regulieren aber auch die demokratischen Meinungs-und Willensbildungsprozesse, indem sie dem einzelnen Bürger erst die rechtlich verbürgten Möglichkeiten geben, den demokratischen Prozess zu gestalten und zu bestimmen. Die Souveränität der demokratischen Gesetzgebung scheint nun aber auch die Möglichkeit zu implizieren oder zumindest nicht auszuschließen, die Menschenrechte wiederum einzuschränken, oder sie nur partielle und ungleich zu verwirklichen. So könnte sich ein Widerspruch zwischen demokratischer Souveränität und dem universellen und egalitären Gehalt der Menschenrechte ergeben."
http://www.georglohmann.de/demokratie-m ... echte.html

über Ethik und Demokratie :
http://tocs.ulb.tu-darmstadt.de/24430404.pdf
Zuletzt geändert von Spartaner am 16.04.2015, 21:36, insgesamt 1-mal geändert.
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Barbarossa
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Jan H. hat geschrieben:...
3. Was ist Demokratie? Der Wille des Volkes, wäre ein grober Definitionsvorschlag von mir. Wenn also die 80% gegen die 20% sind, dann kann man das – trotz bedenklicher Menschenrechtslage – als »demokratisch« bezeichnen (ich bezweifel allerdings, dass mehr als 50% gegen die 20% Kurden sind).
Demokratie ist immer in Verbindung mit Rechtsstaatlichkeit zu sehen.
Zwar ist es richtig, dass Einzelentscheidungen der (parlamentarischen) Mehrheit auch von der überstimmten Minderheit zu akzeptieren sind, jedoch darf das nie zu Einschränkungen der Bürgerrechte auch von Einzelnen führen. Diese Bürgerrechte sind normalerwise in der Verfassung verankert und stellen unveräußerliche Rechte eines jeden Bürgers dar, die auch mit einfacher parlamentarischer Mehrheit nicht eingeschränkt werden dürfen. Verfassungsändernde Mehrheiten sind mit einer 2/3-Mehrheit nicht umsonst höher festgelegt. Eine solche verfassungsändernde Mehrheit gibt es z. Z. in Ungarn und da werden Bürgerrechte tatsächlich auch beschnitten. Auch wenn hier demokratische Spielregeln scheinbar eingehalten werden, wird das dennoch als problematisch angesehen, denn es gibt es mit der UN-Menschenrechtscharta eine übernationale Einrichtung, wo universale Menschenrechte definiert sind, siehe dazu die "Die Bestimmungen und Absichtserklärungen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte": http://www.menschenrechtserklaerung.de/aemr/
Jan H. hat geschrieben:Mein türkischer Bekannter hat behauptet, dass es bei der letzten YouTube-Sperre um ein geheim aufgenommenes Gespräch ging, das einen Krieg hätte auslösen können. Weiß jemand zu dieser Behauptung mehr? Klang eher unglaubwürdig und noch hat er mir nicht geantwortet, was genau er damit meinte… :?
Ein Krieg - das ist sicher eine Übertreibung. Hier eine Erklärung der Sperre als Zitat:
Dienstag, 07.04.2015:
Acht Stunden lang waren Twitter und YouTube von der Türkei aus nicht abrufbar.
...
Ein türkisches Gericht hatte die Zugangssperre angeordnet, weil in den sozialen Netzwerken Fotos des als Geisel genommenen Istanbuler Staatsanwalts Mehmet Selim Kiraz zu sehen waren. Linksextremisten hatten Kiraz in der vergangenen Woche in ihre Gewalt gebracht. Beim Versuch, ihn zu befreien, wurden der Jurist und die beiden Geiselnehmer getötet.
Quelle: http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpoli ... 27246.html
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
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Jan H.
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Wenn man Demokratie mit diesen Begriffen verbindet, ergibt sich natürlich eine andere Schlussfolgerung, aber dem habe ich ja auch nie widersprochen.

Das mit dem YouTube-Video scheint tatsächlich eine Übertreibung zu sein.
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dieter
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Jan H. hat geschrieben:Danke, das kann man also an Erdogan kritisieren – andererseits: Ist die Unterdrückung nicht das, was die Mehrheit der Türken will und somit auch ein Zeichen der »Demokratie«?
Lieber Jan,
ich glaube nicht, dass sich Erdogan darum kümmert was die Mehrheit der Türken will. Es wird schon so noch kommen, dass die Demokratie in der Türkei völlig abgeschafft wird. Das Programm von Kemal Atatürk ist doch schon verwässert worden, indem Türkinnen nun mit Kopftuch studieren dürfen. Der Islamismus wird noch weiter gehen. :evil: :twisted:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Jan H.
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Was ist an Kopftüchern Islamismus?
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