Brauchen wir eine Spaßpartei?

Diskussionen über die Nicht-Mitgliedstaaten der EU

Moderator: Barbarossa

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In Island kam es im Mai 2010 zu einer Sensation. Der Punker und Comedy-Star Jon Gnarr (geb. 1967) erreichte mit seiner neu gegründeten „Die Beste Partei“ 34,7 % aller Wählerstimmen in Reykjavik und wurde damit Bürgermeister von Islands Hauptstadt. Dabei waren seine Forderungen durchaus ungewöhnlich: „Für offene Korruption statt verdeckte Korruption“ - „Für ein drogenfreies Parlament bis 2020“ - „Einen neuen Eisbär für den Zoo“ lauteten seine Slogans. Niemand glaubte an einen Erfolg, am allerwenigsten Gnarr selbst, aber nach dem Finanzcrash von 2008 waren die Isländer in einem tiefen Tal der Tränen gelandet und hatten die Nase restlos voll von ihren unfähigen und korrupten Politikern und wählten stattdessen den beliebten Komiker. Bereut haben sie es bisher nicht.

Gnarr regiert zusammen mit seinen Freunden, meistens Leute aus der Künstlerszene. Eine Ideologie hat er nicht, auch kein wirkliches Programm. Dies sei auch nicht erforderlich, so meint er, Politik sei eine Sache des gesunden Menschenverstandes. Wenn der nicht ausreicht, zieht er Spezialisten zu Rate. Seine politischen Maßnahmen sind allerdings nicht spektakulär, auch er muss Steuern und Abgaben erhöhen, Leute entlassen, öffentliche Leistungen zurückfahren. Aber immerhin, er beweist Bürgernahe, diskutiert mit den Betroffenen, erläutert alles. Früher hätte man die Politiker für solche Maßnahmen gesteinigt, Gnarrs Popularität leidet nicht darunter. Die Leute lieben ihn. Er ist nach wie vor auch weiterhin Komödiant, spielt Sketche im Fernsehen, singt Lieder, veralbert sich selbst, läuft als Frau verkleidet durch die Hauptstadt, immer neue Tollheiten. Wenn er sagt, er regiert vor allem deshalb,
um sich selbst zu bereichern, dann löst er damit Begeisterungsstürme bei den Bürgern aus.

Obwohl er keine wirklich neuen Ideen hat, so liegt sein Hauptverdienst darin, dass er die Tristesse von der Insel verjagt hat. Trotz Krise sind die Isländer gut drauf, blicken optimistisch in die Zukunft. Seit Gnarr ist Politik nicht mehr länger ein „garstig Lied“, sondern Politik ist Entertainment, ist lustig, macht Spaß. Politische Sendungen sind unterhaltsam, nicht mehr langweilig und trocken. Und das ist wohl sein größter Verdienst.

Vielleicht wäre so ein Politiker auch für die notorisch schlecht gelaunten Deutschen ein Gewinn? Wer weiß?
Wer Gnarr als Künstler und Sänger sehen will, es gibt bei YouTube ein Video:

https://www.youtube.com/watch?v=xxBW4mPzv6E
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Barbarossa
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Die FDP hat sich vor Jahren auch mal versucht, als "Spaßpartei" zu profilieren. Ich erinnere mich da so an das "Guidomobil" und an Westerwelles Auftritt bei "Big Brother". Tatsächlich ging die Partei seit dieser Zeit in den Umfrage- und auch Wahlergebnissen nach oben. Aber nun, wo sie mit an der Regierung sind, "entzaubern" sie sich selbst.
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dieter
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Barbarossa hat geschrieben:Die FDP hat sich vor Jahren auch mal versucht, als "Spaßpartei" zu profilieren. Ich erinnere mich da so an das "Guidomobil" und an Westerwelles Auftritt bei "Big Brother". Tatsächlich ging die Partei seit dieser Zeit in den Umfrage- und auch Wahlergebnissen nach oben. Aber nun, wo sie mit an der Regierung sind, "entzaubern" sie sich selbst.
Lieber Barbarossa,
nun ist der Spaß vorbei. :wink: :mrgreen:
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Triton
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Ist ja ein witziger Typ, dieser Gnarr. Waren die Piraten bisher nicht auch nur eine bessere Spaßpartei? Die wahrscheinlich ganz seriös gemeinten Programmpunkte Grundeinkommen und Drogenlegalisierung wurden doch als "Geld und Drogen für alle!" verballhornt. So kamen sie auch sofort auf 15 Prozent :lolno:

Jetzt, wo sie versuchen seriös zu sein, werden sie unattraktiv. Aber ich denke, wenn eine Gallionsfigur wie Stefan Raab ernsthaft versuchen würde, die Politik aufzumischen (weil er erkennt, dass dort nur lauwarm gekocht wird), würde ich ihm Vieles zutrauen.

Die drei dünnsten Bücher der Welt waren bekanntlich "Italienische Heldensagen", "Kochrezepte aus Bangla-Desh" und "100 Jahre deutscher Humor". Hat sich viel verändert seitdem.

Schönen Sonntag noch
Joerg
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Barbarossa:
Die FDP hat sich vor Jahren auch mal versucht, als "Spaßpartei" zu profilieren. Ich erinnere mich da so an das "Guidomobil" und an Westerwelles Auftritt bei "Big Brother". Tatsächlich ging die Partei seit dieser Zeit in den Umfrage- und auch Wahlergebnissen nach oben. Aber nun, wo sie mit an der Regierung sind, "entzaubern" sie sich selbst.
Die FDP war, so fand ich es jedenfalls, nie wirklich lustig. Über Westerwelle konnte ich nicht lachen. Ich fand es einfach aufgesetzt und unnatürlich. Anders bei Gnarr. Der ist wirklich komisch. Er ist seit zwei Jahren an der Regierung und anders als die FDP, nach wie vor unterhaltsam.

Vielleicht hat Triton recht, so jemand wie Stefan Raab wäre vielleicht tatsächlich in der Politik erfolgreich. Er unternimmt ja auch erste Schritte in diese Richtung mit seiner Talkshow.
demark
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Island hat noch keinen Euro als Währung und ist noch nicht Mitglied der EU. Hat also allen Grund frei und fröhlich zu sein. Wenn natürlich die Ersparnisse vor den Bankhaien nicht mehr sicher sind und man seine Groschen lieber im Sparstrumpf bewahrt, anstatt sie einem Risiko auszusetzen, wie es hierzulande immer mehr gang und gäbe ist, dann kann einem ein Politkasper auch nicht aufhellen. Im Gegenteil, dem wird bald das Scherzen vergehen.
Nicht eine Spaßpartei schafft eine optimistische Perspektive, sondern eine kompetente Partei, die mit ihren Zielen dem Wohl des Volkes dient und weniger dem Diktat der Banken. Aber allein an diesem Widerspruch scheitern alle Parteien, ob lustig oder nicht.
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demark:
Island hat noch keinen Euro als Währung und ist noch nicht Mitglied der EU. Hat also allen Grund frei und fröhlich zu sein.
Es wird die Isländer interessieren zu erfahren, dass sie ohne Euro frei und fröhlich sein dürfen, ist doch ihr Bankensektor auch ohne Euro völlig zusammengebrochen, die isländische Krone musste um 40 % gegenüber dem Euro abgewertet werden, die Inflation erreichte 18 % , die Arbeitslosigkeit stieg auf 10%. Gut, aber wenn du meinst, sie sind trotzdem frei und fröhlich, du wirst es ja besser wissen als die Isländer.

Inzwischen erholt sich die Wirtschaft wieder deutlich. Auch der Bürgermeister Gnarr hat seinen Teil dazu beigetragen Meines Erachtens sind Spaß und Kompetenz keine Gegensätze. Eine Partei kann kompetent und unterhaltsam sein.
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dieter
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Karlheinz hat geschrieben:Inzwischen erholt sich die Wirtschaft wieder deutlich. Auch der Bürgermeister Gnarr hat seinen Teil dazu beigetragen Meines Erachtens sind Spaß und Kompetenz keine Gegensätze. Eine Partei kann kompetent und unterhaltsam sein.
Lieber Karlheinz,
das schreib mal unserenb heutigen Politikern ins Stammbuch. :wink:
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Triton
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Wobei der freie Wechselkurs der Währung den Isländern zwar wehtut, aber zur schnellen Erholung beiträgt. Das ist ja die Krux der europäischen PIIGS - sie sind an eine Hartwährung gebunden. Gerade Urlaubsnationen wie Griechenland und Spanien könnten mit einer Weichwährung wieder prosperieren und auch deutlich mehr exportieren.

Beste Grüße
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Triton hat geschrieben:Wobei der freie Wechselkurs der Währung den Isländern zwar wehtut, aber zur schnellen Erholung beiträgt. Das ist ja die Krux der europäischen PIIGS - sie sind an eine Hartwährung gebunden. Gerade Urlaubsnationen wie Griechenland und Spanien könnten mit einer Weichwährung wieder prosperieren und auch deutlich mehr exportieren.

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Lieber Joerg,
so isses. :wink:
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Balduin
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Ich fand den Spaßkurs Westerwelles unter der FDP mehr als beschämend - das war einer solch alten Partei nicht würdig. Da widerspreche ich auch Barbarossa in seiner Wertung, dass danach der Kurs nur nach oben zeigte: Die FDP war zum Ende Kohls abgewirtschaftet - sie hatten sich erfolgreich als meinungsloses Anhängsel der Kohl-CDU etabliert gehabt. Deshalb sind sie auch aus fast allen Landesparlamenten damals geflogen.
Was dann folgte, war der natürliche Gang einer Oppositionspartei: In den Umfragen nach oben :wink: Ohne Westerwelles Spaßkurs wäre die FDP erfolgreicher gewesen.
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Triton
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Die Spaßpartei war damals, als sich der Guido die 1 und die 8 auf die Schuhsohlen pappte? Das sollte man übrigens in Deutschland nicht unbedingt machen, die Zahlen stehen auch für die ersten und achten Buchstaben im Alphabet...
Guidomobil und so?
Hatte die FDP nicht 13 Prozent oder so danach?

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Barbarossa
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Triton hat geschrieben:...Hatte die FDP nicht 13 Prozent oder so danach?

Beste Grüße
Joerg
Ich glaube für ganz kurze Zeit erreichte die FDP in Umfragen irgendwann die angepeilten 18 %. Aber das war nach meiner Erinnerung nur eine ganz kurze Zeit.

Eine echte Spaßpartei trat zur einzigen demokratischen DDR-Volkskammerwahl 1990 an: die Deutsche Biertrinker Union (DBU)

Sie erreichte aber nicht einmal 1 %, was für mich der Beweis ist, daß sich "Spaß" und Politik in Deutschland irgendwie gegenseitig ausschließen.
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Triton
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Ja, an die erinnere mich auch noch. Die Biertrinkerpartei kam aber bei Wahlen nie über den Promillebereich hinaus :lol:
Vielleicht gibts ja eine Reanimation, wenn Kretschmann mit seinen Anti-Alkohol-Gesetzen so weitermacht...

Beste Grüße
Joerg
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Barbarossa
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Triton hat geschrieben:...Die Biertrinkerpartei kam aber bei Wahlen nie über den Promillebereich hinaus :lol: ...
Das ist sicher im doppelten Sinne zu verstehen, oder?
:lol:
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