von Wallenstein » 25.02.2015, 11:11
(Dieser Beitrag erschien schon in einem anderen Forum, wurde dort aber nicht weiter diskutiert)
Im vergangenen Jahr habe ich vor Jungsozialisten (Jusos) der SPD in einigen Ortsgruppen verschiedener Städte Vorträge gehalten. Einige davon sind vielleicht auch hier von Interesse:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Im Grundgesetz finden wir gleich am Anfang einen interessanten Paragraphen mit der Nummer 15. Ich lese ihn einmal vor:
Artikel 15: Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.
Was hat dies zu bedeuten? Ist das Grundgesetz für verschiedene Gesellschaftssysteme offen, möglichweise sogar für ein sozialistisches, wie dies einige in den sechziger Jahren glaubten? Wir können diesen Artikel aber nur im Zusammenhang mit Artikel 14 verstehen. Dort heißt es:
Artikel 14
1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes strebten anscheinend eine Gesellschaftsordnung an, die auf dem Privateigentum basieren sollte. Aber, und das wusste man aus leidlicher Erfahrung: Privateigentum nützt nicht zwangsläufig der Allgemeinheit. Umweltverschmutzung z.B. mag für ein Unternehmen kostensparend sein, erhöht den privaten Gewinn, schadet aber der Allgemeinheit, die nun die Schäden beseitigen soll. Um so etwas zu verhindern, sollte der Staat eingreifen können. Eigentum bringt dem einzelnen Vorteile, soll aber auch der Allgemeinheit dienen.
Ein Beispiel: Damals nach dem Krieg gab es eine gewaltige Wohnungsnot. Damit diese nicht von Spekulanten ausgenutzt wurde, führte man eine Mietzwangsbewirtschaftung ein.
Der Abschnitt 3 ermöglicht sogar eine Enteignung. Davon wurde öfters Gebrauch gemacht und zwar meistens in Fällen, wenn es um Straßenbau ging. Wer nicht verkaufen wollte, konnte und wurde enteignet.
Und um ganz sicher zu gehen, führte man mit Artikel 20 noch das Sozialstaatspostulat ein:
Artikel 20
1.) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat
Das bedeutet: Die Bundesrepublik hat eine soziale Verpflichtung gegenüber ihren Bürgern und soll ihnen helfen.
Wozu dann aber jetzt noch Artikel 15, der übrigens nie angewendet wurde?
Nach dem Krieg herrschte bei vielen Menschen die Überzeugung vor, das der Kapitalismus eine große Schuld am Faschismus hatte. Die großen Unternehmen hatten mit den Nazis zusammengearbeitet, der Staat verschaffte ihnen Rüstungsaufträge, Rohstoffe und Zwangsarbeiter. In den besetzten Gebieten wurden die dortigen Firmen deutschen Konzernen angegliedert. Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen hatten die Nazis liquidiert und durch ihre Parteiorgane ersetzt. Nach dem Krieg sollten daher auch die Wirtschaftsführer vor ein Kriegsgericht gestellt werden, doch dazu kam es nicht. Die meisten wurden nach kurzer Haftzeit freigelassen. Viele Betriebe standen nach 1945 unter der Treuhandverwaltung der Alliierten, waren also gewissermaßen schon verstaatlicht. Sollte man das nicht so lassen und sie lediglich in deutsches Staatseigentum umwandeln, aber nicht den Alteigentümern zurückgeben, die nicht selten schwer belastet waren?
Im Ahlener Programm forderte die CDU 1947 ein neues Wirtschaftssystem und die Verstaatlichung der damals bedeutenden Montanindustrie. Die Partei stand zu diesem Zeitpunkt unter dem Einfluss christlicher Gewerkschafter. Erst 1949 löste sie sich von diesen Positionen.
Für die SPD galt noch immer das Heidelberger Programm von 1925, welches größere Vergesellschaftung in der Wirtschaft forderte. Die Gewerkschaften unterstützten diese Positionen. Viele glaubten damals, dass nur durch eine zentrale Planung in Deutschland der Wiederaufbau möglich sei.
Die Amerikaner allerdings wollten die Marktwirtschaft. Die Briten verhielten sich ambivalent. Die Labour Partei hatte in England damals ebenfalls umfangreiche Verstaatlichungen vorgenommen und die SPD hoffte auf deren Unterstützung.
Der Artikel 15 und überhaupt das Grundgesetz sind demzufolge als Kompromiss zu sehen zwischen den Kräften, die auf eine Marktwirtschaft setzten und den Gruppen, die anderen gesellschaftlichen Vorstellungen anhingen.
Die weitere Entwicklung hat die damalige Kontroverse dann entschieden. Dass das neue Wirtschaftssystem, die soziale Marktwirtschaft, so erfolgreich sein würde, hatte keiner vorher geglaubt. Auch die SPD sah sich deshalb 1959 im Godesberg Programm gezwungen, alle Sozialismusvorstellungen zu beseitigen. (Dies ist eine Kurzfassung des Vortrages).
[size=85](Dieser Beitrag erschien schon in einem anderen Forum, wurde dort aber nicht weiter diskutiert)[/size]
Im vergangenen Jahr habe ich vor Jungsozialisten (Jusos) der SPD in einigen Ortsgruppen verschiedener Städte Vorträge gehalten. Einige davon sind vielleicht auch hier von Interesse:
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Im Grundgesetz finden wir gleich am Anfang einen interessanten Paragraphen mit der Nummer 15. Ich lese ihn einmal vor:
[i]Artikel 15: Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.[/i]
Was hat dies zu bedeuten? Ist das Grundgesetz für verschiedene Gesellschaftssysteme offen, möglichweise sogar für ein sozialistisches, wie dies einige in den sechziger Jahren glaubten? Wir können diesen Artikel aber nur im Zusammenhang mit Artikel 14 verstehen. Dort heißt es:
[i]Artikel 14
1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.[/i]
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes strebten anscheinend eine Gesellschaftsordnung an, die auf dem Privateigentum basieren sollte. Aber, und das wusste man aus leidlicher Erfahrung: Privateigentum nützt nicht zwangsläufig der Allgemeinheit. Umweltverschmutzung z.B. mag für ein Unternehmen kostensparend sein, erhöht den privaten Gewinn, schadet aber der Allgemeinheit, die nun die Schäden beseitigen soll. Um so etwas zu verhindern, sollte der Staat eingreifen können. Eigentum bringt dem einzelnen Vorteile, soll aber auch der Allgemeinheit dienen.
Ein Beispiel: Damals nach dem Krieg gab es eine gewaltige Wohnungsnot. Damit diese nicht von Spekulanten ausgenutzt wurde, führte man eine Mietzwangsbewirtschaftung ein.
Der Abschnitt 3 ermöglicht sogar eine Enteignung. Davon wurde öfters Gebrauch gemacht und zwar meistens in Fällen, wenn es um Straßenbau ging. Wer nicht verkaufen wollte, konnte und wurde enteignet.
Und um ganz sicher zu gehen, führte man mit Artikel 20 noch das Sozialstaatspostulat ein:
[i]Artikel 20
1.) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat[/i]
Das bedeutet: Die Bundesrepublik hat eine soziale Verpflichtung gegenüber ihren Bürgern und soll ihnen helfen.
Wozu dann aber jetzt noch Artikel 15, der übrigens nie angewendet wurde?
Nach dem Krieg herrschte bei vielen Menschen die Überzeugung vor, das der Kapitalismus eine große Schuld am Faschismus hatte. Die großen Unternehmen hatten mit den Nazis zusammengearbeitet, der Staat verschaffte ihnen Rüstungsaufträge, Rohstoffe und Zwangsarbeiter. In den besetzten Gebieten wurden die dortigen Firmen deutschen Konzernen angegliedert. Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen hatten die Nazis liquidiert und durch ihre Parteiorgane ersetzt. Nach dem Krieg sollten daher auch die Wirtschaftsführer vor ein Kriegsgericht gestellt werden, doch dazu kam es nicht. Die meisten wurden nach kurzer Haftzeit freigelassen. Viele Betriebe standen nach 1945 unter der Treuhandverwaltung der Alliierten, waren also gewissermaßen schon verstaatlicht. Sollte man das nicht so lassen und sie lediglich in deutsches Staatseigentum umwandeln, aber nicht den Alteigentümern zurückgeben, die nicht selten schwer belastet waren?
Im Ahlener Programm forderte die CDU 1947 ein neues Wirtschaftssystem und die Verstaatlichung der damals bedeutenden Montanindustrie. Die Partei stand zu diesem Zeitpunkt unter dem Einfluss christlicher Gewerkschafter. Erst 1949 löste sie sich von diesen Positionen.
Für die SPD galt noch immer das Heidelberger Programm von 1925, welches größere Vergesellschaftung in der Wirtschaft forderte. Die Gewerkschaften unterstützten diese Positionen. Viele glaubten damals, dass nur durch eine zentrale Planung in Deutschland der Wiederaufbau möglich sei.
Die Amerikaner allerdings wollten die Marktwirtschaft. Die Briten verhielten sich ambivalent. Die Labour Partei hatte in England damals ebenfalls umfangreiche Verstaatlichungen vorgenommen und die SPD hoffte auf deren Unterstützung.
Der Artikel 15 und überhaupt das Grundgesetz sind demzufolge als Kompromiss zu sehen zwischen den Kräften, die auf eine Marktwirtschaft setzten und den Gruppen, die anderen gesellschaftlichen Vorstellungen anhingen.
Die weitere Entwicklung hat die damalige Kontroverse dann entschieden. Dass das neue Wirtschaftssystem, die soziale Marktwirtschaft, so erfolgreich sein würde, hatte keiner vorher geglaubt. Auch die SPD sah sich deshalb 1959 im Godesberg Programm gezwungen, alle Sozialismusvorstellungen zu beseitigen. (Dies ist eine Kurzfassung des Vortrages).