von Aneri » 07.09.2015, 12:12
Meine derzeitige Lektüre betrifft dieses Thema. Es ist ein Buch „Das Globalisierungsparadox. Die Demokratie und die Zukunft der Weltwirtschaft“ von Dani Rodrik (Proffessor für internationale Ökonomie an der Harvard University).
Ich möchte auch auf ein verwandtes Thread hinweisen:
„Welches Wirtschaftsmodell ist das beste? –Ein Vergleich“ in Weltpolitisches/Politische Theorien. M. E. auch dieses Thread gehört dort und nicht in „epochen übergreifenden Themen“.
Ich werde die Frage ob Freihandel oder Protektionismus aus Blickwinkel des o. e. Buchs antworten. Für mich persönlich hat das Buch eine große Frage, die ich hatte, schon beantwortet. Es ist nämlich so, dass man immer wieder hört, dass die Liberalisierung des Marktes begann in 90-en. Ich, die mit Ökonomie nicht zu tun habe, und kennt nur Differenzen Sozialismus bzw. Kommunismus versus Kapitalismus, war etwas verwirrt. Warum 90? War BDR nicht kapitalistisch??? Also mit freien Markt?
Da ich sowieso hatte vor, mir schon das Gelesene kurz zu fassen, gebe ich es auch euch weiter.
Eines ist mir wieder deutlich geworden ist: die ökonomische Theorien, die unsere politisches Denken lenken, sind von begrenzter Dauer. Sie entstehen durch Beobachtung vorhandene Verhältnisse, geben Prognosen auf, die Politik in sein handeln einbringt. Dadurch ändern die Verhältnisse und das, das vorher stimmte, für die neue Umwelt falsch ist. So entstehen nächsten Generationen von ökonomischen Theorien.
Ich werde weniger die geschichtlich Entwicklung des internationalen Handels eingehen, obwohl auch dort gibt es ganz interessante Überraschungen. Ein Beispiel zeigt jedoch sehr anschaulich, dass eine Pauschalierung der These „Freihandel mit Fortschritt einhergeht“, die oft verwendet wird, nicht möglich ist. Den werde ich näher eingehen.
Nehmen wir die USA in ihrer Gründungsphase und Bürgerkrieg. Das Thema Zollpolitik zeigte sie Bruchlinie zwischen Süden und Norden. Der Süden mit Sklavenwirtschaft war angewiesen auf internationales Handeln und plädierte für die freien Markt (also Senkung der Zölle). Das Norden stütze sich „auf eine im Entstehen begriffene Fertigungsindustrie, die in punkto Produktivität hinter der britischen hinkte und Mühe hatte, mit billigen Importwaren konkurrieren zu können“(Rodrik). Daher im Bürgerkrieg ging es ebenso sehr um zukünftige amerikanische Handelspolitik wie um Abschaffung der Sklaverei. Der Freihandel hätte die Sklaverei zementiert und dieses hatte bestimmt auch Auswirkungen auf politische Institutionen (Demokratie etc.). Rodrik übrigens umgeht hier den zweiten Aspekt: nämlich, dass die stattgefundene Einführung großer Zollen gegen Fertigprodukte, hatten die Entwicklung eigene Fertigungsindustrie angetrieben und ließen den USA mit ihrer hochprotektionistische Politik auf wirtschaftliche Weltspitze katapultieren. Dieser zweite Aspekt ist nämlich strittig in ökonomischen Diskussionen. Daher akzentuiert er es nicht und begnügt mit dem Beispiel des Südens, um zu zeigen die Schwächen des Freihandels. Es bringt nicht nur (gesellschaftlichen) Fortschritt mit sich, es kann unter Umständen den Rückstand befestigen.
Die wichtigste Errungenschaft des Welthandels war
Goldstandard. Die Glaubenslehre (Achtung, wie er nennt es: Glaubens(!)-Lehre) galt zwischen 1870 und 1914, um die Disziplin für Aufrechthaltung eines freien Kapitalverkehrs, zu erzwingen. Goldstandard war auf einige wenige Regeln begründet. Jede nationale Währung hatte ihre Goldparität, ein starr festgelegtes Wertverhältnis zum Gold. Die Zentralbanken alle Nationalstaaten hatten sich verpflichtet, nationale Währungen zu diesen Kursen gegen Gold einzutauschen. Also waren Wechselkurse starr fixiert. Nach den Regeln des Goldstandard könnten nationalen Regierungen durch währungspolitischen Manöver Kreditkonditionen nicht verändern um wirtschaftliche und soziale Ziele zu erreichen. Nationale Geldmenge war einzig und allein durch grenzüberschreitende Gold- und Kapitalmenge bestimmt.
„Die Aufrechterhaltung des Goldstandard besaß absolute währungspolitische Priorität (man an was erinnert mich nur es ?!!!!
), einerseits weil sich Überzeugung durchgesetzt hatte, der Goldstandard sei die Grundlage jeder Währungsstabilität, zu naderem weil es keine konkurrierende Ziele gab – wie etwa Vollbeschäftigung oder Wirtschaftswachstum, die für währungspolitische Entscheidungen maßgeblich gewesen wären. Die Überzeugungen zählten, hier wie anderswo. Die Vorstellung, dass man mit einer aktiven Währungs- und Geldpolitik Konjukturwellen systematisch einebnen oder mit Abwertung der eigenen Währung eine Außenhandeldefizit reduzieren helfen könne, war vorläufig noch Zukunftmusik oder bestenfalls ketzerisch“(Rodrik).
Interessant in Hinsicht des Goldstandards ist, wie Britten es nach 1 WK bewahren wollten. Es war nichts anderer als Churchill, der auf seine Finanzleute hörte (was er später auch sehr bereuen wird), die ihn überzeugten, dass Rückkehr zum Goldstandard auf einer anderer Basis als der Vorkriegs-Parität, hätte Vertrauen der Märkte brechen. Es ging weniger um wirtschaftliche als ethische Prinzipien. Es hat den Niedergang des Britischen Empire beschleunigt.
Im Grunde, wenn man über Protektionismus (das Thema des Threads) reden möchte, dann war es USA in 19.Jhd bis zum 1 WK höchstprotektionistischer Land. Nur Großbritannien war die, die konsequent für Freihandel auftrat. Mit der Abschaffung der Corn Laws wuchs der Druck auf andere europäische Länder. Das Ergebnis war Cobden-Chevalier-Vertrag von 1860 mit Frankreich. Dieser Vertrag war auch deswegen bedeutsam, weil dort Meistbegünstigungsklausel eingearbeitet wurde. Mit dem Vertrag verpflichteten sich GB und Frankreich jede Zollsenkung, die einer von ihnen zukünftig einem dritten Land gewähren würde, automatische aufeinander übertragen. So entstand ein Geflecht von Handelsabkommen, das in 1860-en und 70-en ganz Europa umfasste.
Dennoch bald die Konkurrenz der billigen Feldfrüchte aus Amerika und technisch überlegen britische und zunehmend amerikanische Produzenten hatte sowohl Agrarwirtschaft als nationale Industrielle unter Druck gesetzt. Diese Interessenkoalition in Deutschland hieß “Roggen und Eisen“. Bismarck klagte, dass Deutschland zu Ablageplatz für die Überproduktion anderer Länder geworden ist, und führte deutlich höheren Einfuhrzölle ein. So begann ab 80-en entgegen gerichtete Trend zur immer höheren Handelsschranken bis zum Ausbruch des 1 WK. Nur GB blieb den Freihandel treu. Es - als Weltwirtschaftsmacht - hatte sich das auch leisten können. Sein Import war in Vergleich zu Export verhältnismäßig klein, so dass eine Erhöhung der Zölle, die eine Reaktion anderer - importierende- Länder erzeugen würde, allgemein den Britten schaden werde.
„Aus wirtschaftlichen Warte betrachtet hatte der zunehmende Protektionismus im Europa des späten 19. Jhd. Einen paradoxen Aspekt. Der Wirtschaftshistoriker Paul Bairoch hat festgestellt, dass nach 1980 nicht nur die Handelsvolumina deutlich zunahmen, sondern auch die Einkommen kräftig wuchsen, und zwar besonders in den Ländern, die Handelsschranken aufgerichtet haben. Nach dieser Erfahrung muss amn, ebenso wie in Hinblick auf den industriellen Aufstieg der USA nach dem Bürgerkrieg, den vermeintlich simplen Zusammenhang zwischen Freihandel und Wirtschaftswachstum mit noch mehr Fragezeichen versehen.“ (Rodrik, S. 59)
Fortsetzung folgt.
PS: Rodrik ist keinesfalls ein Ökonom, der gegen Freihandel ist. Dennoch gehört er zu denen, der meint, dass gegenwärtige Diskussion sehr einseitig ist. Man ist FÜR, dennoch muss man wissen auch die Schwächen und Gefahren des Freihandels, um mit dem richtig umgehen zu können. Zurzeit wird der Freihandel zu einem Absolutum erhoben, was mich sehr an die Zeiten des Goldstandards erinnern: Glaube statt Wissen. In der Hitze des Gefechts mit Globalisierungsgegnern werden die Gefahren des Freihandels einfach stillgeschwiegen. Man muss die Schwächen gut kennen, damit mit der höchtswirksame Waffe „Freihandel“ die Erfolge feiern zu können.
Meine derzeitige Lektüre betrifft dieses Thema. Es ist ein Buch „Das Globalisierungsparadox. Die Demokratie und die Zukunft der Weltwirtschaft“ von Dani Rodrik (Proffessor für internationale Ökonomie an der Harvard University).
Ich möchte auch auf ein verwandtes Thread hinweisen:[url=http://geschichte-wissen.de/forum/viewtopic.php?f=27&t=553&p=55436#p55436]„Welches Wirtschaftsmodell ist das beste? –Ein Vergleich“[/url] in Weltpolitisches/Politische Theorien. M. E. auch dieses Thread gehört dort und nicht in „epochen übergreifenden Themen“.
Ich werde die Frage ob Freihandel oder Protektionismus aus Blickwinkel des o. e. Buchs antworten. Für mich persönlich hat das Buch eine große Frage, die ich hatte, schon beantwortet. Es ist nämlich so, dass man immer wieder hört, dass die Liberalisierung des Marktes begann in 90-en. Ich, die mit Ökonomie nicht zu tun habe, und kennt nur Differenzen Sozialismus bzw. Kommunismus versus Kapitalismus, war etwas verwirrt. Warum 90? War BDR nicht kapitalistisch??? Also mit freien Markt?
Da ich sowieso hatte vor, mir schon das Gelesene kurz zu fassen, gebe ich es auch euch weiter.
Eines ist mir wieder deutlich geworden ist: die ökonomische Theorien, die unsere politisches Denken lenken, sind von begrenzter Dauer. Sie entstehen durch Beobachtung vorhandene Verhältnisse, geben Prognosen auf, die Politik in sein handeln einbringt. Dadurch ändern die Verhältnisse und das, das vorher stimmte, für die neue Umwelt falsch ist. So entstehen nächsten Generationen von ökonomischen Theorien.
Ich werde weniger die geschichtlich Entwicklung des internationalen Handels eingehen, obwohl auch dort gibt es ganz interessante Überraschungen. Ein Beispiel zeigt jedoch sehr anschaulich, dass eine Pauschalierung der These „Freihandel mit Fortschritt einhergeht“, die oft verwendet wird, nicht möglich ist. Den werde ich näher eingehen.
Nehmen wir die USA in ihrer Gründungsphase und Bürgerkrieg. Das Thema Zollpolitik zeigte sie Bruchlinie zwischen Süden und Norden. Der Süden mit Sklavenwirtschaft war angewiesen auf internationales Handeln und plädierte für die freien Markt (also Senkung der Zölle). Das Norden stütze sich „auf eine im Entstehen begriffene Fertigungsindustrie, die in punkto Produktivität hinter der britischen hinkte und Mühe hatte, mit billigen Importwaren konkurrieren zu können“(Rodrik). Daher im Bürgerkrieg ging es ebenso sehr um zukünftige amerikanische Handelspolitik wie um Abschaffung der Sklaverei. Der Freihandel hätte die Sklaverei zementiert und dieses hatte bestimmt auch Auswirkungen auf politische Institutionen (Demokratie etc.). Rodrik übrigens umgeht hier den zweiten Aspekt: nämlich, dass die stattgefundene Einführung großer Zollen gegen Fertigprodukte, hatten die Entwicklung eigene Fertigungsindustrie angetrieben und ließen den USA mit ihrer hochprotektionistische Politik auf wirtschaftliche Weltspitze katapultieren. Dieser zweite Aspekt ist nämlich strittig in ökonomischen Diskussionen. Daher akzentuiert er es nicht und begnügt mit dem Beispiel des Südens, um zu zeigen die Schwächen des Freihandels. Es bringt nicht nur (gesellschaftlichen) Fortschritt mit sich, es kann unter Umständen den Rückstand befestigen.
Die wichtigste Errungenschaft des Welthandels war [b]Goldstandard[/b]. Die Glaubenslehre (Achtung, wie er nennt es: Glaubens(!)-Lehre) galt zwischen 1870 und 1914, um die Disziplin für Aufrechthaltung eines freien Kapitalverkehrs, zu erzwingen. Goldstandard war auf einige wenige Regeln begründet. Jede nationale Währung hatte ihre Goldparität, ein starr festgelegtes Wertverhältnis zum Gold. Die Zentralbanken alle Nationalstaaten hatten sich verpflichtet, nationale Währungen zu diesen Kursen gegen Gold einzutauschen. Also waren Wechselkurse starr fixiert. Nach den Regeln des Goldstandard könnten nationalen Regierungen durch währungspolitischen Manöver Kreditkonditionen nicht verändern um wirtschaftliche und soziale Ziele zu erreichen. Nationale Geldmenge war einzig und allein durch grenzüberschreitende Gold- und Kapitalmenge bestimmt.
„Die Aufrechterhaltung des Goldstandard besaß absolute währungspolitische Priorität (man an was erinnert mich nur es ?!!!! :wink: ), einerseits weil sich Überzeugung durchgesetzt hatte, der Goldstandard sei die Grundlage jeder Währungsstabilität, zu naderem weil es keine konkurrierende Ziele gab – wie etwa Vollbeschäftigung oder Wirtschaftswachstum, die für währungspolitische Entscheidungen maßgeblich gewesen wären. Die Überzeugungen zählten, hier wie anderswo. Die Vorstellung, dass man mit einer aktiven Währungs- und Geldpolitik Konjukturwellen systematisch einebnen oder mit Abwertung der eigenen Währung eine Außenhandeldefizit reduzieren helfen könne, war vorläufig noch Zukunftmusik oder bestenfalls ketzerisch“(Rodrik).
Interessant in Hinsicht des Goldstandards ist, wie Britten es nach 1 WK bewahren wollten. Es war nichts anderer als Churchill, der auf seine Finanzleute hörte (was er später auch sehr bereuen wird), die ihn überzeugten, dass Rückkehr zum Goldstandard auf einer anderer Basis als der Vorkriegs-Parität, hätte Vertrauen der Märkte brechen. Es ging weniger um wirtschaftliche als ethische Prinzipien. Es hat den Niedergang des Britischen Empire beschleunigt.
Im Grunde, wenn man über Protektionismus (das Thema des Threads) reden möchte, dann war es USA in 19.Jhd bis zum 1 WK höchstprotektionistischer Land. Nur Großbritannien war die, die konsequent für Freihandel auftrat. Mit der Abschaffung der Corn Laws wuchs der Druck auf andere europäische Länder. Das Ergebnis war Cobden-Chevalier-Vertrag von 1860 mit Frankreich. Dieser Vertrag war auch deswegen bedeutsam, weil dort Meistbegünstigungsklausel eingearbeitet wurde. Mit dem Vertrag verpflichteten sich GB und Frankreich jede Zollsenkung, die einer von ihnen zukünftig einem dritten Land gewähren würde, automatische aufeinander übertragen. So entstand ein Geflecht von Handelsabkommen, das in 1860-en und 70-en ganz Europa umfasste.
Dennoch bald die Konkurrenz der billigen Feldfrüchte aus Amerika und technisch überlegen britische und zunehmend amerikanische Produzenten hatte sowohl Agrarwirtschaft als nationale Industrielle unter Druck gesetzt. Diese Interessenkoalition in Deutschland hieß “Roggen und Eisen“. Bismarck klagte, dass Deutschland zu Ablageplatz für die Überproduktion anderer Länder geworden ist, und führte deutlich höheren Einfuhrzölle ein. So begann ab 80-en entgegen gerichtete Trend zur immer höheren Handelsschranken bis zum Ausbruch des 1 WK. Nur GB blieb den Freihandel treu. Es - als Weltwirtschaftsmacht - hatte sich das auch leisten können. Sein Import war in Vergleich zu Export verhältnismäßig klein, so dass eine Erhöhung der Zölle, die eine Reaktion anderer - importierende- Länder erzeugen würde, allgemein den Britten schaden werde.
„Aus wirtschaftlichen Warte betrachtet hatte der zunehmende Protektionismus im Europa des späten 19. Jhd. Einen paradoxen Aspekt. Der Wirtschaftshistoriker Paul Bairoch hat festgestellt, dass nach 1980 nicht nur die Handelsvolumina deutlich zunahmen, sondern auch die Einkommen kräftig wuchsen, und zwar besonders in den Ländern, die Handelsschranken aufgerichtet haben. Nach dieser Erfahrung muss amn, ebenso wie in Hinblick auf den industriellen Aufstieg der USA nach dem Bürgerkrieg, den vermeintlich simplen Zusammenhang zwischen Freihandel und Wirtschaftswachstum mit noch mehr Fragezeichen versehen.“ (Rodrik, S. 59)
Fortsetzung folgt.
PS: Rodrik ist keinesfalls ein Ökonom, der gegen Freihandel ist. Dennoch gehört er zu denen, der meint, dass gegenwärtige Diskussion sehr einseitig ist. Man ist FÜR, dennoch muss man wissen auch die Schwächen und Gefahren des Freihandels, um mit dem richtig umgehen zu können. Zurzeit wird der Freihandel zu einem Absolutum erhoben, was mich sehr an die Zeiten des Goldstandards erinnern: Glaube statt Wissen. In der Hitze des Gefechts mit Globalisierungsgegnern werden die Gefahren des Freihandels einfach stillgeschwiegen. Man muss die Schwächen gut kennen, damit mit der höchtswirksame Waffe „Freihandel“ die Erfolge feiern zu können.