von Sebastian Materne » 07.02.2011, 14:30
Selbst als eingefleischter Afrika-Fan und, wie ich einfach mal behaupten würde, auch verhältnismäßig guter Kenner des Kontinents, ist man angesichts Somalias schlicht und einfach rat- und hilflos. Es ist furchtbar, was sich dort an jedem einzelnen Tag abspielt.
Da meine alte Seite ja mittlerweile nicht mehr online ist, habe ich mal einen älteren Artikel zu Somalia herausgesucht. Man kann ihn meines Erachtens nach heute nahezu unverändert gelten lassen:
Von vielen Konflikten kriegt man als durchschnittlicher deutscher Tagesschauseher mehr als genug mit. Vom Irak etwa, von Afghanistan, von Pakistan, den israelisch-palästinensischen Konflikt, von Georgien und seinen abtrünnigen Provinzen und auch die sudanesische Krisenregion Dafur erfreute sich mit zunehmender Brutalität der Kämpfe einer steigenden medialen Aufmerksamkeit. Kaum vorstellbar also, dass uns etwas im Zeitalter von Highspeed-Internet und Satelliten-Telefonen entgeht. Zumindest nichts von Belang. Und doch täuscht das Bild.
Können sie sich eine Staatshauptstadt vorstellen, die praktisch zur rechtsfreien Zone erklärt worden ist und wo Rebellen wie Regierung auf alles schießen, was sich noch bewegt? Eine Stadt, die vielerorts einer Geisterstadt gleicht und in der kaum eine Nacht vergeht, in der keine Explosionen das abendliche Firmament erhellen oder Gewehrschüsse die Nachtruhe zerreißen. Selbst berühmt-berüchtigte Beispiele wie Bagdad, Grosni oder Kabul haben nie zu diesem Maße erreicht, was sich heute am Horn von Afrika abspielt. Die Rede ist von Mogadishu, der Hauptstadt Somalias.
Heute hört man nur von Somalia, wenn einmal mehr Piraten ein westliches Handelsschiff gekapert haben und Millionen als Lösegeld fordern. Schon wird in Europa über die Entsendung von militärischen Gegenmaßnahmen debattiert. Ein berechtigter und nötiger Schritt. Doch wie sooft in den letzten Jahren verkennen westliche Herrscher beim Griff zum Schwert, dass das eigentliche Problem damit nicht gelöst werden wird. Wenn sich die Dimensionen auch nicht vergleichen lassen, so ist es doch ein Indiz, dass auch Europa aus dem Irak-Fiasko der USA keine praktischen Schlüsse gezogen hat. Denn wer somalische Piraten als militärische Bedrohung versteht, hat nur vordergründig recht und das Problem noch lange nicht verstanden.
Denn zuallererst sind sie der offensichtlichste Ausdruck für das Scheitern eines ganzen Staates. Nur in einem "failed State" wie Somalia, also einem Staat in dem es der Regierung nicht mehr möglich ist, über ihr Territorium souverän zu herrschen, findet sich der Nährboden für ein derart perfektioniertes System von Piraterie und Menschenraub. Und wenn Europa Lösungen für die Handelsschifffahrt finden will, dann muss es hier ansetzen. An der Wurzel des Übels, nicht an seinem Blattwerk.
Der Zerfall Somalias begann mit der Absetzung des mehr als zwei Dekaden herrschenden Diktators Siad Barre im Jahr 1991. Das Scheitern bei der anschließenden Regierungsbildung markiert gleichzeitig den Beginn der aufflammenden Kämpfe in dem ostafrikanischen Staat, der fortan bestenfalls regional von einzelnen Warlords oder sonstigen kriminellen Kriegstreibern regiert wird. Das Scheitern der UN-Mission, eindrucksvoll für die heutige Generation in dem Film "Black Hawk Down" verfilmt, bedeutet nicht nur das Ende ausländischer Inteventionen, sondern auch weitestgehend das Ende westlichem Interesses.
Heute nach verschiedenen Versuchen zur Bildung von nationalen Regierungen, zu denen auch die radikalislamische "Union islamischer Gerichte" zu zählen ist, ist die Lage verwirrender und komplizierter denn je. Während die Separatisten des Somaliland weiterhin den Nordwesten des Landes und die eben erwähnte "Union islamischer Gerichte" trotz äthiopischer Militärintervention weite Teile des Südens hält, beschränkt sich der Einflussbereich der Übergangsregierung unter Abdullahi Yusuf Ahmed auf den Nordosten des Landes, sowie einzelne Inseln im Süden und Teile (!) der eigentlichen Hauptstadt Mogadishu.
Wenig verwunderlich ist, dass die humanitäre Lage sich binnen weniger Jahre noch einmal massiv verschlechterte. Die Lebenserwartung beträgt selbst bei Menschen, die die Konflikte überleben mittlerweile nicht einmal mehr 50 Jahre. Das Durchschnittsalter ist auf unter 18 Jahre gefallen. Die Wirtschafts abseits des Krieges ist in einigen Regionen nahezu vollständig zusammengebrochen. Eine Lösung ist nicht in Sicht.
Und der Westen? Der hat aufgrund der Finanzkrise keine Zeit sich über ein derart "unwichtiges" Land, wie Somalia den Kopf zu zerbrechen. Ab und an wird in der UN zwar freundlich darüber debattiert, aber die Bereitschaft zur Lösung ist bestenfalls gering. So schiebt man der Afrikanischen Union die Rolle des eingreifenden Akteurs zu. Dass diese angesichts verschiedener regionaler Engagements und ohnehin eher durchschnittlicher Ausbildung kaum in der Lage sein wird, dieses Problem zu lösen, steht auf einem anderen Blatt.
700 Milliarden bringen alleine die USA zur Bekämpfung der Kreditkrise auf. Mit ähnlichem Eifer werden auch Europäer, Japaner und andere reiche Staaten auf ihre Finanzprobleme reagieren. Für eine solche Summe könnte man den derzeitigen somalischen Haushalt verzehnfachen und trotzdem noch zwölf Jahre begleichen. Aber solche Zahlenspiele sind sicherlich auch nicht ganz fair. Fest jedoch steht: Wenn der Westen nicht endlich bereit ist, seinem edlen Ruf nach mehr Wohlstand und Freiheit (speziell in Afrika) auch Taten folgen zu lassen, ist die ohnehin ramponierte Glaubwürdigkeit in akkuter Gefahr. Und es stellt sich einmal mehr die Frage, wie häufig sich Ruanda und Dafur noch wiederholen müssen, ehe man hierzulande und im Rest des "westlichen Kulturkreises" begreift.
In Ostafrika stirbt ein Staat. Das es wieder ein vereintes Somalia geben wird, ist heute wohl mehr als unwahrscheinlich. Vielleicht gibt es irgendwann ein unabhängiges Somaliland, ein Puntland und wie die Gebiete, die nach Unabhängigkeit streben, sonst heißen mögen. Ob das aber auch Frieden bringt? Skepsis muss erlaubt sein. Möglich, dass die Probleme dort nicht ohne ausländische Hilfe, ob durch UN oder AU, gelöst werden können. Möglich auch, dass das den Einsatz von Menschenleben erfordert, die dort nicht heimisch sind.
Die Weltgemeinschaft schaut nicht ohne Grund lieber woanders hin. Sie hat allen Grund sich für ihr Desinteresse und ihre Ignoranz zu schämen. Aber sie muss lernen, dass man gerade hinzuschauen hat, wenn es weh tut. Ob UN, AU, USA oder EU - sie alle treten für Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand ein. Zumindest ihren Doktrinen nach. Aber wenn dem in Somalia nicht in baldiger Zeit Taten folgen, die über das Entsenden von Kriegsschiffen zur Bekämpfung der Piraterie hinausgehen, dann stirbt in Somalia bald nicht mehr "nur" ein Staat, sondern abermals Millionen Menschen. Für das Wegschauen ein ziemlich hoher Preis.
(c) Sebastian Materne
Selbst als eingefleischter Afrika-Fan und, wie ich einfach mal behaupten würde, auch verhältnismäßig guter Kenner des Kontinents, ist man angesichts Somalias schlicht und einfach rat- und hilflos. Es ist furchtbar, was sich dort an jedem einzelnen Tag abspielt.
Da meine alte Seite ja mittlerweile nicht mehr online ist, habe ich mal einen älteren Artikel zu Somalia herausgesucht. Man kann ihn meines Erachtens nach heute nahezu unverändert gelten lassen:
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Von vielen Konflikten kriegt man als durchschnittlicher deutscher Tagesschauseher mehr als genug mit. Vom Irak etwa, von Afghanistan, von Pakistan, den israelisch-palästinensischen Konflikt, von Georgien und seinen abtrünnigen Provinzen und auch die sudanesische Krisenregion Dafur erfreute sich mit zunehmender Brutalität der Kämpfe einer steigenden medialen Aufmerksamkeit. Kaum vorstellbar also, dass uns etwas im Zeitalter von Highspeed-Internet und Satelliten-Telefonen entgeht. Zumindest nichts von Belang. Und doch täuscht das Bild.
Können sie sich eine Staatshauptstadt vorstellen, die praktisch zur rechtsfreien Zone erklärt worden ist und wo Rebellen wie Regierung auf alles schießen, was sich noch bewegt? Eine Stadt, die vielerorts einer Geisterstadt gleicht und in der kaum eine Nacht vergeht, in der keine Explosionen das abendliche Firmament erhellen oder Gewehrschüsse die Nachtruhe zerreißen. Selbst berühmt-berüchtigte Beispiele wie Bagdad, Grosni oder Kabul haben nie zu diesem Maße erreicht, was sich heute am Horn von Afrika abspielt. Die Rede ist von Mogadishu, der Hauptstadt Somalias.
Heute hört man nur von Somalia, wenn einmal mehr Piraten ein westliches Handelsschiff gekapert haben und Millionen als Lösegeld fordern. Schon wird in Europa über die Entsendung von militärischen Gegenmaßnahmen debattiert. Ein berechtigter und nötiger Schritt. Doch wie sooft in den letzten Jahren verkennen westliche Herrscher beim Griff zum Schwert, dass das eigentliche Problem damit nicht gelöst werden wird. Wenn sich die Dimensionen auch nicht vergleichen lassen, so ist es doch ein Indiz, dass auch Europa aus dem Irak-Fiasko der USA keine praktischen Schlüsse gezogen hat. Denn wer somalische Piraten als militärische Bedrohung versteht, hat nur vordergründig recht und das Problem noch lange nicht verstanden.
Denn zuallererst sind sie der offensichtlichste Ausdruck für das Scheitern eines ganzen Staates. Nur in einem "failed State" wie Somalia, also einem Staat in dem es der Regierung nicht mehr möglich ist, über ihr Territorium souverän zu herrschen, findet sich der Nährboden für ein derart perfektioniertes System von Piraterie und Menschenraub. Und wenn Europa Lösungen für die Handelsschifffahrt finden will, dann muss es hier ansetzen. An der Wurzel des Übels, nicht an seinem Blattwerk.
Der Zerfall Somalias begann mit der Absetzung des mehr als zwei Dekaden herrschenden Diktators Siad Barre im Jahr 1991. Das Scheitern bei der anschließenden Regierungsbildung markiert gleichzeitig den Beginn der aufflammenden Kämpfe in dem ostafrikanischen Staat, der fortan bestenfalls regional von einzelnen Warlords oder sonstigen kriminellen Kriegstreibern regiert wird. Das Scheitern der UN-Mission, eindrucksvoll für die heutige Generation in dem Film "Black Hawk Down" verfilmt, bedeutet nicht nur das Ende ausländischer Inteventionen, sondern auch weitestgehend das Ende westlichem Interesses.
Heute nach verschiedenen Versuchen zur Bildung von nationalen Regierungen, zu denen auch die radikalislamische "Union islamischer Gerichte" zu zählen ist, ist die Lage verwirrender und komplizierter denn je. Während die Separatisten des Somaliland weiterhin den Nordwesten des Landes und die eben erwähnte "Union islamischer Gerichte" trotz äthiopischer Militärintervention weite Teile des Südens hält, beschränkt sich der Einflussbereich der Übergangsregierung unter Abdullahi Yusuf Ahmed auf den Nordosten des Landes, sowie einzelne Inseln im Süden und Teile (!) der eigentlichen Hauptstadt Mogadishu.
Wenig verwunderlich ist, dass die humanitäre Lage sich binnen weniger Jahre noch einmal massiv verschlechterte. Die Lebenserwartung beträgt selbst bei Menschen, die die Konflikte überleben mittlerweile nicht einmal mehr 50 Jahre. Das Durchschnittsalter ist auf unter 18 Jahre gefallen. Die Wirtschafts abseits des Krieges ist in einigen Regionen nahezu vollständig zusammengebrochen. Eine Lösung ist nicht in Sicht.
Und der Westen? Der hat aufgrund der Finanzkrise keine Zeit sich über ein derart "unwichtiges" Land, wie Somalia den Kopf zu zerbrechen. Ab und an wird in der UN zwar freundlich darüber debattiert, aber die Bereitschaft zur Lösung ist bestenfalls gering. So schiebt man der Afrikanischen Union die Rolle des eingreifenden Akteurs zu. Dass diese angesichts verschiedener regionaler Engagements und ohnehin eher durchschnittlicher Ausbildung kaum in der Lage sein wird, dieses Problem zu lösen, steht auf einem anderen Blatt.
700 Milliarden bringen alleine die USA zur Bekämpfung der Kreditkrise auf. Mit ähnlichem Eifer werden auch Europäer, Japaner und andere reiche Staaten auf ihre Finanzprobleme reagieren. Für eine solche Summe könnte man den derzeitigen somalischen Haushalt verzehnfachen und trotzdem noch zwölf Jahre begleichen. Aber solche Zahlenspiele sind sicherlich auch nicht ganz fair. Fest jedoch steht: Wenn der Westen nicht endlich bereit ist, seinem edlen Ruf nach mehr Wohlstand und Freiheit (speziell in Afrika) auch Taten folgen zu lassen, ist die ohnehin ramponierte Glaubwürdigkeit in akkuter Gefahr. Und es stellt sich einmal mehr die Frage, wie häufig sich Ruanda und Dafur noch wiederholen müssen, ehe man hierzulande und im Rest des "westlichen Kulturkreises" begreift.
In Ostafrika stirbt ein Staat. Das es wieder ein vereintes Somalia geben wird, ist heute wohl mehr als unwahrscheinlich. Vielleicht gibt es irgendwann ein unabhängiges Somaliland, ein Puntland und wie die Gebiete, die nach Unabhängigkeit streben, sonst heißen mögen. Ob das aber auch Frieden bringt? Skepsis muss erlaubt sein. Möglich, dass die Probleme dort nicht ohne ausländische Hilfe, ob durch UN oder AU, gelöst werden können. Möglich auch, dass das den Einsatz von Menschenleben erfordert, die dort nicht heimisch sind.
Die Weltgemeinschaft schaut nicht ohne Grund lieber woanders hin. Sie hat allen Grund sich für ihr Desinteresse und ihre Ignoranz zu schämen. Aber sie muss lernen, dass man gerade hinzuschauen hat, wenn es weh tut. Ob UN, AU, USA oder EU - sie alle treten für Freiheit, Gerechtigkeit und Wohlstand ein. Zumindest ihren Doktrinen nach. Aber wenn dem in Somalia nicht in baldiger Zeit Taten folgen, die über das Entsenden von Kriegsschiffen zur Bekämpfung der Piraterie hinausgehen, dann stirbt in Somalia bald nicht mehr "nur" ein Staat, sondern abermals Millionen Menschen. Für das Wegschauen ein ziemlich hoher Preis.
(c) Sebastian Materne
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