von ehemaliger Autor K. » 26.04.2013, 13:51
Zum ersten Mal erlebte ich mit 15 Jahren 1965 eine Maidemonstration in Hamburg-Bergedorf, einem Stadtteil von Hamburg. Am Vormittag versammelte sich eine größere Gruppe überwiegend älterer Männern in der Nähe einer Gaststätte, die vorwiegend von Gewerkschaftern und SPD-Mitgliedern besucht wurde. Alle trugen Anzüge, weiße Hemden und Krawatten, am Kragen eine rote Nelke. Frauen konnte ich nicht erblicken. Dann setzte sich der Zug in Bewegung, vorneweg der Bergedorfer Spielmannszug, der paradoxerweise preußische Marschmusik spielte. Nachdem sie einmal die Stadt durchquert hatten, ging es zurück zum Lokal, wo sie einen feucht-fröhlichen Nachmittag verbrachten. Ich fragte mich, was das wohl alles zu bedeuten hatte, aber kaum jemand konnte mir erklären, weshalb der 1. Mai eigentlich gefeiert wurde. Die meisten glaubten, es hänge wahrscheinlich mit dem Frühlingsanfang zusammen, andere meinten, dies wäre ein alter germanischer Volksbrauch und hätte mit den Maibäumen zu tun, junge Birken, die in große Vasen gesteckt wurden und die man seinerzeit vor Lokale und einige Geschäfte stellte. Unser Klassenlehrer gab zu, dass er auch nicht richtig informiert wäre, aber es hänge wohl mit den Gewerkschaften und der SPD zusammen, aber mehr könnte er auch nicht sagen. Mein Nachbar wusste es besser, die Nazis hätten diesen Tag erfunden und tatsächlich wurde ja der 1.Mai ausgerechnet von den Nationalsozialisten 1933 zum Feiertag erkoren. In der Weimarer Republik gab es ihn noch nicht, nur einmal 1919, danach nicht mehr.
Der 1.Mai 1968 in der Hamburger Innenstadt verlief stürmisch mit ca. 4.000 Teilnehmern. Die lahme DGB- Demonstration wurde von der APO umfunktioniert und endete mit einer separaten „sozialistischen“ Abschluss Kundgebung von ca. 2.500 Demonstranten, hauptsächlich Studenten und Intellektuelle. In den 70er Jahren wurden die Demonstrationen immer größer und hatten zwischen 15.000 bis 25.000 Teilnehmer. Sie wurden immer mehr zum Tummelplatz linker Organisationen, vor allem von Maoisten und Anhängern der DKP. Belange der Arbeiter spielten weniger eine Rolle, es ging um den Krieg in Vietnam und andere Themen. Man unterschied zwischen dem „Regierungsmai“ des DGB und dem „revolutionären Mai“ der Linken, die meistens eine eigene Abschluss Kundgebung veranstalteten.
Ende der siebziger Jahre spielten die neuen sozialen Bewegungen eine ständig größere Rolle, die Umweltschützer, die Gegner der Atomkraft, die Schwulen und Lesben und vor allem viele Ausländer nahmen an den Demonstrationen teil. Nur die, um die es ursprünglich eigentlich ging, die Arbeiter, sah man nicht mehr oft. Umfangreiche Rationalisierungen und eine Pleitewelle hatten sie als soziale Schicht dezimiert. Im Hamburger Hafen arbeiteten früher tausende von Arbeitern, heute mutet er futuristisch an, Container, Züge und Kräne bewegen sich wie von Geisterhand, der Hafen ist menschenleer, Roboter haben die gesamte Arbeit übernommen, man braucht nur noch wenige Techniker und Programmierer, der frühere Hafenarbeiter ist überflüssig geworden. Die „Arbeiterklasse“ ist verschwunden, es dominieren die Berufe im Dienstleistungssektor, doch diese „Neue Arbeiterklasse“ zeigte am 1.Mai nur wenig Interesse, dieser beschäftigte vor allem die Intellektuellen.
In den 80er Jahren gaben die Anhänger der Friedensbewegung den Ton an und die „Alternativen“ beherrschten die Demonstration. Die Maoisten existierten nicht mehr, stattdessen gab es den„schwarzen Block“, junge Leute in dunkler Lederkleidung und Motorhelm, Anarchisten, Spontanisten, Hausbesetzer. Hatten die Linken noch konstruktive Ziele gehabt, ging es jetzt nur noch gegen das „Scheißsystem“, gegen „Bullenterror“ usw. „Revolution“ bedeutete: zerschlagene Schaufenster, demolierte Autos, Molotowcocktails.
In den vergangenen 20 Jahren nahm das Interesse an den Maidemonstrationen wieder ab, sie wurden zunehmend auch langweiliger, der „schwarze Block“ verwandelte ihn gelegentlich wieder in eine „revolutionäre“ Demonstration, also in einen Randale-Mai. Man trifft aber viele Uraltlinke, Nostalgiker, die schon vor 30 Jahren oder länger dabei waren, die immer noch den alten Ideen nachhängen und die ich noch von 1968 her kenne. Frühere Hippies, Leute aus dem Dunstkreis der RAF, dem sogenannten Sympathiesantensumpf (es gab ihn wirklich), die militanten Kämpfer aus den heißen 70er und noch viele mehr. Hamburg ist ein Dorf, man trifft sich immer wieder. Wenn man Lust hat über die alten Zeiten zu reden, ist der 1.Mai wunderbar geeignet. Ich bin allerdings schon seit längerer Zeit nicht mehr zu den Mai-Umzügen hingegangen.
[i]Zum ersten Mal erlebte ich mit 15 Jahren 1965 eine Maidemonstration in Hamburg-Bergedorf, einem Stadtteil von Hamburg. Am Vormittag versammelte sich eine größere Gruppe überwiegend älterer Männern in der Nähe einer Gaststätte, die vorwiegend von Gewerkschaftern und SPD-Mitgliedern besucht wurde. Alle trugen Anzüge, weiße Hemden und Krawatten, am Kragen eine rote Nelke. Frauen konnte ich nicht erblicken. Dann setzte sich der Zug in Bewegung, vorneweg der Bergedorfer Spielmannszug, der paradoxerweise preußische Marschmusik spielte. Nachdem sie einmal die Stadt durchquert hatten, ging es zurück zum Lokal, wo sie einen feucht-fröhlichen Nachmittag verbrachten. Ich fragte mich, was das wohl alles zu bedeuten hatte, aber kaum jemand konnte mir erklären, weshalb der 1. Mai eigentlich gefeiert wurde. Die meisten glaubten, es hänge wahrscheinlich mit dem Frühlingsanfang zusammen, andere meinten, dies wäre ein alter germanischer Volksbrauch und hätte mit den Maibäumen zu tun, junge Birken, die in große Vasen gesteckt wurden und die man seinerzeit vor Lokale und einige Geschäfte stellte. Unser Klassenlehrer gab zu, dass er auch nicht richtig informiert wäre, aber es hänge wohl mit den Gewerkschaften und der SPD zusammen, aber mehr könnte er auch nicht sagen. Mein Nachbar wusste es besser, die Nazis hätten diesen Tag erfunden und tatsächlich wurde ja der 1.Mai ausgerechnet von den Nationalsozialisten 1933 zum Feiertag erkoren. In der Weimarer Republik gab es ihn noch nicht, nur einmal 1919, danach nicht mehr.
Der 1.Mai 1968 in der Hamburger Innenstadt verlief stürmisch mit ca. 4.000 Teilnehmern. Die lahme DGB- Demonstration wurde von der APO umfunktioniert und endete mit einer separaten „sozialistischen“ Abschluss Kundgebung von ca. 2.500 Demonstranten, hauptsächlich Studenten und Intellektuelle. In den 70er Jahren wurden die Demonstrationen immer größer und hatten zwischen 15.000 bis 25.000 Teilnehmer. Sie wurden immer mehr zum Tummelplatz linker Organisationen, vor allem von Maoisten und Anhängern der DKP. Belange der Arbeiter spielten weniger eine Rolle, es ging um den Krieg in Vietnam und andere Themen. Man unterschied zwischen dem „Regierungsmai“ des DGB und dem „revolutionären Mai“ der Linken, die meistens eine eigene Abschluss Kundgebung veranstalteten.
Ende der siebziger Jahre spielten die neuen sozialen Bewegungen eine ständig größere Rolle, die Umweltschützer, die Gegner der Atomkraft, die Schwulen und Lesben und vor allem viele Ausländer nahmen an den Demonstrationen teil. Nur die, um die es ursprünglich eigentlich ging, die Arbeiter, sah man nicht mehr oft. Umfangreiche Rationalisierungen und eine Pleitewelle hatten sie als soziale Schicht dezimiert. Im Hamburger Hafen arbeiteten früher tausende von Arbeitern, heute mutet er futuristisch an, Container, Züge und Kräne bewegen sich wie von Geisterhand, der Hafen ist menschenleer, Roboter haben die gesamte Arbeit übernommen, man braucht nur noch wenige Techniker und Programmierer, der frühere Hafenarbeiter ist überflüssig geworden. Die „Arbeiterklasse“ ist verschwunden, es dominieren die Berufe im Dienstleistungssektor, doch diese „Neue Arbeiterklasse“ zeigte am 1.Mai nur wenig Interesse, dieser beschäftigte vor allem die Intellektuellen.
In den 80er Jahren gaben die Anhänger der Friedensbewegung den Ton an und die „Alternativen“ beherrschten die Demonstration. Die Maoisten existierten nicht mehr, stattdessen gab es den„schwarzen Block“, junge Leute in dunkler Lederkleidung und Motorhelm, Anarchisten, Spontanisten, Hausbesetzer. Hatten die Linken noch konstruktive Ziele gehabt, ging es jetzt nur noch gegen das „Scheißsystem“, gegen „Bullenterror“ usw. „Revolution“ bedeutete: zerschlagene Schaufenster, demolierte Autos, Molotowcocktails.
In den vergangenen 20 Jahren nahm das Interesse an den Maidemonstrationen wieder ab, sie wurden zunehmend auch langweiliger, der „schwarze Block“ verwandelte ihn gelegentlich wieder in eine „revolutionäre“ Demonstration, also in einen Randale-Mai. Man trifft aber viele Uraltlinke, Nostalgiker, die schon vor 30 Jahren oder länger dabei waren, die immer noch den alten Ideen nachhängen und die ich noch von 1968 her kenne. Frühere Hippies, Leute aus dem Dunstkreis der RAF, dem sogenannten Sympathiesantensumpf (es gab ihn wirklich), die militanten Kämpfer aus den heißen 70er und noch viele mehr. Hamburg ist ein Dorf, man trifft sich immer wieder. Wenn man Lust hat über die alten Zeiten zu reden, ist der 1.Mai wunderbar geeignet. Ich bin allerdings schon seit längerer Zeit nicht mehr zu den Mai-Umzügen hingegangen.
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