IS und die Vergangenheit
Verfasst: 28.08.2014, 09:19
Die Terrormiliz spielt auf die Zeit an, als der Islam entstand und die Araber die halbe Welt eroberten. Doch was steckt hinter diesen Plänen? Reine Fantasie oder konkrete Absicht?
Die Bedeutung des Wortes «Kalif» ist nicht ganz klar. Im Koran kommt es zweimal vor, dort scheint es «Mann» zu bedeuten.
Abd al-Malik (um 645–750) war der erste Muslim, der sich als «Kalif» bezeichnete: «Khalifat Allah» – «der Stellvertreter Gottes». Das erschien den Gläubigen damals doch ein bisschen problematisch. «Khalifat Rasul Allah» – «Nachfolger des Propheten Gottes» – diesen Titel erhielten rückwirkend alle frühen Herrscher des arabischen Reiches.
Die ersten vier Kalifen erhielten später den Ehrentitel «ar-Rashidun» – die «Rechtgeleiteten»: Abu Bakr, der erste Nachfolger Mohammeds (632–634), Umar (634–644), Uthman (644–656) und Ali (656–661), Mohammeds Vetter und Schwiegersohn. Wobei Ali schon von Muawiya (661–680) in den Schatten gestellt wurde. Er war der erste Herrscher über das arabische Reich und Begründer der Umayyaden-Dynastie.
Nun hat Abu Bakr al-Baghadi wieder ein Kalifat ausgerufen. Er ist die Stimme des IS, des sogenannten «Islamischen Staats». Die Terrormiliz versetzt den Nahen Osten in Angst und Schrecken und den Westen in Unruhe. Was will der IS? Und was soll die Referenz auf das Kalifat?
Über den IS wissen wir nicht gerade viel. Und über Mohammed und die Entstehung des Islam gibt es zwar eine riesige Überlieferung, aber die verhüllt mehr, als sie preisgibt.
Klar ist: Für den IS ist das Kalifat eine Retro-Utopie. Eine nostalgische Erinnerung an eine Zeit, als der Islam die bekannte Welt beherrschte. Nur zu gerne wüssten wir, ob das im Fall des IS nur eine Fantasie ist oder ob es wirklich konkrete Pläne für eine Expansionsstrategie gibt.
Abu Bakr al-Baghadi hat zwar den Namen des ersten Nachfolgers des Propheten usurpiert. Aber ist er ein theologischer Gelehrter, ein Ulam, oder ein Krieger? Oder beides?
Die Angriffstaktik des IS, so liest man, habe gewisse Ähnlichkeiten mit derjenigen der arabischen Eroberer des 7. und 8. Jahrhunderts. Der blitzartige Angriff auf breiter Front mit ihren Humwees, auf denen MGs montiert sind, gleiche den Kavallerieattacken, welche die Muslime gegen die römischen und fränkischen Heere geritten hätten.
Die Taktik setzt auf Schockwirkung. Der IS hat denn auch im Handstreich verschiedene Städte in Syrien und dem Irak «erobert». Die Kämpfer des IS wissen allerdings nur zu gut mit modernen Waffen umzugehen. So muss man annehmen, dass militärisch mehr dahintersteckt als nur islamischer Fanatismus.
Natürlich spielen die Terrormilizen auf die arabische Eroberung der halben bekannten Welt im 7. Jahrhundert an. 632 stirbt Mohammed, 636 gehört den Arabern Syrien, die Drehscheibe der damaligen Welt, 638 fällt Jerusalem, 642 Alexandria und Ägypten, 650 greifen sie im Osten an, 674 belagern die Araber schon Konstantinopel – erfolglos; aber 705 ist Khorasan erobert, 711 sind sie in Spanien und 716/717 stehen sie wieder vor Konstantinopel.
Warum ging das so blitzschnell und welche Rolle spielte der Islam? Ein Weltreich aus dem Nichts? Wohl kamen die «Wölfe Arabiens» aus der Wüste und galten als das unzivilisierteste und wildeste Volk der Welt.
Kultur und Zivilisation, das waren das Römer- und das Sassanidenreich. Beide waren aber im Abstieg, auch wenn sie sich verzweifelt gegen das Ende wehrten.
Mitte des 6. Jahrhunderts hatte die Pest gewütet, die nomadischen Araber blieben weitgehend verschont. Perser und Römer lieferten sich dennoch erschöpfende Kriege. Die Araber waren auf beiden Seiten begehrte Krieger. Geopolitisch spielten sie nur deshalb keine Rolle, weil Stammesfehden zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehörten.
Zeitalter des Monotheismus
Seit auch das Römische Reich offiziell christlich war, waren seit dem 3. Jahrhundert die Reiche nicht mehr nur von dieser Welt. Gott war der Herrscher, irgendeine Spielart des Monotheismus war überall Staatsreligion. Die Menschen machten sich mehr Sorgen um ihr Seelenheil als je zuvor. Der erfolgreiche Machthaber war es, weil Gott auf seiner Seite stand. Wen Gott liebt, dem gibt er Macht.
Also war entscheidend, den wahren Willen Gottes zu erkennen. Wir müssen uns Mohammed vorstellen als einen Menschen, den diese Frage umtrieb. Was ihm der Engel Gabriel eingab, war die definitive Offenbarung Gottes.
Mohammed sah überall Irrlehren: «Gott plus». Die Dreifaltigkeit des Christentums war ihm ein besonderes Ärgernis. Er predigte einen reinen Monotheismus ohne Kompromisse.
Dieser Furor reichte, um sich mit ein paar Getreuen Arabiens zu bemächtigen. Der militärische Erfolg und die religiöse Überzeugung befeuerten sich gegenseitig. Unter den Nachfolgern gab es aber bald Zwist. Deshalb wurden die Offenbarungen des Propheten gesammelt, redigiert, kommentiert – bis das monolithische Gebilde perfekt war, das wir heute als Islam kennen.
Was von Mohammed ist, was frei erfunden – das lässt sich nicht mehr zweifelsfrei feststellen. Aber die Wirkung, die davon ausgeht, dass die eigene Lehre den wahren Monotheismus, den wirklichen Willen Gottes in sich hat, die hielt an. Attraktiv bis heute.
Quellen: Nordwestschweiz, eigene Notizen aus diversen Vorlesungen
Die Bedeutung des Wortes «Kalif» ist nicht ganz klar. Im Koran kommt es zweimal vor, dort scheint es «Mann» zu bedeuten.
Abd al-Malik (um 645–750) war der erste Muslim, der sich als «Kalif» bezeichnete: «Khalifat Allah» – «der Stellvertreter Gottes». Das erschien den Gläubigen damals doch ein bisschen problematisch. «Khalifat Rasul Allah» – «Nachfolger des Propheten Gottes» – diesen Titel erhielten rückwirkend alle frühen Herrscher des arabischen Reiches.
Die ersten vier Kalifen erhielten später den Ehrentitel «ar-Rashidun» – die «Rechtgeleiteten»: Abu Bakr, der erste Nachfolger Mohammeds (632–634), Umar (634–644), Uthman (644–656) und Ali (656–661), Mohammeds Vetter und Schwiegersohn. Wobei Ali schon von Muawiya (661–680) in den Schatten gestellt wurde. Er war der erste Herrscher über das arabische Reich und Begründer der Umayyaden-Dynastie.
Nun hat Abu Bakr al-Baghadi wieder ein Kalifat ausgerufen. Er ist die Stimme des IS, des sogenannten «Islamischen Staats». Die Terrormiliz versetzt den Nahen Osten in Angst und Schrecken und den Westen in Unruhe. Was will der IS? Und was soll die Referenz auf das Kalifat?
Über den IS wissen wir nicht gerade viel. Und über Mohammed und die Entstehung des Islam gibt es zwar eine riesige Überlieferung, aber die verhüllt mehr, als sie preisgibt.
Klar ist: Für den IS ist das Kalifat eine Retro-Utopie. Eine nostalgische Erinnerung an eine Zeit, als der Islam die bekannte Welt beherrschte. Nur zu gerne wüssten wir, ob das im Fall des IS nur eine Fantasie ist oder ob es wirklich konkrete Pläne für eine Expansionsstrategie gibt.
Abu Bakr al-Baghadi hat zwar den Namen des ersten Nachfolgers des Propheten usurpiert. Aber ist er ein theologischer Gelehrter, ein Ulam, oder ein Krieger? Oder beides?
Die Angriffstaktik des IS, so liest man, habe gewisse Ähnlichkeiten mit derjenigen der arabischen Eroberer des 7. und 8. Jahrhunderts. Der blitzartige Angriff auf breiter Front mit ihren Humwees, auf denen MGs montiert sind, gleiche den Kavallerieattacken, welche die Muslime gegen die römischen und fränkischen Heere geritten hätten.
Die Taktik setzt auf Schockwirkung. Der IS hat denn auch im Handstreich verschiedene Städte in Syrien und dem Irak «erobert». Die Kämpfer des IS wissen allerdings nur zu gut mit modernen Waffen umzugehen. So muss man annehmen, dass militärisch mehr dahintersteckt als nur islamischer Fanatismus.
Natürlich spielen die Terrormilizen auf die arabische Eroberung der halben bekannten Welt im 7. Jahrhundert an. 632 stirbt Mohammed, 636 gehört den Arabern Syrien, die Drehscheibe der damaligen Welt, 638 fällt Jerusalem, 642 Alexandria und Ägypten, 650 greifen sie im Osten an, 674 belagern die Araber schon Konstantinopel – erfolglos; aber 705 ist Khorasan erobert, 711 sind sie in Spanien und 716/717 stehen sie wieder vor Konstantinopel.
Warum ging das so blitzschnell und welche Rolle spielte der Islam? Ein Weltreich aus dem Nichts? Wohl kamen die «Wölfe Arabiens» aus der Wüste und galten als das unzivilisierteste und wildeste Volk der Welt.
Kultur und Zivilisation, das waren das Römer- und das Sassanidenreich. Beide waren aber im Abstieg, auch wenn sie sich verzweifelt gegen das Ende wehrten.
Mitte des 6. Jahrhunderts hatte die Pest gewütet, die nomadischen Araber blieben weitgehend verschont. Perser und Römer lieferten sich dennoch erschöpfende Kriege. Die Araber waren auf beiden Seiten begehrte Krieger. Geopolitisch spielten sie nur deshalb keine Rolle, weil Stammesfehden zu ihren Lieblingsbeschäftigungen gehörten.
Zeitalter des Monotheismus
Seit auch das Römische Reich offiziell christlich war, waren seit dem 3. Jahrhundert die Reiche nicht mehr nur von dieser Welt. Gott war der Herrscher, irgendeine Spielart des Monotheismus war überall Staatsreligion. Die Menschen machten sich mehr Sorgen um ihr Seelenheil als je zuvor. Der erfolgreiche Machthaber war es, weil Gott auf seiner Seite stand. Wen Gott liebt, dem gibt er Macht.
Also war entscheidend, den wahren Willen Gottes zu erkennen. Wir müssen uns Mohammed vorstellen als einen Menschen, den diese Frage umtrieb. Was ihm der Engel Gabriel eingab, war die definitive Offenbarung Gottes.
Mohammed sah überall Irrlehren: «Gott plus». Die Dreifaltigkeit des Christentums war ihm ein besonderes Ärgernis. Er predigte einen reinen Monotheismus ohne Kompromisse.
Dieser Furor reichte, um sich mit ein paar Getreuen Arabiens zu bemächtigen. Der militärische Erfolg und die religiöse Überzeugung befeuerten sich gegenseitig. Unter den Nachfolgern gab es aber bald Zwist. Deshalb wurden die Offenbarungen des Propheten gesammelt, redigiert, kommentiert – bis das monolithische Gebilde perfekt war, das wir heute als Islam kennen.
Was von Mohammed ist, was frei erfunden – das lässt sich nicht mehr zweifelsfrei feststellen. Aber die Wirkung, die davon ausgeht, dass die eigene Lehre den wahren Monotheismus, den wirklichen Willen Gottes in sich hat, die hielt an. Attraktiv bis heute.
Quellen: Nordwestschweiz, eigene Notizen aus diversen Vorlesungen