Macht Krieg Spaß?
Verfasst: 11.09.2013, 15:14
Ich habe bei Ralph gelesen, dass man über eigene Erlebnisse berichten soll, Erfahrungen aus der jüngsten Zeitgeschichte. Und da habe ich noch einmal in meinen Notizen gewälzt, da ist eine Menge Stoff drin erhalten und manches interessiert vielleicht den einen oder anderen.
Ich möchte nicht immer mit meinen Reisen protzen, aber in den siebziger und achtziger Jahren bin ich nun einmal viel in der Welt herumgekommen, und wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Sagt man jedenfalls, stimmt auch gelegentlich.
Ich hatte an anderer Stelle bereits berichtet, dass ich, hauptsächlich aus eigener Dummheit, kurzfristig in die Wirren des libanesischen Bürgerkriegs während der siebziger Jahre geriet. Ich wollte nur, von der Türkei aus kommend, durch das Land nach Beirut und von dort über die gut ausgebaute Straße weiter nach Damaskus fahren. Es wurde mir berichtet, dies wäre ungefährlich. Leider stimmte die Information nicht. In einem Bürgerkrieg bricht die staatliche Ordnung komplett zusammen, es gab keine Polizei mehr, auch keine Armee, alles hatte sich aufgelöst. Die Milizen hatten die Waffenarsenale des Militärs geplündert und verfügten nun über schwere Waffen. Das Gesetz war jetzt der, der ein Gewehr in der Hand hielt. Und das waren die Milizen und davon gab es unzählige. Nicht nur die Christen und die Moslems hatten welche, diese Konfessionen zerfielen zudem noch in Untergruppen, die sich gegenseitig blutig befehdeten. Dazwischen die Palästinenser, die Drusen und und… Kein Mensch blickte hier noch durch, auch die Libanesen hatten den Überblick verloren, da sich die Milizen öfters bekämpften, dann wieder verbündeten, dann wieder bekämpften.
Nun gut, ich landete glücklich in dem christlichen Ostteil der Stadt, quer durch Beirut hatte sich in der Innenstadt eine sogenannte „Grüne Linie“ gebildet, die den christlichen Osten vom westlichen, moslemischen Beirut trennte. Hier fanden häufig Kämpfe statt. Und dann gab es noch im Nordwesten der Stadt an der Strandpromenade das Hotelviertel, das ständig abwechselnd von den unterschiedlichsten Milizen erobert wurde. Dort fanden die heftigsten Auseinandersetzungen statt, aus einigen Hoteltürmen quollen dichte Rauchwolken. Außerhalb der eigentlichen Kampfzonen war es verhältnismäßig ruhig, es gab aber Heckenschützen, die öfters wahllos auf Passanten schossen. Deshalb bewegten sich alle Menschen auf den Straßen immer sehr schnell, um keine Zielscheibe zu bieten.
Die Straße nach Damaskus war blockiert. Irgendwann würde sie wieder frei werden, aber wann, das wusste natürlich niemand. Ich kam in einer kleinen Pension im christlichen Ostteil unter, die einer maronitischen Familie gehörte. Der Hotelbesitzer, ein älterer, würdiger Herr, erklärte mir: „Der Libanon ist ein primitives Land. Das ist hier kein Religionskrieg, seit Jahrhunderten herrschen hier eine Reihe mächtiger Familienclans, die sich immer wieder bekriegen. Im Moment ist es gerade wieder einmal der Fall, aber sie vertragen sich auch wieder und dann herrscht erneut Frieden. Bis zum nächsten Mal. So ist das hier seit Menschengedenken.“ Der Mann war außerordentlich klug. Über der Stadt kreisten immer wieder Flugzeuge. „Israelis“, erklärte mir der Hotelier, „ sie beobachten den Krieg. Gar nicht beachten.“
Die Tage verstrichen zäh und waren langweilig. Der Besitzer hatte mehrere Söhne, die ganze Familie war, wie alle hier, schwer bewaffnet und verfügte über ein buntes Arsenal von Schusswaffen, alles geplünderte Armeebestände. Der älteste fragte mich, ob ich Lust hätte, ein wenig zu schießen, er würde es mir beibringen. Ich als überzeugter Kriegsdienstverweigerer wollte zunächst abwinken, doch dies würde unhöflich wirken. Also gingen wir auf den Innenhof des Hotels, er unterwies mich im Gebrauch mehrerer Gewehre und ich schoss auf Blechdosen. Ich traf sogar ganz gut, musste mich aber zunächst an den Rückstoß der Waffen gewöhnen. Die Munition war echt, in den nächsten Tagen hatte ich richtig Spaß daran.
Nach fünf Tagen erklärte er mir. „Und nun musst du lernen, auf Menschen zu zielen. Wir schießen natürlich nicht richtig. Nur üben.“ Wir gingen in den zweiten Stock des Hotels, die Fenster besaßen keine Scheiben, sondern nur eine geschlossene Jalousie. Man konnte einen Gewehrlauf hindurchschieben und niemand auf der Straße konnte ihn sehen. Der Gedanke, dass es hier, anders als auf dem Hamburger Vergnügungsdom, nicht um Luftgewehre und Pappfiguren ging, sondern um richtige Gewehre mit richtiger Munition, um richtige Menschen, die nach einem Treffer auch richtig tot waren, dieser Gedanke erregte mich plötzlich. Ich fand es unglaublich spannend und aufregend.
In dem Zimmer schob ich langsam das Gewehr durch die Jalousie. Es verfügte über ein Zielfernrohr mit vierfacher Vergrößerung. Auf der Straße befanden sich viele Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder, auch einige Männer, aber sie bewegten sich alle viel zu schnell, es war unmöglich, sie genau zu fixieren. Aber dann fiel mir ein alter Mann auf, ich sah ihn nur von hinten, er bewegte sich nur langsam, konnte wohl schlecht gehen. Plötzlich blieb er stehen und starrte auf etwas, das auf der Straße lag. „Beweg dich doch, du dummer Narr!“ Dieser Gedanke schoss mir durch den Kopf. „Merkst du nicht, dass du eine ideale Zielscheibe für mich bist?“ Im Fadenkreuz konnte ich ganz genau seinen Hinterkopf erkennen. Das Gewehr war geladen und nicht gesichert. Ich brauchte jetzt nur noch den Abzugshahn durchzuziehen und dann… Plötzlich durchströmte mich ein ungeheures Glücksgefühl, ich wurde geradezu euphorisch, fühlte mich omnipotent. Sein Leben war in meiner Hand, ein Schuss und in der nächsten Sekunde würde meine Kugel seinen Hinterkopf treffen, seine Schädeldecke zertrümmern, der Mann würde zu Boden fallen und war tot. Dieses Gefühl war nicht beängstigend, im Gegenteil, ich bekam irrsinnige Lust, es wirklich zu tun, es würde Spaß bringen, dieses Leben einfach auszulöschen. Einen Menschen zu töten, dies war kinderleicht und außerdem bereitete es ein Vergnügen.
Der Sohn nahm mir das Gewehr aus der Hand. Die Euphorie verschwand sofort. Später sagte er zu mir: „Du hättest diesen alten Mann gerne erschossen, nicht wahr? Ich sah das Leuchten in deinen Augen, deinen glücklichen Gesichtsausdruck. Das kenne ich nur zu gut. Bei uns in der Miliz gibt es auch solche. Es sind längst nicht alle so, aber einige haben Spaß am Töten und bei dir ist das anscheinend auch so.“ Ich war noch immer innerlich völlig aufgewühlt, aber er hatte Recht, es hätte mir Spaß gemacht, andere Menschen zu töten.
Ich kam später aus dem Inferno von Beirut heraus und viele Jahre später erzählte ich einem Psychiater von diesem Erlebnis. Ich, als ehemaliger, überzeugter Kriegsdienstverweigerer, der deswegen sogar längere Zeit im Gefängnis gesessen hatte, war in Wirklichkeit ein verkappter Soldat mit Freude am Töten anderer Menschen? Diesen Widerspruch musste ich auflösen. Viele Jahre hatte ich ihn in mich hineingefressen, aber ich wollte Klarheit bekommen.
Der Arzt war nicht überrascht und fragte mich: „Haben sie das Gesicht von dem alten Mann gesehen?“
Ich verneinte. „Nun, hätten sie ihm in die Augen geguckt, hätten sie wahrscheinlich Hemmungen gehabt. Sie hätten ihn dann als Person wahrgenommen und dann vermutlich keine Freude am Töten gehabt. So war er aber für sie nur eine lebendige Pappfigur. Es stimmt aber, es gibt Leute, die haben Spaß am Töten und am Krieg, aber ich glaube nicht, dass sie dazu gehören. Dieses euphorische Gefühl, sie glauben vielleicht, das in ihnen dunkle Dämonen schlummern? Es kommt aber wahrscheinlich daher, dass sie glaubten, einen Job jetzt besonders gut erledigen zu können. Aber deswegen sind sie kein Psychopath. Wenn jemand früher im Krieg eine feindliche Stellung vernichtete und dabei viele Menschen tötete, fühlte er sich auch gut, weil er glaubte, einen Job nun hervorragend erledigt zu haben. Machen sie sich keine Sorgen. Sie sind nicht anormal.“
Soweit, so gut. Ich will das nun nicht weiter erörtern. Aber es gibt offensichtlich im Krieg auch einen gewissen „Spaßfaktor“, so grausam das auch klingt. Aber ich habe es selber gespürt.
Ich möchte nicht immer mit meinen Reisen protzen, aber in den siebziger und achtziger Jahren bin ich nun einmal viel in der Welt herumgekommen, und wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Sagt man jedenfalls, stimmt auch gelegentlich.
Ich hatte an anderer Stelle bereits berichtet, dass ich, hauptsächlich aus eigener Dummheit, kurzfristig in die Wirren des libanesischen Bürgerkriegs während der siebziger Jahre geriet. Ich wollte nur, von der Türkei aus kommend, durch das Land nach Beirut und von dort über die gut ausgebaute Straße weiter nach Damaskus fahren. Es wurde mir berichtet, dies wäre ungefährlich. Leider stimmte die Information nicht. In einem Bürgerkrieg bricht die staatliche Ordnung komplett zusammen, es gab keine Polizei mehr, auch keine Armee, alles hatte sich aufgelöst. Die Milizen hatten die Waffenarsenale des Militärs geplündert und verfügten nun über schwere Waffen. Das Gesetz war jetzt der, der ein Gewehr in der Hand hielt. Und das waren die Milizen und davon gab es unzählige. Nicht nur die Christen und die Moslems hatten welche, diese Konfessionen zerfielen zudem noch in Untergruppen, die sich gegenseitig blutig befehdeten. Dazwischen die Palästinenser, die Drusen und und… Kein Mensch blickte hier noch durch, auch die Libanesen hatten den Überblick verloren, da sich die Milizen öfters bekämpften, dann wieder verbündeten, dann wieder bekämpften.
Nun gut, ich landete glücklich in dem christlichen Ostteil der Stadt, quer durch Beirut hatte sich in der Innenstadt eine sogenannte „Grüne Linie“ gebildet, die den christlichen Osten vom westlichen, moslemischen Beirut trennte. Hier fanden häufig Kämpfe statt. Und dann gab es noch im Nordwesten der Stadt an der Strandpromenade das Hotelviertel, das ständig abwechselnd von den unterschiedlichsten Milizen erobert wurde. Dort fanden die heftigsten Auseinandersetzungen statt, aus einigen Hoteltürmen quollen dichte Rauchwolken. Außerhalb der eigentlichen Kampfzonen war es verhältnismäßig ruhig, es gab aber Heckenschützen, die öfters wahllos auf Passanten schossen. Deshalb bewegten sich alle Menschen auf den Straßen immer sehr schnell, um keine Zielscheibe zu bieten.
Die Straße nach Damaskus war blockiert. Irgendwann würde sie wieder frei werden, aber wann, das wusste natürlich niemand. Ich kam in einer kleinen Pension im christlichen Ostteil unter, die einer maronitischen Familie gehörte. Der Hotelbesitzer, ein älterer, würdiger Herr, erklärte mir: „Der Libanon ist ein primitives Land. Das ist hier kein Religionskrieg, seit Jahrhunderten herrschen hier eine Reihe mächtiger Familienclans, die sich immer wieder bekriegen. Im Moment ist es gerade wieder einmal der Fall, aber sie vertragen sich auch wieder und dann herrscht erneut Frieden. Bis zum nächsten Mal. So ist das hier seit Menschengedenken.“ Der Mann war außerordentlich klug. Über der Stadt kreisten immer wieder Flugzeuge. „Israelis“, erklärte mir der Hotelier, „ sie beobachten den Krieg. Gar nicht beachten.“
Die Tage verstrichen zäh und waren langweilig. Der Besitzer hatte mehrere Söhne, die ganze Familie war, wie alle hier, schwer bewaffnet und verfügte über ein buntes Arsenal von Schusswaffen, alles geplünderte Armeebestände. Der älteste fragte mich, ob ich Lust hätte, ein wenig zu schießen, er würde es mir beibringen. Ich als überzeugter Kriegsdienstverweigerer wollte zunächst abwinken, doch dies würde unhöflich wirken. Also gingen wir auf den Innenhof des Hotels, er unterwies mich im Gebrauch mehrerer Gewehre und ich schoss auf Blechdosen. Ich traf sogar ganz gut, musste mich aber zunächst an den Rückstoß der Waffen gewöhnen. Die Munition war echt, in den nächsten Tagen hatte ich richtig Spaß daran.
Nach fünf Tagen erklärte er mir. „Und nun musst du lernen, auf Menschen zu zielen. Wir schießen natürlich nicht richtig. Nur üben.“ Wir gingen in den zweiten Stock des Hotels, die Fenster besaßen keine Scheiben, sondern nur eine geschlossene Jalousie. Man konnte einen Gewehrlauf hindurchschieben und niemand auf der Straße konnte ihn sehen. Der Gedanke, dass es hier, anders als auf dem Hamburger Vergnügungsdom, nicht um Luftgewehre und Pappfiguren ging, sondern um richtige Gewehre mit richtiger Munition, um richtige Menschen, die nach einem Treffer auch richtig tot waren, dieser Gedanke erregte mich plötzlich. Ich fand es unglaublich spannend und aufregend.
In dem Zimmer schob ich langsam das Gewehr durch die Jalousie. Es verfügte über ein Zielfernrohr mit vierfacher Vergrößerung. Auf der Straße befanden sich viele Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder, auch einige Männer, aber sie bewegten sich alle viel zu schnell, es war unmöglich, sie genau zu fixieren. Aber dann fiel mir ein alter Mann auf, ich sah ihn nur von hinten, er bewegte sich nur langsam, konnte wohl schlecht gehen. Plötzlich blieb er stehen und starrte auf etwas, das auf der Straße lag. „Beweg dich doch, du dummer Narr!“ Dieser Gedanke schoss mir durch den Kopf. „Merkst du nicht, dass du eine ideale Zielscheibe für mich bist?“ Im Fadenkreuz konnte ich ganz genau seinen Hinterkopf erkennen. Das Gewehr war geladen und nicht gesichert. Ich brauchte jetzt nur noch den Abzugshahn durchzuziehen und dann… Plötzlich durchströmte mich ein ungeheures Glücksgefühl, ich wurde geradezu euphorisch, fühlte mich omnipotent. Sein Leben war in meiner Hand, ein Schuss und in der nächsten Sekunde würde meine Kugel seinen Hinterkopf treffen, seine Schädeldecke zertrümmern, der Mann würde zu Boden fallen und war tot. Dieses Gefühl war nicht beängstigend, im Gegenteil, ich bekam irrsinnige Lust, es wirklich zu tun, es würde Spaß bringen, dieses Leben einfach auszulöschen. Einen Menschen zu töten, dies war kinderleicht und außerdem bereitete es ein Vergnügen.
Der Sohn nahm mir das Gewehr aus der Hand. Die Euphorie verschwand sofort. Später sagte er zu mir: „Du hättest diesen alten Mann gerne erschossen, nicht wahr? Ich sah das Leuchten in deinen Augen, deinen glücklichen Gesichtsausdruck. Das kenne ich nur zu gut. Bei uns in der Miliz gibt es auch solche. Es sind längst nicht alle so, aber einige haben Spaß am Töten und bei dir ist das anscheinend auch so.“ Ich war noch immer innerlich völlig aufgewühlt, aber er hatte Recht, es hätte mir Spaß gemacht, andere Menschen zu töten.
Ich kam später aus dem Inferno von Beirut heraus und viele Jahre später erzählte ich einem Psychiater von diesem Erlebnis. Ich, als ehemaliger, überzeugter Kriegsdienstverweigerer, der deswegen sogar längere Zeit im Gefängnis gesessen hatte, war in Wirklichkeit ein verkappter Soldat mit Freude am Töten anderer Menschen? Diesen Widerspruch musste ich auflösen. Viele Jahre hatte ich ihn in mich hineingefressen, aber ich wollte Klarheit bekommen.
Der Arzt war nicht überrascht und fragte mich: „Haben sie das Gesicht von dem alten Mann gesehen?“
Ich verneinte. „Nun, hätten sie ihm in die Augen geguckt, hätten sie wahrscheinlich Hemmungen gehabt. Sie hätten ihn dann als Person wahrgenommen und dann vermutlich keine Freude am Töten gehabt. So war er aber für sie nur eine lebendige Pappfigur. Es stimmt aber, es gibt Leute, die haben Spaß am Töten und am Krieg, aber ich glaube nicht, dass sie dazu gehören. Dieses euphorische Gefühl, sie glauben vielleicht, das in ihnen dunkle Dämonen schlummern? Es kommt aber wahrscheinlich daher, dass sie glaubten, einen Job jetzt besonders gut erledigen zu können. Aber deswegen sind sie kein Psychopath. Wenn jemand früher im Krieg eine feindliche Stellung vernichtete und dabei viele Menschen tötete, fühlte er sich auch gut, weil er glaubte, einen Job nun hervorragend erledigt zu haben. Machen sie sich keine Sorgen. Sie sind nicht anormal.“
Soweit, so gut. Ich will das nun nicht weiter erörtern. Aber es gibt offensichtlich im Krieg auch einen gewissen „Spaßfaktor“, so grausam das auch klingt. Aber ich habe es selber gespürt.