@Gontscharow
Zunächst vielen Dank für Deine ausführliche Darstellung und bitte entschuldige, dass sich meine Antwort etwas verzögert hat, und auch etwas ausführlicher ausgefallen ist. Da meine Eltern aus Ostpreußen und Schlesien stammen, begleitet mich das Thema eigentlich seit Kindesbeinen.
Dazu zählen Erinnerungen an Vertriebenentreffen genauso, wie die erste Konfrontation mit "progressiven" Ansichten in der Mittelstufe, als eine neue junge Klassenlehrerin rundweg die Existenz von Vertriebenen in Abrede stellte und grundsätzlich nur von Flüchtlingen sprach. Das stand nun im unauflösbaren Widerspruch zum Schicksal meiner Familie, die definitiv vertrieben wurde. Aber zurück zum Thema.
@All
Die Ausführungen des Generalsekretär der hessischen SPD erachte ich als wenig relevant. Das ist für mich eine ideologiegetriebene Aussage eines Funktionärs, in einer geschichtslosen Tradition, die leider schon vor dem Mauerfall in der SPD zu finden war, bspw. die schon mehr als peinliche Anbiederung an die "Genossen" in der SED oder die Agitation gegen die Zentrale Erfassungsstelle in Salzgitter [0]: Im Jahr 1961 auch auf Betreiben von Willy Brandt ins Leben gerufen, stellte die SPD-Bundestagsfraktion 1984 fest:
„Die Zentrale Erfassungsstelle Salzgitter ist wirkungslos und überflüssig.“
Mehr Bedeutung muss man Ausführungen unserer polnischen Nachbarn beimessen.
Am 10. März 2009 hat Herr Bartoszweski sich in der causa "Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung" an den Präsidenten des Deutschen Bundestages gewandt [1]. Darin wirft er Frau Steinbach vor:
... Frau Steinbach versucht öffentlich durchzusetzen, dass Polen die Vertreibung der Deutschen noch lange vor der Potsdamer Konferenz langfristig geplant und realisiert habe [Welt am Sonntag, 7. März 2009]. Es ist eine Äußerung, die der Rücksicht auf die Ursachen und deren Wirkungen entbehrt, sie ist nichts anderes, als Verfälschung der Geschichte. Nach dieser Auslegung sei die Barbarei Hitlers nur ein Vorwand für die Polen gewesen, mit den Deutschen abzurechnen.
Er bezieht sich auf ein Interview, von Frau Steinbach in der Welt am Sonntag vom 8. März 2009 [2]: Auf die "Frage", in Polen heiße es, vom Zweiten Weltkrieg bleiben am Ende nur der Holocaust und die Vertreibung der Deutschen in Erinnerung, hat Frau Steinbach geantwortet:
Ich halte das nicht für den wahren Grund. Offenkundig passte es vielen nicht, dass wir das dokumentieren wollen, was wirklich geschehen ist. Dazu gehört, dass Polen lange vor der Potsdamer Konferenz mit der Vertreibung begann und nach 1945 noch mindestens drei Jahre lang Deutsche in 1500 Lagern einpferchte, beispielsweise in Lamsdorf. Nicht die Umdeutung, sondern die Wahrheit erschreckt dort.
Anders als B. behauptet, spricht Frau Steinbach überhaupt nicht von Planung und schon gar nicht von langfristig, obwohl selbst dafür Belege existieren, s. [3]. Steinbachs Aussage deckt sich mit der Darstellung in wiki[4]:
Am 26. Juni 1945 kündigte die VR Polen die Ausweisung aller Deutschen an, die in einem Abstand von 100 bis 200 Kilometer östlich der Oder und der Lausitzer Neiße lebten.
Zur Erinnerung: Die Potsdamer Konferenz begann am 17. Juli 1945, es wurden allerdings schon im Vorweg Fakten geschaffen.
Betreibt wiki, insbesondere die englische Ausgabe [5], jetzt auch Geschichtsfälschung?
In mid-1945, the eastern territories of pre-war Germany were turned over to the Soviet-controlled Polish military forces. Early expulsions were undertaken by the Polish communist military authorities even before the Potsdam Conference placed them under temporary Polish administration pending the final Peace Treaty, in an effort to ensure later territorial integration into an ethnically homogeneous Poland. The Polish communists wrote: "We must expel all the Germans because countries are built on national lines and not on multinational ones".
Am 7.03.2009 erschien in der Welt ein Artikel "Lassen wir Erika Steinbach in Ruhe!", der vielleicht einen kleinen Einblick in die Beweggründe des Herrn B. gewährt. Auf die Frage, ob das harte Vorgehen der eigenen Regierung in dieser Frage sinnvoll gewesen sei antwortete B. im Sender TVN24:
Ich habe nicht das Gefühl des Sieges, sondern das Gefühl, eine Mission erfüllt zu haben.
und weiter zu seinem Vergleich von Steinbach mit dem Holocaust-Leugner Williamson:
Bitte sagen Sie mir nicht, ich hätte sie als Antisemitin bezeichnet. Steinbach ist antipolnisch. Das darf sie sein. Aber sie soll dann bitte nicht so tun, als sei sie eine Brückenbauerin.
Wer soll das denn glauben? Der Holocaust-Leugner Williamson ist wohl kaum wegen seiner "antipolnischen" Einstellung berüchtigt!
Die öffentliche und persönliche Diffamierung von Frau Steinbach, auch unter Duldung dt. Regierungsstellen, ist wahrlich kein Beleg europäischer, geschweige denn humanistischer Gesinnung. Es gibt allerdings auch Beurteilungen, die mir weniger von persönlichen oder ideologischen Motiven getrieben zu sein scheinen:
Erika Steinbach hat Respekt und Dank verdient
und vom 12.12.2012 ein
Interview mit Michael Wolffsohn zur vom BdV beauftragten Studie "Funktionäre mit Vergangenheit".
[0]
http://de.wikipedia.org/wiki/Zentrale_E ... rwaltungen
[1]
http://www.kas.de/wf/doc/kas_15967-1522 ... 0325123918
[2]
http://epaper.apps.welt.de/wams/archiv/ ... 2009-03-08
[3]
http://de.wikipedia.org/wiki/Vertreibung#cite_ref-3
[4]
http://de.wikipedia.org/wiki/Potsdamer_Konferenz
[5]
http://en.wikipedia.org/wiki/Flight_and ... erritories