16. Juni 2017: Helmut Kohl ist tot

Grundgesetz, Gesetzesfragen, Wahlen, bundespolitische Ereignisse, Polizei

Moderator: Barbarossa

Ruaidhri
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snoerch hat geschrieben:
Ruaidhri hat geschrieben:.... Europa als ein Europa der Büger, nicht der Administrationen.....
Wunderbar! Schöner kann man es nicht ausdrücken.
 Und die Freizügigkeit und das europäische Verständnis, welches vielen von uns so selbstverständlich scheint, ist letztendlich auch ein Verdienst von Helmut Kohl.
Ich finde auch, dass der Satz " Viel Feind, viel Ehr' " auf ihn ganz besonders zutrifft.
Nicht allein Kohls Verdienst, die Vorarbeit haben Adenauer, Brandt und Schmidt geleistet. Vor allem aber auch ganz normalen Menschen, die ganz ohne die große Politik früh in damals sehr wichtigen Partnerstadt-Programmen, Schüleraustausch etc. involviert waren.
Grundlegend waren Adenauer und de Gaulle, Brandt hat das Tor nach Osten, insbesondere Polen, noch vor der Wende aufgestoßen, Schmidt hat mit Guiscard d'Estaing unspektakulär, aber intensiv für ein offenes Europa gearbeitet. Er konnte auch mit den Engländern gut, war - schwer ohnehin mit Maggie Thatcher- da nicht so geschickt, und bei anderen Nachbarn war er auch nicht immer so mit weisen Worten und Gesten dabei.
Aber egal, er ist dankenswerterweise nicht auf der deutschnationalen Welle in neue Isolation gesurft, sondern er hat- wichtig für die Nachbarn, immer betont, dass ein Deutschland ohne feste Einbettung in ein Europa der Menschen nicht mehr denkbar sei.
Triton hat geschrieben:Europäischer Staatsakt - ich habe einen Kommentar gelesen, dass der Herr Juncker vor allem an sich selbst denkt, dem wohl die Ehren Luxembourgs zu bescheiden sind, wenn es mal soweit ist. Also muss er hier vorbauen.
Das sehe ich ähnlich. Und Kohlwar ein bodenständiger, pfälzisch- deutscher Europäer, dem sicherlich ein sehr europäisch gehaltener Staatsakt in eiem geschichtsträchtigen Gemäuer wie dem Dom zu Speyer auch nicht unsympathisch gewesen wäre.
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Barbarossa
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Hier im Osten traf er 1989/90 aber ebenso den Ton, als er von der ,,Deutschen Nation'' und vom ,,Vaterland'' sprach. Er war schon auch deutscher Patriot. Darum wunderte mich auch diese starke Fokussierung auf Europa.
Ja, und ich denke, das ist bei den einstigen DDR-Bürgern sehr viel vehementer angekommen als beim Durchschnitts-Wessi.
Das ist richtig. Zuerst kam das Positive: Pressefreiheit, freie Wahlen, Reisefreiheit und es gab nach Einführung der D-Mark plötzlich alles zu kaufen. Vom Ansturm auf die Autos brauche ich wohl keinem etwas erzählen.
Aber ziemlich schnell kamen auch die negativen Seiten: Viele verloren ihren Arbeitsplatz, weil die heruntergewirtschafteten Betriebe ^größtenteils genauso Schrott waren, wie vieles andere. Ich gehe heute davon aus, dass ca. 80% aller Ostdeutschen sich nach der Wende eine neue Arbeit suchen mussten oder sogar in einen ganz anderen Beruf umschulen mussten. Letzteres traf auch mich selbst. In einem Interview hat Ministerpräsident Woidke meine Schätzung erst vor wenigen Tagen genauso bestätigt.
Man stelle sich einen solchen Umbruch im Westen vor. Was da wohl los wäre...
Ich glaube, das will ich gar nicht wissen. ;-)
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Ruaidhri
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Barbarossa hat geschrieben:Man stelle sich einen solchen Umbruch im Westen vor. Was da wohl los wäre...
Ich glaube, das will ich gar nicht wissen. ;-)
Den haten wir auch, das Sterben der Zechen und Stahlwerke habe ich live im Ruhrgebiet miterlebt, das Sterben der Werften und anderer Industrien im Norden ebenso. Vielleicht nicht ganz so schlagartig, aber anzunehmen, im Westen sei das alles ganz prima und ohne Folgen für die Arbeitnehmer gewesen, ist falsch.
Axo, ja, es war einiges los, hat nur wenig geholfen. Siehe Krupp Rheinhausen. Dass im Zuge der Vereinigung in den Zonenrandgebieten viele Arbeitsplätze verloren gingen, wage ich auch noch zu sagen.
Barbarossa hat geschrieben:Hier im Osten traf er 1989/90 aber ebenso den Ton, als er von der ,,Deutschen Nation'' und vom ,,Vaterland'' sprach. Er war schon auch deutscher Patriot. Darum wunderte mich auch diese starke Fokussierung auf Europa.
Das traf aber weniger die Befindlichkeiten im Westen, wo man, auf diese oder jene Weise, schon ziemlich Europa lebte. Das wusste Kohl wohl auch, dass die jüngeren Wählerschichten im Westen vielfach Deutschland und Europa als gleich wichtig betrachteten. Mit mehr nationalem Pathos hätte er eher Minus gemacht.
Übel nahm ich, dass weder Ost noch West oder beide zusammen über eine neue Verfassung abstimmen konnten, hätte sicherlich Zeit gebraucht, doch das völlig zu verwerfen, war kein guter Zug.
Die Vereinigung war kaum zu verhindern, und wie er die in Europa verkauft hat, war gut und glaubhaft.
P.S.: Was nun um den Staatsakt - oder Staatenakt? an Peinlichkeiten abläuft, hat er nicht verdient. Eigentlich kommt diese sehr symbolische Handlung gar nichtmal zum falschen Zeitpunkt, aber...Über seine zweite Frau habe ich nicht die beste Meinung.
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Barbarossa
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Ich so langsam auch nicht mehr. Eigentlich kann ich mir über Witwe Kohl nicht wirklich ein Urteil bilden, aber inzwischen soll sie Kohls Söhne per Polizei des Hofes verwiesen haben. Was soll denn sowas?

Das mit der Volksabstimmung über eine Verfassung, die dann auch Verfassung heißt, hätte ich auch befürwortet. Dass damals der Weg mit dem Beitritt gewählt wurde, hatte einfach den Grund, dass es schneller ging. Das war wichtig damals. 

Ja, das Ruhrgebiet - aber selbst dort war es eher ein schleichender Prozess. Hier passierte alles innerhalb von 1-2 Jahren, dass sehr vieles dicht gemacht wurde. Und dann noch flächendeckend im ganzen Osten. Das war schon krass. 
Und das ist jetzt kein Scherz: Wenn sich zwei Bekannte trafen, war der erste Satz nicht Hallo oder guten Tag, sondern ,,Na? Hast du noch Arbeit?'' Hab ich selbst gehört. Es war kein Wunder, dass die Stimmung sehr schnell sehr aggressiv wurde.
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Ruaidhri
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Barbarossa hat geschrieben:Es war kein Wunder, dass die Stimmung sehr schnell sehr aggressiv wurde.
Re: 16. Juni 2017: Helmut Kohl ist tot
Nein, das war durchaus verständlich. Andererseits wollten viele auch nicht von Westdeutschen hören, dass es so einfach und so schnell mit den blühenden Landschaften nichts werden würde, und dass es im Westen halt keine Arbeitsplatz-Garantien gebe und nie gegeben hatte. Kohl hat zu vieles schön geredet, zu viel mit dem vaterländischen Pathos verbrämt statt den Klartext zu reden, den auch in der CDU einige befürwortet hätten.
Ich fand Lafontaine ehrlicher, der klar sagte, dass es für alle ein langer Weg werden würde, wollte aber kaum jemand glauben.
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Was sollte er denn anderes sagen, damit die einfachen Leute es verstehen ? Etwa die "Urbanisierung strukturschwacher Gebiete" ?
Lafontaine ist ein Schwätzer....seine Partei hatte doch erhebliche Zweifel an einer Wiedervereinigung. Schröder war noch als niedersächsicher Oppositonspolitiker im Osten bei Honecker und widersprach nicht den Forderungen einer Grenzverschiebung in die Mitte der Elbe (so hätten die Grenzpolizisten evtl. Flüchtlinge noch aus dem Fluß fischen können). Lafontaine hatte nie ein Konzept und immer nur Zweifel. Aber damit kommt man nicht weit.
Wer heutzutage in den Osten fährt, der sieht viele gute Straßen (im Gegenteil zu manchen westlichen Bundesländern) und viele renovierte Häuser. Im Grunde kann man von "blühenden Landschaften" sprechen, wenn man das mausgrau der DDR in Vergleich zieht.   
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Kohl hätte sagen müssen, und er hätte es sagen können, dass der Aufbau lange dauern werde und mit vielen Härten verbunden sein  werde.
Ich bin mir sehr sicher, dass- gerade aus des Wundert-Kanzlers Munde, diese Botschaft von allen, in Ost wie West, verstanden und akzeptiert worden wäre. Hätte wahrscheinlich mehr zur Einigkeit und Einheit geholfen als solche Ankündigungen.
Das Gequatsche von blühenden Landschaften in vier Jahren war eine leere, verlogene Versprechung, was letztlich auch seine Parteikollegen wussten.
Man muss Lafontaine nicht mögen, aber diese Äußerung, der Aufbau würde hart, war richtig.
Cherusker hat geschrieben:Wer heutzutage in den Osten fährt, der sieht viele gute Straßen (im Gegenteil zu manchen westlichen Bundesländern) und viele renovierte Häuser. Im Grunde kann man von "blühenden Landschaften" sprechen, wenn man das mausgrau der DDR in Vergleich zieht.  
Und wieviel Zeit ist seitdem vergangen? Mehr als vier Jahre. Den Wandel von grauen, verfallenen Städten habe ich wahrlich, grenznah wohnend, erlebt. Manches ist dabei auf beiden Seiten nicht immer geschickt verlaufen, aber das ist nicht Kohls Schuld.
Und wieviel Geld mussten westliche Kommunen in den Osten transferieren, obwohl sie gleichfalls massive Probleme hatten und haben?
Gut, Kohl hat die Gunst der Stunde geschickt genutzt, die die mutigen Bürger in der DDR ihm ermöglicht hatten,um den Auftrag im GG umzusetzen und dabei ein geeintes Deutschland  noch mehr in Europa einzubinden.
Dafür sei ihm Respekt und Dank gezollt.
Seine postulierte moralische Wende wieder blieb bleierne Zeit, und er selbst zeigte eine etwas merkwürdige Moral in Sachen Parteispenden.
Jeder Mensch hat zwei Seiten- und so bleibt dieser Kanzler ganz sicherlich einerseits eine große politische Gestalt, Vereinigung und Europa angehend, und doch wieder bleiben dunkle Punkte, die der Glorifizierung und Überhöhung Grenzen setzen.
Was jetzt um seine letzten Wege abläuft, das wieder hat er nicht verdient, und ich vermag auch nicht zu glauben, dass alles in seinem Sinne ist, was nun passiert.
Mögen tat ich nie, zu seinen Wahlsiegen habe ich auch nicht beigetragen, Weder das Verhalten seiner Witwe noch das der Söhne empfinde als respektvoll und angemessen.
Wobei die Witwe mich doch sehr an Frau Seebacher-Brandt erinnert und ich die Söhne zwar menschlich verstehen kann, es aber besser wäre, weniger die Öffentlichkeit zu suchen.
Dieser Kanzler wird noch lange nicht in Frieden ruhen, die Streitigkeiten über den ( politischen) Nachlass beginnen gerade erst.
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Barbarossa
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Heute (1.7.) war die Trauerfeier, auf der Bill Clinton, Spaniens Ex-Regierungschef Felipe González und Russlands Premier Dmitrij Medwedjew sprachen. Schlussredner waren zudem Macron und Merkel, die dies anscheinend nicht auf Wunsch der Witwe Maike Kohl-Richter taten.
Immer wieder werden die Verdienste Kohls für Europa erwähnt, die Verdienste für die Einheit Deutschlands dagegen eher am Rande, so scheint es.
Helmut Kohls Leichnam wurde feierlich von Straßburg nach Ludwigsburg und dann per Boot auf dem Rhein nach Speyer überführt und dort jeweils verabschiedet. Der ,,europäische Trauerakt'' in Straßburg war der erste, der einem Politker zuteil wurde.
Quelle: http://www.spiegel.de/politik/deutschla ... 55416.html

Ob das alles in seinem Sinne war oder ob er bereits eher fremdbestimmt wurde, weiß ich nicht. Jedenfalls habe ich über seine Witwe inzwischen sehr viel negatives gehört.
Für mich war und ist heute noch die Einheit Deutschlands das wichtigste an Kohls Verdiensten. Die Einführung des Euro erweist sich in letzter Zeit in den jetzigen Konditionen zunehmend als Fehlkonstruktion.
Ich muss sagen, dass ich mir 1989 und 90 unter dem Schlagwort ,,europäische Einigung'' überhaupt nichts vorstellen konnte. Es war für mich völlig ohne Inhalt und aus meiner damaligen Sicht auch abstrakt. Genau das las ich aber in der ,,Wendezeit'' - wie wir heute noch sagen - im Parteiprogramm der SPD: Sie wollte die deutsche Einheit ,,im Rahmen der europäischen Einigung''. Damit konnte die SPD hier im Osten nur verlieren. Wie soll man etwas wählen können (oder sogar Mitglied werden), was man sich gar nicht vorstellen kann und deswegen nicht versteht? Ich wurde damals Mitglied im Demokratischen Aufbruch, der zusammen mit der CDU und der DSU für die schnelle D-Mark-Einführung und Einheit Deutschlands eintraten.
Damals - und in weiten Teilen auch heute noch - denke ich vor allem in nationalen Kategorien, auch wenn ich heute zumindest ein Bild davon habe, was unter ,,europäischer Einigung'' zu verstehen ist. Es darf nur nicht zu schnell gehen, denn sonst könnte es sein, dass die Briten nicht die einzigen bleiben, die wieder aussteigen.

Für mich wird Helmut Kohl für immer vor allem der Kanzler der Einheit Deutschlands bleiben.
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Ruaidhri
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Barbarossa hat geschrieben:Immer wieder werden die Verdienste Kohls für Europa erwähnt, die Verdienste für die Einheit Deutschlands dagegen eher am Rande, so scheint es.
Stimmt so nicht, mal abgesehen davon, dass bis 1989 nicht so fürchterlich viel passierte, und so hoch seine Leistung da zu schätzen ist- es gab und gibt  anderes, was relevant ist und nicht so gut war fürs Land.
Barbarossa hat geschrieben:Für mich war und ist heute noch die Einheit Deutschlands das wichtigste an Kohls Verdiensten.
Vielleicht werden da wieder die unterschiedlichen Prioritäten sichtbar. Mal abgesehen davon, dass ohne die mutigen DDR-Bürger*Innen nichts gewesen wäre mit Vereinigung. Abgesehen davon, dass er als Kanzler zusehen musste, wie er die schwierige Situation bewältigt. Da hatte er nach eigenen Aussagen Kohls, eben auch Glück. Ohne zu ahnen, was kommen sollte, waren es (auch) sein schon vorher bewiesenes Geschick im Umgang mit den europäischen Nachbarn, die den Weg ebneten. Wobei man, auch das wurde gestern erwähnt, weder Brandt noch Schmidt vergessen sollte, die ihren Teil getan hatten.
Bei allem Patriotismus, den Kohl hatte, und der so manchem im Westen schon zuviel wurde:  Kohl hatte, wie Adenauer, Brandt und Schmidt immer Europa genauso im Blick wie Deutschland. Ohne eine ganz klare Einbindung Deutschlands in Europa und in europäische Institutionen, ohne die enge Bindung an Frankreich und die deutlichen Erklärungen an die ehemaligen Ostblock-Staaten, sie sollten gleichberechtigte Partner sein, hätte er weder außenpolitisch noch innenpolitisch im Westen die Vereinigung  durchsetzen können. Westdeutschland war längst auf dem Weg. Eine Umkehr/ Abkehr hätte Kohl nicht gewollt- und im Westen kaum durchsetzen können. Europa war vielen näher als die sogenannte Wiedervereinigung.
Wurde gestern ja nun auch, und das war unendlich wichtig, oft genug wiederholt: Kohl wollte immer ein europäisches Deutschland, aber kein deutsches Europa. Ziemlich klug und gerade aus seinen Lebenserfahrungen gewachsen, bedingt auch durch die geografische Nähe seiner Heimat zu Frankreich.
Vielen in meiner Generation, aber auch in der meiner Eltern, war Europa als Idee unendlich wichtig und auh gelebte Idee.
Barbarossa hat geschrieben:Genau das las ich aber in der ,,Wendezeit'' - wie wir heute noch sagen - im Parteiprogramm der SPD: Sie wollte die deutsche Einheit ,,im Rahmen der europäischen Einigung''. Damit konnte die SPD hier im Osten nur verlieren. Wie soll man etwas wählen können (oder sogar Mitglied werden), was man sich gar nicht vorstellen kann und deswegen nicht versteht?
Gut, dass im Westen in der Zeit verstanden wurde, was Kohl nicht anders meinte als Willy Brandt, Helmut Schmidt und andere gestandene SPD-Politiker. Auch denen war  Gesamt-Deutschlands Einbindung in Europa wichtig und absolut unverzichtbar. Lafontaine war nicht so euphorisiert, mir da mal ausnahmsweise sympathisch, weil er die krasse Wahrheit sagte: " Es wird ein langer Weg, auf dem viele verlieren werden."
Barbarossa hat geschrieben:Die Einführung des Euro erweist sich in letzter Zeit in den jetzigen Konditionen zunehmend als Fehlkonstruktion.
Das ist richtig- aber man sollte schon wissen, dass Deutschland der größte Netto-Zahler wie auch derzeit der größte Profiteur des Euro ist. Was über der gesamten Rechnerei vergessen wird, ist die Idee hinter der gemeinsamen Währung. 
" Die machen mir mein Europa kapuut!" Eine Äußerung von Kohl, die die Wichtigkeit, die Europa für ihn bis zum Schluß hatte, dort durch das Possessivpronomen "mein" ein bisschen nach Selbstüberschätzung klingen mag.
Verstehen kann ich ihn, denn unter dem ganzen Bimbes-Gerede und Gleichmacherei ist die eigentliche Idee des Europa der Menschen, der Freiheit und Gleichheit abhanden gekommen. Nicht zuletzt durch Schäuble und auch Juncker, aber auch durch Orban und die polnische Regierung.
Gut, dass gestern daran erinnert wurde, in einem durchaus würdigen Akt. Besser hätte ein deutscher Staatsakt nicht werden können.

*
Barbarossa hat geschrieben:Schlussredner waren zudem Macron und Merkel, die dies anscheinend nicht auf Wunsch der Witwe Maike Kohl-Richter taten.
Irgendwo enden die Ansprüche einer Witwe eines so bedetenden Politikers, und die Kanzlerin der Bundesrepublik nicht sprechen zu lassen, wäre nicht gegangen. Kohl war nachtragend, aber er muss als Staatsmann gewusst haben, wo bei einer solchen Trauerfeier Grenzen liegen.
Und nochmal nicht wäre es möglich gewesen, ausgerechnet den französischen Staatspräsidenten und auch Gastgeber als Redner auszuschließen. Völlig gegen alles, was der Verblichene im Leben demonstriert hat.
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Ruaidhri hat geschrieben:
Barbarossa hat geschrieben:Für mich war und ist heute noch die Einheit Deutschlands das wichtigste an Kohls Verdiensten.
Vielleicht werden da wieder die unterschiedlichen Prioritäten sichtbar. Mal abgesehen davon, dass ohne die mutigen DDR-Bürger*Innen nichts gewesen wäre mit Vereinigung. Abgesehen davon, dass er als Kanzler zusehen musste, wie er die schwierige Situation bewältigt. Da hatte er nach eigenen Aussagen Kohls, eben auch Glück. Ohne zu ahnen, was kommen sollte, waren es (auch) sein schon vorher bewiesenes Geschick im Umgang mit den europäischen Nachbarn, die den Weg ebneten. Wobei man, auch das wurde gestern erwähnt, weder Brandt noch Schmidt vergessen sollte, die ihren Teil getan hatten.
...
Alles richtig. Unsere Tyrannen mussten wir natürlich erst einmal selbst stürzen. Aber die Forderungen der Straße und der Bürgerrechtsbewegungen hier im Osten in gesamtdeutsche Politik umzusetzen und dabei die europäischen Nachbarn nicht zu verschrecken, das hat er wirklich gut gemacht und ich kann mir noch heute keinen der damaligen Politiker vorstellen, der das hätte besser machen können. Und das, obwohl der Einigungsvertag  aus meiner Sicht durchaus gravierende Fehler enthält und wirtschaftlich einiges den Bach herunter ging.
Ich muss sagen, dass mir das schon damals klar war, dass eine marode Industrie- und Agrarwirtschaft nicht in vier Jahren in eine Dienstleistungswirtschaft umgebaut werden kann. Und ich denke, das war auch vielen anderen klar, denn sonst hätte die FDP in der Bundestagswahl '90 gerade hier im Osten nicht so viele Stimmen bekommen, die ja für den Mittelstand steht.
Insofern würde ich schon sagen, dass die Leute hier differenzieren konnten. Die D-Mark und die Einheit musste unbedingt schnell kommen, denn sonst wären noch viel mehr Leute (und gerade junge Leute) in den Westen gerannt. (Allerdings sind sie das dann aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit sowieso, aber das konnte niemand ahnen, auch ich nicht.) Darum war jede Kritik an der schnellen Einheit verpöhnt.
Aber es war auch klar, dass der wirtschaftliche Umbau schwierig wird und da mussten die richtigen Leute and den richtigen Hebeln sitzen. Die FDP hatte da schon die richtigen Konzepte, konnte sich damit aber vermutlich nicht ausreichend durchsetzen.

Übrigens habe ich seit 1990 immer wieder gehört, dass es unzählige Bücher darüber gibt, wie man eine Privatwirtschaft in eine Staatswirtschaft umbaut, aber kein einziges darüber, wie es umgekehrt geht. Da frage ich mich, wie konnte es zu diesem Versäumnis kommen?
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Es stimmt, die Wiedervereinigung mußte sofort geschehen. Neben der Abwanderung von Arbeitskräften wäre es noch zu ganz anderen Problemen gekommen. Hätte man einen 2. deutschen Staat mit Subventionen über Wasser gehalten, dann wären viele Gelder in irgendwelchen dunklen Kanälen verschwunden, ohne direkt einen Einfluß ausüben zu können. Westliche Industrieunternehmen hätten dann dort auch keine Investitionen getätigt. 
Entweder man machte das schnell oder gar nicht ! Die Auswahl gab es.....aber Zauderer, wie Lafontaine, der selbst nur kritisieren kann, aber keine Lösungen schaffen kann, sind und waren fehl am Platz.
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Cherusker hat geschrieben:Die Auswahl gab es.....aber Zauderer, wie Lafontaine, der selbst nur kritisieren kann, aber keine Lösungen schaffen kann, sind und waren fehl am Platz.
Kann schon sein, seine Klarheit( die auch abservierter großer Klarer aus dem Norden hatte, was die unausweichlichen Probleme betraf, war dennoch richtig.
Cherusker hat geschrieben:Es stimmt, die Wiedervereinigung mußte sofort geschehen. Neben der Abwanderung von Arbeitskräften wäre es noch zu ganz anderen Problemen gekommen.
"Kommt die D-Mark nicht zu uns, kommen wir zur D-Mark."
Das wäre genauso schwierig geworden. Kohl, in allem Respekt, hat die politische Aufgabe sehr gut gelöst. Was den wirtschaftlichen und sozialen Bereich angeht: Es gab Fehler, viele sogar, manches hätte mit wenig Aufwand vermieden werden können. Andererseits: Gab ja kein Handlungsmodell, alles musste sehr schnell, fast improvisiert gehen.
Dafür ist es halbwegs gelungen, und es ist eben nicht nur der Osten, der Probleme hatte und hat.
Edit:
Warum es keine Bücher über den Umbau einer Staatswirtschaft in eine freie Marktwirtschaft gab? Wer hat denn noch geglaubt, dass man die brauchen würde? Gab keinen Markt dafür.
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Hat man also auch im Westen geglaubt, der ,,Sozialismus'' sei wie ein Monolith und könnte letzten Endes sogar siegen? 
Ach nein, vorher hätte man wohl die Welt mit Atomwaffen zerstört... :-(
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