Ernst von Weizsäcker: Tragische Figur oder Karrierist?

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Moderator: Barbarossa

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Balduin
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Die Weizsäckers sind eine der einflussreichsten Familien Deutschlands: Seit Generationen besetzen sie wichtige Schlüsselpositionen in Verwaltung, Wissenschaft und Politik: Richard von Weizsäcker war Bundespräsident, dessen Vater Staatssekretär im Auswärtigen Amt unter Adolf Hitler und der Großvater Ministerpräsident Württembergs. Besonders an Ernst von Weizsäcker wird der Widerspruch zwischen Verantwortung, Staatstreue, Loyalität und Schuld deutlich.

Artikel: Hitlers höchster Diplomat: Ernst von Weizsäcker


Wie bewertet ihr Ernst von Weizsäcker? Ist er ein skrupelloser Karrierist oder eine tragische Figur, die den Krieg verhindern wollte, dabei aber scheiterte und im Dienst der Nationalsozialisten Verbrechen beging?
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He has called on the best that was in us. There was no such thing as half-trying. Whether it was running a race or catching a football, competing in school—we were to try. And we were to try harder than anyone else. We might not be the best, and none of us were, but we were to make the effort to be the best. "After you have done the best you can", he used to say, "the hell with it". Robert F. Kennedy - Tribute to his father
Der Germane
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Ahoi,

von Weizsäcker hatte zu Henderson (brit. Botschafter) ein Vertrauensverhältnis (`38) geschaffen. Bei jeder Gelegenheit nutzte v. W. seine Amtstellung aus, um über Ribbentrop Unwahrheiten zu verbreiten.

W. Bestreben war, das auswärtige Amt In schlechtes Licht zu bringen und diesbzgl. Ribbentrobs Ansehen und Ruf als Englandkenner zu zerstören, sowie den Sturz des Regimes herbeizuführen.

W. bekennte sich zu seinem Landesverrat.

W. war neben Canaris der Drahtzieher für das Attentat auf Hitler.
O heilig Herz der Völker, des hohen Gesanges und der göttlichen Ahnung.
Ernste und holde Heimat, Du Land der Liebe - O laß mich knien an Deinem
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Barbarossa
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Der Germane hat geschrieben:...
W. war neben Canaris der Drahtzieher für das Attentat auf Hitler.
Und er wurde nicht vor den Schauprozess gestellt?
Ich halte das für unwahrscheinlich. Aus Wikipedia:
Weizsäcker wurde am 24. Juni 1943 angesichts der bevorstehenden Niederlage auf eigenen Wunsch (als einziger deutscher SS-Offizier) zum deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl in Rom ernannt. Mit der Befreiung Roms im Juni 1944 wurde die deutsche Botschaft in den Vatikan verlegt, wo Weizsäcker auch nach der Kapitulation Deutschlands bis August 1946 blieb.
Wie sollte er von Rom aus das Attentat auf Hitler mit vorbereitet haben?

Und dann ist noch ein Zitat aus Wiki:
Er hatte sich stets gegen einen Krieg mit Russland bzw. Stalin ausgesprochen; es lassen sich jedoch auch Äußerungen nachweisen, in denen die Idee des „Lebensraums im Osten“ mitschwingt.

Im März und Juni 1942 wurde von Weizsäcker schriftlich durch Franz Rademacher, den Leiter des „Judenreferats“ im Auswärtigen Amt, über „Künftige Maßnahmen gegen Mischlinge I. und II. Grades” und die „Frage der Sterilisierung der 70 000 Mischlinge” informiert.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_von_ ... rtigen_Amt

Es scheint klar, hier treffen Karriereambitionen mit einem entstandenen verbrecherischen Regime zusammen. Da er aber von den Verbrechen nachweislich wußte, hätte er diese Amitionen zurückstellen müssen. Tat er aber nicht. Dadurch hat er sich mitschuldig gemacht.
Für mich ein klarer Fall.
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Balduin
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Der Germane hat geschrieben:Ahoi,

von Weizsäcker hatte zu Henderson (brit. Botschafter) ein Vertrauensverhältnis (`38) geschaffen. Bei jeder Gelegenheit nutzte v. W. seine Amtstellung aus, um über Ribbentrop Unwahrheiten zu verbreiten.

W. Bestreben war, das auswärtige Amt In schlechtes Licht zu bringen und diesbzgl. Ribbentrobs Ansehen und Ruf als Englandkenner zu zerstören, sowie den Sturz des Regimes herbeizuführen.

W. bekennte sich zu seinem Landesverrat.

W. war neben Canaris der Drahtzieher für das Attentat auf Hitler.
Rippentrop war das Schoßhündchen Hitlers, er hätte nie den Plänen Hitlers widersprochen.

Das mit dem Drahtzieher des Attentats stimmt eindeutig nicht. Weizsäcker hatte zwar anfänglich Kontakte zu Widerstandskreisen, brach diese aber ab.
Er ist für mich teils eine tragische Figur, teils aber ein Karrierist. Es war Selbstüberschätzung zu meinen, einen Krieg verhindern zu können - ein Krieg, den aber die NS-Führung seit jeher wollte. Der Ehrgeiz und auch die nationalistische Gesinnung liesen ihn wohl auch über Leichen gehen.
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Ist alles nachzulesen in
Hans Meiser "Verratene Verräter"
einschließlich dem Schriftverkehr von W.
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Balduin
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Ich beziehe mich auf die Autobiographie von Weizsäcker selbst.

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Barbarossa
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Hans Meiser ist nun aber kein ausgewiesener Historiker, sondern eher ein Vertreter der seichten TV-Unterhaltung...
:roll:
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Autor ist Dr. Hans Meiser, nicht zu verwechseln mit dem TV-Mann Hans Meiser - ehem. Nachrichtensprecher.
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... bei dem ich nach kurzer und oberflächlicher Recherche wohl eine rechtsextreme Gesinnung annehmen darf. Ich denke, dass hier die Autobiographie von Weizsäcker ("Erinnerungen") eindeutig die glaubhaftere Quelle ist.
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Moin Ralph,

habe nochmal nachgelesen und es wird auch darauf hingewiesen, daß dies aus den "Erinnerungen" W. übernommen wurde.

Apropo "rechtsextrem": Wie kann und sollte man dann Prof. Dr. Franz W. Seidler einordnen?
Prof. Seidler lehrte an der Bundeswehr Uni in München!!!

Sobald ein Autor gegen den allgemeinen "Strom" schwimmt, wird er autom. als rechtsextrem abgestempelt.
Gerade diese Autoren geben das bekannt, was in den "normalen" Sachbüchern nicht zu lesen ist oder verfälscht wiedergegeben wird!
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dieter
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Ernst von Weizsäcker war Karrierist, er wurde auch von den Alliierten verurteilt. Sein Sohn hatte ihn verteidigt. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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Vergobret
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Ein Nazi, mit zweifelhafter Selbstüberhöhung. Zeichnete auch seinen Physikersohn aus letzteres.
„In all den Jahren habe ich so viele junge Männer gesehen,
die der Meinung waren, auf andere junge Männer zuzulaufen.
Aber das stimmt nicht.
Sie liefen alle zu mir.“
so sprach der Tod

Aus „Die Bücherdiebin“
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dieter
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Vergobret hat geschrieben:Ein Nazi, mit zweifelhafter Selbstüberhöhung. Zeichnete auch seinen Physikersohn aus letzteres.
Lieber Vergobret,
so war es. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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Orianne
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Gut, meiner Meinung nach war Ernst von Weizsäcker beides, ein Karrierist und eine tragische Figur. Wäre er in der Armee geblieben wäre sein Lebensweg sicher besser gelaufen, ohne die angewiesene Judenverschleppung, ohne die Ausbürgerung von Thomas Mann und ohne Parteimitgliedschaft und ohne den Generalsrang in der SS. Tragisch wurde es für ihn in Nürnberg, denn ihm drohte ja der Strick, dem er u.A. durch die Verteidigung seines Sohnes entgehen konnte. So verabscheue ich persönlich seine Aussage im September 1945: Deutschland hatte in den 1920er Jahren „im Osten die Grenzen zu weit aufgemacht“. So habe „die Inflation viele Juden angezogen“ und diese hätten sich „zu einer Großmacht entwickelt“. Mit all seinen Mühlsteinen um den Hals wundert es mich nicht, dass er schon 1951 starb, mich hätte das Gewissen, und die Gewissheit, dass Juden getötet wurden, was er ja beim Prozess abstritt, aber durch sein Visum auf verschiedenen Dokumenten widerlegt wurde sehr sehr geplagt.

„Im Reichskommissariat Ostland wurde […] eine Festnahmeaktion sämtlicher Juden […] eingeleitet, […] etwa 2.000 […]. Die männlichen über 16 Jahre alten Juden wurden mit Ausnahme der Ärzte und der Judenältesten exekutiert […]. In der Ukraine wurden als Vergeltungsmaßnahmen für die Brandstiftungen in Kiew dortselbst sämtliche Juden verhaftet und Ende September d. J. insgesamt mehr als 33 000 Juden hingerichtet. In Shitomir wurden mehr als 3.000 Juden zur Vermeidung der Anstiftung von Sabotage durch sie erschossen. Im Raum ostwärts des Dnjepr wurden annähernd 5.000 Juden erschossen.“

Dem war der Tätigkeits- und Lagebericht Nr. 6 der Einsatzgruppen beigefügt. Dort findet sich folgende Passage:

„Die Lösung der Judenfrage wurde insbesondere im Raum ostwärts des Dnjepr seitens der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD energisch in Angriff genommen. Die von den Kommandos neu besetzten Räume wurden judenfrei gemacht. Dabei wurden 4 891 Juden liquidiert.“


Ausnahmsweise habe ich mich hier bei Wikipedia bedient.
Grant stood by me when I was crazy, and I stood by him when he was drunk, and now we stand by each other.

General William Tecumseh Sherman
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Katarina Ke
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Tragische Figur - dass ist mir etwas zu viel der Nachsicht.

Weizsäcker war ein großdeutscher Nationalist; ein Nationalsozialist war er nicht. Aber er wollte Karriere machen. Von den Verbrechen in den besetzten Gebieten hatte er nach meinem Wissensstand Kenntnis.

Sicherlich sollte man es sich aus heutiger Sicht mit Schuldzuweisungen nicht zu einfach machen. Doch ich finde es gerecht, dass man ihm nach dem Krieg den Prozess machte.

Weizsäcker bedauerte in den Tagebüchern 1941/42, dass das "Kaisermanöver" gegen die Russen nicht wie geplant ablief - die schossen ja zurück. Dass war der großdeutsche Machtpolitiker, der Hitlers Weltanschauungskrieg machtpolitisch kalkulieren wollte, weil er sich keine Illusionen mehr über die drohende Niederlage machte.

Tragische Figur? Nein - für mich nicht. Ein intelligenter Machtpolitiker, der den Tiger reiten wollte und sich dabei überschätzte.
Geschichte sollte so geschrieben werden, wie man eine Geschichte erzählt - lebendig und an den Fakten orientiert. Meine Homepage: http://www.katharinakellmann-historikerin.de/
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