Die Stasi und ihre Spitzel

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Moderator: Barbarossa

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Triton
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Ralph hat geschrieben:weißt du, was die Einstellungsvoraussetzungen waren? Gesinnungstreue setze ich jetzt mal als Grundvoraussetzung voraus.
Zu Beginn rekrutierte die Stasi vor allem stramme Parteigänger, also hundertprozentige, fast nur ohne jede fachliche Qualifikation. Vor allem, weil auf ehemalige Gestapo oder SD-Mitarbeiter verzichtet wurde. Was ja an sich nicht der schlechteste Ansatz war. Später wurden dann schon 7.Klässler in Schulen angesprochen, die sich dann bis zur 9.Klasse bewähren mussten und dann in den Dienst eintraten.
Die weitere Bildung erfolgte dann in internen Schulen, in denen fast nur dienstliches Rüstzeug vermittelt wurde. Auf eine Allgemein- oder humanistische Bildung wurde keinen Wert gelegt, mit dem Ergebnis, das viele Stasi-Mitarbeiter kaum schriftliche Berichte abfassen oder den IMs auf Augenhöhe begegnen konnten. "Intellektuelle" galten immer als suspekt, die Linie gab Erich Mielke vor.
Mir als Wessi schwebte immer Mischa Wolf als Stasi-Prototyp vor, dabei war der ja nur für die ausländischen Mitarbeiter zuständig.

Gesetze, Grenzen oder Tabus gab es praktisch keine, richtig war, was Erfolg brachte. Mich wundert es heute nicht mehr, dass die Montagsdemonstranten ihren Hass auf die Stasi offen herausschrien, in einer so verzwungenen Atmosphäre jahrzehntelang leben zu müssen, muss die absolute Hölle gewesen sein. Die Stasi-Mitarbeiter waren übrigens genauso Opfer, sie überwachten sich gegenseitig noch lückenloser als den Rest der Bevölkerung. Mit dem Ergebnis dass niemand mehr sagte als Allgemeinplätze und sogar in Wohnungen nur noch geflüstert wurde.

Beste Grüße
Joerg
Zuletzt geändert von Triton am 28.05.2013, 15:14, insgesamt 1-mal geändert.
"Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, in dem man sie ignoriert." (Aldous Huxley)
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dieter
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Lieber Joerg,
vielen Dank für diese Informationen. :) Gut, dass die DDR weg ist. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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Peppone
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Triton hat geschrieben:Zu Beginn rekrutierte die Stasi vor allem stramme Parteigänger, also hundertprozentige, fast nur ohne jede fachliche Qualifikation. (...)
Die weitere Bildung erfolgte dann in internen Schulen, in denen fast nur dienstliches Rüstzeug vermittelt wurde. Auf eine Allgemein- oder humanistische Bildung wurde keinen Wert gelegt, mit dem Ergebnis, das viele Stasi-Mitarbeiter kaum schriftliche Berichte abfassen oder den IMs auf Augenhöhe begegnen konnten.
Triton, das sind nützliche Informationen, aber mir kommen sie zu einseitig vor. Kommt da noch was?

Dafür war die Stasi nämlich verdammt erfolgreich, dass sie so viele Bildungsnieten in ihren Reihen hatte.
Was du mit deiner Aussage vermittelst, ist, dass die Stasi eine typisch deutsche Behörde war, mit Vordrucken in Amtsdeutsch und dreimaligem Durchschlag, dass aber dahinter vor allem Beamte ohne Horizont saßen.
Das mag auf die untere Ebene zutreffen, aber schon die Führungsoffiziere müssen bessere Qualifikationen gehabt haben.
Ich kenne zwar nur einen von denen, und den auch nur indirekt aus Erzählungen der "geführten" Personen, aber eine dieser geführten Personen war immerhin Professor, die andere, mir noch besser als die erste bekannte Person besaß (bzw. besitzt) ein SEHR breit angelegtes Allgemeinwissen. Der Führungsoffizier - obwohl er ganz offen als solcher auftrat - wurde bald gut Freund mit seinen "Anvertrauten". Das wäre nicht der Fall gewesen, wäre er eine solche Beamtennull gewesen wie du oben andeutest.

Die Leute brauchten eine gehörige psychologische Ausbildung, um ihre "Anvertrauten" so manipulieren zu können wie man dies häufig von Stasileuten hört. Ich denke, diese Ausbildung haben sie auch bekommen.
Nicht gerade in der Anfangszeit, da hast du recht, aber später ganz sicher, alles andere wäre unlogisch...

Beppe
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Triton
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Peppone hat geschrieben:Das mag auf die untere Ebene zutreffen, aber schon die Führungsoffiziere müssen bessere Qualifikationen gehabt haben.
Das war sicher auch so. Erfolgreich war die Auslandsabteilung der Stasi. Aber die Überwachung der eigenen Landsleute war eine Riesendummheit und als die Leute sich trauten, den Mund aufzumachen, wurde der Hass auf die Stasi mehr als deutlich.
Die Stasi hatte die DDR in einen Flüsterstaat verwandelt und die führenden Mitarbeiter wussten wohl wirklich nicht, dass ihr eigenes Volk, dessen Schild und Schwert und Elite sie sein wollten, sie einfach nur loswerden wollte. Mielkes "Aber...ich liebe Euch doch alle!" ging ja in die Geschichte ein und war sicher eine Reaktion darauf, dass sich selbst führende Genossen von der Stasi abwandten.

Noch ein paar Fakten: Auf einen Geheimdienstmitarbeiter kamen in der DDR 180, in der UDSSR 595 und in Polen 1574 Bürger. Die Stasi verschlang 4 Mrd Ostmark an Etat und das zu einer Zeit, als die DDR faktisch schon Pleite war und der Gesamthaushalt rund 60 Mrd. Ostmark betrug.

Die geringe formelle Bildung lag sicher daran, dass die Mitarbeiter schon früh ausgewählt und intern weitergebildet wurden, aber eben rein technokratisch, zweckgerichtet. So wurde die Strafprozessordnung detailliert gelehrt, damit das Vorgehen der Mitarbeiter gerichtsverwertbare Beweise lieferte. Aber sicher wurden keine rechtsphilosophischen Betrachtungen angestellt, die den Sinn und Zweck von Gesetzen hinterfragten. Stasiintern gab es keine Gewaltenteilung, oberster Gerichtsherr war Mielke, der für die gleichen Vergehen einmal einen Verweis und ein anderes Mal die Todesstrafe aussprach. Psychologie wurde gelehrt, aber wieder nur zu dienstlichen Zwecken. Sonst wären die Stasi-Mitarbeiter viel früher draufgekommen, dass sie selbst Opfer waren und ein Leben voller Zwänge und Einschränkungen leben mussten. Warum in einem Arbeiter- und Bauernstaat ausgerechnet unproduktive Schnüffler eine Elite darstellen sollen, diese Frage stellten sich die Stasi-Kader wohl erst gar nicht. Selbstreflektion war also nicht existent oder wurde verdrängt.

Ein besonders niederträchtiges Instrument der "Kampfweise" der Stasi war die sogenannte Zersetzung. Wenn gegen Oppositionelle oder etwa Kirchenmitglieder nicht offen vorgegangen werden konnte oder sollte, wurden diese im Alltag zermürbt. Dazu gehörten zum Beispiel das Streuen von Gerüchten, ständige (scheinbar zufällige) Ärgernisse im Alltag, Einschleußen von IMs in den Freundeskreis, deren Aufgabe es ist, für ständigen internen Zwist der Oppositionellen zu sorgen, beruflicher Misserfolg, Dauerüberwachung usw. Viele Oppositionelle zerbrachen an der Zersetzung und gingen ins innere oder tatsächliche Exil.
Die "Zersetzung" hatte die groteske Folge, dass an der Spitze vieler oppositioneller Gruppen zur Wendezeit ausgerechnet IMs standen, Wolfgang Schnur und Ibrahim Böhme sind Beispiele. Beide setzten bekanntlich auf eine Beibehaltung der DDR und einen Glasnost-Kurs, in dem die Stasi wohl einen letzten, gangbaren Weg zur Selbsterhaltung sah.

Beste Grüße
Joerg
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