Moralische Ökonomie, Thomas von Aquin (1225-1274)

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Moderator: Barbarossa

Jim Morisson

Als moralische Ökonomie bezeichnet man eine Wirtschaft, in der moralische und ethische Prinzipien im Vordergrund stehen und in der es nicht lediglich um Gewinnmaximierung geht. Thomas von Aquin könnte man hier als Theoretiker nennen. Im Mittelalter gab es fast keine Nationalökonomen, dazu war die Marktwirtschaft noch längst nicht ausgereift. Man diskutierte über Probleme des Ackerbaus in einer Naturalwirtschaft oder ob es sündhaft ist, Zinsen zu nehmen. Thomas von Aquin allerdings dachte schon weiter.

  Thomas von Aquin (1225-1274) war der bedeutendste Vertreter der Scholastik, einer Wissenschaftsströmung, die auf der Logik von Aristoteles aufbaute und Theologie und Philosophie kombinierte. Seine Auffassungen zur Wirtschaft, dargestellt in seinem Werk „Summa theologica“, klingen in mancher Hinsicht durchaus modern.
 
Der „gerechte Preis“ bestimmte damals das ökonomische Denken. Angesichts der Zünfte und Kaufmannsgilden mit ihrer monopolistischen Preispolitik war der nur schwer zu realisieren, da diese Vereinigungen wie Kartelle agierten.  Für Thomas von Aquin muss das Äquivalenzprinzip gelten: Der Preis setzt sich zusammen aus Kosten und der geleisteten Arbeit, die in Arbeitsstunden gemessen wird.  Unter Kosten versteht er die Rohstoffkosten und die Arbeitskosten, gemessen in Arbeitsstunden. Abweichende Qualitäten in der Arbeit und der Güter können der Quantität nach ausgeglichen werden.
 
Das „Eigentum“.
Gott gehört zwar alles, aber der Einzelne darf Dinge als Eigentum besitzen. Aquin unterscheidet zwischen natürlichen Gütern und künstlichen Gütern. Die natürlichen Güter wie Wasser, Luft etc. gehören allen, die künstlichen Güter aber den Menschen. Der Mensch darf künstliche Güter erwerben, verwalten und vererben. Gemeineigentum lehnt er ab aus drei Gründen:
 
1. Über Privateigentum wacht der Mensch mehr als über das Gemeineigentum, denn die Arbeit und Mühe des Gemeineigentums überlässt er lieber den anderen.
 
2. Privates Eigentum nutze auch der Gesellschaft, da es besser ist, das jeder seinen eigenen Bereich verwaltet.
 
3. Die Gesellschaft ist friedlicher, wenn jeder sein Eigentum besitzt und dies halbwegs gerecht verteilt ist. Jeder soll das Lebensnotwenige besitzen.
 
Aquin fordert aber, dass das Privateigentum auch der Gemeinschaft nützen soll, denn daraus erwachsen soziale Verpflichtungen. Reiche sind verpflichtet, den Armen zu helfen.  Übermäßige Konzentration von Reichtum lehnt er ab.
 
Aquin unterscheidet zwischen der Tauschgerechtigkeit und der verteilenden Gerechtigkeit. Tauschgerechtigkeit gilt auf dem Markt, verteilende Gerechtigkeit muss von übergeordneten Instanzen organisiert werden, die Verteilung von Gütern ohne direkte Gegenleistung nach Bedürftigkeit und sozialem Status.
 
Aquin unterscheidet zwischen der körperlichen und der geistigen Tätigkeit. Letztere stuft er als höherwertig ein. Beten oder studieren sind auch Arbeit.  Abgaben an die Kirche seien deshalb gerechtfertigt. Somit rechtfertigte er die mittelalterliche Ständeordnung.
 
Handelsgewinne werden gerechtfertigt, da nur durch den Austausch Lücken und Engpässe in der Gesellschaft ausgeglichen werden können.
 
Zinsen sind ihm suspekt, können aber genommen werden, wenn 1.) sich der Wert des Geldes ändern könnte 2.) wenn ansonsten dem Gläubiger ein Schaden entsteht oder überhaupt erst ein Gewinn ermöglicht wird. Aquin erkennt frühzeitig den Zins als Produktionsfaktor.

Diese Theorie klingt nicht unsympathisch. Doch das Bürgertum und die später entstehende kapitalistische Gesellschaft musste sich darüber hinwegsetzen. Die Entfaltung individueller Freiheit in den Eigentums- und Machtverhältnissen führte sehr schnell zu sozialen Ungleichheiten. Gleichheit der Einkommen und Vermögen war nicht realisierbar. Der klassische Liberalismus forderte deshalb auch stets nur die Gleichheit vor dem Gesetz, nicht die ökonomische Gleichheit. Heute versteht man unter Gleichheit zusätzlich noch die Gleichheit der Chancen, die notfalls vom Staat hergestellt werden muss.

 In den USA, wo wirtschaftliche Gleichheit ohnehin nie ein Thema war, gilt Ungleichheit als gerechtfertigt. wenn eine Ungleichverteilung selbst den am wenigsten Begünstigten noch den größten zu erwartenden Vorteil bringt.

Dass Reiche den Armen helfen sollen, wie Aquin fordert, funktionierte nicht wirklich. Deshalb musste der Staat die "verteilende Gerechtigkeit" organisieren.

Was würde Thomas von Aquin über die heutige Gesellschaft sagen? Entspricht die soziale Marktwirtschaft seinen Vorstellungen? Leider werden wir dies nie erfahren.
 
Als Quelle diente: Stabatty, Klassiker des ökonomischen Denkens, Hamburg 2008
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