Plötzlich Krieg, TV Experiment

Kommentare und Meinungen zu epochenübergreifenden Themen

Moderator: Barbarossa

james
Mitglied
Beiträge: 123
Registriert: 14.09.2015, 14:32
Wohnort: janz jeroßet Jeheimnis

Hat jemand das TV Experiment "Plötzlich Krieg" gesehen?

Das Social Factual „Plötzlich Krieg? – Ein Experiment“ ist ein Versuch, mit dem wir aufzeigen wollen, wie einfach und schnell sich Menschen in Gruppen manipulieren lassen, wie schnell eine Situation eskalieren kann und es dazu kommt, dass sich zwei Gruppen gegeneinseitig bekriegen. Es geht aber auch um die Frage, ob und wie man sie wieder versöhnen kann.

Wie entstehen also Konflikte und Kriege? Gibt es eine angeborene Gewaltbereitschaft des Menschen? Können wir alle zu „Kriegern“ werden? Wann sind Menschen bereit „in den Kampf“ zu ziehen? Und wie können Konflikte gelöst werden? Diese Fragen wollen wir in einem Fernsehformat beantworten und stoßen auf eine der bekanntesten Sozialstudien über Konflikt- und Kriegsentstehung: Das Robbers-Cave-Experiment aus dem Jahr 1954. Konzipiert und durchgeführt von Muzafer Şherif, einem Psychologie-Professor, dient es als wissenschaftliche Basis für unser Social Factual „Plötzlich Krieg? – Ein Experiment“.

Zum Ablauf des Robbers-Cave-Experiments:

Professor Şherif macht sich mit elf Jungen im Alter von durchschnittlich zwölf Jahren aus Oklahoma City, die sich untereinander nicht kennen, auf den Weg zum Robbers Cave State Park. Die Jungen stammen aus intakten, mittelständischen Familien und fahren in ein scheinbar ganz normales Ferienlager. Sie beziehen ihre Hütte, spielen Verstecken, gehen schwimmen, erkunden das Gelände. Zeitgleich reist eine zweite Gruppe mit ebenfalls elf Jungen an und richtet sich in einer Hütte ein, die sich in Rufweite befindet. Die Gruppen wissen nichts voneinander und ahnen nicht, dass es sich bei den Lagerleitern um Wissenschaftler handelt, die sie genau beobachten – und massiv manipulieren.

Şherifs Ziel: Die Gruppen zunächst zu Feinden machen und dann die zerstrittenen, womöglich sehr aggressiven Jugendlichen wieder zu versöhnen. Şherif teilt das Experiment in drei Phasen ein:

Die erste Phase umfasst die Entwicklung der jeweiligen Gruppe zu einem „Team“, in der jeder seinen Platz und seine Aufgabe hat. Dazu gehören die Verteilung von Macht, die Bestimmung von Zielen und Aufgaben, die Bildung von Regeln und Hierarchien. Jede Gruppe entwickelt innerhalb kürzester Zeit ihre „Kultur“. Es funktioniert: Schon eine Woche nach der Ankunft bilden sich innerhalb beider Gruppen soziale Strukturen und Hierarchien, Anführer werden bestimmt. Eine Gruppe nennt sich „Die Klapperschlangen“, die zweite Gruppe „Die Adler“. Sie basteln sich Flaggen mit ihrem „Wappen“ und pflegen Rituale.

In der zweiten Phase lassen die Wissenschaftler die Gruppen als Gegner aufeinandertreffen. Wie schafft man Feindschaften? Durch Konkurrenz, Neid und Habgier. Die Wissenschaftler initiieren scheinbar harmlose Wettbewerbe wie Tauziehen, Baseball oder eine Schatzsuche, in denen sich die Gruppen als Gegner gegenüberstehen. Als Gewinn wird zum Beispiel ein besseres Abendessen oder ein Filmabend für die Gewinnergruppe ausgeschrieben. Die Aussicht auf den Lohn und der Ehrgeiz, auf der Gewinnerseite zu stehen, lässt die Jungen innerhalb ihres Teams noch mehr zusammenrücken. Am Ende entstehen Neid und Missgunst auf der Verlierer- und Überheblichkeit auf der Gewinner-Seite. Die Wissenschaftler stacheln die Feindseligkeit dabei gezielt an: Sie erzählen beispielsweise den Verlierern, dass die andere Gruppe beim Spiel betrogen hätte und bestärken die Gewinner in ihrem Glauben, in allem „besser als die Anderen“ zu sein. Die Psychologen geben den Jugendlichen ein Feindbild vor, das diese, ohne zu hinterfragen, übernehmen. Durch subtile Äußerungen der Campleiter wächst die Antipathie gegenüber der anderen Gruppe immer mehr. Das Ergebnis: Der innere Zusammenhalt der Teams wird stärker, Aggressionen und Frust werden gegen die anderen gerichtet.

Das Ausmaß der Feindseligkeiten überrascht die Wissenschaftler: „Stinker!“; „Memmen!“, „Kommunisten!“ beschimpfen sich die Teams gegenseitig. Eines Abends verbrennen „die Adler“ die Fahne der Klapper-schlangen. Kurz darauf rächen sich diese, indem sie die Hütte der Adler überfallen, Vorhänge herunter reißen und Betten umwerfen. Schließlich eskaliert der Konflikt: Beide Lager bewaffnen sich mit Baseballschlägern, um gegen die anderen in den Krieg zu ziehen.

In Phase drei folgt das eigentliche Ziel des Experiments: Şherif will herausfinden, wie man den entstandenen Konflikt beilegen und die rivalisierenden Gruppen aussöhnen kann. Die Idee der Forscher klingt banal: Sie stellen Aufgaben, die ein Team allein nicht bewältigen kann. Sie manipulieren die Trinkwasserversorgung des Lagers und erklären, dass die Jungen die Leitung absuchen und reparieren müssten. Dafür würden alle Teilnehmer benötigt. Es funktioniert: Die Teams arbeiteten zusammen, leihen sich sogar gegenseitig Werkzeug. Beim gemeinsamen Abendessen jedoch flammt der alte Konflikt sofort wieder auf.

Es folgen weitere Aufgaben: Die Gruppen müssen Geld für einen Filmabend gemeinsam aufbringen, bei einem Ausflug streikt der Bus, den sie nur mit gemeinsamer Kraft wieder anschieben, bei einem Camping-ausflug bringen die Lagerleiter die Ausrüstung durcheinander, sodass die Zelte nur durch gegenseitiges Aushelfen aufzustellen sind. Und tatsächlich: Nach und nach wird aus zwei verfeindeten Gruppen ein Team. Am Abschlussabend sitzen sie gemeinsam um das Lagerfeuer und fahren sogar auf eigenen Wunsch in einem Bus nach Hause zurück. Das „Ferienlager-Experiment“ hat funktioniert.

Muzar Şherifs Robbers-Cave-Experiment ist ein Meilenstein und hat die internationale Konflikt-und Friedensforschung stark beeinflusst. Mit diesem Experiment im Kopf machen wir uns auf die Suche.
Benutzeravatar
Barbarossa
Mitglied
Beiträge: 15506
Registriert: 09.07.2008, 16:46
Wohnort: Mark Brandenburg

Klasse! Und danke - nein, habe ich nicht gesehen, james.
Aber dennoch kann man wohl feststellen, dass es leichter ist, Feindschaft zu säen, als Freundschaft zu schließen.
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
Ruaidhri
Mitglied
Beiträge: 1901
Registriert: 06.05.2015, 18:09

Wie beklemmend gerade jetzt!
Sollte man sich in der Mediathek nochmal ansehen, vieles hat Wiedererkennungswert.
Nicht nur für die tatsächlich Bösen.
Barbarossa hat geschrieben:Aber dennoch kann man wohl feststellen, dass es leichter ist, Feindschaft zu säen, als Freundschaft zu schließen.
Auch dieser Satz passt bedrückend zwischen Willkommenskultur und totaler Ablehnung.
Muttersprache: Deutsch Vaterland: Keins. Heimat: Europa
LG Ruaidhri
james
Mitglied
Beiträge: 123
Registriert: 14.09.2015, 14:32
Wohnort: janz jeroßet Jeheimnis

Die einseitige Darstellung von DDR, Russe, Ostblock generell oder zeitweise auch mal Ungarn, Serbien, Syrien, Libyen, Iran, Ostukraine usw. und das übertrieben patriotische US Katastrophenfernsehn samt der aufgesetzten Westl. Moral tut ihr Übriges "Freund" und "Feind" manipulativ zu definieren.

Doch Freundschaft und auch Völkerfreundschaft und Frieden gedeiht nicht auf Hetze und Lügen.
Dieses Land ist moralisch so an jegliche Verdrehung von Wahrheit, Wortumdeutung und puren Lügenkonstrukten gewöhnt, das es diese für wahr hält und verteidigt. Es hat längst verlernt kritisch zu hinterfragen, was die Wahrheit ist.
Das Experiment zeigt es: Sie haben nie diese "zugewiesenen Freunde" ihrer Gruppe hinterfragt.
Sie haben sich wie aufgepeitschte Schafe zur Schlachtbank führen lassen.
Nur deshalb wurden sie Teil einer "aggressiven Armee".
Aber für was? Welche Werte standen dahinter?
Im Ernstfall hätten sie diese zweifelhaften Werte sogar mit dem eigenem Leben bezahlt, wenn man das Experiment nicht
beendet hätte. Sie wären Killer geworden. Und genau das demonstriert dieses Experiment.
Deswegen such ich mir meine Freunde auch selbst aus.
Dietrich
Mitglied
Beiträge: 1755
Registriert: 04.05.2012, 18:42
Wohnort: Ostfalen

james hat geschrieben:.
Dieses Land ist moralisch so an jegliche Verdrehung von Wahrheit, Wortumdeutung und puren Lügenkonstrukten gewöhnt, das es diese für wahr hält und verteidigt. Es hat längst verlernt kritisch zu hinterfragen, was die Wahrheit ist.
.
Das halte ich allerdings für stark übertrieben.
Eine solche Vorstellung ist ebenso extrem wie wie ihr Gegenteil. Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte.
Wallenstein

Ein Szenarium wie in dem obigen Experiment findet sich in dem Roman von William Gerald Golding (1911-1993) „Herr der Fliegen“, erschienen 1954.

Eine Gruppe männlicher Jugendlicher zwischen sechs und zwölf Jahren verschlägt es auf eine Insel.
Ihr Flugzeug, das sie vor einem Atomkrieg in Sicherheit bringen sollte, musste notlanden, die Erwachsenen sind tot. Die Gemeinschaft zerfällt schon bald in zwei verfeindete Gruppen. Die eine unter ihrem charismatischen Anführer Ralph ist demokratisch aufgebaut. Die andere wird geleitet von einem aggressiven jungen Mann namens Jack. Sie nennen sich die „Die Jäger“. Jack errichtet in seiner Gruppe eine Diktatur, die sich immer mehr zu einem totalitären System entwickelt. „Die Jäger“ bekämpfen die Anhänger von Ralph und bringen im Laufe der Zeit einen nach dem anderen von ihnen um. Zum Schluss jagen sie Ralph selbst und um ihn zu fassen, setzen sie die ganze Insel in Brand. Das idyllische Eiland verwandelt sich in ein Inferno. Im letzten Moment wird Ralph von einem Marineoffizier, der mit seinem Kriegsschiff gerade angelegt hat, gerettet. Aber der bringt ihn in ein nur noch größeres Inferno, in den Atomkrieg. Dies wird aber nicht weiter ausgeführt.

Dahinter steckt natürlich auch der „Kalte Krieg“, der Roman ist ein Gleichnis, Kampf zwischen Diktatur und Demokratie und die Zerstörung der Welt am Beispiel der Insel.

Der Roman wurde zweimal verfilmt, einmal 1963 in Schwarz-Weiß und 1990 in Farbe. Der zweite Film erregte bei einigen Anstoß, weil die Jungen die meiste Zeit fast nackt über die Insel liefen, was in der ersten Fassung nicht der Fall war. Aus dem Stoff wurde später auch ein Theaterstück für Jugendliche gemacht, wobei abweichend von der Vorlage jetzt auch Mädchen mitspielten.

Fernsehserien haben die Motive von Golding aufgegriffen und weiter verarbeitet. 1999 bis 2003 entstand The Tribe – Eine Welt ohne Erwachsene. Ein Virus hat alle Erwachsenen getötet und die überlebenden Kinder und Jugendlichen schließen sich in Stämmen (tribes) zusammen, die sich bekämpfen.

In der Serie „Die 100“ werden hundert jugendliche Straftäter von einer Raumstation aus auf die verseuchte Erde geschickt, um mögliche Lebensbedingungen zu erforschen. Zwischen ihnen brechen heftige Konflikte aus.

Sehr erfolgreich war die amerikanische Mystery-Serie „Lost“, die sich teilweise eng an die Vorlage von Golding anlehnt. Hier geht es um Erwachsene, die mit einem Flugzeug auf einer Insel abstürzen und sich neu organisieren müssen. Schon bald treffen sie dann dort auf „Die Anderen“. Ein ähnlicher Konflikt wie bei Golding bahnt sich an.
Ruaidhri
Mitglied
Beiträge: 1901
Registriert: 06.05.2015, 18:09

William Goldings " Herr der Fliegen" ist ein zeitloser Denkanstoß. Gern im Unterricht gelesen / bearbeitet unter Einbeziehen der filmischen Umsetzung, ob in Deutsch oder Englisch, selbst bei den Lese-Verweigerern regt er zu Fragen und zum Nachdenken an.
Aus dem Stoff wurde später auch ein Theaterstück für Jugendliche gemacht, wobei abweichend von der Vorlage jetzt auch Mädchen mitspielten.
Das ist auch richtig so, denn wer da glaubt, das weibliche Geschlecht sei fern von solchen Machtkämpfen untereinander, muss schon weltenferne Feministin sein und obendrein keinen Schimmer von Verhaltensbiologie haben, die in weiblichen Genen ebenso tief verankert ist wie in männlichen.
Verteidigung der Brut, Verteidigung des Status oder Aggression, um diesen zu verbessern, sind nicht zu leugnen. Täglich fast zu beobachten...
Muttersprache: Deutsch Vaterland: Keins. Heimat: Europa
LG Ruaidhri
james
Mitglied
Beiträge: 123
Registriert: 14.09.2015, 14:32
Wohnort: janz jeroßet Jeheimnis

"The Beach" fand ich gut gemacht, zumal die Idee das es noch irgendwo ein kleines "verlorenes Paradies" gibt doch einen gewissen Reiz hat. Aber auch das Hippieparadies entpuppt sich als eine Art von Hölle. Im Grunde genommen zeigt sich daran, das sich jede Demokratie so gut sie auch gemeint ist mit der Zeit in eine Hölle verwandelt, weil eine Gruppe die Macht an sich reißt und damit das Gleichgewicht aufhebt, weil es Gesetze verbiegt und erschafft die dazu dienen diese Macht zu festigen und zu erhalten, was automatisch zum Regime und zur Terrorisierung der anderen führt, die ja eine Bedrohung sind weil sie die Machtinhaber in Frage stellen. Die Antwort der Antike war die Vorstellung eines obersten Gottes (ein Weltenordner, Protogonos oder Demagoge genannt) dessen Gesetze über den Menschen stehen. Aber selbst die Götter wurden von den Mächtigen mißbraucht und in ihrem Namen Kriege geführt.

„Demagogie betreibt, wer bei günstiger Gelegenheit öffentlich für ein politisches Ziel wirbt, indem er der Masse schmeichelt, an ihre Gefühle, Instinkte und Vorurteile appelliert, ferner sich der Hetze und Lüge schuldig macht, Wahres übertrieben oder grob vereinfacht darstellt, die Sache, die er durchsetzen will, für die Sache aller Gutgesinnten ausgibt, und die Art und Weise, wie er sie durchsetzt oder durchzusetzen vorschlägt, als die einzig mögliche hinstellt.“ – Martin Morlock 1977
Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag

Zurück zu „Epochen-übergreifende Themen“