Gibt es Gesetzmäßigkeiten in der Geschichte?

Kommentare und Meinungen zu epochenübergreifenden Themen

Moderator: Barbarossa

Wallenstein

Im Grunde wird hier doch lediglich ausgedrückt, dass der Mensch versucht, die Natur zu interpretieren und nach Lösungsmöglichkeiten sucht, auf sie einzuwirken. Die Natur gibt aber vieles vor, es gibt deshalb nicht unendlich viele Möglichkeiten.

Ein Messer soll eine bestimmte Funktion erfüllen. Notwendig ist eine Klinge. Es gibt nicht unendlich viele Möglichkeiten, ein Messer zu konstruieren. Dass die Messer aus der Altsteinzeit nicht viel anders aussehen als heutige Messer ist nun eigentlich nicht wirklich eine Überraschung.

Siedlungen, die durch Hochwasser bedroht sind, sei es an Flüssen oder am Meer, bauen Deiche. Deshalb finden wir weltweit Kulturen mit Deichsystemen, in China, Indien, Irak oder Nordfriesland. Das ist konvergente Entwicklung. Sie ergibt sich immer dann, wenn Menschen auf gleiche Probleme gleiche Lösungen finden. Was soll man auch grundlegend anderes machen als Deiche bauen? Das wir deshalb überall diese Schutzbauten finden, auch bei Kulturen, die gar keine Verbindung hatten, das ist doch wirklich keine Sensation.

Um auf das Thema mit den Gesetzmäßigkeiten zu kommen: Man könnte allenfalls als „Gesetz“ formulieren: Der Mensch versucht, auf die Natur Einfluss zu nehmen und findet auf ähnliche Probleme ähnliche Lösungen. Die Lösung unterliegt natürlich gewissen Freiheitsgraden und die sind von Kultur zu Kultur dann etwas unterschiedlich.
Dieses „Gesetz“ ist aber nun nichts anderes als eine Feststellung, die erschreckend trivial ist.
Aneri

Wallenstein hat geschrieben:Um auf das Thema mit den Gesetzmäßigkeiten zu kommen: Man könnte allenfalls als „Gesetz“ formulieren: Der Mensch versucht, auf die Natur Einfluss zu nehmen und findet auf ähnliche Probleme ähnliche Lösungen. Die Lösung unterliegt natürlich gewissen Freiheitsgraden und die sind von Kultur zu Kultur dann etwas unterschiedlich.
Dieses „Gesetz“ ist aber nun nichts anderes als eine Feststellung, die erschreckend trivial ist.
Vielleicht würde ich Dir zustimmen. Dennoch fällt mir auf, dass du den Mensch - mit seinem Bewusstsein - als Ausgangspunkt ansiehst. Wenn man aber stellt auf, dass auch andere Materieformen, die keine Augen und andere Sinne zu Beobachtung der Welt haben, die keine Werkzeuge wie Hände zur Veränderung der Welt haben, funktionieren nach gleichen Muster: sie nehmen auf die Natur den Einfluss (schon aufgrund ihrer energetischen und stofflichen Austausch) und die koppelt auf sie gestaltend zurück. Für mich ist es überhaupt nicht trivial, da das Wachstum an Komplexität überall - egal ab es unbelebte, belebte oder zivilisatorische Einheiten wären - verläuft auf ähnlichen Muster.

Es ist nicht trivial beginnen zu verstehen, dass die zivilisatorische Evolution wird durch die Evolution der sozialen Einheiten: der Gemeinschaften (egal was da gemein wäre: die Kindererziehung, die eigene Sicherung, die Interessen, die geschaffene Wahre oder Leistung) vollzogen. Es ist, denke ich, aber noch Zukunftsmusik. Das Paradigmenwechsel muss noch stattfinden...

Die Betrachtung zivilisatorischen bzw. gesellschaftlichen Evolution kann nicht aus Perspektive des Menschen erfolgen. Es wäre als man aus Perspektive eines Moleküls die Evolution des Lebens betrachten würde. Man muss sich abstrahieren können und sein geistiges Blick auf die übergeordnete Ebene werfen. Die Ebene, die der Evolution unterliegt.
Zuletzt geändert von Aneri am 13.09.2015, 12:54, insgesamt 2-mal geändert.
Spartaner
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Wallenstein hat geschrieben:Im Grunde wird hier doch lediglich ausgedrückt, dass der Mensch versucht, die Natur zu interpretieren und nach Lösungsmöglichkeiten sucht, auf sie einzuwirken. Die Natur gibt aber vieles vor, es gibt deshalb nicht unendlich viele Möglichkeiten.

Ein Messer soll eine bestimmte Funktion erfüllen. Notwendig ist eine Klinge. Es gibt nicht unendlich viele Möglichkeiten, ein Messer zu konstruieren. Dass die Messer aus der Altsteinzeit nicht viel anders aussehen als heutige Messer ist nun eigentlich nicht wirklich eine Überraschung.
Das nicht, aber wenn Menschen in Amerika und Europa, die mehr als 20000 Jahre voneinander getrennt waren die gleichen Messer entwickeln ist das etwas anderes. Was mich verblüfft ist auch die fast zeitliche Übereinstimmung der parallelen Entwicklung der Bauwerke und Gebrauchsgegenstände, in den sich getrennt voneinander entwickelnden Kulturen.
Zuletzt geändert von Spartaner am 13.09.2015, 13:00, insgesamt 2-mal geändert.
Spartaner
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Wallenstein hat geschrieben:
Um auf das Thema mit den Gesetzmäßigkeiten zu kommen: Man könnte allenfalls als „Gesetz“ formulieren: Der Mensch versucht, auf die Natur Einfluss zu nehmen und findet auf ähnliche Probleme ähnliche Lösungen. Die Lösung unterliegt natürlich gewissen Freiheitsgraden und die sind von Kultur zu Kultur dann etwas unterschiedlich.
Dieses „Gesetz“ ist aber nun nichts anderes als eine Feststellung, die erschreckend trivial ist.
Ich denke, dass die Gesetzmäßigkeiten zu kompliziert sind um von den Menschen formuliert zu werden. Wir können Einzelheiten von diesen komplexen Systemen und Zeitabläufen erkennen, aber wir sind nicht in der Lage sie richtig zu interpretieren und zu forumulieren.
Renegat
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Spartaner hat geschrieben:
Wallenstein hat geschrieben:Im Grunde wird hier doch lediglich ausgedrückt, dass der Mensch versucht, die Natur zu interpretieren und nach Lösungsmöglichkeiten sucht, auf sie einzuwirken. Die Natur gibt aber vieles vor, es gibt deshalb nicht unendlich viele Möglichkeiten.

Ein Messer soll eine bestimmte Funktion erfüllen. Notwendig ist eine Klinge. Es gibt nicht unendlich viele Möglichkeiten, ein Messer zu konstruieren. Dass die Messer aus der Altsteinzeit nicht viel anders aussehen als heutige Messer ist nun eigentlich nicht wirklich eine Überraschung.
Das nicht, aber wenn Menschen in Amerika und Europa, die mehr als 20000 Jahre voneinander getrennt waren die gleichen Messer entwickeln ist das etwas anderes. Was mich verblüfft ist auch die fast zeitliche Übereinstimmung der parallelen Entwicklung der Bauwerke und Gebrauchsgegenstände, in den sich getrennt voneinander entwickelnden Kulturen.
Ähnlich wie beim Messer, Bekleidung oder anderen Alltagsgegenständen verhält es sich für mich bei den Bauwerken. Dass bei ähnlichen Anforderungen ähnliche Lösungen gefunden werden, sehe ich eher trivial als mythologisch begründet. Will man in einer Ebene ein hohes Bauwerk errichten, ist eine Stufenpyramide wahrscheinlich die einfachste Lösung, rein technisch, egal ob Zikkurat oder Mayatempel. Schon Wohnhäuser, nebst Einrichtung und Aufteilung unterscheiden sich nicht wesentlich überall auf der Welt. Sie entwickelten sich aus den menschlichen Bedürfnissen, der natürlichen Umwelt, der zur Verfügung stehenden Technik und dem einmal eingeschlagenen Entwicklungsweg.

Trotz ähnlichen Bedingungen gibt es aber gerade beim Vergleich zwischen Nahost und Altamerika erstaunliche Unterschiede, zwar nicht bei Tempelbauten und Wohnformen sondern bei der Landwirtschaft. Die Altamerikaner domestizierten ganz andere Pflanzen und Tiere, bewirtschafteten ihre Felder anders, lebten nicht als viehhaltende Nomaden, etc. Und konnten trotzdem eine Menge Menschen ernähren. Was die Erzeugung von Nahrungsmitteln angeht, gingen sie einen anderen, mindestens ebenso erfolgreichen Weg.
Diese unterschiedlichen Wege sind für mich das wirklich faszinierende an Geschichte. Es mag Grundmuster geben, auch eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass auf Aktion A die Reaktion B erfolgt, wenn ich nur das Verhalten eines einzelnen Menschen betrachte. Interagieren aber mehrere Personen, kann auf Aktion A auch Reaktion C oder D erfolgen. Das Spannende sind eigentlich die Interaktionen und da an Ereignissen unendlich viele Personen und Faktoren beteiligt sind, sind die Ergebnisse immer wieder überraschend. Liegen diese Ereignisse in der Vergangenheit, werden sie zu Geschichte.
Paul
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Bei den Behausungen haben sich lange sehr unterschiedliche Konzepte gehalten, die aber alle praktikabel waren.
Steinhäuser, Fachwerbau und Zelte. Für Nomaden waren Zelte immer die beste Lösung, außer, wenn es feste Zielorte gab z.B. Winter- und Sommerwohnsitze.
Ansonsten setzen sich eindeutige Fortschritte durch z.B. die intensive Landwirtschaft. Sie ermöglichte die Ernährung von mehr Menschen.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Renegat
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Paul hat geschrieben:Bei den Behausungen haben sich lange sehr unterschiedliche Konzepte gehalten, die aber alle praktikabel waren.
Steinhäuser, Fachwerbau und Zelte. Für Nomaden waren Zelte immer die beste Lösung, außer, wenn es feste Zielorte gab z.B. Winter- und Sommerwohnsitze.
Was meinst du mit unterschiedlichen Konzepten, Paul? Die Baumaterialien? Das ist trivial, hatte man kaum Bäume aber dafür Lehm, baute man aus Lehm. Gab´s Bäume genug, eben Fachwerk oder Komplettholzhütte. Nein, sowas meinte ich nicht. Ein gänzlich anderes Konzept könnte für mich höchstens Catal Hüyuk sein, mit den Eingängen über die Dächer und kaum Wege zwischen den Häusern.
Paul hat geschrieben:Ansonsten setzen sich eindeutige Fortschritte durch z.B. die intensive Landwirtschaft. Sie ermöglichte die Ernährung von mehr Menschen.
Auch das ist trivial, interessant sind die verschiedenen Formen der intensiven Landwirtschaft.
Es gab eben keine Gesetzmäßigkeit, dass nur Kulturen, die Gräser zu Getreide domestiziert haben, fähig waren, mehr Menschen zu ernähren.
Spartaner
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Renegat hat geschrieben:

Ähnlich wie beim Messer, Bekleidung oder anderen Alltagsgegenständen verhält es sich für mich bei den Bauwerken. Dass bei ähnlichen Anforderungen ähnliche Lösungen gefunden werden, sehe ich eher trivial als mythologisch begründet. Will man in einer Ebene ein hohes Bauwerk errichten, ist eine Stufenpyramide wahrscheinlich die einfachste Lösung, rein technisch, egal ob Zikkurat oder Mayatempel. Schon Wohnhäuser, nebst Einrichtung und Aufteilung unterscheiden sich nicht wesentlich überall auf der Welt. Sie entwickelten sich aus den menschlichen Bedürfnissen, der natürlichen Umwelt, der zur Verfügung stehenden Technik und dem einmal eingeschlagenen Entwicklungsweg.
Mir ist nicht ganz einleuchtend warum gerade die Pyramidenform eine Anforderung erfüllt .warum dann nicht ein viereckiges oder quatradisches Haus. Und deine Erklärung trägt auch nicht zum Verständnis bei, warum gerade in der Mesnchheitsgeschichte dieser Qualitätssprung fast gleichzeitig stattfand. Der Mensch kann ja nicht nur seit 5000 Jahren denken oder auch abstrakt denken, oder gehst du vieleicht von einer Gesetzmäßikeit des Sprunges in neue Qualitäten aus. Wenn gewisse Quantitäten erfüllt sind erfolgt der Sprung in eine höhere Qualität.
Renegat hat geschrieben: Trotz ähnlichen Bedingungen gibt es aber gerade beim Vergleich zwischen Nahost und Altamerika erstaunliche Unterschiede, zwar nicht bei Tempelbauten und Wohnformen sondern bei der Landwirtschaft. Die Altamerikaner domestizierten ganz andere Pflanzen und Tiere, bewirtschafteten ihre Felder anders, lebten nicht als viehhaltende Nomaden, etc. Und konnten trotzdem eine Menge Menschen ernähren. Was die Erzeugung von Nahrungsmitteln angeht, gingen sie einen anderen, mindestens ebenso erfolgreichen Weg.
Die Landwirtschaft eignet sich zu solchen Vergleichen weniger, da es jenseis des atlantischen Ozeans andere Kulturpflanzen als nahrungsgrundlage gab als in Europa und dem Nahen Osten (z.B. der Mais) Zudem hat man in Amerika es mit anderen klimatischen Verhältnissen und regional anderne Bodenstrukturen und - formationen zu tun als in Europa
Renegat
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Spartaner hat geschrieben: Mir ist nicht ganz einleuchtend warum gerade die Pyramidenform eine Anforderung erfüllt .warum dann nicht ein viereckiges oder quatradisches Haus.
Und deine Erklärung trägt auch nicht zum Verständnis bei, warum gerade in der Mesnchheitsgeschichte dieser Qualitätssprung fast gleichzeitig stattfand. Der Mensch kann ja nicht nur seit 5000 Jahren denken oder auch abstrakt denken, oder gehst du vieleicht von einer Gesetzmäßikeit des Sprunges in neue Qualitäten aus. Wenn gewisse Quantitäten erfüllt sind erfolgt der Sprung in eine höhere Qualität.
Ja, mit Quantitäten könnte man es erklären, früher nannte man das Hochkulturen. Steigende Bevölkerungszahlen auf gleicher Fläche erfordern einen höheren Organisationsgrad.
Es geht ja nicht um Wohnhäuser sondern um besondere Funktionsgebäude von gegliederten Gesellschaften.
Will man ein höheres Gebäude errichten, ist es wahrscheinlich die technisch naheliegendste Lösung auf einem breiten Fundament weitere Stufen zu bauen, wegen der Statik, nach dem Baukastenprinzip. So kommt man fast automatisch zu einer Stufenpyramide.
Ruaidhri
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Ja, mit Quantitäten könnte man es erklären, früher nannte man das Hochkulturen. Steigende Bevölkerungszahlen auf gleicher Fläche erfordern einen höheren Organisationsgrad.
Höherer Organisationsgrad zieht auch eine differenzierte gesellschaftliche Struktur nach sich- und beides lässt sich u.a. an monumentalnen Bauten erkennen. Für die Ur- und Frühgeschichte ist es ein ziemlich neues Thema, unsere "Hühnergraber" :wink: in Korrelation zu sozio- kulturellen Entwicklungen zu bringen. Ein durchaus schon komplexes Thema über etliche Fachbeeiche nur relativ kleinräumig angegangen, ohne wieder ähnliche Entwicklungen weit entfernt aus den Augen zu verlieren.
Renegat hat geschrieben:Es gab eben keine Gesetzmäßigkeit, dass nur Kulturen, die Gräser zu Getreide domestiziert haben, fähig waren, mehr Menschen zu ernähren.
Die gab es nicht. Gesetzmäßig ist eher, dass der Mensch sich den Ressourcen anpasste, die ihm größte Überlebenschancen gaben. Das konnte Jagd und Fischfang ebenso sein wie Ackerbau und Viehzucht- oder beides im Verbund, obei mal das eine, mal das andere überwog,
je nach Klima- und anderen Einflüssen.
Spartaner hat geschrieben: Das nicht, aber wenn Menschen in Amerika und Europa, die mehr als 20000 Jahre voneinander getrennt waren die gleichen Messer entwickeln ist das etwas anderes. Was mich verblüfft ist auch die fast zeitliche Übereinstimmung der parallelen Entwicklung der Bauwerke und Gebrauchsgegenstände, in den sich getrennt voneinander entwickelnden Kulturen.
Hm, Not macht erfinderisch, was die Gebrauchswerkzeuge betrifft. Wobei die wieder in ihren Modifikationen der jeweiligen Funktion angepasst sind. Bei den Jäger- und Sammler-Kulturen an die bevorzugte Beute, bei den Sesshaften an andere Notwendigkeiten.
Renegat hat geschrieben: Es mag Grundmuster geben, auch eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass auf Aktion A die Reaktion B erfolgt, wenn ich nur das Verhalten eines einzelnen Menschen betrachte.
Das ist so- im Großen und Ganzen.
Interagieren aber mehrere Personen, kann auf Aktion A auch Reaktion C oder D erfolgen. Das Spannende sind eigentlich die Interaktionen und da an Ereignissen unendlich viele Personen und Faktoren beteiligt sind, sind die Ergebnisse immer wieder überraschend.
Da taucht dann die Frage auf, wie weit sich der Mensch in der Masse, bzw. als Masse, die einigermaßen gleich sozialisiert ist, berechnen lässt.
In der Rückbetrachtung mag so vieles logisch scheinen, sich formelhaft erklären lassen, aber keine Theorie fasst das Spektrum des Lebens oder der Interaktion von Individuum und Gesellschaft(en) und Gesellschaften gleicher Spezies untereinander.
Liegen diese Ereignisse in der Vergangenheit, werden sie zu Geschichte.
Definitiv. Dass man das, was gewesen ist, unterschiedlich erzählen kann, ändert nichts daran, das Geschichte so existiert wie die Gegenwart.
Muttersprache: Deutsch Vaterland: Keins. Heimat: Europa
LG Ruaidhri
Aneri

Renegat hat geschrieben:Trotz ähnlichen Bedingungen gibt es aber gerade beim Vergleich zwischen Nahost und Altamerika erstaunliche Unterschiede, zwar nicht bei Tempelbauten und Wohnformen sondern bei der Landwirtschaft. Die Altamerikaner domestizierten ganz andere Pflanzen und Tiere, bewirtschafteten ihre Felder anders, lebten nicht als viehhaltende Nomaden, etc. Und konnten trotzdem eine Menge Menschen ernähren. Was die Erzeugung von Nahrungsmitteln angeht, gingen sie einen anderen, mindestens ebenso erfolgreichen Weg.
Gerade Landwirtschaftsvariation sollte nicht erstaunen. Sie hängt von jeweiliger Umwelt. Man könnte sagen, die Umwelt bestimmt die Variation. Es gab in Amerika kein Pferd, kein Schaff, keine Ziege etc. Auch nicht die Getreide oder Reis. Die Beobachtungsgabe und die Fähigkeit die Erkenntnisse praktisch umzusetzen, gelten für alle Menschen.
Renegat hat geschrieben:Es gab eben keine Gesetzmäßigkeit, dass nur Kulturen, die Gräser zu Getreide domestiziert haben, fähig waren, mehr Menschen zu ernähren.
Der Kernpunkt ist nicht in der Art der Pflanze, sondern in der Domestizierung und wie erfolgreich die domestizierte Arten war. Für die Entwicklung der Kulturen war nicht die Menge der zu ernährenden Menschen ausschlaggebend, sondern wie viel Menschen könnte von der Nahrungsbeschaffung befreit werden. Die Überproduktion hat den Impuls gegeben.

Auch fällt mir auf, dass Du die Großbauten unterschätzt. Sie manifestieren die hochentwickelte Weltanschauungen. Ihre Form war nicht nur von Praktischem herleitet worden ist, wie es mit Behausungen der Fall ist bzw. sein könnte. Die Verehrung der Sonne, die in Osten aufsteigt und im Westen runterging gab es eine Achse. Führt man noch eine Achse dazu, hat man räumliche Orientierungshilfe. Eine Mystifizierung der Form Quadrat liegt hier nah. Auch das Erheben des Priestertums und Königtums über das Einfache (Landschaft, Volk, anderer Völker) manifestiert sich in der dritte Achse - der Höhe.
Wallenstein

Vielleicht nicht unbedingt eine Gesetzmäßigkeit, aber eine Beobachtung.

Gelingt es einer Gesellschaft ein ständiges, in der Regel agrarisches Mehrprodukt zu erwirtschaften, also mehr, als die unmittelbaren Produzenten benötigen, kann sie sich nicht nur zahlenmäßig vergrößern, sondern dies führt auch zur Entwicklung einer horizontalen und vertikalen Arbeitsteilung.

Horizontal: Es können sich Berufe entwickeln, die nicht direkt der Nahrungserzeugung dienen, Handwerker und Händler, deren Tätigkeit und Produkte aber positive Effekte auf diese haben.

Vertikal: Es kommt zur Entstehung von Machtstrukturen. Ein in der Regel kleiner Personenkreis übernimmt Aufgaben, die für die Gesamtgesellschaft von Bedeutung sind. (Koordination von Projekten wie künstliche Bewässerung, Bau von Kanälen und Staubecken, Verteidigungsanlagen, Wege usw.)

Macht wird von den Soziologen definiert als: Die Chance, anderen seinen Willen aufzuzwingen.
Herrschaft ist definiert als: Institutionalisierte Macht.

Ergo: In größeren Gruppen wird es notwendig, allgemeine Aufgaben, die alle betreffen, an bestimmte Personen zu delegieren. Dadurch wird Herrschaft institutionalisiert. Ursprünglich wahrscheinlich demokratisch gewählt, bekommen deren Mitglieder Macht über andere Gruppenmitglieder. Häufig bauen sie diese weiter aus durch Kontrolle über Land oder bewaffnete Gefolgschaften. Die Beziehungen in der Gesellschaft werden dann asymmetrisch, einige haben mehr Macht und Einfluss als andere. Die Unterschiede zwischen den Individuen nehmen dann auch bald die Form von Rangordnungen an, abhängig davon, in welchem Verhältnis sie zum Machtzentrum stehen. Machtpositionen werden früher oder später auch vererbbar und dauerhaft.

Wie stark die Macht der Herrscher wird, hängt davon ab, wie gut die anderen gesellschaftlichen Gruppen vernetzt sind und welche Gegenkräfte sie mobilisieren können.

Aus einer solchen Gemengelage können sich nun zahlreiche Entwicklungspfade herauskristallisieren und es ist nicht möglich, hier wirkliche Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Ich erwähne nur die wichtigsten politischen Gebilde, die wir historisch verorten können.

Stammesordnungen: Häuptlingstum, komplexes Häuptlingstum, Stammeskonförderation, aristokratische Stammesgesellschaft , konischer Klan Staat,

Personenverbandstaat: Lehensordnungen, archaisches Fürstentum, präbendaler Feudalismus, Adelspolis

Bürokratische oder teilbürokratische Staaten: Orientalische Despotien, patrimoniales Fürstentum, frühe Territorial Staaten, ständische Monarchie

Weitere Formen: Stadtkönigtum, urbaner Territorialsstaat, Patrimoniales Imperium, Hierokratien, Bürgerpolis, Städterepubliken mit Oligarchien und noch mehr.

Wann sich was herausbildet, ist nun schwer zu sagen. Warum haben sich z.B. die vielen Stadtkönigtümer der Maya nicht zu einer Bürgerpolis wie in Griechenland entwickelt?
Künstliche Bewässerung im großen Stil führt oft zu orientalischen Despotien, doch gilt dies nicht immer.
Klare Gesetze kann ich nicht erkennen.
Renegat
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Renegat hat geschrieben:Trotz ähnlichen Bedingungen gibt es aber gerade beim Vergleich zwischen Nahost und Altamerika erstaunliche Unterschiede, zwar nicht bei Tempelbauten und Wohnformen sondern bei der Landwirtschaft. Die Altamerikaner domestizierten ganz andere Pflanzen und Tiere, bewirtschafteten ihre Felder anders, lebten nicht als viehhaltende Nomaden, etc. Und konnten trotzdem eine Menge Menschen ernähren. Was die Erzeugung von Nahrungsmitteln angeht, gingen sie einen anderen, mindestens ebenso erfolgreichen Weg.
Aneri hat geschrieben:Gerade Landwirtschaftsvariation sollte nicht erstaunen. Sie hängt von jeweiliger Umwelt. Man könnte sagen, die Umwelt bestimmt die Variation. Es gab in Amerika kein Pferd, kein Schaff, keine Ziege etc. Auch nicht die Getreide oder Reis. Die Beobachtungsgabe und die Fähigkeit die Erkenntnisse praktisch umzusetzen, gelten für alle Menschen.
Da sind wir uns vollkommen einig. Das Beispiel habe ich nur deshalb erwähnt, weil die Umwelt, hier die anderen Pflanzen und Tiere , einen anderen Entwicklungsweg auslöste. Und trotzdem sind die Bauten und andere Alltagsgegenstände sich relativ ähnlich.
Renegat hat geschrieben:Es gab eben keine Gesetzmäßigkeit, dass nur Kulturen, die Gräser zu Getreide domestiziert haben, fähig waren, mehr Menschen zu ernähren.
Aneri hat geschrieben:Der Kernpunkt ist nicht in der Art der Pflanze, sondern in der Domestizierung und wie erfolgreich die domestizierte Arten war. Für die Entwicklung der Kulturen war nicht die Menge der zu ernährenden Menschen ausschlaggebend, sondern wie viel Menschen könnte von der Nahrungsbeschaffung befreit werden. Die Überproduktion hat den Impuls gegeben.
Da bin ich mir nicht so sicher. Zur Domestizierung von Pflanzen und Tieren ist es ausgehend von Zentren weltweit gekommen. Eindrucksvolle Sondergebäude/Großbauten gab es aber nicht überall, sie sind noch nicht mal zwingend mit erfolgter Seßhaftigkeit verbunden, jedenfalls weiß man das bei z.B. Göbekli Tepe noch nicht genau.
Der Impuls zu Großbauten kann auch von begrenzter Fläche bzw Bewässerungswirtschaft ausgegangen sein. Dichtere Besiedlung erfordert Organisation, Spezialisierung, Zusammenarbeit, Administration. Letztere wiederum muß miternährt werden. Evtl. führt das aber hier zu weit.
Aneri hat geschrieben:Auch fällt mir auf, dass Du die Großbauten unterschätzt. Sie manifestieren die hochentwickelte Weltanschauungen. Ihre Form war nicht nur von Praktischem herleitet worden ist, wie es mit Behausungen der Fall ist bzw. sein könnte. Die Verehrung der Sonne, die in Osten aufsteigt und im Westen runterging gab es eine Achse. Führt man noch eine Achse dazu, hat man räumliche Orientierungshilfe. Eine Mystifizierung der Form Quadrat liegt hier nah. Auch das Erheben des Priestertums und Königtums über das Einfache (Landschaft, Volk, anderer Völker) manifestiert sich in der dritte Achse - der Höhe.
Wo habe ich Großbauten unterschätzt, Aneri? Ich habe lediglich eine mythologische Verbindung angezweifelt, weil es nun mal nicht so viele Möglichkeiten gibt, in die Höhe zu bauen. Dass die Höhe wichtig war als Ausdruck der Erhöhung über das gemeine Volk, Himmels/Gottesnähe oder was auch immer, bezweifle ich nicht.
Ruaidhri
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Wo habe ich Großbauten unterschätzt, Aneri? Ich habe lediglich eine mythologische Verbindung angezweifelt, weil es nun mal nicht so viele Möglichkeiten gibt, in die Höhe zu bauen. Dass die Höhe wichtig war als Ausdruck der Erhöhung über das gemeine Volk, Himmels/Gottesnähe oder was auch immer, bezweifle ich nicht.
Ganz ohne Bindung an geometrische Formen und " künstliche" Höhe sollten Monumental-Bauwerke etwas zum Ausdruck bringen,bzw. lassen sie Rückschlüsse auf die gesellschaftlichen Strukturen und den Wandel zu, dem diese unterlagen.

Ich denke, die moderne, vernetzte, interdisziplär und im internationalen Verbund arbeitende Wissenschaft wird uns da zusehends mehr Aufschlüsse geben als jede Theorie. Ob sich in 10, 20, 100 Jahren Gesetzmäßigkeiten von der Steinzeit bis heute erkennen lassen werden, sei dahingestellt.
Muttersprache: Deutsch Vaterland: Keins. Heimat: Europa
LG Ruaidhri
Spartaner
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Renegat hat geschrieben: Ich habe lediglich eine mythologische Verbindung angezweifelt, weil es nun mal nicht so viele Möglichkeiten gibt, in die Höhe zu bauen. Dass die Höhe wichtig war als Ausdruck der Erhöhung über das gemeine Volk, Himmels/Gottesnähe oder was auch immer, bezweifle ich nicht.
Ich sehe eher ein Zusammenhang mit der Mythologie als gegeben. Auch die Erichtung der Steinblöcke von Stonhenge haben einen mythologischen Beweggrund. In dem Zusammenhang wären auch die riesigen Megalith-Gräber in Europa und die Steinfiguren auf den Osterinseln zu benennen.
Wenn das Zikkurat nicht aus mythologischen Beweggrund gebaut worden wäre hätte auch ein kleines Bauwerk ausgereicht, zumal es nicht als Wohnhaus diente.
Folgende Zikkurate sind bekannt und deren mythologische Bedeutung bei der Errichtung:
Ur: Zikkurat des Mondgottes Nanna
Uruk: Zikkurat des Gottes An
Babylon: Etemenanki
Tschoga Zanbil: Dur-Untash
Borsippa: Birs Nimrud
Harran: Ehulhul, Zikkurat des Mondgottes Sin
Assur: Anu-Adad-Tempel, eine Doppelzikkurat
https://de.wikipedia.org/wiki/Zikkurat

Gott Nanna:
"Die Nanna/Sin entsprechende Gottheit bei den Hurritern war Kušuh, bei den Ugaritern Jarich. Bei den Hethitern und Luwiern hieß der Mondgott Arma (zumindest heißt so das Zeichen seines Namens). In Keilschrift wird er aufgrund des 30-tägigen Mondmonats mit dem Zeichen für 30 wiedergegeben.
Seine Residenz ist die aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. noch gut erhaltene Zikkurat von Ur, der Tempel Ekišnugal. Hohepriesterin des Nanna war in der Regel die Tochter des sumerischen Herrschers von Ur. Die Erscheinungsformen waren vielfältig und wechselten im Laufe der Zeit. In Mesopotamien erscheint die Mondsichel waagerecht am Firmament. Als Mondsichel wurden Deutungen als Hörner eines Stieres oder als Bogen vorgeschlagen. Der tatsächliche mythologische Hintergrund bleibt jedoch unklar."
https://de.wikipedia.org/wiki/Nanna_%28Gott%29
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