Gibt es Gesetzmäßigkeiten in der Geschichte?

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Moderator: Barbarossa

Wallenstein

Das ist eine Frage, die mich immer interessiert hat. Gibt es in der Geschichte Gesetze so wie es z.B. Naturgesetze gibt, die wir mathematisch beschreiben und errechnen können?

In Deutschland herrschte lange Zeit der Historismus vor, das ist eine Auffassung, die davon ausgeht, das jeder geschichtliche Vorgang einmalig ist und nur aus sich selbst heraus begriffen werden kann.

Daneben gibt es Historiker und Soziologen, die glauben, es gebe in der Geschichte zumindest Trends und Entwicklungen, die man erkennen kann.

Folgende Überlegungen möchte ich voranstellen. Es gibt vier verschiedene Systeme, die sich voneinander unterscheiden lassen.

1.) Deterministische Systeme. Dazu gehört z.B. der Lauf der Himmelskörper. Wir können genau errechnen, wann welcher Planet wo im Weltall positioniert ist. Dafür gibt es die Gleichungen von Newton. Nur deshalb kann man eine Raumkapsel exakt auf einem Kometen landen lassen.
(Der Marxismus behauptet, die Geschichte verläuft deterministisch. Demzufolge gibt es einen Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, der sich in Klassenkämpfen äußert. Dieser Widerspruch treibt die Entwicklung der Menschheit voran, die sich quasi gesetzesmäßig vollzieht).

2.) Zufallsbedingte Systeme (stochastische Systeme). Beispielsweise die wöchentliche Ziehung der Lottozahlen. Es ist unmöglich, die jeweilige Zahlenfolge im Voraus zu berechnen. Nicht, weil es uns dafür an leistungsfähigen Computern fehlt, sondern weil dies in stochastischen Systemen generell nicht funktioniert. Hier gibt es nur Wahrscheinlichkeiten.

3.) Komplexe Systeme: Hier wirken zahlreiche Variable aufeinander, die sich fortlaufend verändern. Die Zusammenhänge, z.B. in Ökosystemen, sind so komplex, das sie schwer vorherbar sind. Solche Systeme sind nach außen offen und erfahren dadurch ständig Veränderungen. Sie sind adaptiv, das heiß, sie passen sich fortlaufend neuen Bedingungen an. Zudem unterliegen die Veränderungen der Variablen oft dem Zufallsprinzip, z.B. bei Mutationen, was sie völlig unberechenbar macht. Wir wissen nur eins: Solche Systeme versuchen einen Gleichgewichtszustand zu erreichen, eine innere Harmonie, die aber fortlaufend durchbrochen wird.
Soziale Systeme können auch als komplex beschrieben werden. Die Systemtheorie, die sich an der Kybernetik orientiert, geht davon aus, dass sich gesellschaftliche Systeme optimal an ihre natürliche und soziale Umwelt anpassen wollen. Zu Entwicklungen kommt es nur, wenn dies im vorhandenen Kontext nicht möglich ist, sondern Innovationen bedarf. So hatten die Aboriginals in Australien ihre Kultur fast 60.000 Jahre lang nicht verändert, weil sie zu einem stabilen System führte. Gäbe es nur Menschen in Australien, hätten wir die heutige Gesellschaft nicht. Entwicklung ist nach dieser Theorie offensichtlich nicht zwangsläufig. Die Veränderung einer Variablen, nämlich den Außenbeziehungen, leitete in obigem Fall dann eine qualitativ ganz neue Entwicklung ein.
Aus der Beobachtung komplexer Systeme lassen sich Regeln ableiten, die aber nicht den Charakter deterministischer Gesetze haben.
Wenn komplexe Systeme aus einem Ungleichgewicht heraus zu einer neuen „Harmonie“ gelangen wollen, kann dies durch Innovationen zu einer Weiterentwicklung von politischen Institutionen, Arbeitsteilung, technischen und wissenschaftlichen Erneuerungen kommen. Muss aber nicht, es kann auch umgekehrt zu Rückentwicklungen, zu einer Devolution kommen. Dies beschreibt Jarel Diamond in seinem Buch „Kollaps“ recht gut, in dem er den Zusammenbruch von Zivilisationen untersucht.

4.) Chaotische Systeme. Diese sind im Prinzip deterministisch, das heiß sie unterliegen Bedingungen, die mathematisch bestimmbar sind. Chaotische Systeme sind aber extrem anfällig gegen leichte Abweichungen bei den Ausgangsbedingungen. So ist z.B. das Wettergeschehen chaotisch. Obwohl die einzelnen Abläufe bekannt sind und sich physikalisch berechnen lassen, so ist doch die Entwicklung einer Wolke immer wieder ganz unterschiedlich. Der berühmte Schmetterlingseffekt. Eine leichte Luftstörung kann die Wetterentwicklung verändern. Diese Veränderung macht sich erst im Laufe der Zeit bemerkbar. Plötzlich wird das System chaotisch und führt zu völlig unerwarteten Ergebnissen.

Wozu gehört nun die Geschichte? Ist sie ein deterministisches System? Oder verläuft sie stochastisch, komplex oder chaotisch? Ein eine interessante Frage.
Dietrich
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Wallenstein hat geschrieben:
Wozu gehört nun die Geschichte? Ist sie ein deterministisches System? Oder verläuft sie stochastisch, komplex oder chaotisch? Ein eine interessante Frage.
Es gibt Philosophen und Historiker die bestreiten vehement, dass es Gesetze gibt, denen historische Prozesse unterworfen sind (deterministisches Geschichtsmodell) und die somit Vorhersagen ermöglichen. Andere wiederum bejahen das. Zur letzteren Fraktion zählt z.B. Oswald Spengler, der in seinem Hauptwerk "Untergang des Abendlandes" behauptet, dass alle Kulturen einem Zyklus von Entstehung, Blütezeit, Verfall und Untergang unterworfen sind. Er begreift sie als nahezu organische Gebilde und misst ihnen eine Lebensdauer von etwa 1000 Jahren zu.

Solche Vorstellungen werden zumeist abgelehnt, u.a. vom Geschichtsphilosopgen Karl Popper, der das als "Historizismus" bezeichnet und als "Irrglaube" verwirft. Popper sagt er habe gezeigt, dass es aus streng logischen Gründen unmöglich ist, den zukünftigen Verlauf der Geschichte mit rationalen Methoden vorherzusagen.

Seinen Gedankengang fasst Popper in den folgenden fünf Schritten zusammen:

1. "Der Ablauf der menschlichen Geschichte wird stark beeinflusst durch das Anwachsen des menschlichen Wissens."
2. "Wir können mit rational-wissenschaftlichen Methoden das zukünftige Anwachsen unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht vorhersagen."
3- "Daher können wir den zukünftigen Verlauf der menschlichen Geschichte nicht vorhersagen."
4. "Das bedeutet, daß wir die Möglichkeit einer theoretischen Geschichtswissenschaft verneinen müssen, also die Möglichkeit einer historischen Sozialwissenschaft, die der theoretischen Physik oder der Astronomie des Sonnensystems entsprechen würde. Eine wissenschaftliche Theorie der geschichtlichen Entwicklung als Grundlage historischer Prognosen ist unmöglich."
5. "Das Hauptziel der historizistischen Methoden [...] ist daher falsch gewählt und damit ist der Historizismus widerlegt."

https://de.wikipedia.org/wiki/Historizismus

Ich persönlich bin ebenfalls der Meinung, dass sich geschichtliche Entwicklungen und Ereignisse nicht vorhersagen lassen. Wir haben im Verlauf der letzten Jahrhunderte mehrfach unglaubliche Wendungen der Geschichte erlebt, von denen alle überraschr waren und die niemand vorhersagen konnte und auch niemand vorhergesagt hat. Dazu zählt z.B. in jüngster Vergangenheit der Zusammenbruch des Ostblocks und des sozialistisch-kommunistischen Systems, die nach Spengler noch rund 900 Jahre hätten existieren müssen.

Dass Staaten von Menschen geschaffene Gebilde sind und somit irgendwann an ihr Ende kommen, ist eine unleugbare Tatsache. Allerdings hat das nichts mit Determinismus zu tun. Vor allem ist die Dauer von Kulturen nicht vorhersagbar, wie die Geschichte zeigt.
Zuletzt geändert von Dietrich am 07.09.2015, 13:43, insgesamt 1-mal geändert.
Aneri

Ich habe Einwände zu deiner Aufteilung der Systeme.
Determinismus bedeutet, dass alle Ereignisse vorbestimmt sind, daher auch voraussehbar, wenn wir den Ausgangsbedingungen exakt kennen. Es ist in fast alle Fälle nicht möglich, die Anfangsbedingungen exakt zu bestimmen, da diese Bedingungen müssen nicht nur analysierendes System umfassen sondern auch die, mit den das System in Verlauf der Zeit interagiert wird. So wird man schnell auf den Zustand des ganzen Universums ausweiten. daher begnügt man sich mit einem theoretischen Ansatz, dass wenn man den Zustand gekannt hätte, dann könnte man - theoretisch - exakt vorausrechnen. DAss es prinzipiell nicht möglich ist, liegt auf der Hand (für die Erfassung des Zustands der vorhandenen Materie an Urknall Punkt 0, bräuchten wir vielfaches dieser Materie). Wenn es prinzipiell nicht möglich ist, theoretische Ansatz verliert - für mich - eine Bedeutung.

Das Himmelskörper gehört mit Sicherheit nicht für die exakt voraussagbaren - nur mit Wahrscheinlichkeiten und umso größeren Zeitraum genommen wird, umso mehr wächst Unsicherheit an. Siehe Dreikörperproblem. Im Grunde unterscheidet sich es wesentlich nicht von Wettervoraussagen.

Komplexe Systeme sind entweder mechanisch oder selbstorganisierend. Ich nehme an, dass Du gerade die letzten erfassen willst. Es sind aber alle dynamischen nichtlinearen Systeme, sprich - chaotischen Systeme.

Und wenn man über die Gesellschaft denkt, dann staunt man, dass so ein chaotisches System doch eine Ordnung besitzt. Mit Chaos verbinden wir etwa eine Molekülwolke, wo keine Struktur-Ordnung gibt. Für mich die Frage wäre, ob diese Ordnung spiegelt nicht von Dir angesprochene Gesetzmäßigkeit in der Entwicklung bzw. der gesellschaftlichen Evolution.

Die Spiegelung, Fraktalen sind in chaotischen Entwicklung allgegenwärtig. daher sehe ich - schon aus dieser abstrakten Betrachtungsweise - die Möglichkeit, dass die strukturelle bzw. räumliche Entwicklung es auch auf Zeitachse sich gespiegelt gefunden hätte. Ich meine damit, dass Zeitachse hätte auch eine Ordnung zeigen könnte. Also Gesetzmäßigkeiten...

Im Grunde das Thema ist MEIN Thema, weil ich schon lange mit ihr beschäftigt bin und - glaube ebenfalls - dass etwas dazu sagen kann. Dennoch bin derzeit gerade an Aufbau meiner Homepage: allgemeine Evolution beschäftigt: Dort geht es um diese Gesetzmäßigkeiten und zwar die Gesellschaft nur als ein eine von Materieformen angesehen wird, die der Evolution bzw. Selbstorganisation unterliegen. Wenn ich fertig bin, lade ich Dich persönlich an :P .
Aneri

Ich möchte auch auf andere Threads, die nah an dem Thema bzw. es angesprochen haben:
Die Globalisierung im Kontext der menschlichen Evolution
PS: nachträglich fällt mir auf, dass es sollte gesellschaftlichen - nicht menschlichen - Evolution stehen
Unterwerfungstheorie

Ich denk es war mehr (hatte ich doch Streit mit Karlheinz), aber gefunden haben ich jetzt nur diese...
Wallenstein

@Dietrich
Ich interpretiere deinen Beitrag so, dass du der Meinung bist, die menschliche Gesellschaft ist ein komplexes System, über dessen Entwicklungsmöglichkeiten wir keine genauen Angaben machen können, da hier unter anderem auch stochastische Veränderungen eine bedeutende Rolle spielen.
(Diese Meinung vertrete ich eigentlich auch)



Aneri hat geschrieben:Ich habe Einwände zu deiner Aufteilung der Systeme.

Im Grunde das Thema ist MEIN Thema, weil ich schon lange mit ihr beschäftigt bin und - glaube ebenfalls - dass etwas dazu sagen kann. Dennoch bin derzeit gerade an Aufbau meiner Homepage: allgemeine Evolution beschäftigt: Dort geht es um diese Gesetzmäßigkeiten und zwar die Gesellschaft nur als ein eine von Materieformen angesehen wird, die der Evolution bzw. Selbstorganisation unterliegen. Wenn ich fertig bin, lade ich Dich persönlich an :P .
Ich wusste nicht, dass dies dein Thema ist. Dann wirst du sicherlich viel besser als ich Bescheid wissen als ich. Also warte ich einfach einmal ab, was deine Homepage bringt
Ruaidhri
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Wallenstein hat geschrieben:@Dietrich
Ich interpretiere deinen Beitrag so, dass du der Meinung bist, die menschliche Gesellschaft ist ein komplexes System, über dessen Entwicklungsmöglichkeiten wir keine genauen Angaben machen können, da hier unter anderem auch stochastische Veränderungen eine bedeutende Rolle spielen.
(Diese Meinung vertrete ich eigentlich auch)
Da sind wir dann zu Dritt.
Sicherlich erscheint es gelegentlich, als wiederhole sich Geschichte, als gebe es vorhersagbare Entwicklungen, doch das sind Wahrscheinlichkeiten, aber keine Gesetzmäßigkeiten, nach denen sich die Zukunft erkennen und gestalten ließe.
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Triton
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Eigentlich unverständlich, dass sich im Gegensatz zu den Wirtschaftswissenschaften kaum Wissenschaftler um die Berechnung zukünftigen menschlichen Verhaltens außerhalb der Ökonomie beschäftigen. Im Grunde das gleiche Problem: Grundmuster menschlichen Verhaltens sind bekannt, Abläufe in der Vergangenheit auch, Unsicherheiten muss man eben in Kauf nehmen.

Liegt wahrscheinlich daran, dass man die Ergebnisse nicht oder nur unvollkommen in Zahlen ausdrücken kann, also nicht verifizierbar sind.
"Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, in dem man sie ignoriert." (Aldous Huxley)
Ruaidhri
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Triton hat geschrieben: Im Grunde das gleiche Problem: Grundmuster menschlichen Verhaltens sind bekannt, Abläufe in der Vergangenheit auch, Unsicherheiten muss man eben in Kauf nehmen.
Es sind eben nur Grundmuster, die man aus Abläufen in der Vergangenheit und durch moderne Forschung kennt. Ob die ausreichen, die Masse Mensch in ihrem Verhalten tatsächlich zuverlässig zu berechnen, ist die Frage. Eine immer noch ausreichende Zahl von abweichenden Mustern und Verhaltensweisen macht das zumindest schwieriger als man denken sollte.
Eine tatsächlich wissenschaftlich zu begründende Meinung habe ich immer noch nicht, nur auf ganz anderen Gebieten die Beobachtung gemacht, dass der Mensch als einzelner und auch in der Masse nicht immer nach dem zu erwartenden Grundmuster reagiert.
Einmal ist er, Evolution hin oder her, immer noch eine Spezies, die auf Arterhaltung und Ressourcenverteidigung genetisch konditioniert ist, andererseits ist dann doch die ( dünne Decke) der Zivilisation mit den Errungenschaften von Moral und Ethik, der Fähigkeit, über die Dinge nachzudenken.
Ein spannendes Thema, wieviel gesetzmäßiges Verhalten und wieviele Unbekannte es im Verhalten der menschlichen Art tatsächlich gibt, die unter allen möglichen Annahmen einigermaßen zu berechnen wären.
Unsicherheiten muss man eben in Kauf nehmen?
Muss ich nochmal drüber nachdenken, was das bedeuten könnte.
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LG Ruaidhri
Wallenstein

Triton hat geschrieben:Eigentlich unverständlich, dass sich im Gegensatz zu den Wirtschaftswissenschaften kaum Wissenschaftler um die Berechnung zukünftigen menschlichen Verhaltens außerhalb der Ökonomie beschäftigen. Im Grunde das gleiche Problem: Grundmuster menschlichen Verhaltens sind bekannt, Abläufe in der Vergangenheit auch, Unsicherheiten muss man eben in Kauf nehmen.

Liegt wahrscheinlich daran, dass man die Ergebnisse nicht oder nur unvollkommen in Zahlen ausdrücken kann, also nicht verifizierbar sind.
Die Gesellschaft ist wohl zu komplex, als das man sie wirklich erfassen könnte. Teilbereiche werden aber von der empirischen Sozialforschung mit Hilfe von Statistiken untersucht. Wahlforscher untersuchen die Korrelationen zwischen Wählerverhalten und Alter, Geschlecht, Beruf, Einkommen usw. Versicherungsmathematiker, Stadtteilplaner, Marketingspezialisten, sie alle versuchen, allgemeine Regeln und Muster zu ermitteln. Letztlich können sie aber nur Wahrscheinlichkeiten errechnen und statistische Gesetze sind keine Naturgesetze.

Auch die Volkswirtshaft ist ein komplexes System und nicht deterministisch, auch wenn die Ökonomen mit ihren riesigen Formelapparaten so tun, als sei alles berechenbar. In Wirklichkeit arbeiten sie mit zahlreichen Annahmen und Ceteris Paribus Klauseln, deshalb sind die Ergebnisse nicht exakt.

Manche Bereiche, wie der Finanzmarkt, sind scheinbar deterministisch und berechenbarer, doch die Finanzkrisen zeigen, dass es sich in Wirklichkeit um ein chaotisches System handelt, welches daher auch inzwischen von der Chaosforschung untersucht wird.
Renegat
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Triton hat geschrieben:Eigentlich unverständlich, dass sich im Gegensatz zu den Wirtschaftswissenschaften kaum Wissenschaftler um die Berechnung zukünftigen menschlichen Verhaltens außerhalb der Ökonomie beschäftigen. Im Grunde das gleiche Problem: Grundmuster menschlichen Verhaltens sind bekannt, Abläufe in der Vergangenheit auch, Unsicherheiten muss man eben in Kauf nehmen.

Liegt wahrscheinlich daran, dass man die Ergebnisse nicht oder nur unvollkommen in Zahlen ausdrücken kann, also nicht verifizierbar sind.
Man kann die wirtschaftlichen Zukunftsprognosen zwar in Zahlen ausdrücken aber sind sie deshalb sicherer? Wie oft haben sich Wirtschaftsweise nicht schon geirrt?
Man kann Wirtschaftsabläufe der Vergangenheit sehr gut analysieren aber ob man deshalb die Zukunft sicher voraussagen kann, bezweifle ich.
Gleiches gilt für Gesetzmäßigkeiten bei geschichtlichen Abläufen, Wirtschaft ist ja nur ein Teil von Geschichte.

Einen weiteren erheblichen Anteil an geschichtlichen Abläufen haben die naturwissenschaftlichen Phänomene, wie Klima, Wetter, Bodenfruchtbarkeit etc. Trotzdem einzelne Phänomene exakt untersuchbar sind, neige ich inzwischen dazu, die Gesamtheit als äußerst komplexes System aufzufassen. Die einzelnen Komponenten mögen gut vorhersehbar sein, das Zusammenspiel der beinahe unendlich vielen Faktoren scheint selbst für Superrechner zu komplex zu sein. Und was nützt alle theoretische Rechnerei, wenn der Praxistest undurchführbar ist.
Ruaidhri hat geschrieben: Es sind eben nur Grundmuster, die man aus Abläufen in der Vergangenheit und durch moderne Forschung kennt. Ob die ausreichen, die Masse Mensch in ihrem Verhalten tatsächlich zuverlässig zu berechnen, ist die Frage. Eine immer noch ausreichende Zahl von abweichenden Mustern und Verhaltensweisen macht das zumindest schwieriger als man denken sollte.
Eine tatsächlich wissenschaftlich zu begründende Meinung habe ich immer noch nicht, nur auf ganz anderen Gebieten die Beobachtung gemacht, dass der Mensch als einzelner und auch in der Masse nicht immer nach dem zu erwartenden Grundmuster reagiert.
Einmal ist er, Evolution hin oder her, immer noch eine Spezies, die auf Arterhaltung und Ressourcenverteidigung genetisch konditioniert ist, andererseits ist dann doch die ( dünne Decke) der Zivilisation mit den Errungenschaften von Moral und Ethik, der Fähigkeit, über die Dinge nachzudenken.
Ein spannendes Thema, wieviel gesetzmäßiges Verhalten und wieviele Unbekannte es im Verhalten der menschlichen Art tatsächlich gibt, die unter allen möglichen Annahmen einigermaßen zu berechnen wären.
Unsicherheiten muss man eben in Kauf nehmen?
Muss ich nochmal drüber nachdenken, was das bedeuten könnte.
Jaja, der Mensch und seine Verhaltensmuster - Psychologen, Philosophen und...trotzdem wohl nie exakt vorhersehbar, obwohl z.Zt doch mal wieder die Gene 70% und mehr ausmachen sollen, also deterministisch und nur ein kleiner Teil durch unberechenbare Umwelt bestimmt werden soll.
Ruaidhri
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Renegat hat geschrieben:obwohl z.Zt doch mal wieder die Gene 70% und mehr ausmachen sollen, also deterministisch und nur ein kleiner Teil durch unberechenbare Umwelt bestimmt werden soll.
Genetische Veranlagung und Umwelt/ Sozialisationseinflüsse darf man wohl doch nicht so rigoros voneinander trennen. Beim Menschen nicht und auch bei anderen Arten nicht.
Genetische Veranlagungen können durch- grob formuliert-Umwelteinflüsse zutage treten- oder zurückgedrängt werden.
Muster:
Mal auf Lerntheorien bezogen: Es gibt Grundmuster, und es gab immer wieder dominierende Theorien, wie Kinder zu lernen hatten. Merkwürdig nur, dass diese Theorien in der Praxis bei gleich veranlagten Schülern aus kompatiblen heimischen Umgebungen nie auf alle passen. Das trifft den Spracherwerb wie andere Felder.
Keine Lehr-Doktrin passt in der Praxis zu 100% auf jeden einzelnen Schüler, völlig unabhängig von der Begabung.
Noch eine Stufe simpler:
In der Hundewelt sind ja angeblich alle Hunde gleich, und alle kann man mit rein positiver Verstärkung erziehen. Schöne Theorie, an der viel Wahres und Gutes ist, die aber dann im Alltag und an unvorhersehbaren Einflüssen scheitert. Funktioniert nicht innerhalb einer Rasse, funktioniert nicht mal mit bewusst auf dies oder das gezüchteten Exemplaren aus gleichem Zwinger mit ziemlich gleichen Genen unter gleichen häuslichen Verhältnissen. Grundsätzliche Wahrscheinlichkeiten sind bei gezielter Zucht zu erwarten,
wie die sich aber im Einzelnen im Verhalten zeigen, ist immer ein Überraschungsei.
Man versucht, aus der Vergangenheit zu lernen und alles mögliche im Vorhinein und und vorausschauend zu gestalten- und irgendwoher kommt dann der deus ex machina- und alles läuft anders als gedacht.
Sorry für den Vergleich mit der Tierwelt, aber gerade aus den Erfahrungen heraus bin ich "Gesetzmäßgkeiten" und immer gleicher Konditionierungs- und Verhaltensmuster gegenüber doch skeptisch geworden.
Persönlich bin ich im Zwiespalt, denn Evolution hin oder her, was immer noch Verhaltensmustern aus sehr sehr fernen Zeiten im Menschen steckt, erstaunt und erschreckt mich bisweilen. ( Manchmal kann ich auch drüber lachen, wenn es denn nicht gefährlich ist.) Gerade der Mensch könnte, sollte, müsste doch Kraft Vernunft und was wir uns noch so an excellenten Eigenschaften zuschreiben, anders handeln.
Offensichtlich kann er das nur begrenzt- oder sind es gerade diese nicht berechenbaren Eigenschaften des Menschen, die exakte Vorhersagen so schwierig bis unmöglich machen?
Die Welt scheint für Individuen wie die Masse zu komplex, eben ob der Möglichkeit erweiterter Fähigkeiten von ratio und emotio, und zu sehr von dinglichen Unberechenbarkeiten geprägt. (Noch jedenfalls, vielleicht haben künftige Generationen dann den Chip im Kopf.)
Man kann Lehren aus historischen Abläufen ziehen und sicherlich möglichen negativen Wiederholungen entgegenwirken, im Nachhinein ist man ja klüger. Aber mit zuverlässiger Exaktheit zu berechnen, was wirklich passieren wird, halte ich noch für unmöglich.
Wahrscheinlichkeiten oder Möglichkeiten lassen sich erkennen,
Wir haben doch gerade eine solche Phase:
Selbstverständlich wird nach den Erkenntnissen seit 1933 bei uns gerade das braune Menetekel an die Wand gemalt. Ob der Geschehnisse natürlich grundsätzlich richtig, man hat ja gelernt. Offensichtlich greift die befürchtete Gesetzmäßigkeit dann doch nicht komplett.
Völlig überraschend, und wie ich meine, noch vor Wochen nicht abzusehen: Die Gegenwelle der Hilfsbereitschaft auch von Menschen, die selber erstmal Distanz zum Geschehen hatten.
Für mich in der Form so überraschend wie der 9.November 1989.
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Dietrich
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Renegat hat geschrieben: ... obwohl z.Zt doch mal wieder die Gene 70% und mehr ausmachen sollen, also deterministisch und nur ein kleiner Teil durch unberechenbare Umwelt bestimmt werden soll.
Wie sich allerdings Gene auf historiche Prozesse auswirken sollen, ist wohl kaum vorhersehbar. :mrgreen:
Ruaidhri
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Wie sich allerdings Gene auf historiche Prozesse auswirken sollen, ist wohl kaum vorhersehbar.
(Noch) Nicht wirklich, aber es soll bereits neurobiolgische Untersuchungen geben.
Dennoch wird man auch dann ob genetischer Veranlagungen keine Vorhersagen treffen können, weil es eben doch wieder von der Sozialisation abhängt, ob irgendeine Eigenschaft beim Individuum oder in der Masse zum Tragen kommt.
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Dietrich
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Ruaidhri hat geschrieben: Dennoch wird man auch dann ob genetischer Veranlagungen keine Vorhersagen treffen können, weil es eben doch wieder von der Sozialisation abhängt, ob irgendeine Eigenschaft beim Individuum oder in der Masse zum Tragen kommt.
Das ist der springende Punkt! :wink:
Ruaidhri
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Wobei immer noch nicht geklärt ist, ob eventuelle herstechende Dispositionen einer relativ homogenen Gruppe von Menschen durch Lebensbdedingen/ Sozialisation herauskristallisiert werden.
Eine Population zu verpflanzen, kann dann durchaus- über Generationen- auch Einfluss auf die Gene haben, die das Verhalten bestimmen.
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LG Ruaidhri
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