Freihandel oder Protektionismus?

Kommentare und Meinungen zu epochenübergreifenden Themen

Moderator: Barbarossa

Wallenstein

(Diese Frage tauchte in einigen Threads auf. Hier einige Erörterungen dazu)

Im 19. Jahrhundert entwickelte der britische Ökonom David Ricardo (1772-1823) die Theorie der komparativen Kosten welche besagt: Jedes Land spezialisiert sich tendenziell auf die Produktion der Güter, bei denen die jeweiligen relativen und absoluten Kosten geringer sind als in anderen Ländern.

Dagegen verwahrte sich der deutsche Ökonom Friedrich List (1789-1846) mit seiner Theorie der produktiven Kräfte. Ein Land sollte zunächst seine eigene Industrie aufbauen und dann, wenn ein Gleichstand erreicht war mit England, zum Freihandel übergehen. Vorläufig wären aber sogenannte Erziehungszölle notwendig.
Auch Alexander Hamilton, einer der Gründerväter der USA, votierte für Schutzzölle.

Die Ökonomen Heckscher und Ohlin formulierten später in den 20er Jahren das Heckscher/Ohlin Theorem, welches besagt, jedes Land sollte sich auf die Produktion spezialisieren, bei denen sie die günstigste Faktorausstattung von Arbeit, Kapital und Boden besitzen. Nationen mit vielen billigen Arbeitskräften produzieren arbeitsintensive Produkte, Staaten mit viel Kapital erstellen kapitalintensive Produkte.

Sowohl Ricardo als auch Heckscher/Ohlin gehen davon aus, das sich allein durch Marktprozesse die Unterschiede zwischen den Volkswirtschaften allmählich angleichen. Die alten Freihändler glaubten an den Freihandel nicht nur als richtigste, ökonomische Politik, sondern auch als Ausgangspunkt einer Ära des Friedens und weltweiten Wohlstandes.

List hingegen dachte, dass der Freihandel dazu führt, das England zur Werkstatt der Welt wird und die anderen Länder nur noch mineralische und agrarische Rohstoffe liefern. Ob Freihandel nur den fortgeschrittenen Nationen nützt und den anderen eher schadet, dieser Streit ist bis heute nicht beendet.

Die einzelnen Länder reagierten unterschiedlich auf die britische Herausforderung:

1.) Assoziativ. Sie ließen sich auf den Freihandel ein. Holland, die Schweiz und Belgien machten damit gute Erfahrungen. Bauten trotz Freihandel eigene Industrie auf. Doch dem stehen gegenüber zahlreiche heutige Entwicklungsländer und Osteuropa, denen keine eigenständige Wirtschaftsentwicklung gelang.

2.) Assoziativ-dissoziativ: Freihandel, aber Veredelung von Rohstoffen und Aufbau und Schutz von Rohstoffindustrien und Agrarwirtschaft: Dänemark, Schweden, Norwegen, später Finnland, Australien, Neuseeland, Kanada. Darauf aufbauend später weitere Industrien.

3.) Dissoziativ, später assoziativ. Zuerst Aufbau eigener Industrien hinter Schutzzöllen, dann Weltmarktintegration. Preußen – Deutschland, Japan, USA. (allerdings wurden einige Schutzzölle beibehalten)

4.) Dissoziativ, später ungenügende Weltmarktintegration: Russland, Österreich-Ungarn.

Mit welchem Entwicklungsweg ein Land besser fährt, hängt offensichtlich von vielen Faktoren ab. Folgende Komponenten könnten von Bedeutung sein:

1.) Wie reagiert das Land auf die britische Herausforderung und welche Kräfte werden aktiv? Staaten mit einem entwickelten Bürgertum und demokratischen Strukturen wie die Niederlande, Belgien oder die Schweiz waren hier viel erfolgreicher als Länder, in denen feudale Strukturen herrschten, wie in Südeuropa, Osteuropa oder Lateinamerika. Dort haben die Oligarchien Innovationen verhindert. Alles verfügbare Kapital floss in die Rohstoffproduktion.

2.) Wann wird der Versuch unternommen, den Rückstand aufzuholen? Je später, desto schlechter sind die Aussichten.

3.) Wie groß ist das Entwicklungsgefälle, welches zu überwinden ist? Länder in Afrika zum Beispiel haben einen viel größeren Rückstand aufzuarbeiten als einige asiatische Staaten.

4.) Größere Länder können anscheinend auf Grund ihrer hohen Bevölkerungszahl und der vorhandenen Ressourcen Entwicklungsrückstände eher aufholen als kleine Länder. Das zeigen zumindest die Entwicklungen von Russland, China, Indien, Brasilien.

Auch heute hält die Diskussion an. Die fortgeschrittenen Länder drängen auf Freihandel, die anderen setzen lieber auf Schutzzölle. Wie man aus der Geschichte lernen kann, gibt es aber mehrere Wege zum Erfolg bzw. zum Scheitern.
Renegat
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Gut, dass du das Thema in einem separaten Thread aufgenommen hast, Wallenstein. Wir haben es bereits im Zuge der Migrationsdebatte gestreift. Z.B. auf Seite 7 von http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... 2&start=90 aber auch im Che/Kuba-Thread http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... 0&start=15
Es ist eben ein Thema, das alle Menschen global betrifft und deshalb sehr viel mit der derzeitigen politischen Situation zu tun hat. Wirtschaftliche Unterschiede waren neben politischen Krisen, Kriegen etc schon immer Grund für Migration.
Wie weit diese Migrationsbewegungen reichten, hing natürlich von den Kenntnissen und Transportmöglichkeiten ab.
Die Germanen z.B. sickerten nur ins benachbarte römische Reich ein, sie hätten damals nicht nach Amerika übersetzen können, was sie vor 200-50 Jahren und noch heute bevorzugt taten. :)
Heute kann jeder innerhalb weniger Stunden/Tage an fast jeden Ort auf der Erde gelangen und vor allem binnen weniger Sekunden Informationen über jeden Weltwinkel abrufen. Nicht zufällig ist das Smartphone der wichtigste Migrationshelfer.

Du hast oben die VWL-Parameter der Vergangenheit beschrieben, die auf einzelne Volkswirtschaften/Staaten abstellen.
Ich bin unsicher, ob man unsere heutige Situation damit noch erklären kann. Klar jeder Staat hat Außengrenzen, Gesetze, Handelszölle und Regelungen. Viele Staaten, bes. die gescheiterten sind aber gar nicht mehr in der Lage diese durchzusetzen.
Manchmal denke ich, es gibt teilweise eine Sehnsucht nach der kleinen, überschaubaren, regionalen und in sich autarken Wirtschaft. Geträumt ein Stück heile Welt...nur wären wir wirklich bereit, auf alle Produkte des globalen Handels zu verzichten, wieder im Schweiße unseres Angesichts die Äcker zu bestellen, Schafe zu halten, um deren Wolle zu einem einzigen, lebenslangen Kleidungsstück zu verarbeiten?

Darüberhinaus stellt sich mir die Frage, ob die wirtschaftlichen Entscheidungen noch auf der Ebene der einzelnen Volkswirtschaften getroffen werden. Läuft das nicht längst in den Offices der global agierenden Konzerne?
Wallenstein

Eine Rückkehr in einen Mikrokosmos ist eine oft verbreitete Wunschvorstellung, jedoch genauso illusionär wie die Rückkehr zur alten Agrargesellschaft oder die Abschaffung der modernen Technik.
Allerdings, ein Tourismusexperte und Sozialwissenschaftler erklärte mir kürzlich, das eine Zahl von 300 Menschen eine optimale Größe darstellt, denn dann kann man einen großen Teil von ihnen zumindest vom Sehen her kennen lernen und solche Gruppen können sich auch noch gut organisieren und die Verhältnisse sind nicht zu komplex, sondern überschaubar. Sie sind aber auch nicht zu klein, so dass man sich nicht auf die Nerven geht, sondern ausweichen kann. Deshalb achtet man in Tourismusdörfern und Clubs darauf, dass diese Zahl in etwa eingehalten wird. Die Menschen fühlen sich anscheinend auch so am wohlsten. In einer fernen Zukunft wird die Technik vielleicht so weit entwickelt sein, das wir wieder in so kleinen Ortschaften leben können, ohne etwas entbehren zu müssen.

Die neue Unübersichtlichkeit verursacht nach Habermas Angst und Orientierungslosigkeit, aber die BRD ist so sehr in die internationale Arbeitsteilung integriert, ein großer Teil der Arbeitsplätze ist damit verbunden, wir sind von Importen und Exporten vollkommen abhängig, ein Ausbruch aus der Globalisierung ist überhaupt nicht vorstellbar und hätte außerdem katastrophale Folgen, weit schlimmere, als wenn wir weiter im internationalen System bleiben.
Aneri

Meine derzeitige Lektüre betrifft dieses Thema. Es ist ein Buch „Das Globalisierungsparadox. Die Demokratie und die Zukunft der Weltwirtschaft“ von Dani Rodrik (Proffessor für internationale Ökonomie an der Harvard University).

Ich möchte auch auf ein verwandtes Thread hinweisen:„Welches Wirtschaftsmodell ist das beste? –Ein Vergleich“ in Weltpolitisches/Politische Theorien. M. E. auch dieses Thread gehört dort und nicht in „epochen übergreifenden Themen“.

Ich werde die Frage ob Freihandel oder Protektionismus aus Blickwinkel des o. e. Buchs antworten. Für mich persönlich hat das Buch eine große Frage, die ich hatte, schon beantwortet. Es ist nämlich so, dass man immer wieder hört, dass die Liberalisierung des Marktes begann in 90-en. Ich, die mit Ökonomie nicht zu tun habe, und kennt nur Differenzen Sozialismus bzw. Kommunismus versus Kapitalismus, war etwas verwirrt. Warum 90? War BDR nicht kapitalistisch??? Also mit freien Markt?

Da ich sowieso hatte vor, mir schon das Gelesene kurz zu fassen, gebe ich es auch euch weiter.

Eines ist mir wieder deutlich geworden ist: die ökonomische Theorien, die unsere politisches Denken lenken, sind von begrenzter Dauer. Sie entstehen durch Beobachtung vorhandene Verhältnisse, geben Prognosen auf, die Politik in sein handeln einbringt. Dadurch ändern die Verhältnisse und das, das vorher stimmte, für die neue Umwelt falsch ist. So entstehen nächsten Generationen von ökonomischen Theorien.

Ich werde weniger die geschichtlich Entwicklung des internationalen Handels eingehen, obwohl auch dort gibt es ganz interessante Überraschungen. Ein Beispiel zeigt jedoch sehr anschaulich, dass eine Pauschalierung der These „Freihandel mit Fortschritt einhergeht“, die oft verwendet wird, nicht möglich ist. Den werde ich näher eingehen.

Nehmen wir die USA in ihrer Gründungsphase und Bürgerkrieg. Das Thema Zollpolitik zeigte sie Bruchlinie zwischen Süden und Norden. Der Süden mit Sklavenwirtschaft war angewiesen auf internationales Handeln und plädierte für die freien Markt (also Senkung der Zölle). Das Norden stütze sich „auf eine im Entstehen begriffene Fertigungsindustrie, die in punkto Produktivität hinter der britischen hinkte und Mühe hatte, mit billigen Importwaren konkurrieren zu können“(Rodrik). Daher im Bürgerkrieg ging es ebenso sehr um zukünftige amerikanische Handelspolitik wie um Abschaffung der Sklaverei. Der Freihandel hätte die Sklaverei zementiert und dieses hatte bestimmt auch Auswirkungen auf politische Institutionen (Demokratie etc.). Rodrik übrigens umgeht hier den zweiten Aspekt: nämlich, dass die stattgefundene Einführung großer Zollen gegen Fertigprodukte, hatten die Entwicklung eigene Fertigungsindustrie angetrieben und ließen den USA mit ihrer hochprotektionistische Politik auf wirtschaftliche Weltspitze katapultieren. Dieser zweite Aspekt ist nämlich strittig in ökonomischen Diskussionen. Daher akzentuiert er es nicht und begnügt mit dem Beispiel des Südens, um zu zeigen die Schwächen des Freihandels. Es bringt nicht nur (gesellschaftlichen) Fortschritt mit sich, es kann unter Umständen den Rückstand befestigen.

Die wichtigste Errungenschaft des Welthandels war Goldstandard. Die Glaubenslehre (Achtung, wie er nennt es: Glaubens(!)-Lehre) galt zwischen 1870 und 1914, um die Disziplin für Aufrechthaltung eines freien Kapitalverkehrs, zu erzwingen. Goldstandard war auf einige wenige Regeln begründet. Jede nationale Währung hatte ihre Goldparität, ein starr festgelegtes Wertverhältnis zum Gold. Die Zentralbanken alle Nationalstaaten hatten sich verpflichtet, nationale Währungen zu diesen Kursen gegen Gold einzutauschen. Also waren Wechselkurse starr fixiert. Nach den Regeln des Goldstandard könnten nationalen Regierungen durch währungspolitischen Manöver Kreditkonditionen nicht verändern um wirtschaftliche und soziale Ziele zu erreichen. Nationale Geldmenge war einzig und allein durch grenzüberschreitende Gold- und Kapitalmenge bestimmt.

„Die Aufrechterhaltung des Goldstandard besaß absolute währungspolitische Priorität (man an was erinnert mich nur es ?!!!! :wink: ), einerseits weil sich Überzeugung durchgesetzt hatte, der Goldstandard sei die Grundlage jeder Währungsstabilität, zu naderem weil es keine konkurrierende Ziele gab – wie etwa Vollbeschäftigung oder Wirtschaftswachstum, die für währungspolitische Entscheidungen maßgeblich gewesen wären. Die Überzeugungen zählten, hier wie anderswo. Die Vorstellung, dass man mit einer aktiven Währungs- und Geldpolitik Konjukturwellen systematisch einebnen oder mit Abwertung der eigenen Währung eine Außenhandeldefizit reduzieren helfen könne, war vorläufig noch Zukunftmusik oder bestenfalls ketzerisch“(Rodrik).

Interessant in Hinsicht des Goldstandards ist, wie Britten es nach 1 WK bewahren wollten. Es war nichts anderer als Churchill, der auf seine Finanzleute hörte (was er später auch sehr bereuen wird), die ihn überzeugten, dass Rückkehr zum Goldstandard auf einer anderer Basis als der Vorkriegs-Parität, hätte Vertrauen der Märkte brechen. Es ging weniger um wirtschaftliche als ethische Prinzipien. Es hat den Niedergang des Britischen Empire beschleunigt.

Im Grunde, wenn man über Protektionismus (das Thema des Threads) reden möchte, dann war es USA in 19.Jhd bis zum 1 WK höchstprotektionistischer Land. Nur Großbritannien war die, die konsequent für Freihandel auftrat. Mit der Abschaffung der Corn Laws wuchs der Druck auf andere europäische Länder. Das Ergebnis war Cobden-Chevalier-Vertrag von 1860 mit Frankreich. Dieser Vertrag war auch deswegen bedeutsam, weil dort Meistbegünstigungsklausel eingearbeitet wurde. Mit dem Vertrag verpflichteten sich GB und Frankreich jede Zollsenkung, die einer von ihnen zukünftig einem dritten Land gewähren würde, automatische aufeinander übertragen. So entstand ein Geflecht von Handelsabkommen, das in 1860-en und 70-en ganz Europa umfasste.

Dennoch bald die Konkurrenz der billigen Feldfrüchte aus Amerika und technisch überlegen britische und zunehmend amerikanische Produzenten hatte sowohl Agrarwirtschaft als nationale Industrielle unter Druck gesetzt. Diese Interessenkoalition in Deutschland hieß “Roggen und Eisen“. Bismarck klagte, dass Deutschland zu Ablageplatz für die Überproduktion anderer Länder geworden ist, und führte deutlich höheren Einfuhrzölle ein. So begann ab 80-en entgegen gerichtete Trend zur immer höheren Handelsschranken bis zum Ausbruch des 1 WK. Nur GB blieb den Freihandel treu. Es - als Weltwirtschaftsmacht - hatte sich das auch leisten können. Sein Import war in Vergleich zu Export verhältnismäßig klein, so dass eine Erhöhung der Zölle, die eine Reaktion anderer - importierende- Länder erzeugen würde, allgemein den Britten schaden werde.

„Aus wirtschaftlichen Warte betrachtet hatte der zunehmende Protektionismus im Europa des späten 19. Jhd. Einen paradoxen Aspekt. Der Wirtschaftshistoriker Paul Bairoch hat festgestellt, dass nach 1980 nicht nur die Handelsvolumina deutlich zunahmen, sondern auch die Einkommen kräftig wuchsen, und zwar besonders in den Ländern, die Handelsschranken aufgerichtet haben. Nach dieser Erfahrung muss amn, ebenso wie in Hinblick auf den industriellen Aufstieg der USA nach dem Bürgerkrieg, den vermeintlich simplen Zusammenhang zwischen Freihandel und Wirtschaftswachstum mit noch mehr Fragezeichen versehen.“ (Rodrik, S. 59)

Fortsetzung folgt.

PS: Rodrik ist keinesfalls ein Ökonom, der gegen Freihandel ist. Dennoch gehört er zu denen, der meint, dass gegenwärtige Diskussion sehr einseitig ist. Man ist FÜR, dennoch muss man wissen auch die Schwächen und Gefahren des Freihandels, um mit dem richtig umgehen zu können. Zurzeit wird der Freihandel zu einem Absolutum erhoben, was mich sehr an die Zeiten des Goldstandards erinnern: Glaube statt Wissen. In der Hitze des Gefechts mit Globalisierungsgegnern werden die Gefahren des Freihandels einfach stillgeschwiegen. Man muss die Schwächen gut kennen, damit mit der höchtswirksame Waffe „Freihandel“ die Erfolge feiern zu können.
Wallenstein

Für viele Staaten wurde der Freihandel zum Verhängnis und zwar meistens dann, wenn sie von einer Schicht von Großgrundbesetzern beherrscht wurden wie z.B. in Lateinamerika. Diese Oligarchien verkauften ihre Produkte im 19. Jahrhundert an England und bezogen im Austausch Industrieprodukte. Am Aufbau einer eigenen Industrie hatten sie kein Interesse, wozu auch, konnten sie doch alles im Ausland erwerben. Sie konsumierten ihre Gewinne oder brachten sie ins Ausland.

Für eine eigene Industrie hätten sie zunächst Schutzzölle errichten müssen, um diese vor England abzusichern. Die eigenen Produkte wären zunächst teurer und schlechter gewesen, außerdem, wer hatte überhaupt Geld, um Fabriken zu bauen? Nur die Großgrundbesitzer, aber die wollten nicht. England hat außerdem versucht, eigenständige Industrialisierungen in diesen Staaten zu unterbinden.

Reine Rohstoffökomien sind auf die Dauer nicht erweiterungsfähig und stagnieren. In Industrienationen hingegen entstehen ständig neue Wirtschaftszweige und viele neue Arbeitsplätze. In Rohstoffökonomien kann man nur in Land investieren und das ist begrenzt. Unterentwicklung ist die Folge.

Die Südstaaten in den USA waren in der Struktur ähnlich aufgebaut wie Lateinamerika. Nur, sie wurden vom Norden erobert und damit nahm ihre Entwicklung einen ganz anderen Verlauf als etwa in Mexiko.
Aneri

Protektionismus in der Zwischenkriegszeit

(Schade, aber es wird nicht auf die Zeit 1918-1930 eingegangen. Es ist nachzuholen.)

Die sich immer stärker manifestierende Demokratie (! – nicht etwa sozialistischen Ideen, wobei sie sicher sekundär auf demokratische Entscheidungen ausgewirkt haben) in den 1930er Jahren erwies sich als wirksamer Faktor – für die Regulierung der Märkte (!). Der berüchtigter Smoot-Hawley-Tarif in 1930 war Reaktion der USA auf rückläufige Warenpreise und wirtschaftliche Einbrüche. Es wurden die höchsten Schutzzölle ihre Geschichte eingeführt. USA hatten sich nur vorgeprescht. Europäischen Länder hatten ähnliche wirtschaftliche Motive und sie folgten der USA. Auch bis dahin standhafte GB lies sich mitreisen und führ Zölle von 10% für viele Handelswaren ein. Außerdem war sie zu schwach, um nach alten Muster für freien Handel weltweit zu sorgen. So ging das Trend auf unterentwickelte Regionen wie Indien und Lateinamerika über.

Besonders schädlich war, dass die Mengenbeschränkungen (Quoten) für Importe eingeführt worden sind, die vorher weitgehend abgeschafft wurden.

Der unmittelbarer Anlass für protektionistische Reaktion war die Weltwirtschaftskrise (Große Depression). „Die tieferen Ursachen des Protektionismus lagen jedoch in der veränderten Rolle Regierung und Staat. Eine politisch emanzipierte und aktive Gesellschaft – Resultat des Zusammenwirkens von Industrialisierung, Demokratisierung und Weltkrieg – forderte unter dem Eindruck extremen Elends vom Staat einen besseren wirtschaftlichen Schutz. Die Staaten hatten zu jener Zeit für ihre Bürger noch keine weiterreichenden Netze aufgespannt, die dem internationalen Wettbewerbsdruck die Spitze nehmen und negative Konsequenzen des Welthandels abfedern können.“(Rodrik. S. 76)

Die Weltwirtschaft war aus der klassischen „liberalen“ Wirtschaftsordnung hinausgewachsen, es standen aber keine Alternativen. Es trat „eine Bugwelle des wirtschaftlichen Nationalismus“.
Aneri

In Bezug auf vorliegenden Beitrag:
Auf dem Höhenpunkt der Weltwirtschaftskrise, 1933, hatte Keynes in einem bemerkenswerten Aufsatz seinen Sinnenwandel in Bezug auf den Freihandel und seine neu entwickelten Vorliebe für ein gewisses Maß an „nationaler Selbstversorgung“ dargelegt. Wie die meisten Engländer, schrieb Keynes, sei auch er mit einer fast moralischen Hingabe an der Lehre vom Freihandel gehangen. „Ich betrachtete Abweichungen vom Freihandel als törisch und empörend zugleich“. Jetzt jedoch könne er, wenn er auf seine und in den 1920er Jahren gehaltenen Plädoyers für den Freihandel zurückblicke, nicht mehr dieselbe Gewissheit empfinden. Seine Orientierung habe sich gewandelt, und er teile jetzt die skeptischeren Auffassungen zum Handeln mit vielen seiner schreibenden Kollegen. Ein uneingeschränktes Ja zum Freihandeln sei nur denkbar, wenn in allen Gesellschaften eine eng definierte Technokratie herrsche, getragen vom Glauben an eine einheitliche Spielart des Kapitalismus. In einer Welt hingegen, in der die Nationalstaaten mit alternativen volkswirtschaftlichen Visionen experimentierten, höre der Freihandel auf, praktikabel oder auch nur wünschenswert zu sein. (Rodrik, S.104)
PS: Ich finde diese Äußerung von einem wegweisenden Ökonom sehr interessant, wenn mir auch Option freihalte (es sind noch nicht mal 1/3 des Buchs geschafft :wink: )
Aneri

Zu dem Beitrag "Zwischenkriegszeit" müsste erwähnt werden, dass Welthandel zwischen 1929-37 schrumpfte um die Hälfte(!)
Aneri

Nachkriegszeit bis 1980er

Historische Erfahrung zeigte, dass wenn innenpolitische Bedürfnisse mit der Forderungen des Freihandels kollidieren, die erstere tragen den Sieg davon. Keynes und White erkannten, dass es klüger ist es als gegeben zu akzeptieren und das System mit entsprechenden Sicherheitsventilen auszustatten, als es zu ignorieren und das Risiko des totalen Zusammenbruchs der Wirtschaft in Kauf zu nehmen.

„Der Regelwerk, die sie austüftelten, wurde später als Währungsordnung von Bretton Woods (bitte Name merken)bekannt, ein Kurort in New Hampshire, in dem Keynes, White und weiter Experten und Amtsträger aus 44 Ländern in Juli 1944 trafen, um die neuen Regeln ausformulieren. Der Vertrag, auf den man dort einigte, war ein bemerkenswertes Stück institutioneller Handwerkkunst. In rund drei Wochen bescherten Keynes und White der Weltwirtschaft eine neue ökonomische Philosophie und stellten zwei neue internationale Organisationen auf die Beine: den internationalen Währungsfond und die Weltbank. Der Vertrag von Bretton Wood sollte nach dem Ende des 2.WK drei Jahrzehnte lang den Takt vorgeben. Noch lange nachdem der Regelwerk im Verlauf der 70-er und 80-er schrittweise außerkraft gesetzt worden war, blieb der Name „Bretton Woods“ ein gerne beschworenes Symbol dafür, was man mit kollegialen Verhandlungen auf globale Ebene erreichen kann“ (Rodrik, S.105)

Wie man sieht, unser derzeitiger Wohlstand ist sehr viel dem Regelwerk zu verdanken. Also was bedeutete Bretton Wood? Es war ein ausgefeilter Kompromiss zwischen internationaler Disziplin und ließ zugleich mehr Handlungsfreiheit den nationalen Regierungen, die genug Spielräume hatten um auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Gegebenheiten im Innern reagieren zu können. Es wurde Grundsatz Multilateralismus eigeführt. Die Durchsetzung von Regeln und Überzeugungen erfolgte mit Hilfe internationaler Institutionen – des Internationalen Währungsfond, der Weltbank und GATT –Gesprächsstunden (General Agreement on Tariffs and Trade) und nicht mit nackter Machtpolitik. Es war ein sehr bedeutsamer Neuerung. Die Multilateralismus räumte kleineren und ärmeren Ländern eine Stimme zu und schützte ihre wirtschaftliche Interessen auf eine bislang nicht gekannte Weise. Die GATT-Runde konstituierte sich nie als ausgewachsene Organisation wie der IWF oder die Weltbank. Sie schaffte aber der facto eine multilaterale Instanz mit Sitzung in Genf für die Liberalisierung des Welthandels.

„Im Hinblick auf die Breite und Tiefe der Wirtschaftsentwicklung stellte das System von Breton Woods alle früheren epochen in den Schatten, auch die Ära des Goldstandards und des Freihandels des 19. Jhd. Wenn es je ein Goldenes Zeitalter der Globalisierung gegeben hat, dann waren es die Jahrzehnte nach Bretton Woods“ (Rodrik, S.108)

Merkwürdigeweise war die Globalisierung kein primäres politisches Anliegen des GATT. Das Ziel des GATT war ein freierer Handel in bestimmten Bereichen, nicht freier Handel auf der ganzen Linie. Die boomende Weltwirtschaft in dieser Epoche ist ein Hinweis, dass für sie gesunde nationale Volkswirtschahften wichtiger sind als gleichzeitig fortbestehende Handelshemmnisse (Rodrik). Ganze Reihe Wirtschaftsbereiche blieben von GATT-Verhandlungen unberüht. Landwirtschaft war von Protektionismus geschützt. Liberalisierung hat auch die meisten mobile Dienstleistungen (Versicherung, Bankwesen, Bau-, Wasser- und Energieversorgung) nicht erreicht. Auch Sektoren der industriellen Fertigung wurden zunächst liberalisiert, dann aber unter einen erheblichen Wettbewerbsdruck bald wieder staatlichen Schutz erlangten. Die Textil- und Bekleidungsbrachen der Industrieländern wurden von 1974 durch MFA (Multi.Fiber-Arrangement) geschützt. Den Entwicklungsländern stand in dieser Zeit weitgehend frei, ihre Handelspolitik nach eigenen Verständnis zu gestalten. Auch für Industrieländern waren Schlupflöcher in das Regelwerk eingebaut, so dass man Protektion relativ leicht erschaffen könnte. Auch Vollzugbefugnisse des GATT war ein Witz. Es genügte eines Widerspruchs (was in der Regel der beklagte Staat war) um Schiedspruch der Mitgliederversammlung aufheben. Diese Defizite ließen in 1995 die Welthandelsorganisation (WTO) entstehen – ein die Nachfolge des GATT.

Also Sinn und Zweck des GATT „war jedem handelsoffenen Land genug Spielraum für die Verfolgung seiner gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ziele zu belassen, relativ ungehindert durch äußere Zwänge, aber innerhalb einer zwangslosen internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Wenn der Handel irgendwo inländische Verteilungsglichgewichte bedrohte, war es der Handel, der zurückstecken müsste. “ (Rodrik)
Der erhebliche Bewegungsspielraum, der Nationalstaaten durch Breton Woods gegeben war, eroffnete reicheren Ländern die Möglichkeit, eine ihnen jeweils genehme Art des kapitalismus zu entwickeln, ausgerichtet an ihren Vorstellungen von guter Unternehmensführung, Arbeitsmarktpolitik, Steuersystematik, vom verhältnis zwischen Wirtschaft und Staat sowie sozialstaatlichen Arrangements. Heraus kamen, um eine von Politologen Peter Hall und David Sockice geprägte Formulierung auszuborgen, verschieden „Varianten des Kapitalismus“ (varietes of capitalism). Die USA, GB, Frankreich, Deutschland oder Schweden waren alle marktwirtschaftlich orientiert, doch die Institutionen, die den Unterbau ihrer Märkte bildeten, unterschieden sich erheblich und wiesen unübersehbare nationale Kennzeichen auf. Auf dem europäischen festland gab es mindestens drei verschieden Arten von Kapitalismus: das deutsche Model einer sozialen Marktwirtschaft, den skandinavischen Wohlfahrtstaat, und das französische System, das auf „integrative Planung“ und weitreichender regulierung beruhte. Auch Japan ging seine eigene Weg, indem es einen überaus wettbewerbsfähigen Exportsektor Seite an Seite mit einer hochgradig regulierten und von Wettbewerb geschützten traditionellen Wirtschaft heranzüchtete. Die USA verkörperten das leuchtende Beispiel einer freien Marktwirtschaft, auch wenn ihr Wirtschaftsliberalismus zunächst nicht die Radikalität aufwies, die er in den 1980 entwickelte.
PS: den letzte Absatz-Zitat finde ich sehr interessant, gerade auf Hintergrund unserer Diskussion: welche Wirtschaftsmodell ist besser? Mit nähere Betrachtung gibt es auf der Seite des kapitalistischen Systems mehrere Modelle, dazu kommt noch der liberalisierte Kapitalismus der letzten Jahrzehnte. Über ihn werde ich in folgenden Beitrag berichten.
Aneri

Die 80- liefen im Zeichen der Paradigmawechsel

Wann ich den folgenden Satz gelesen habe, schmunzelte ich:
Ab den 1980 Jahren galt, dass man, wenn man für oder gegen irgendetwas Stellung beziehen wollte, nichts Besseres tun könnte, als das Plädoyer in eigene Sache zu polieren mit den Worten: “Es ist im Interesse der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unsres Landes erforderlich“
Warum schmunzelte ich? Ich denke, wer in sozialistischen System gelebt hat, weiß warum. Jede Publikation müsste mindestens in Vorwort die positive Wirkung der leninistischen- marxistischen Ideologie auf das besagten Werk hervorheben. Komisch, wie Radikalisierung der unterschiedlichen Ideologien sie doch irgendwie verwandt macht…

Was stand hinter diesem Paradigmewechsel? GATT wurde zum Opfer seines Erfolgs. Die Wohlstandsentwicklung nach dem zweiten Weltkrieg wurde der multilateralen Handelsliberalisierung gut geschrieben. Die WTO (Welthandelsorganisation) müsste die Ausnahmezustände und Unzulänglichkeiten der GATT (in oberen Beitrag beschrieben) beseitigen, um die Liberalisierung voranzutreiben. Multinationale Unternehmen (eine Besonderkeiten der Neuzeit) forderten umfassendere globale Regeln, die ihnen das internationale Geschäft erleichtern würden. Entwicklungsländer brennten darauf, im Export Geschäft mitzumischen. Gleich mit dieser Umorientierung ging eine bedeutsame ideologische Trennwende. Es war die Zeit der Reagan- und der Thatcher-Revolution. Die freie Marktwirtschaft galt galt als Königweg in die Zukunft. Aus diesem Denken resultierte das, was man manchmal als Waschington-Konsens, manchmal als Marktfundamentalismus und am häufigsten als Neoliberalismus bezeichnet wird.

Also nach 8 Jahren Verhandlungen – in 1995 - wurde die WTO gegründet. Es bedeutete eine Abkehr von Prioritäten Bretton-Wood-Systems. Das binnenwirtschaftliche Geschehen sollte nunmehr den Erfordernissen des internationalen Handels und Finanzwesen untergeordnet werden, in Umkehrung der bisherigen Verhältnisse.

Mehr dazu werde ich nach weitere Lektüre schreiben. Dennoch hoffe ich, dass die Hauptaspekte, die derzeit um die Globalisierungspolitik debattiert werden, werden sichtbar. Es liegt nicht in der Abschaffung des freien Markts, wie den Gegnern oft vorgeworfen wird. Es liegt viel mehr – nach mein Verständnis – in behutsamen Umgehen. Es muss ein Gleichgewicht zwischen internationalen Markt und nationalen Interessen geschafft werden. Dennoch manifestiert sich eine Tendenz, die eigentlich in allen Lebensbereichen sichtbar ist: wer nicht mit uns, der ist gegen uns.

Mit derzeitiger aggressiven Neoliberalisierung werden in vielen Entwicklungsstaaten zu schmerzhafte Umverteilungen stattfinden. Es wird aber in Kauf genommen, mit heiligen Ziel des freien – internationalen - Marktes. Der Nationalstaat hat das Nachsehen.
Aneri

Da ich hier begann eine kurze Geschichte der modernen internationale Ökonomie zu schreiben, möchte ich hier folgenden Beitrag über geplanten geregelten Staatsinsolvenzen zufügen: "Historischer Durchbruch" zum Recht auf Staats-Umschuldung
Wichtig ist nun für die, die für diese Grundsätze eintreten, den IWF aus dem Spiel zu halten. Einer der zentralen Berater der Sonderkommission machte das auch vor der Kommission mehr als deutlich. Es handelt sich um den Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz. Der hatte mit seinem Kollegen Paul Krugman auch schon frühzeitig herausgearbeitet, dass die harten Kürzungs- und Sparprogramme, die vom IWF gestaltet und Griechenland von der Troika aufgezwungen wurden, "verrückt" seien und die "katastrophalen Folgen" zeitigen würden, die wir nun mehr als deutlich sehen.

Stiglitz ist entschiedener Verfechter eines Verfahrens zur Regelung von Staateninsolvenzen. Er erklärte der Sonderkommission, dass sich der IWF im Interessenskonflikt befinde und deshalb die Umschuldungsverhandlungen nicht unter seiner Kontrolle stattfinden dürften. "Der IWF ist eine Institution der Gläubiger und man kann auch nicht von der Citibank fordern, ein Gesetz über die Insolvenz der USA zu entwerfen." Denn dann käme nichts Vernünftiges heraus. "Wir brauchen ein Gesetz über eine gerechte und effiziente Staatsinsolvenz." Gesetze aber, die von Gläubigern bestimmt werden, "sind weder gerecht noch effizient", fügte er an.
Egal wie dieser Schritt jetzt endet (vielleicht wird von führenden Industrie-Staaten blockiert), dennoch ist es m. E. wegweisend.
Antworten

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