Finnisches Bildungsmodell - Zukunfts Investition oder Luxus?

Fragen und Informationen zu Schule, Studium und Chacen der Bildung in Deutschland

Moderator: Barbarossa

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Marek1964
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Nachdem leider der Thread "Lehrer - Wissensvermittler oder Psychologe" in persönliche Invektiven abgedriftet ist, möchte ich hier das Thema speziell eröffnen und hoffe hier auf mehr Sachlichkeit.

Lia hat im anderen Thread geschrieben:Wer Finnland will, solte erstmal genau eruieren, wie es dort geht und muss tief in die Tasche greifen, und im hoch gelobten Skandinavien vermehren sich kritische Stimmen zum Bildungswesen.

Dazu will ich folgende Quelle anführen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Bildungssystem_in_Finnland

und folgendes Zitat daraus:

"Laut einer OECD-Studie aus dem Jahr 2001 gibt Finnland 5,8 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Bildung aus. Bereits 2005 sind es 6,4 %. Pro Jahr und Schüler investieren die Finnen im Primarbereich knapp 5.000 US-Dollar. In Deutschland werden zum Vergleich etwa 4,6 % des BIP[6] für die Bildung investiert. Im Gegensatz zu Deutschland gibt Finnland mehr Geld für den Primarbereich aus. In Finnland hat eine Primarschulklasse eine durchschnittliche Klassenstärke von 19,8 und eine Sekundarschulklasse eine Klassenstärke von 20,1 Schülern. In den ländlichen Gebieten im Norden und Nordosten gibt es häufig Klassen mit weniger als 10 Schülern".

Anders gesagt, die Finnen geben anteilig an ihrem BIP 39% mehr für Bildung aus.

Vor allem im Grundschulwesen wird in Finnland viel mehr gemacht und wesentlich mehr Geld in die Hand genommen.

Es gibt dort eben Lehrer und Psychologen und man legt den Jungen einen Grundstock fürs Leben, geht auf individuelle Stärken und Schwächen ein, übrigens etwas was auch ein individueller Nachhilfeunterricht bieten kann, deshalb ist eine Ganztagesschule hier auch wieder nur teilweise von Nutzen.

Auf den ersten Blick überzeugt mich dieses Konzept überaus. Wichtig sind die ersten Schuljahre, da formt sich das Lernverhalten und das kommt dann später zu Nutze, ich kann mir auch vorstellen, dass die Schüler an Mittel- und Hochschulen selbständiger, zielorientier und verantwortungsbewusster sind.

Und abschliessend beantwortet das ja auch die Ausgangsfrage von Noswell zum anderen Thread: Wissensvermittler und Psychologe ist offensichtlich sehr schwer zu kombinieren (wurde ja auch Lia so geschildert) und also, vor allem wohl im Grundschulalter, von Vorteil voneinander personell zu trennen.

Was meint ihr zu diesem Modell? Weiss jemand, ob Finnland ein duales Ausbildungssystem hat?
Lia

Sicherlich wäre das in weiten Teilen zu begrüßen, mit viel viel Geld unserem Schulsystem Stabilität zu verschaffen. Gegen den Ansatz und die Investitionen habe ich nichts.
Mein Reden: Geiz in der Bildung ist nicht geil, und die deutsche Bildungs- Misere hängt vor allem auch mit Geld zusammen.
Ob sich das finnische Modell 1:1 auf ein bevölkerungsreiches Land mit hohem Migrantenanteil wie die BRD übertragen lässt, muss dabei bedacht werden und gegebenfalls nach passenden Lösungen gesucht werden. Ich meine zwar, Deutschland müsse sich das leisten können, ob ich da ganz sachlich-finanztechnisch richtig liege, weiß ich nicht. Luxus? Nein, aber sicherlich nicht so eben zu stemmen.
Lia hat im anderen Thread geschrieben:Wer Finnland will, sollte erstmal genau eruieren, wie es dort geht und muss tief in die Tasche greifen, und im hoch gelobten Skandinavien vermehren sich kritische Stimmen zum Bildungswesen.
War auf Schweden und vor allem Dänemark bezogen, wo es nicht nur einen Pisa-Schock gab, sondern eigentlich alle erkannten, dass in den letzten Jahren einiges schief gelaufen sein muss- die Schüler wurden dümmer, wie es krass der Chefredakteur einer Zeitung schrieb.
Weiss jemand, ob Finnland ein duales Ausbildungssystem hat?
Schaust Du hier unter berufliche Bildung:
http://www.kooperation-international.de ... chaft.html
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dieter
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Lieber Marek,
auch ich halte das finnische Schulmodell für besser als das unsrige. Vor allem, da es für jede Klasse zwei Lehrer gibt, so dass sich um die einzelnen Kinder besser gekümmert werden kann. Jeder Jahrgang hat auch einen Psychologen. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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Triton
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Lia hat geschrieben:Ob sich das finnische Modell 1:1 auf ein bevölkerungsreiches Land mit hohem Migrantenanteil wie die BRD übertragen lässt,
Nein.
"Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, in dem man sie ignoriert." (Aldous Huxley)
Lia

Triton hat geschrieben:Nein.
Klare Antwort! Fehlt nur noch die Erklärung, warum nicht.
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Marek1964
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Lia hat geschrieben:
Triton hat geschrieben:Nein.
Klare Antwort! Fehlt nur noch die Erklärung, warum nicht.
In der kürze liegt die Würze, Lia :mrgreen:

Ich sehe eher das Gegenteil als logisch: Gerade mit den Migrantenkindern sehe ich mehr psychologischen Bedarf, vor allem in den ersten Schuljahren.
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Triton
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Finnland ist ein kleines, ländlich geprägtes Land, die Verhältnisse dort kann man nicht auf eine deutsche Großstadt mit hohem Migrantenanteil übertragen. Die gleichen Vorteile für die Schüler herzustellen, wäre wahrscheinlich utopisch teuer. Das macht aber auch nichts, Deutschland muss nicht jeden Bürger optimal ausbilden, auch weniger top ausgebildete Bürger sind hier wichtig und können genauso wertvolle Arbeit leisten.

Bei gut 5 Mio Einwohnern muss man "mehr" aus den Menschen herausholen, um in einer globalisierten Wirtschaft mithalten zu können.
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Marek1964
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Triton hat geschrieben:Finnland ist ein kleines, ländlich geprägtes Land, die Verhältnisse dort kann man nicht auf eine deutsche Großstadt mit hohem Migrantenanteil übertragen. Die gleichen Vorteile für die Schüler herzustellen, wäre wahrscheinlich utopisch teuer. Das macht aber auch nichts, Deutschland muss nicht jeden Bürger optimal ausbilden, auch weniger top ausgebildete Bürger sind hier wichtig und können genauso wertvolle Arbeit leisten.

Bei gut 5 Mio Einwohnern muss man "mehr" aus den Menschen herausholen, um in einer globalisierten Wirtschaft mithalten zu können.
Utopisch teuer? Die Zahlen oben zeigen, dass Finnland 39% mehr (anteilsmässig am BIP) für Bildung ausgibt. Warum sollte das in Deutschland nicht möglich sein?

Was das Problem der Wirtschaft in Deutschland, aber auch anderswo, betrifft: Es fehlen immer die qualifizierten, wenig qualifizierte gibt es im Überfluss.

Bei der Bildung muss man auch eines noch bedenken: Das ganze wirkt sich mit enormer Zeitverzögerung aus. Verbessern wir heute unser Grundschulsystem, ernten wir den Erfolg erst in 20-30 Jahren... und Fehler wirken sich ähnlich zeitverzögert aus.
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Triton
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Das stimmt alles, aber wenn Du viele Migranten optimal betreuen willst, kommen sicher Kosten obendrauf. Außerdem dürften finnische Lehrer keine Beamten sein.

Warum sollen Krankenschwestern, Altenpfleger, Köche usw. keine gesellschaftlich sinnvolle Tätigkeiten sein? In kleinen Ländern mit hohem Bildungsniveau müssen genau solche Arbeitnehmer angeworben werden, was neue Probleme schafft. Und bei 80 Mio Einwohnern und guten Universitäten, die Deutschland hat, gibt es auch ohne die Förderung jedes Nachzüglers viele gute Ingenieure, Juristen oder Betriebswirte.
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Lia

Ob Deutschland das finanziell in der Form leisten könnte, ist die eine Sache. Das Land ist groß und steht vor Ausgaben, z.B. bei der Infra-Struktur, die Finnland so nicht leisten muss.
Die andere ist, dass in Finnland zwar jeder ein Recht auf Bildung hat, damit aber durchaus Pflichten hat. Die Eigenverantwortung für und das Interesse an Bildung scheint mir in Finnland immer anders, aktiver als bei uns.
Inzwischen sind wir rein von der Schulorganisation her auf dem Weg zum finnischen/ skandinavischen Modell, wobei, und das ist auch gut so, auch die Gymnasien erhalten bleiben.
Nur eines fehlt: Geld, um jenem skandinavischen Vorbild nicht nur äußerlich zu folgen. Große Worte oder auch Blablabla gab es genug. Geld nicht.
Wenn hier schon Eltern behinderter und nicht behinderter Kinder gemeinsam gegen die Inklusion ziehen, weil alle unter den Verhältnissen leiden,ist das typisch für deutsche Bildungspolitik. Große Worte von oben, viel Eigenlob- aber nichts, was Inklusionsschulen wirklich brauchen, wird ausreichend finanziert. Zum Nachteil aller Kinder, der Eltern und der Pädagogen.

Dass auch das finnische System Nachteile hat, kann man in einigen Artikeln auf zeit online nachlesen.
Wobei man auch die Leserbriefe nicht auslassen sollte, in denen leute, die beide Systeme kennen, so ein bisschen am finnischen Lack kratzen.
Finnland:
http://www.zeit.de/2013/37/lehrer-eignu ... l-finnland
http://www.zeit.de/2007/17/Finnland_neu

Schweden:
http://www.zeit.de/2013/50/pisa-studie-schweden
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Marek1964
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Lia hat geschrieben:Ob Deutschland das finanziell in der Form leisten könnte, ist die eine Sache. Das Land ist groß und steht vor Ausgaben, z.B. bei der Infra-Struktur, die Finnland so nicht leisten muss.
Möchte ich als Ökonom klar verneinen. Ein kleineres Land hat tendenziell höhere Ausgaben für Verwaltung.
Lia hat geschrieben: Nur eines fehlt: Geld, um jenem skandinavischen Vorbild nicht nur äußerlich zu folgen. Große Worte oder auch Blablabla gab es genug. Geld nicht.
Auch hier meldet sich der Ökonom. Und muss mit Bedauern feststellen: Lehrer wissen nicht, was Geld ist (aber zum Trost: viele andere auch nicht). Hier ein Crashkurs in Staatsfinanzierung. Der Staat kann sich auf folgende Arten finanzieren:

-Steuern, Gebühren
- Verschuldung
- Notenpresse

Seine Ausgaben kann er auch steuern. Wenn man also sich sagt, wir wollen mehr Geld für Bildung ausgeben, kann man entweder woanders einsparen, oder der Staat verschuldet sich oder er erhöht die Steuern (oder z.B. Schulgelder). Die Notenpresse ist allerdings heutzutage problematisch (oder sagen wir noch problematischer als früher), da Deutschland den Euro hat und der an Kriterien gebunden ist und die EZB das Geld druckt.

Alle diese Finanzierungswege haben natürlich ihre Probleme und Schwächen. Aber grundsätzlich ist das nur eine Frage des politischen Willens und der Prioritäten. Oder wie es Dieter sagen würde: Es kriegt der, der am lautesten und am richtigen Ort meckert. Was in Finnland möglich ist, müsste in Deutschland, wenigstens grosso modo, auch möglich sein.

Wenn der Staat also sagt, Geld ist keines da, ist das eine Ausrede. Es ist so, wie wenn jemand sagt, er hat keine Zeit. Zeit haben wir alle gleich viel - 24h am Tag. Wenn wir sagen, ich habe keine Zeit, heisst das nur, wir haben anderes zu tun, dem wir höhere Priorität einräumen. Genauso der Staat. Wenn er kein Geld hat, dann heisst es nur, er will es anderswo ausgeben. (Geld für ein Individuum ist schon etwas anderes, da kann es schon passieren, das es kein (liquides) Geld hat. Unangenehme Situation). Natürlich ist das jetzt vereinfacht. Ein seriöser Staat kann ja nicht von einem Jahr ins andere einfach da mehr Geld und dort weniger ausgeben, wie wenn wir an einem Tag im Supermarkt eine Tafel Schokolade und am Tag darauf Obst kaufen. Da muss natürlich Kontinuität gewahrt werden, denn sonst könnte das ja heissen, in einem Jahr brauchen wir 1 Mio Lehrer und im nächsten Jahr nur noch die Hälfte. Aber grundsätzlich darf man sich vom Argument "es ist kein Geld da" nicht abschrecken lassen.
Lia hat geschrieben:Wenn hier schon Eltern behinderter und nicht behinderter Kinder gemeinsam gegen die Inklusion ziehen, weil alle unter den Verhältnissen leiden,ist das typisch für deutsche Bildungspolitik. Große Worte von oben, viel Eigenlob- aber nichts, was Inklusionsschulen wirklich brauchen, wird ausreichend finanziert. Zum Nachteil aller Kinder, der Eltern und der Pädagogen.
Ist mir nicht verständlich.
Lia hat geschrieben:Dass auch das finnische System Nachteile hat, kann man in einigen Artikeln auf zeit online nachlesen.
Wobei man auch die Leserbriefe nicht auslassen sollte, in denen leute, die beide Systeme kennen, so ein bisschen am finnischen Lack kratzen.
Finnland:
http://www.zeit.de/2013/37/lehrer-eignu ... l-finnland
http://www.zeit.de/2007/17/Finnland_neu

Schweden:
http://www.zeit.de/2013/50/pisa-studie-schweden
Konnte jetzt nicht alles lesen, vielleicht morgen. Aber Grundsatzfrage: Also deutsches System nicht gut, finnisches hat auch seine Kratzer. Was seht Ihr die "Lehrerfraktion" hier, eigentlich für als optimale Lösung?
Lia

Lehrer wissen nicht, was Geld ist
Wir sind ja eh die Doofen der Nation...Auch das ist in den hoch gelobten skandinavischen Ländern anders, dort werden nicht alle Lehrer grundsätzlich als Versager und faule Säcke bezeichnet.
Also deutsches System nicht gut, finnisches hat auch seine Kratzer. Was seht Ihr die "Lehrerfraktion" hier, eigentlich für als optimale Lösung?
Schule abschaffen. :mrgreen: Oder Eltern erziehen, Unterrichtsinhalte bestimmen und unterrichten lassen. :mrgreen:
Die können und wissen es ja eh besser. Oder mit den Kindern ins Ausland gehen, wo es private Elite- Schulen gibt.
Zu den rein pädagogischen Dingen, wie die Definition, was Schüler einer Jahrgangsstufe können sollten, äußere mich hier nicht.
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Triton
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Wenn ich es richtig verstehe, ist das finnische Modell wesentlich personalintensiver. Bei nur 39 Prozent Mehrkosten kann das nur bedeuten, dass die Pädagogen ungleich schlechter bezahlt als in Deutschland sind. Oder habe ich einen Denkfehler übersehen?
"Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, in dem man sie ignoriert." (Aldous Huxley)
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Marek1964
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Triton hat geschrieben:Wenn ich es richtig verstehe, ist das finnische Modell wesentlich personalintensiver. Bei nur 39 Prozent Mehrkosten kann das nur bedeuten, dass die Pädagogen ungleich schlechter bezahlt als in Deutschland sind. Oder habe ich einen Denkfehler übersehen?
Es betrifft vor allem die Grundschulen. Das macht die Rechnung dann doch plausibel.
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