Die DDR - ein Rechtsstaat? - Kritik an Erwin Sellering

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Barbarossa
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"KEIN TOTALER UNRECHTSSTAAT"
DDR-Äußerungen bringen Ministerpräsident in Bedrängnis

Erwin Sellering, Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, sorgt mit Äußerungen zur deutschen Vergangenheit für Aufregung. Er verwahre sich dagegen, "die DDR als totalen Unrechtsstaat zu verdammen". Die CDU findet das unerträglich...
weiter lesen: http://www.spiegel.de/politik/deutschla ... 90,00.html
Erwin Sellering im Gespräch
„DDR war kein totaler Unrechtsstaat“

22. März 2009 Erwin Sellering (SPD) ist seit vergangenem Jahr Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern: ein Westdeutscher als Landesvater im hohen Nordosten. Der SPD trat er erst aus diesem Anlass bei. Nun möchte er die Einwohner und Wähler Mecklenburg-Vorpommerns von seinem Einsatz für eben dieses Land überzeugen - und verteidigt die DDR gegen allzu harsche Kritik. „Ich verwahre mich dagegen, die DDR als totalen Unrechtsstaat zu verdammen, in dem es nicht das kleinste bisschen Gutes gab“, sagte Sellering der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung...
weiter lesen: http://www.faz.net/s/Rub594835B672714A1 ... ntent.html

Anmerkung dazu von mir:
Eines steht beim Thema "DDR" wohl mal fest - wer beim SED-Regime politisch in Ungnade fiel, für den galt weder Recht und Gesetz und auch keine Menschenrechte mehr. Politische Häftlinge in der "DDR" waren Total-Entrechtete. Jemand, der im Strafvollzug in der DDR gearbeitet hatte sagte einmal zu mir:
"Politische Gefangene wurden nicht behandelt wie Mörder, denn die hatten auch noch Rechte."
Zuletzt geändert von Barbarossa am 09.04.2009, 19:45, insgesamt 1-mal geändert.
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elysian
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Mit der Aufarbeitung der DDR erleben wir doch tatsächlich ein deja-vu.
Oder klingt "die DDR war kein totaler Unrechtsstaat.....hatte auch Stärken" nur für mich wie "unter Adolf hatten alle Arbeit....wurde die Autobahn gebaut.....gab es Urlaub und soziale Unterstützung für die armen Schichten....etc."?
sic transit gloria mundi
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Barbarossa
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Grundsätzlich richtig, auch wenn ich von diesem Hitler-Vergleichen im Allgemeinen nicht so viel halte.

Und die Diskussion geht weiter:
DDR-Geschichte
Thierse stärkt Sellering den Rücken
Dienstag, 24. März 2009 02:10

Mit seiner Forderung nach einem differenzierten Umgang mit der DDR-Geschichte hat Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) eine Welle der Entrüstung quer durch alle Parteien ausgelöst.
- Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) dagegen stärkte Sellering den Rücken. Sellering hatte kürzlich gesagt, er verwahre sich dagegen, "die DDR als totalen Unrechtsstaat zu verdammen".
(...)
Thierse sagte: "Herr Sellering hat dazu absolut nichts Neues gesagt." Allerdings machte Thierse im Gespräch mit der Morgenpost auch deutlich: "Die DDR war eine SED-Diktatur und kein Rechtsstaat." Zugleich habe es in der DDR durchaus "ein paar sympathische Elemente" wie die Versorgung mit Kinderkrippen und Kindergärten, den polytechnischen Unterricht und die Gesundheitsversorgung gegeben: "Die Erinnerung daran ist nicht verboten."...
(...)
Anders äußerte sich der aus Sachsen stammende Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD). "Recht muss Recht heißen, und Unrecht muss immer Unrecht genannt werden", sagte Tiefensee. "Dieses Mindestmaß an Ehrlichkeit brauchen wir im Umgang mit der DDR-Vergangenheit."...
(...)
Markus Meckel (SPD), letzter DDR-Außenminister, sagte: "Die fundamentalen Unterschiede zwischen Demokratie und Diktatur darf man nicht verwischen." Indirekt hält er Sellering eine erfolglose Strategie der Anbiederung vor: "Zuwendung zu den Menschen in Ostdeutschland gewinnt man nicht, indem man das System verharmlost, in dem sie gelebt haben."...
den ganzen Artikel lesen: http://www.morgenpost.de/printarchiv/po ... ecken.html

Da zeigt sich, wie zerrissen die SPD beim Thema "DDR" ist.
:?
Zuletzt geändert von Barbarossa am 24.03.2009, 21:27, insgesamt 1-mal geändert.
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elysian
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@Barbarossa

Es geht nicht um einen Vergleich mit Hitler, sondern um einen Vergleich der Reaktionen der Menschen auf die Vergangenheit im jeweiligen sozialistischen Unrechtsstaat.
Und ich finde es schon bemerkenswert, dass man dieselben Sprüche heute zur DDR hört, mit denen nicht wenige ungefähr zu selben Zeit nach dem 2.WK das Dritte Reich relativierten.
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Barbarossa
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elysian hat geschrieben:@Barbarossa

Es geht nicht um einen Vergleich mit Hitler, sondern um einen Vergleich der Reaktionen der Menschen auf die Vergangenheit im jeweiligen sozialistischen Unrechtsstaat.
Und ich finde es schon bemerkenswert, dass man dieselben Sprüche heute zur DDR hört, mit denen nicht wenige ungefähr zu selben Zeit nach dem 2.WK das Dritte Reich relativierten.
Schon klar. ;-)
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Barbarossa
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Im Tagesspiegel hab ich zu diesem Thema noch einen - wie ich finde - sehr guten Artikel gefunden, den ich auch mit unterschreiben kann und deshalb mal ein paar Zeilen mehr, als in den übrigen Zitaten:
DDR
Was ist ein Unrechtsstaat?
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) will die DDR nicht als Unrechtsstaat bezeichnen. Andere schon. Was ist überhaupt ein Unrechtsstaat?
(...)
Grundlegend war eine Überlegung Immanuel Kants, die den Rechtsstaat als „Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“ definierte. Nicht mehr Herrscher sollten herrschen, sondern das Recht.
(...)
Angeklagte bekamen Rechte, staatliche Willkür wurde zurückgedrängt. Mit am wichtigsten war, Staatsrecht von Verwaltungsrecht zu trennen. Das Staatsrecht ordnete Parlament und Regierung. Das Verwaltungsrecht band die Exekutive: Es wurde eine neue Ebene geschaffen, um die Staatsmacht im Zaum zu halten und die Bürger zu schützen. Die Bundesrepublik knüpfte mit ihrem Grundgesetz an diese Traditionen an. Die Gesetzgebung ist an die „verfassungsmäßige Ordnung“ gebunden, Justiz und Exekutive an Recht und Gesetz. Staatliches Handeln muss voraussehbar und verhältnismäßig sein sowie von Gerichten kontrolliert werden können. Und: Ein Rechtsstaat soll immer auch ein „Gerechtigkeitsstaat“ sein.

In der DDR-Verfassung sah es zunächst ähnlich bürgerlich aus, mit Volks- und Länderkammer, Präsident und Regierung sowie unabhängiger Justiz. Allerdings sah die Verfassung bereits vor, Richter abzuberufen, ein Verfassungsgericht fehlte. In den fünfziger Jahren verschwanden die Länder, die höheren Behörden stärkten ihre Durchgriffsrechte. Aus der DDR wurde ein zentralistischer Einheitsstaat ohne Gewaltenteilung. Die sozialistische Doktrin fand sich jetzt in Verfassung und Gesetzen ebenso wie die Verpflichtung auf die SED. Das Parlament wurde entwertet, es gab nur ein „oberstes Gericht“. Rechtswege wurden verkürzt, Gerichtszweige zusammengelegt. Das Justizministerium behielt sich die Anleitung der Gerichte vor, Instrukteure überwachten die Rechtsauslegung. Vor allem aber erklärte Walter Ulbricht die Trennung von Staats- und Verwaltungsrecht zu einem „bürgerlichen Prinzip, das wir aufgeben sollten“. Den rechtsstaatlichen Tiefpunkt bildeten die tausendfachen maßlosen Verurteilungen wegen politischer Straftatbestände, die massenhafte Durchdringung der Gesellschaft mit Stasi-Spitzeln, die Enteignungen und die Todesschüsse an der Grenze.

Eine „Vereinigung von Menschen unter Rechtsgesetzen“, wie sie Kant vorschwebte, sieht anders aus. Dennoch gab es Gesetze, auch gute Gesetze, an die sich Justiz und Behörden hielten. Das Familienrecht war fortschrittlich, im Arbeitsrecht hatten Mutter- und Kündigungsschutz hohes Niveau, statt Verwaltungsklagen entwickelte sich ein durchaus leistungsfähiges Eingabewesen. Das DDR-Zivilgesetzbuch gilt bis heute als Musterbeispiel, wie man Gesetze so schreiben kann, dass Menschen sie verstehen. Man wird auch schwer behaupten können, „Unrecht“ sei das bestimmende Handlungsmotiv von Staat und Regierung gewesen. Sicher aber ging es auch nicht darum, eine „Herrschaft des Rechts“ zu verwirklichen. Insofern war die DDR ein Unrechtsstaat. Oder besser: Ein Nichtrechtsstaat.
Den Artikel vollständig lesen: http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Frag ... 93,2759046
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elysian
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Naja, unproblematisch ist dieser Artikel aber auch nicht.
Es ist aber wohl offensichtlich von einem Laien verfasst, also ist einiges nachzusehen.

Über die Lesequalität des DDR-Zivilrechtbuchs kann man vielleicht streiten, es hatte jedenfalls nicht die überragende intellektuelle Qualität des BGB. Dieses hat dafür sicherlich seine Schwachstellen in der Verständlichkeit. Vorbildhaft ist hier aber eher das Zivilrecht der Schweiz.

Aber einige wenige Sätze umreißen das Problem besonders deutlich:
Dennoch gab es Gesetze, auch gute Gesetze, an die sich Justiz und Behörden hielten.
....
Man wird auch schwer behaupten können, „Unrecht“ sei das bestimmende Handlungsmotiv von Staat und Regierung gewesen. Sicher aber ging es auch nicht darum, eine „Herrschaft des Rechts“ zu verwirklichen. Insofern war die DDR ein Unrechtsstaat. Oder besser: Ein Nichtrechtsstaat.
Dasselbe kann man mit Fug und Recht (leider!) auch über das Dritte Reich sagen. Auch dort war ein Dieb ein Dieb, etc.
Gleichwohl ist es (schwer erarbeiteter und bissig verteidigter) Konsens in unserer Gesellschaft, dass dieses Regime ein Unrechtsstaat war.
Warum man dies bei der DDR auf einmal anders sehen will, leuchtet mir nicht ein.
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elysian hat geschrieben:Naja, unproblematisch ist dieser Artikel aber auch nicht.
Es ist aber wohl offensichtlich von einem Laien verfasst, also ist einiges nachzusehen.

Über die Lesequalität des DDR-Zivilrechtbuchs kann man vielleicht streiten, es hatte jedenfalls nicht die überragende intellektuelle Qualität des BGB. Dieses hat dafür sicherlich seine Schwachstellen in der Verständlichkeit. Vorbildhaft ist hier aber eher das Zivilrecht der Schweiz.
Wobei im BGB auch noch Paragraphen stehen, die z. T. noch aus dem 19. Jh. stammen, die somit absolut nicht mehr zeitgemäß sind.
elysian hat geschrieben:Aber einige wenige Sätze umreißen das Problem besonders deutlich:
Dennoch gab es Gesetze, auch gute Gesetze, an die sich Justiz und Behörden hielten.
....
Man wird auch schwer behaupten können, „Unrecht“ sei das bestimmende Handlungsmotiv von Staat und Regierung gewesen. Sicher aber ging es auch nicht darum, eine „Herrschaft des Rechts“ zu verwirklichen. Insofern war die DDR ein Unrechtsstaat. Oder besser: Ein Nichtrechtsstaat.
Dasselbe kann man mit Fug und Recht (leider!) auch über das Dritte Reich sagen. Auch dort war ein Dieb ein Dieb, etc.
Gleichwohl ist es (schwer erarbeiteter und bissig verteidigter) Konsens in unserer Gesellschaft, dass dieses Regime ein Unrechtsstaat war.
Warum man dies bei der DDR auf einmal anders sehen will, leuchtet mir nicht ein.
Mir auch nicht.
Zwischen der DDR und dem NS-Reich gab es jedoch den gravierenden Unterschied, daß die Nazis ganze Gruppen innerhalb der Bevölkerung allein auf Grund ihrer Abstammung ausgrenzten und sogar zu "Volksfeinden" erklärten. Andererseits haben die Kommunisten die Mauer gebaut und haben damit gleich das gesamte Volk dahinter eingesperrt. Zum Staatsfeind wurde dann derjenige, der dagegen aufbegehrte.
:?

Aus diesem Grunde finde ich es immer etwas problematisch, diese beiden Regimes direkt zu vergleichen - da sie auf Grund ihrer sehr unterschiedlichen Ideologien auch unterschiedlich waren.
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Barbarossa
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"Natürlich war die DDR kein Rechtsstaat."
".aber manches war auch gut" - Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident verteidigt seine Sicht auf die Ost-Republik

Der Sozialdemokrat Erwin Sellering führt eine Koalition mit der CDU in Schwerin. Aber die Linkspartei wäre ihm als Partner genauso lieb, sagt er im Interview...
das Interview lesen: http://www.berlinonline.de/berliner-zei ... index.html
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elysian
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Barbarossa hat geschrieben: Wobei im BGB auch noch Paragraphen stehen, die z. T. noch aus dem 19. Jh. stammen, die somit absolut nicht mehr zeitgemäß sind.
Das ist mit Verlaub falsch.
Ein Paragraph ist nicht deswegen zeitgemäß, weil er vor zehn oder zehntausend Jahren eingang in das Gesetzbuch fand, sondern weil er für die zu lösenden Probleme eine angemessene Lösung bietet.
Man kann ganz moderne Probleme sogar mit römischen, antiken, 2000 Jahre alten Rechtssätzen lösen! Diese sind zeitlos und damit jederzeit zeitgemäß.
Davon abgesehen stammt das BGB nicht aus dem 19. Jh., sondern aus dem 20. Jh.; Du meintest wohl, einige Paragraphen seien im 19. Jh. entwickelt worden. ;)
Mir auch nicht.
Zwischen der DDR und dem NS-Reich gab es jedoch den gravierenden Unterschied, daß die Nazis ganze Gruppen innerhalb der Bevölkerung allein auf Grund ihrer Abstammung ausgrenzten und sogar zu "Volksfeinden" erklärten. Andererseits haben die Kommunisten die Mauer gebaut und haben damit gleich das gesamte Volk dahinter eingesperrt. Zum Staatsfeind wurde dann derjenige, der dagegen aufbegehrte.
:?

Aus diesem Grunde finde ich es immer etwas problematisch, diese beiden Regimes direkt zu vergleichen - da sie auf Grund ihrer sehr unterschiedlichen Ideologien auch unterschiedlich waren.
Die DDR hat diese Ausgrenzung nicht anhand der Abstammung, dafür aber anhand der politischen Gesinnung betrieben. Dies zwar nicht mit demselben mörderischen Impetus, mit der die Nazis gegen Ethnien oder die Russen unter Stalin gegen vermeintliche Klassen vorgegangen sind, aber nicht erst der Massenmord macht ein Unrechtsregime zu einem solchen!

Beide Regime vertreten gewisse Spielarten derselben Ideologie und verfügen über eine hinreichende Menge Gemeinsamkeiten.
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Barbarossa
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INTERVIEW:
Wahlkampf mit Geschichts-Floskeln
Der Historiker Ulrich Herbert über DDR-Debatten, die unaufgeregte Bundesrepublik und die Krise
Interview lesen: http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/ ... n-die.html
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Barbarossa
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Thierse heizt die DDR-Diskussion weiter an:
Thierse für faire Bewertung der DDR

Bundestagsvizepräsident: "Das System ist gescheitert, nicht die Menschen" / Biografien der Ostdeutschen angemessen beurteilen / Grundstein für Einheitsdenkmal nicht am 9. November
Frank Herold, Holger Schmale

BERLIN. Der stellvertretende Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat gefordert, die DDR nicht pauschal zu verdammen, sondern differenziert zu betrachten. Thierse sagte der Berliner Zeitung: "Der Umgang mit der DDR-Geschichte leidet daran, dass sie in den 90er-Jahren politisch und medial vermarktet worden ist als eine Skandalgeschichte von Feigheit und Verrat. Stasi war das Faszinosum. Das ist verständlich, aber darin geht die DDR-Geschichte nicht auf."

Es müsse unterschieden werden zwischen dem System namens DDR und den Menschen, die in diesem System gelebt haben. "Das Urteil über die DDR ist eindeutig: Sie war kein Rechtsstaat. Sie war eine Diktatur. Sie war ein System der Misswirtschaft, das deshalb am Schluss auch in sich zusammengebrochen ist", sagte der SPD-Politiker. "Das System ist gescheitert, aber die Menschen sind nicht gescheitert."...
weiter lesen: http://www.berlinonline.de/berliner-zei ... index.html


Interview:
"Das System ist gescheitert, nicht die Menschen"
Wolfgang Thierse über das Erbe der DDR, demokratischen Sozialismus und das Berliner Stadtschloss
Frank Herold, Holger Schmale

Im Jubiläumsjahr der friedlichen Umwälzung in der DDR ist der Streit um die Bewertung des verschwundenen Staates erneut heftig entbrannt. Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Bundestages, mahnt einen differenzierten Umgang mit der DDR-Geschichte an.
Interview lesen: http://www.berlinonline.de/berliner-zei ... index.html
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Interessant ist auch folgendes:
23.08.2010
Letzter Regierungschef
Lothar de Maizière – "DDR war kein Unrechtsstaat"

Der letzte DDR-Ministerpräsident hält die Vokabel "Unrechtsstaat" für unglücklich: "Auch in der DDR war Mord Mord und Diebstahl Diebstahl."

Der letzte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière (CDU), lehnt die Verwendung des Begriffs „Unrechtsstaat“ für die DDR ab. „Ich halte diese Vokabel für unglücklich“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“ anlässlich des 20. Jahrestags des Volkskammer-Beschlusses zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik.
„Die DDR war kein vollkommener Rechtsstaat. Aber sie war auch kein Unrechtsstaat. Der Begriff unterstellt, dass alles, was dort im Namen des Rechts geschehen ist, Unrecht war.“

Wenn die DDR ein Unrechtsstaat gewesen wäre, hätte im Einigungsvertrag nicht vereinbart werden können, dass Urteile aus DDR-Zeiten weiter vollstreckt werden können, sagte der CDU-Politiker...
weiter lesen: http://geschichte-wissen.de/go/lothardemaizierezuddr

Und genau das letzte hat mich nach 1990 so erzürnt, daß man in einem Rechtsstaat weiterhin nach Gesetzen urteilt, die in einer Diktatur erlassen wurden.
In meinem Buch, das in Kürze erscheinen wird, habe ich auch dazu etwas ausgearbeitet.
Hier die entsprechende Textstelle daraus:
Es gibt 20 Jahre nach der Friedlichen Revolution und der Vollendung der Deutschen Einheit recht heftige Diskussionen darum, ob die DDR nun ein Rechtsstaat oder ein Unrechtsstaat gewesen sei, mit dem Argument, es hätte zwar politische Gefangene gegeben, aber die normalen Zivilprozesse verliefen rechtsstaatlich. Zudem wird auch darauf verwiesen, den Begriff "Unrechtsstaat" gäbe es rechtswissenschaftlich bzw. völkerrechtlich gar nicht.
Die Frage dabei ist nur: Wie soll man einen Staat nennen, der eben kein Rechtsstaat ist?
Was einen Rechtsstaat auszeichnet, ist hingegen klar:
Es ist "ein Staat, der die Gewaltenteilung, die Unabhängigkeit der Gerichte, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Rechtsschutz gegen Akte öffentlicher Gewalt und eine öffentlich-rechtliche Entschädigung als unverzichtbare Institute anerkennt". Genau diese Bedingungen erfüllte die DDR aber eben nicht. Selbst Rechtsgeschichtler begehen bei der Beurteilung der Justiz in der DDR Fehler, denn:
"Der Rechtsgeschichtler Prof. Uwe Wesel stellte fest, dass das DDR-Recht bis auf den Umgang mit den politischen Gegnern nicht schlechter als in der Bundesrepublik war."

Diese Aussage des Herrn Wesel ist nicht haltbar:
Aus eigenem Erleben: Ich war mit meiner damaligen Schulklasse in den ´80er Jahren bei einer solchen "normalen" Gerichtsverhandlung als Zuschauer und habe gesehen, wie eine solche Gerichtsverhandlung in einem völlig normalen Zivilprozess ablief. Dabei stellte ich fest, daß eine sehr arrogante Richterin während der Aussagen des Angeklagten nicht nur strafrechtlich relevante Fragen stellte, sondern auch moralische Äußerungen von diesem abverlangte. Daß er etwas falsch gemacht hatte, als er unter Einfluß von Alkohol einen Unfall verursachte, wußte der Angeklagte natürlich selbst. Aus diesem Grunde verlief der Prozeß aus meiner Sicht nicht nach einem rechtsstaatlichen Muster. Daß die Prozesse häufig nach diesem Muster verliefen, habe ich einer Äußerung meiner damaligen Klassenleiterin entnommen, in der sie meinte, daß wir Schüler kein Mitleid mit dem Angeklagten zeigen sollten, auch wenn er etwas hart angegangen werden würde.

Daß es zu solchen Auswüchsen kam, lag im Rechtssystem der DDR selbst begründet:
Bereits die in der Verfassung der DDR festgeschriebene Staatsform als „Staat der Arbeiter und Bauern“ unter der Führung der SED und deren Ideologie zeigt auf, worauf alles in diesem Staat ausgerichtet war - so eben auch die Rechtsprechung. Auch kann man die meisten Richter und Anwälte schon aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der SED nicht als unabhängig bezeichnen. Selbst zivilrechtliche Gesetze, die auf den ersten Blick durchaus als nachvollziehbar erscheinen, konnten durch ein anderes Gesetz wieder hinfällig werden. Insbesondere ist hier eine Bestimmung im „Zivilgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 19. Juni 1975“, Erster Teil: „Grundsätze des sozialistischen Zivilrechts“, Viertes Kapitel, 2. Absatz zu nennen, wo es heißt:
„(2) Die Ausübung eines Rechts ist unzulässig, wenn damit den Rechtsvorschriften oder den Grundsätzen der sozialistischen Moral widersprechende Ziele verfolgt werden.“
Damit konnten im Grunde alle anderen Bestimmungen in diesem Gesetzbuch ad absurdum geführt werden.
Als weitere Beispiele für die eben nicht vorhandene Rechtsstaatlichkeit der DDR können auch mehrere Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch der DDR von 1968/74 herangezogen werden.
In § 42 heißt es z. B.:
„§ 42. Arbeitserziehung. (1) In den gesetzlich vorgesehenen Fällen kann auf Arbeitserziehung erkannt werden, wenn der Täter arbeitsfähig ist und auf Grund seines asozialen Verhaltens zur Arbeit erzogen werden muß. Die Arbeitserziehung beträgt mindestens ein Jahr und dauert so lange, bis der Erziehungserfolg eingetreten ist. Sie darf die Obergrenze der Freiheitsstrafe, neben der sie angedroht ist, nicht überschreiten. § 39 Absatz 5 gilt entsprechend.
(2) Das Gericht beschließt nach Ablauf von mindestens einem Jahr die Beendigung der Arbeitserziehung, wenn durch die Haltung des Verurteilten, insbesondere durch seine regelmäßige Arbeitsleistung und seine Disziplin, zu erkennen ist, daß der Erziehungserfolg eingetreten ist.“
Ebenfalls anzuführen ist hier der Zusammenrottungs-Paragraph:
„§ 217. Zusammenrottung. (1) Wer sich an einer die öffentliche Ordnung und Sicherheit beeinträchtigenden Ansammlung von Personen beteiligt und sie nicht unverzüglich nach Aufforderung durch die Sicherheitsorgane verläßt, wird mit Haftstrafe oder Geldstrafe bestraft.
(2) Wer eine Zusammenrottung organisiert oder anführt (Rädelsführer), wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.
(3) Der Versuch ist strafbar.“
Später wurde noch die Möglichkeit der Bewährung eingeführt, änderte aber nichts an der Strafbarkeit. Dieser Paragraph ließ sich sehr gut gegen eventuelle politische Protestaktionen anwenden, obwohl die spezielle Anwendung absichtlich nicht näher umschrieben wurde und daher auch gegen nicht politisch motivierte Ansammlungen von Personen - wie z. B. Punks - angewandt werden konnte.
Über die Entwicklung der Justiz in der DDR gibt es eine genaue Studie der hu-berlin, die auf der Internetseite http://s6.rewi.hu-berlin.de/online/fhi/ ... ollnau.htm nachzulesen ist.
Bekannt ist auch, dass es in der DDR eine hohe Anzahl von politischen Gefangenen gab. Auch hierzu gibt es eine statistische Erhebung auf der Seite:
http://hsr-trans.zhsf.uni-koeln.de/hsrr ... 98_470.pdf
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norvegia
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Also ich für meinen Teil, hatte nicht das Gefühl in einem Unrechtsstaat zu leben.
Und was den Mauerbau und den Staatssicherheitdienst angeht, dann war das ja der kalte Krieg, der dazu führte.
Einen Krieg führt man aber nicht allein, da gehören mindestens zwei dazu...
Ich bin Ossi und ich darf so reden. ;-)
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norvegia hat geschrieben:Also ich für meinen Teil, hatte nicht das Gefühl in einem Unrechtsstaat zu leben.
Du bist ja auch nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten, insbesondere politisch. Und darum geht es. Aber auch das Gerichtsverfahren, bei dem ich zusammen mit meiner damaligen Schulklasse war, kam mir zumindest teilweise wie ein Schauprozess vor.
norvegia hat geschrieben:Und was den Mauerbau und den Staatssicherheitdienst angeht, dann war das ja der kalte Krieg, der dazu führte.
Einen Krieg führt man aber nicht allein, da gehören mindestens zwei dazu...
Mauer und auch ganze Abteilungen der Staatssicherheit richteten sich gegen das eigene Volk, vor dem die Machthaber große Angst hatten. Mit dem sogenannten "Eisernen Vorhang" einsperren und dann noch einschüchtern, damit keiner den Mund zu weit aufmacht - das war die Politik der Kommunisten.
Ich werde meine Verachtung über sie Zeit meines Lebens nicht mehr ablegen.
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