Wer glaubte o. identifizierte sich 1989 noch mit d. DDR?

Leben, Wirtschaft, Stasi, Sozialismus, SED, Überwachung, Diktatur, Honecker, Kommunismus, Mauer

Moderator: Barbarossa

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Marek1964
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Eine interessante Frage, wer 1989 von den Bürgern der DDR noch an die Zukunft ihres Staates glaubten und wer sich noch mit ihm identifizierte.

Ausgangsfrage in diesem Thread:

http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... =15#p46866
Nemeth hat geschrieben:
Und doch frage ich mich immer wieder. Wo sind sie geblieben ? Die Mauerbauer, die Mauerschützen, die
Politniks, die Stasispitzel (davon 20.000 in der BRD ).Sie wollten doch mit ihrem Herzblut die DDR verteidigen.
Wer glaubte an diesen Staat, wer machte sich vielleicht Hoffnungen auf Reformen? Gab es Leute mit "Herzblut" oder nur noch Karrieristen, die Angst vor dem Verlust ihrer Privilegien hatten?
Zuletzt geändert von Marek1964 am 11.11.2014, 15:13, insgesamt 2-mal geändert.
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Triton
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Als "Wessi" kann ich diese Frage sicher schlecht zutreffend beantworten. Mein Eindruck von außen und bei einer Schülerreise war, dass sich der Normal-Ossi mit dem Regime arrangiert hatte und eben Dienst nach Vorschrift machte. Wirklich identifiziert hatten sich wohl die allerwenigsten mit der Honecker-DDR, selbst in den Reihen der Partei und StaSi nicht, dort schätzte man nur die Privillegien. Der Mensch vergleicht sich mit seiner Umwelt und wenn es ihm besser geht als anderen, ist er zufrieden.

Man darf bei Rote-Socken-Kampagnen und Generalverdacht für alle "Linken" nicht vergessen: Die SED-Betonköpfe konnten mit der PDS Gregor Gysis wenig anfangen, im Gegenteil, ein Modrow wurde geradezu verhöhnt.

So seltsam das klingen mag, aber vielleicht waren die wirklich Oppositionellen wie Bärbel Bohley diejenigen, die am meisten an der DDR hingen, wenn man mit DDR die Idee eines nicht-kapitalistischen Deutschland meint.
"Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, in dem man sie ignoriert." (Aldous Huxley)
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Nemeth
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Lieber Marek !
Mit diesem Thema hast Du etwas angeschnitten, was sofortgeführt werden kann wie eine unendliche Geschichte.
Die DDR hatte bekanntlich ca.17,5 Millionen Einwohner.
Das heißt 17,5 Millionen Schicksale, die der anmaßenden, allein selig machenden Politik der SED mehr oder minder ausgeliefert waren.
In jeder Gesellschaft gibt es die "Staatsstützen", nur mit dem Unterschied, daß in der DDR diese Stützen absolut
linientreu d.h. Genossen sein mussten.
Parteilose oder Mitglieder von Blockparteien kamen in ihrer beruflichen Entwicklung an gewisse Grenzen.
Natürlich gab es auch Vorzeigepersonen, die keine Parteigenossen waren.
Viele der über 2 Millionen Genossen zweifelten am System, konnten sich nicht entscheiden die SED zu verlassen, das wäre der berufliche Abstieg in Schnelldurchlauf gewesen.
Der große Teil der Bevölkerung war mehr oder minder loyal dem Staat gegenüber. Kritiken wurden unter 4 Augen geführt.
Einem großen Teil der Bevölkerung gingen erst die Augen auf mit der Flucht über Ungarn.
Als dann noch E.H. unseligen Angedenkens verlautbarte:"Wir weinen ihnen keine Träne nach".
Ja , wo lebten wir denn ? Es war unsere Jugend, es war unsere Zukunft , die das Land verließ.
Dieser Riß ging quer durch die Familien, bei der Flucht waren auch Kinder von führenden Genossen dabei.

Später dann ---Kohl in Dresden--- war der 3. Weg eine Illusion, gegen die D-Mark gab es kein politisches Anrennen.

Ein Transparent sagte es:"Kommt die D-Mark bleiben wir, kommt sie nicht,gehn wir zu ihr"
Wer zur Quelle will, muss gegen den Strom schwimmen
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Marek1964
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Nemeth hat geschrieben:Lieber Marek !
Mit diesem Thema hast Du etwas angeschnitten, was sofortgeführt werden kann wie eine unendliche Geschichte.
Die DDR hatte bekanntlich ca.17,5 Millionen Einwohner.
Ja, eine wissenschaftliche Arbeit wird hier nicht erwartet, auch keine repräsentative Umfrage im nachhinein. Eher ein Eindruck der Stimmung.

Ich war ja damals Exiltschechoslowake, der in der Schweiz lebte. Danach sprach ich mit vielen, mittlerweile gibt es ja viele Literatur dazu.

Die Führung der KPČS war damals schon weitgehend diskreditiert. Es glaubte niemand mehr daran, der letzte KPČS Chef, Miloš Jakeš, war von beängstigend schlechtem niveau, verglichen mit ihm war selbst Honecker ein Staatsmann von Format.

Man wollte vor allem keine der vielen Floskeln und Phrasen, Transparente und sonstige Propanda mehr hören.
http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... =75&t=4337 ein Thread zu Floskeln und Phrasen des Sozialismus.

Zuletzt war das Regime auch nicht mehr so konsequent, "konstruktive" Kritik war erlaubt, Radio Free Europe wurde nicht mehr gestört.

Trotzdem sah es lange so aus, dass sich das Regime halten würde, und auch die ersten Tage nach dem Mauerfall war ich auch noch skeptisch, kann mich noch erinnern, dass ich mit einer deutschen Studienkollegin, keiner geringeren als der Tochter der damaligen Bundestagspräsidentin, darüber sprach, dass "Ihr es gut habt", aber bei "uns" nichts los war...

Keine Woche später ging es los. Aber davon an anderer Stelle in den nächsten Tagen mehr.
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Barbarossa
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Marek1964 hat geschrieben:Eine interessante Frage, wer 1989 von den Bürgern der DDR noch an die Zukunft ihres Staates glaubten und wer sich noch mit ihm identifizierte.

Ausgangsfrage in diesem Thread:

http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... =15#p46866
Nemeth hat geschrieben:
Und doch frage ich mich immer wieder. Wo sind sie geblieben ? Die Mauerbauer, die Mauerschützen, die
Politniks, die Stasispitzel (davon 20.000 in der BRD ).Sie wollten doch mit ihrem Herzblut die DDR verteidigen.
Wer glaubte an diesen Staat, wer machte sich vielleicht Hoffnungen auf Reformen? Gab es Leute mit "Herzblut" oder nur noch Karrieristen, die Angst vor dem Verlust ihrer Privilegien hatten?
Das war eigentlich bei der einzigen demokratischen Volkskammerwahl am 18. März 1990 leicht zu erkennen. Es waren 16,33 %, die für die PDS gestimmt haben, die also den Sozialismus oder zumindest die DDR behalten wollten.
Zusätzlich gab es noch 2,9 % für das Bündnis90, dem Zusammenschluss der meisten Bürgerrechtsgruppen, die sich eine demokratische DDR wünschten.

Über 80 % der Bürger wollten demnach die deutsche Einheit.
Hier das endgültige Wahlergebnis: https://www.wahlrecht.de/ergebnisse/vol ... l-1990.htm
Die Diskussion ist eröffnet!

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dieter
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Ihr Lieben,
meine Verwandtschaft in der DDR war gegen das Regime eingestellt, sogar mein Onkel, der beim Rundfunk in Leipzig beschäftigt war. Nur um dort beschäftigt zu sein, mußte er in die SED. Ein andere Verwandter war selbständig mit einem LKW und einem LKW zum Ausschlachten, da es sehr schwer Ersatzteile gab. Er fuhr Milch für die LPG und ein Volksgut.
Ich war überrascht, dass die PDS in Ostberlin bei der ersten Gesamtdeutschen Wahl vier Direktmandate in Ostberlin erringen konnte. Die Linke ist zuletzt in Thüringen mit mehr als 28% gewählt worden. :roll:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Spartaner
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Die DDR war von vorn herein nur ein künstliches Gebilde. In der Nachkriegszeit als Retortenbaby der Sowjetunion als Konstrukt der nachkriegsordnung geboren. Es ging doch in Wirklichkeit nicht um die DDR, denn viele haben sich in der DDR, als Deutsche gefühlt und nicht als DDR -Bürger. Es ging doch in Wirklichkeit nur um das Experiment Sozialismus und ob der überlebensfähig war. Mit der damlaigen Führung und den SED - Bonzen war das Experiment von vorn herein zum scheitern verurteilt.
Cherusker
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dieter hat geschrieben:Ihr Lieben,

Ich war überrascht, dass die PDS in Ostberlin bei der ersten Gesamtdeutschen Wahl vier Direktmandate in Ostberlin erringen konnte.
Warum überrascht? In Ost-Berlin wohnten doch die ganzen Funktionäre der SED. :mrgreen: Dort hatten sie sich zusammengerottet. Nirgendswo anders hatte die SED so einen Zuspruch.
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dieter
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Cherusker hat geschrieben:
dieter hat geschrieben:Ihr Lieben,

Ich war überrascht, dass die PDS in Ostberlin bei der ersten Gesamtdeutschen Wahl vier Direktmandate in Ostberlin erringen konnte.
Warum überrascht? In Ost-Berlin wohnten doch die ganzen Funktionäre der SED. :mrgreen: Dort hatten sie sich zusammengerottet. Nirgendswo anders hatte die SED so einen Zuspruch.
Lieber Cherusker,
das können nicht nur die Funktionäre gewesen sein, es müssen hunderttausende von Stimmen gewesen sein. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Spartaner
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dieter hat geschrieben:
Cherusker hat geschrieben:
dieter hat geschrieben:Ihr Lieben,

Ich war überrascht, dass die PDS in Ostberlin bei der ersten Gesamtdeutschen Wahl vier Direktmandate in Ostberlin erringen konnte.
Warum überrascht? In Ost-Berlin wohnten doch die ganzen Funktionäre der SED. :mrgreen: Dort hatten sie sich zusammengerottet. Nirgendswo anders hatte die SED so einen Zuspruch.
Lieber Cherusker,
das können nicht nur die Funktionäre gewesen sein, es müssen hunderttausende von Stimmen gewesen sein. :wink:
Lieber Dieter,
das ist auch nicht verwunderlich, dass das 100000 Stimmen gewesen sind. Brandenburg ist schon seit je her stark mit Berlin verbunden und zur DDR -Zeit wurde eine regelrechte Berlin -Politik betrieben. Alles wurde in Berlin zur DDR -Zeit investiert und gebaut, während z. B. in Sachsen die Städte verfielen. z. B. Leipzig .
Deshalb haben auch nach der Wende viele Sachsen die CDU gewählt mit der Hoffnung, dass es besser würde und diese Wahltradition hält noch bis in die heutige Zeit an . Bekanntlch wählen auch die Kinder mehrheitlich das was die Eltern gewählt hatten bzw. lassen sich auch davon beeinflussen - quasi Wahlverhalten verebt sich .
Im übrigen wird diese Berlin-Politik auch noch heutzutage noch durch Politiker manifestiert, um Wählerstimmen zu gewinnen, indem man Unsummen investiert. In Berlin ist ein neues Kunstmuseeum neben der Nationalgalerie geplant, was mal dem Steuerzahler schlappe 200 Millionen kosten soll.
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dieter
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Schon klar lieber Spartaner. Aber was ist mit Leipzig, da wurde doch mindestens zur Messezeit etwas hereingesteckt. Mit den zerfallenen Häusern hast Du recht, mein Onkel SED Mitglied ist 1988 nicht zur Wahl gegangen, weil es in dem Mietshaus wo er wohnte ständig reingeregnet hatte. Er wurde dann strafversetzt und mußte überall in der Republik als Techniker die maroden Funkanlagen reparieren :roll: .
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Lia

Kann ich als Wessi so nicht beantworten, habe allerdings nur wenige DDR-Bürger getroffen, die privatim systemtreu waren- und wenn, dann waren es Kader-Leute. Andere wollten eine " andere DDR", demokratisch, aber doch anders als die BRD.
(In Polen identifizierte sich schon lange niemand mehr mit dem System, mit der Land, der Nation umso mehr- gab eben auch keine zwei polnischen Staaten.)
Ich meine, dass bei vielen DDR- Bürgern nach der Wiedervereinigung rückwirkend eine Identifikation einsetzte, nicht mit dem Unterdrücker- System an sich, aber mit vielem " was besser" war (oder bequemer) in der ehemaligen DDR.
Spartaner
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Lia hat geschrieben:Kann ich als Wessi so nicht beantworten, habe allerdings nur wenige DDR-Bürger getroffen, die privatim systemtreu waren- und wenn, dann waren es Kader-Leute. Andere wollten eine " andere DDR", demokratisch, aber doch anders als die BRD.
(In Polen identifizierte sich schon lange niemand mehr mit dem System, mit der Land, der Nation umso mehr- gab eben auch keine zwei polnischen Staaten.)
Ich meine, dass bei vielen DDR- Bürgern nach der Wiedervereinigung rückwirkend eine Identifikation einsetzte, nicht mit dem Unterdrücker- System an sich, aber mit vielem " was besser" war (oder bequemer) in der ehemaligen DDR.
Liebe Lia,
genauso ist es.
dieter hat geschrieben:Schon klar lieber Spartaner. Aber was ist mit Leipzig, da wurde doch mindestens zur Messezeit etwas hereingesteckt. Mit den zerfallenen Häusern hast Du recht, mein Onkel SED Mitglied ist 1988 nicht zur Wahl gegangen, weil es in dem Mietshaus wo er wohnte ständig reingeregnet hatte. Er wurde dann strafversetzt und mußte überall in der Republik als Techniker die maroden Funkanlagen reparieren :roll: .
Als ich in Leipzig bei der NVA gedient hatte und das war über die Wendezeit habe ich mir während eines Ausganges, die Zeit genommen mal in Leipzig rumzuspazieren. Ich sah viele abgewrackte Häuser, teilwiese ihre Fensterscheiben russgeschwärtzt von den nahen Rauchschwaden von Bitterfeld und den vielen Kohleheizungen in der Stadt. Der Putz bröckelte an jedem Gebäude. Doch es gab viele alte Aufschriften von Gaststätten auch welche die vor 1945 existiert hatten. Bei einigen Gebäuden hatte man regelrecht den Eindruck, als wollten sie mir ihre Geschichte erzählen und man konnte sich in eine ferne Zeit zurücversetzen. Auf einem Gebäude stand die verwaschene Aufschrift Hotel Stadt Prag auf einem anderen Gebäude in einem Stadtteil von Leipzig-Anger war noch die Aufschrift "Drei Mohren" zu erkennen.
Leider hatte ich damals mein Fotoapparat nicht bei und ich konnte vieles nicht fotografieren.
Cherusker
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"Nach 40 Jahren Bundesrepublik sollte man eine neue Generation nicht über die Chancen einer Wiedervereinigung belügen. Es gibt sie nicht." (Gerhard Schröder in der Bild vom 21.6.1989)

1985 hatte dieser Herr auch über Honecker gesagt: "Das ist ein zutiefst redlicher Mann" (Vorwärts, 21.12.1985). :crazy:

Na ja, seine Biograhie hat er sich auch vom Maschmeyer bezahlen lassen.... :mrgreen:
Renegat
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Naja, Cherusker, was wußte man allgemein in der BRD 1985 von DDR-Politikern, warum sollte Schröder da mehr Durchblick gehabt haben? War er damals nicht noch Juso, das ist 30 Jahre her?
Im Frühsommer 89 entsprach das Zitat der allgemeinen Auffassung in der BRD, das hatten wir schon hier im Thread. Im Grundgesetz und bei Sonntagsreden mag was anderes verkündet worden sein, geglaubt hat das in der BRD aber kaum einer. Schröder hat einfach nur Klartext gesprochen. Damals kannte er den Maschmeyer noch gar nicht und es müssen noch viele Jahre vergangen sein, bis sie sich kennenlernten.
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