Gedanken zur Deutschen Einheit - warum so, wie sie war

Leben, Wirtschaft, Stasi, Sozialismus, SED, Überwachung, Diktatur, Honecker, Kommunismus, Mauer

Moderator: Barbarossa

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dieter
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Triton hat geschrieben:
Nemeth hat geschrieben:Natürlich hat die Deutsche Einheit viel gekostet, war sie uns das nicht wert ?
Die Einheit ist für mich unbezahlbar, sie hätte auch erfolgen müssen, wäre die DDR noch viel maroder gewesen.
Darum geht es gar nicht.
Es geht darum, ob die Wirtschaft der DDR plattgemacht werden musste oder nicht. Es gibt durchaus positive Beispiele wie Zeiss, die sich gesundschrumpfen konnten.
Es war der größte Fehler Helmut Kohls, den Menschen (im Westen) vorzugaukeln, sie wäre für lau zu haben. Gerade in den Monaten des Mauerfalls hätte er die Euphorie ausnützen müssen und notwendige Steuererhöhungen explizit für die Einheit beschließen müssen. Das hätte ihn vielleicht ein paar Prozent Wählerstimmen gekostet, aber so what?
Nemeth hat geschrieben:Können wir darauf nicht stolz sein ? Wir sollten es aber.
Ich als Wessi habe NICHTS zur Einheit beigetragen. Wenn jemand stolz sein kann, dann nur die Demonstranten in der ehemaligen DDR. Für mich das größte Wunder, dass niemand sich an der Stasi vergriffen hat, die ein ganzes Volk jahrzehntelang gepiesackt und schikaniert hat.
Lieber Nemeth,
auch ich finde die Deutsche Einheit als ein Wunder, vor allem dass keiner die Nerven verloren hat und kein Schuß fiel. Bin kein frommer Mensch, aber ich kann mich des Verdachts nicht erwehren, dass Gott, wenn es ihn gibt, hier seine Hand im Spiel gehabt hat. :D
Ich habe nur einen bescheidenen Beitrag dazu geleistet, mit jedem Monat ein Paket geschickt und meine Verwandten besucht und damit versucht die Einheit der Nation aufrecht zu erhalten. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Lia

Heißt hier Gedanken. Gedanken und Erleben von Wessis nach dem Fall der Mauer:
Mauerfall: Freude, Freude, und irgendwann kamen die ersten Fragen. Nicht gerade in ungebildeten und historisch depperten Kreisen unterwegs, glaubte zunächst wirklich niemand recht an die Möglichkeit der Wiedervereinigung- und teilweise sah man die auch nicht so wirklich als zwingend erforderlich an, zu lange hatten alle, auch die älteren, in und mit der Bonner Republik gelebt, sich in ihr engagiert, auch hier war so manches zu reformieren und das Demokratie-Verständniszu erweitern gewesen, mit ihr einigermaßen identifiziert, als dass noch die Einheit der Nation so wichtig gewesen wäre. Die Freiheit aller Deutschen dagegen wohl, und die meisten in meiner Umgebung hätten es verstanden, wenn sich die Bürger der DDR anders entschieden hätten- oder nur ihre Vorstellungen von einem vereinten Deutschland und der Integration der ex-DDR vehement mit eingebracht hätten.
So mancher von uns erlebte bei Fahrten " nach drüben" durchaus eine Fremdheit, auf beiden Seiten, sozusagen kulturelle Missverständnisse.
Denkwürdig die erste Fahrt nach Wismar: Strenge Grenzkontrolle seitens der DDR, zum erstenmal überhaupt zwischen Spanien und Dänemark verlangte man nach dem Impfpass meines Hundes, der wohlweislich in der Jackentasche steckte, und als der Grenzer mit den korrekten Eintragungen nix anfangen konnte, wurde es kurzfristig ein wenig rau, bis ein Vorgesetzter kam und uns durchwinkte.
Nach dem Abklingen der ersten Euphorie tat sich auf, wie doch die Wege und Prägungen verschieden gewesen waren.
Stereotypen sind nicht mein Ding, aber ganz unproblematisch war das Auftreten so mancher noch DDR-Bürger nicht, so wenig wie ihnen manche West-Selbstverständlichkeit im Osten nicht gefallen haben mag.
In den Monaten vom Mauerfall bis zur Vereinigung war auf beiden Seiten, als der Alltag einkehrte, nicht alles mehr trunkene Freude- die ersten " Verständigungsprobleme" tauchten auf, und daran waren nicht immer nur die Wessis schuld.

Weihnachten 1989:
bin ich in Duisburg bei Muttern und Familie. Hatte ja nun die offene Grenze hautnah erlebt und erlebte sie täglich. Sagt meine Schwester ganz stolz: Bei uns steht ein Trabi in der Straße!"
Ich völlig verständnislos: " Wie, nur einer?"
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Gontscharow
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So richtig kennen gelernt haben Ost- und Westdeutsche sich erst nach dem Fall der Mauer.
Natürlich gab es eine gewisse Fremdheit und jede Menge Mißverständnisse.
Ich war einige Male in der DDR, als es sie noch gab, allerdings waren das immer Tagestouren von West-Berlin aus.
Für mich war es sehr interessant dort, und nicht weniges hat mir auch gefallen. Z.B. die noch erhaltenen Alleen,
die im Westen alle abgeholzt worden sind. Die Landschaften allgemein, die ursprünglicher waren und auch der Aussehen
von Dörfern und Städten...wobei ich jetzt natürlich nicht den Verfall meine, sondern das Fehlen von Umgehungsstraßen,
Einkaufszentren mit Riesenparkplätzen davor, allgegenwärtiger Verschandelung des Stadtbildes durch Werbung
und viele andere westliche Unsitten mehr.
Ich habe eigentlich seit dem Frühjahr/Sommer 1989 auf die Wiedervereinigung gewartet und war davon überzeugt, daß
sie vor der Tür steht , woraufhin mir die meisten widersprachen und allerlei Bedenken und Umstände vortrugen, warum
das nicht passieren würde.
Ebenfalls sehr klar habe ich Träumereien in der Phase der Wiedervereinigung, daß man die guten Seiten der DDR ins
wiedervereinte D retten sollte und müßte, als solche erkannt.Es war mir glasklar , daß unser bundesrepublikanisches
System mit allen Vor- und Nachteilen in der nun ehemaligen DDR kopiert werden würde.Und daß alles - abgesehen von landsmannschaftlichen Eigenheiten - so werden würde wie im Westen.
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dieter
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Lieber Gontscharow,
dass mit den Alleen war mir bei meiner Fahrt durch Thüringen auch aufgefallen, ich fand die Straßen mit Bäumen schöner, als bei uns die ohne Bäume. Vernünftige Wegweiser zur Wartburg fehlten völlig. Es war klar, dass von der DDR nur das Ampelmännchen, der Pfeil nach rechts und das Sandmännchen übrig bleiben würde. :wink: :mrgreen:
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Nemeth
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dieter hat geschrieben:Lieber Gontscharow,
dass mit den Alleen war mir bei meiner Fahrt durch Thüringen auch aufgefallen, ich fand die Straßen mit Bäumen schöner, als bei uns die ohne Bäume. Vernünftige Wegweiser zur Wartburg fehlten völlig. Es war klar, dass von der DDR nur das Ampelmännchen, der Pfeil nach rechts und das Sandmännchen übrig bleiben würde. :wink: :mrgreen:
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Widerspruch Euer Ehren!
Dem ist nicht so. An der Abschaffung dieser zwei "Relikte" wurde fleißig gearbeitet.
Der grüne Pfeil wurde in den USA erfunden, der "West"Sandmann war nicht besonders sehenswert und von den Kindern mehr als nur belächelt.
Natürlich gab es eine Fremdheit zwischen den Menschen beider Staaten.
Der Konsumterror der Marktwirtschaft war noch nicht angekommen, die gegenseitige Hilfe war noch sehr ausgeprägt. Sie war lebensnotwendig.
Jeder freute sich noch über eine größere Anschaffung des Nachbarn.
Das Wort und der Handschlag unter Freunden war ein hohes Gut.
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Orianne
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....Aber immerhin blieb doch das Sandmännchen :)
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Nemeth
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und auch der grüne Pfeil (Dank seiner Herkunft )
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Lia

Der grüne Pfeil hielt sich nur in meiner Umgebung nicht lange, gab eine Bürgerbewegung dagegen.
Gontscharow hat geschrieben:Ebenfalls sehr klar habe ich Träumereien in der Phase der Wiedervereinigung, daß man die guten Seiten der DDR ins wiedervereinte D retten sollte und müßte, als solche erkannt.
Das ging uns ähnlich, Beispiel Kindertagesstätten etc. Manches, was sich als DDR-Typisch herausstellte, wollte ich denn aber doch nicht 1:1 haben. Die selbstverständliche Berufstätigkeit der Frau: Ja. Aber das extreme Macho-Gehabe der Kerls umgekehrt- Nein!
Da waren viele unsere Männer dann doch schon emanzipierter. :P
In Grenznähe bekam man sicherlich noch einiges mehr mit, was in den Jahren nach der Vereinigung durchaus mal zu bösem Blut führen konnte. Die Lübecker könnten Strophen davon singen, dass sie nicht nur vom Verschwinden der Grenze profitiert haben, dass es ab 1990 Forderungen und Anspruchsdenken von "drüben" gab, die wirklich frech waren und für Unmut sorgten
Zielich schwierig gelegentlich, Ostdeutschen klar zu machen, dass es im Westen auch nicht von heute auf morgen ging, in grauen, dreckigen Industriestädten zu sanieren und Hausfassaden zu restaurieren und zu bemalen, dass auch der Westen und mal gar das Ruhrgebiet, durch bittere Krisen gegangen war und gehen musste.
Und verdutzt waren einige dann schon sehr, wenn man erklärte, dass Teile der Freiheit auch hier erstmal erkämpft werden mussten.
Nicht so dramatisch wie drüben, aber man musste schon gelegentlich persönliche Nachteile einstecken, wenn man protestierte.
(Übrigens nicht nur von den Konservativen, auch die SPD-Anhänger, auch und gerade aus der Arbeiterschaft, waren in den 50er/60er bis in die 70er in vieler Hinsicht erzkonservative Law- and order-Spießer.)
Gontscharow hat geschrieben:sondern das Fehlen von Umgehungsstraßen.
Einkaufszentren mit Riesenparkplätzen davor,
Umgehungen brauchte man ja auch nicht dringend, was es heißt, im Westen in einem Dorf ohne verschandelnde Umgehungsstraße zu leben, weiß ich allerdings- und nicht zum Guten- auch nicht für die erhaltene Bebauung. :)
Die Landschaften allgemein, die ursprünglicher waren
Auf den ersten Blick vielleicht, was man in M-V zu LPG- Zeiten teilweise verbrochen hatte, wäre in S-H nicht schon lange nicht mehr möglich gewesen. Mal abgeshen davon, dass der Grenzraum Ost ja entsiedelt war.
Eine der ersten Touren via Mölln ins Nachbarland: Große Werbung an einem Hof: Frische Eier vom Land, man sah auch das ein oder andere Huhn herumlaufen. Aha, keine Eier aus Legebatterie!
Hätte ich nur nicht mal ums Eck geschaut- dort stand ein holländischer Eier-LKW,der gerade entladen wurde. :mrgreen:
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dieter
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Orianne hat geschrieben:....Aber immerhin blieb doch das Sandmännchen :)
Liebe Orianne,
habe ich auch gesehen, als ich noch in Kassel wohnte, wir konnten dort das DDR-Fernsehen verfolgen, fand ich immer niedlich. Auch Montags die Filme waren gut. :)
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Nemeth
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--------------warum so, wie sie war ....?
Das gesamte Ausmass wird wohl niemand, der heute Lebenden Deutschen , je verstehen können.
Ein System, das sich so in Beton und Stacheldraht eingeigelt hat, zum Wanken zu bringen, ist eine Sache, die man kaum in Worte fassen kann.
War es, wie unser User Dieter schreibt sinngemäß: Höhere Gewalt, Gottes Fügung oder wen hatte er auserkoren seinen Willen auszuführen. War es Gorbatschow, der Papst, Lech Walesa, die Charta 77, die Botschaftsbesetzer, die "Wahlfälscher" und....
Wir werden es wohl nie erfahren.
Denken wir auch daran, daß unter dem Dach der Kirchen, die Opposition Schutz fand.

Ein Zitat von Stasi-Mielke ."Auf Alles waren wir vorbereitet, doch auf Gebete und Kerzen nicht"
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Orianne
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Nemeth hat geschrieben:
Ein Zitat von Stasi-Mielke ."Auf Alles waren wir vorbereitet, doch auf Gebete und Kerzen nicht"
Das ist interessant, es würde eine Theorie von mir erklären.
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Nemeth hat geschrieben:Ein Zitat von Stasi-Mielke ."Auf Alles waren wir vorbereitet, doch auf Gebete und Kerzen nicht"
Böse Ironie:
Waren wir Westdeutschen auch nicht. Ich glaube, Euer Mut brachte uns so ziemlich ins Wanken, man rieb sich die Augen. Wagte an mögliche Folgen nicht zu denken. Und an eine nicht zu glauben.
Alle, auch diejenigen, die Demos im freiheitlichen Westen immer noch mehr als Störung der öffentlichen Ordnung ansahen denn als demokratisches Grundrecht, waren ziemlich überrascht.
Der Blick, das Miterleben von außen, aus Frankreich, brachte für mich persönlich noch eine andere Note hinein. Die gar nicht mal so abwegige Frage aus französischer Sicht, warum denn in Deutschland West nicht soldidarisch mit demonstriert wurde.
Anderen war vielleicht klar, welches Risiko Ihr eingegangen seid, Brokdorf und der Hamburger Kessel waren im Gedächtnis.
( Wobei ich die Anti-AKW Demos in Brokdorf 1981 und Kalkar dazu durchaus differenziert sehe, das wäre mal ein anderer Aspekt der West-Republik).
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dieter
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Orianne hat geschrieben:
Nemeth hat geschrieben:
Ein Zitat von Stasi-Mielke ."Auf Alles waren wir vorbereitet, doch auf Gebete und Kerzen nicht"
Das ist interessant, es würde eine Theorie von mir erklären.
Liebe Orianne,
das war eben festes Christentum. Die Ev. Kirche hat ein gerüttelt Maß zu dem Gelingen der Friedlichen Revolution beigetragen, indem sie Stützpunkt der Bürgerrechtler war. Ich erinnere nur an die Nikolaikirche und zwei weiteren ev. Kirchen, von dem die Montagsdemonstrationen in Leipzig ausgegangen sind. :wink:
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Orianne
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Was ich mich frage, die Stasi hatte doch überall ihre Spitzel, warum sind die Kirchen nicht aufgeflogen?
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Orianne hat geschrieben:Was ich mich frage, die Stasi hatte doch überall ihre Spitzel, warum sind die Kirchen nicht aufgeflogen?
Liebe Orianne,
natürlich waren auch Stasispitzel in der Ev. Kirche. Der erste MP von Brandenburg soll Spitzel gewesen sein.
Da der Protestantismus in Ostdeutschland maßgebend war, außer Berlin haben alle ostdeutsche Bundesländer den Reformationstag als Feiertag. Vielleicht wollten die Kommunisten für die Bevölkerung ein Ventil haben. :wink:
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