Verantwortung in einem totalitären Staat

Leben, Wirtschaft, Stasi, Sozialismus, SED, Überwachung, Diktatur, Honecker, Kommunismus, Mauer

Moderator: Barbarossa

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dieter
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Lieber Barbarossa,
ich will Dir nun noch ein paar Dinge berichten, das es auch in unserem System nicht einfach war hochzukommen. In meiner Mittelschule lehrten nur ehemalige Nazis oder ehemalige Offiziere oder beides. Unser Mathelehrer leugnete den Holocaust, "weil das ein deutscher Soldat nicht machte". Der Lehrer für Geschichte, den wir eine Zeit hatten, wurde von uns "zu Sauhügel" genannt, das Adelsgeschlecht ist noch in Hessen anwesend, erzählte uns, dass er bei der Bekämpfung der Münchner Räterepublik, einen der sich ergeben wollte, zurück in den Keller gestoßen hatte und eine Handgranate in den Keller geworfen hat. :evil: Beim Sport ließ er die Klasse in Dreierreihen antreten, um das Schulhaus marschieren und sie mußten singen, "das Wandern ist des Müllers Lust". :wink: :mrgreen:
Ein Mathelehrer verpasste mir in Algebra eine Sechs, weil ich einen Satz nicht aufsagen konnte, weil ich das Algebrabuch nicht hatte, weil es das trotz Lehrmittelfreiheit in Hessen nicht gab. Ich beschwerte mich beim Rektor über ihn und er mußte die Sechs zurücknehmen. Er schikanierte mich und ich hatte Glück, dass er unsere Schule verließ und an eine deutsche Schule nach Spanien ging.
Von 54 Schülern,die wir Anfangs waren erreichten 14 die Mittlere Reife, der Rest wurde mit abgebrochenen Gymnasiasten aufgefüllt, so dass wir die Stärke von 32 Schülern erreichten.
Mein Fazit: Wir hatten enorm zu kämpfen, wobei die ehemaligen Nazis uns als Deutsche akzeptierten, die Offiziere fanden es unter ihrer Würde die Kinder von kleinen Angestellten und Arbeitern zu unterrichten und bedauerten es sehr, dass es in Hessen kein Schulgeld gab. Die Schule ist nur ein Beispiel, wo man zu kämpfen hatte. Sicherlich wäre ich bei Euch in Bautzen gelandet. Bei der Einreise in die DDR glaubten die Zöllner, dass ich Ostgeld dabei hatte, das war aber nicht der Fall. Ein Wort gab das andere und sie drohten mir an, mich zurückzuschicken. :roll:
Das ist nur ein Teil meiner Erlebnisse.Ich hatte und habe mein ganzes Leben an zu Kämpfen und werde das solange tun, wie ich kann. :wink:
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Barbarossa
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Ja ok, das sind nun persönliche "Neckigkeiten" von bestimmten Lehrern, die es bei uns ebenfalls noch gab. So z. B. unser Klassenleiter, bei dem wir auch Mathe und Sport hatten. Als er eine personliche Tiefphase hatte - seine Scheidung lief, da fand er immer einen Grund (allerdings waren wir auch keine Engel :mrgreen: ), um im Unterricht die ganze Klasse zusammenzuschreien. Aber das war ja nicht einmal das schlimmste. Ich geb dir mal ein paar Beispiele, die ich selbst miterlebt hab (die allerdings Bekannte betrafen):

1.) Im Geschichtsunterricht, als es um die Nazizeit ging, da meinte ein Klassenkamerad von mir im Unterricht, die Russen hätten ja die KZs dann weiterbetrieben - auch für mich selbst damals eine tatsächlich unfassbare Behauptung. Der Lehrer bekam danach sofort ein ganz rotes Gesicht und brüllte dann: "Pass ja auf, was du sagst, sonst kommst du nach Bautzen!" Und dies drohte er ihm im Unterricht vor der ganzen Klasse! Das Thema war also ein absolutes politisches Tabu.
1989/90 wurden dann die Fakten bekannt und tatsächlich, was mir selbst noch 5 Jahre davor unglaublich schien: Die Russen haben die KZs der Nazis tatsächlich bis 1950/51 als sogenannte "Speziallager" weitergeführt. Es war also eine historische Tatsache!

2.) Ebenfalls in meiner Schule hat sich irgendjemand einfallen lassen, ohne Genehmigung von einem Lehrer oder der Schulleitung eine Zettel hinzuhängen um zu einer Unterschriftensammlung aufzurufen - ich weiß nicht mehr, um was es da ging - irgendeine Forderung. Auch ein Mädchen aus meiner Klasse hat dort unterschrieben, nur war eine nicht genehmigte Unterschriftensammlung absolut verboten. Es gab ein riesen Theater und die Lehrerin fragte meine Klassenkameradin noch, ob sie nicht gewusst hätte, daß man wegen sowas (Achtung, jetzt kommts) ins Gefängnis kommen kann.
Sie sagte nur "nein" und die Sache war für sie erledigt. Aber was mit demjenigen passiert ist, der den Zettel hingehängt hat, weiß ich nicht. Der wird sicher noch mehr Ärger bekommen haben.

3.) In der GST (ich schrieb ja schon, daß ich dort Sportschütze war) bei einer Weihnachtsfeier:
Wir feierten dort also und es gab auch alkoholische Getränke, dementsprechend wurde die Athmosphäre mit der Zeit auch immer lockerer. Irgendwann meinte unser Sektionsleiter so bei einem Gespräch ganz nebenbei, er würde ja auch gern öfter mal Apfelsinen und Bananen für seine Tochter kaufen, aber so etwas es gab eben nur zweimal im Jahr.
Das hörte auch der GST-Leiter und das genügte bereits, daß es schon am nächsten Tag hieß, unser Sektionsleiter sei abgesetzt worden. Der GST-Leiter übernahm dann auch die Sektionleitung. Unseren Sektionsleiter habe ich danach nie mehr gesehen.
Es hieß dann nur, als Sektionsleiter hätte er eine Vorbildfunktion und deswegen hätte er auch bei einer Feier keine kritischen politischen Äußerungen zu machen.

Das waren nun drei Geschichten, die ich selbst erlebt habe. Zwar war ich selbst nicht betroffen, aber eben Leute, die ich persönlich kannte.
Und nun sag mir mal, was man als junger Mensch von einem Staat halten soll, der schon wegen solch kleiner Sachen ein so großes Fass aufmacht. Nur ein falsches Wort und schon ist man entweger seinen Posten los oder kann gar ins Gefängnis kommen...
:evil:

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dieter
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Lieber Barbarossa,
Du hast recht, dass ist auch unmöglich. Bei Euch waren die Kommunisten an der Macht und bei uns unterrichteten ehemalige Nazis. Was nun schlimmer ist, bleibt dahingestellt. Nur wie ich schon schrieb, von 54 Kindern in der ersten Mittelschulklasse erreichten gerade 14 (einschließlich mir) die Mittlere Reife,haben wir so bei einem Klassentreffen festgestellt, der Rest waren gescheiterte Gymnasiasten.
Ich weiß nicht, ob bei Euch genauso ausgesiebt wurde :?:
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Barbarossa
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dieter hat geschrieben:Lieber Barbarossa,
Du hast recht, dass ist auch unmöglich. Bei Euch waren die Kommunisten an der Macht und bei uns unterrichteten ehemalige Nazis. Was nun schlimmer ist, bleibt dahingestellt. Nur wie ich schon schrieb, von 54 Kindern in der ersten Mittelschulklasse erreichten gerade 14 (einschließlich mir) die Mittlere Reife,haben wir so bei einem Klassentreffen festgestellt, der Rest waren gescheiterte Gymnasiasten.
Ich weiß nicht, ob bei Euch genauso ausgesiebt wurde :?:
Na und wie gesiebt wurde. Erst mal durfte man keinen viel schlechteren Notendurchschnitt haben als 1 haben (ich hab jetzt gerade bei "Wiki" geschaut und da steht was von schlechtestens 1,7). Und dann wurde vor allem diejenigen bevorzugt, wer eine "militärische Berufslaufbahn" ergreifen wollte oder sonst systemnah war. Kannst ja selbst mal schauen: http://de.wikipedia.org/wiki/Erweiterte ... ng_zur_EOS

:wink:

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dieter
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Lieber Barbarossa,
vielen Dank für diese Information. Das beantwortet aber nicht meine Frage, wieviel Schüler es von der ersten Klasse bis zum Abschluß schaften :?: Übrigends eine Eins oder 1,7 sind Traumnoten, die in unserem Schulsystem niemand erreichte. :wink:
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Peppone
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dieter hat geschrieben:Lieber Barbarossa,
vielen Dank für diese Information. Das beantwortet aber nicht meine Frage, wieviel Schüler es von der ersten Klasse bis zum Abschluß schaften :?: Übrigends eine Eins oder 1,7 sind Traumnoten, die in unserem Schulsystem niemand erreichte. :wink:
Hat auch damit zu tun, dass es in der DDR nur fünf Notenstufen gab und bei uns sechs. Das erhöht schon rein mathematisch die Chance, eine Note besser als "2" zu bekommen...

Beppe
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dieter
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Lieber Beppe,
vielen Dank für diese Information. :)
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Apitcius
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HAllo Barbarossa,

Den Artikel "Verantwortung in einem totalotären Staat" habe ich auch gelesen und teile die Meinung, dass Ihre Handlungen nicht dazu beigetragen haben, die DDR zu schädigen. Ich sehe es eher als selbstverständlich an, sich gegen den Eintritt der SED zu entscheiden, wenn man sich dort nicht wiederfindet. Auch die Schilderungen mit der NVA - sehe ich eher selbstverständlich an. Irgendwie war es doch das mindeste was getan werden mußte. Ich kenne niemanden, der nicht so gehandelt hätte. Und ich denke, wenn man gegen eine Diktatur aufbegehren will erfordert es das äußerste. Sonst ist es nur ein Mitschwimmen, das haben viele gemacht, deshalb hat es der DDR ja auch keinen Schaden zugefügt.
Weil fast alle eben so gedacht haben, nur nicht mit dem Staat in Konflikt geraten.
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Barbarossa
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Hallo und herzlich Willkommen in unserem Forum, Apitcius!
Vielleicht wird das noch eine interessante Diskussion.
:wink:
Apitcius hat geschrieben:HAllo Barbarossa,

Den Artikel "Verantwortung in einem totalotären Staat" habe ich auch gelesen und teile die Meinung, dass Ihre Handlungen nicht dazu beigetragen haben, die DDR zu schädigen.

Meine Eingangsthese war ja:
"Eine Diktatur kann nur funktionieren, wenn genug Leute aktiv mitwirken."

Daraus folgt ja, daß bereits die Verweigerung einer aktiven Mitwirkung für ein totalitäres Regime eine Schädigung bedeutet. Wenn man weiß, wie ein solches Regime aufgebaut ist, erscheint die These naheliegend:
Ein totalitärer Staat wird i.d.R. von einer dominierenden Partei beherrscht. Je mehr Leute also in dieser Partei Mitglied werden, um so leichter wird es für ein Regime, sich an der Macht zu halten.

Im Umkehrschluss heißt das aber auch:
Tritt niemand in die machthabende Partei ein, wird deren Machbasis untergraben. In der DDR hatte die SED in ihrer "Glanzzeit" über 2,2 Mill. Mitglieder. Das ist schon eine ziemlich hohe Zahl für ein 15 Mill.-Volk.
Apitcius hat geschrieben:Ich sehe es eher als selbstverständlich an, sich gegen den Eintritt der SED zu entscheiden, wenn man sich dort nicht wiederfindet. Auch die Schilderungen mit der NVA - sehe ich eher selbstverständlich an.

Das war ganz und gar nicht selbstverständlich. Zumindest habe ich am Gesicht des Herren in Uniform bei meiner Musterung ablesen können, daß ihm noch nicht viele ins Gesicht gesagt hatten, daß man ein Problem damit hätte, an der Grenze auf Menschen zu schießen.
Man muß dabei berücksichtigen, daß sich die Machtbasis der SED z. T. auch auf einer unterschwelligen Angst der Bürger vor der Staatsgewalt aufbaute. Das ist in jeder Diktatur so.

Auch die Ablehnung einer Mitgliedschaft in der SED war nicht unbedingt selbstverständlich.
1985 lernte ich eine Familie aus dem damaligen "Karl-Marx-Stadt" (heute wieder Chemnitz) kennen. Die Frau erzählte dabei, daß auch sie auf ganz ahliche Weise "befragt" wurde, wie sie es mit einer SED-Mitgliedschaft halten würde. Nach ihrer Aussage fühlte sie sich dabei so bedrängt, daß sie irgendwann nachgab und "ja" sagte. Und das, obwohl sie von der Politik ganz und gar nicht überzeugt war, wie ich daraus schloss, wie sie sich äußerte.
In anderen Fällen habe ich auch davon gehört, daß Leute lieber schnell in eine der Blockparteien (z. B. CDU) eingetreten sind. Danach wurden sie dann vom SED-Parteisekretär in Ruhe gelassen.
Anderereseits waren sie nun aber auch in das System politisch eingebunden, denn auch die CDU war in der DDR keine Oppositionspartei, sondern staatstragend.
Ich verweigerte dagegen allerdings jegliche Parteimitgliedschaft, sondern sagte dem SED-Parteisekretär unter "4 Augen", daß "dass ich mich zwar für Politik interessieren würde, aber bevor ich anfangen würde, mich politisch zu engagieren, müsste sich erst einmal einiges ändern."
Das war für DDR-Verhältnisse durchaus eine "mutige Tat", für die man politisch schon in "Ungnade" hätte fallen können.

Und noch ein anderer Gedanke dazu:
Allein schon die Tatsache, daß man eine so aggressive "Agitation" für "die Partei" betrieb, zeigt mir eigentlich schon, daß an meiner These etwas dran sein könnte. Wenn niemand mitgemacht hätte, hätte das Regime keine Chance gehabt, 40 Jahre lang zu bestehen.
Oder?

Das ist ja hier die Frage.
:wink:
Apitcius hat geschrieben:Irgendwie war es doch das mindeste was getan werden mußte. Ich kenne niemanden, der nicht so gehandelt hätte. Und ich denke, wenn man gegen eine Diktatur aufbegehren will erfordert es das äußerste...
Du meinst also, ich als einzelner Bürger (!) hätte mich so verhalten sollen, wie z. B. Wolf Biermann?
Da stellt sich dann allerdings die Frage: Was hat Wolf Biermann erreicht?
Er wurde ausgebürgert. Und sonst?
Für die DDR hat nicht viel erreicht. Er war im Westen dann nur noch das Aushängeschild für die Unzufriedenen in der DDR.
Die politischen Veränderungen haben die noch hier lebenden Bürger in der friedlichen Revolution erreicht.

Das war das eigentliche Problem: Als einzelner konnte man nicht viel machen. Erst gemeinsam war man stark.

Aber: Bei meiner These ging es ja nicht um den aktiven Widerstand gegen das Regime, sondern um die Verweigerung einer aktiven Mitwirkung am System.

Also die Frage einmal anders gestellt:
Wenn sich mehr (vielleicht annähernd alle) Leute dem Regime verweigert hätten - also passiven Widerstand geleistet hätten - hätte das das Regime über kurz oder lang nicht auch zu Fall bringen können?

Wenn also (fast) niemand:

- in eine Partei eingetreten wäre und vielleicht auch noch Abgeordneter im Stadt- Kreis- Bezirksrat oder gar in der Volkskammer geworden wäre,
- für die Stasi tätig geworden wäre (egal ob hauptamtlich oder als "IM"),
- eine "militärische Berufslaufbahn" eingeschlagen hätte und sich insbesondere nicht an die Grenze hätte stellen lassen, um dort Flüchtlinge festzunehmen bzw. sie im Extremfall zu erschießen.

Insbesondere der letzte Punkt ist dabei interessant:
Die Mauer wurde ja extra gebaut, um die Flucht von immer mehr DDR-Bürgern zu verhindern. Wenn aber kaum jemand bereit gewesen wäre, sich dorthin abkommandieren zu lassen, dann wäre auch niemand da gewesen, der eine Flucht verhindert hätte. Auch so wäre die DDR zu Fall gekommen. Schon 1961 war die Situation kritisch.

Wie seht ihr das?

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dieter
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Barbarossa hat geschrieben:Daraus folgt ja, daß bereits die Verweigerung einer aktiven Mitwirkung für ein totalitäres Regime eine Schädigung bedeutet. Wenn man weiß, wie ein solches Regime aufgebaut ist, erscheint die These naheliegend:
Ein totalitärer Staat wird i.d.R. von einer dominierenden Partei beherrscht. Je mehr Leute also in dieser Partei Mitglied werden, um so leichter wird es für ein Regime, sich an der Macht zu halten.
Also die Frage einmal anders gestellt:
Wenn sich mehr (vielleicht annähernd alle) Leute dem Regime verweigert hätten - also passiven Widerstand geleistet hätten - hätte das das Regime über kurz oder lang nicht auch zu Fall bringen können?
Wenn also (fast) niemand:
- in eine Partei eingetreten wäre und vielleicht auch noch Abgeordneter im Stadt- Kreis- Bezirksrat oder gar in der Volkskammer geworden wäre,
- für die Stasi tätig geworden wäre (egal ob hauptamtlich oder als "IM"),
- eine "militärische Berufslaufbahn" eingeschlagen hätte und sich insbesondere nicht an die Grenze hätte stellen lassen, um dort Flüchtlinge festzunehmen bzw. sie im Extremfall zu erschießen.
Insbesondere der letzte Punkt ist dabei interessant:
Die Mauer wurde ja extra gebaut, um die Flucht von immer mehr DDR-Bürgern zu verhindern. Wenn aber kaum jemand bereit gewesen wäre, sich dorthin abkommandieren zu lassen, dann wäre auch niemand da gewesen, der eine Flucht verhindert hätte. Auch so wäre die DDR zu Fall gekommen. Schon 1961 war die Situation kritisch.
Wie seht ihr das?---------------------------------------------------------
Lieber Barbarossa,
es ist ziemlich blauäugig, wie Du argumentierst. Da die Hälfte meiner Verwandtschaft im Osten lebt, mit denen wir bis zum Mauerfall und sogar etwas darüber guten Kontakt hatten, weiß ich dass es immer so war, dass man versuchte sich mit dem Regime zu arrangieren. Der Sohn meiner Tante ging doch in die SED, um beruflich weiterzukommen. Solche Menschen gab und gibt es überall in der Geschichte, auch bei den Nazis hat es solche gegben. Die Menschen sind eben auch für geringen Vorteil bestechlich und das wird immer so bleiben, das ist die menschliche Natur.
Deine Aussagen bezüglich des Wehrdienstes kamen in der Spätzeit der DDR, auch waren nicht alle Menschen in der SED, sondern so sagt es wenigstens die Volkskammer aus, in der CDU, LPDP,NPDP, Bauernpartei oder in dem FDGB. Das waren natürlich Blockparteien, die den Kurs der SED mittragen mußten. :wink:
Negativ berührt war ich, dass es in der letzten Volkskammer der DDR soviel SED/PDS- Abgeordnete gab und bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl die PDS in Berlin drei Direktmandate erzielen konnte. Das wäre genauso, als ob bei der ersten Wahl nach 1945 die NazIpartei im Westen Direktmandate erringen könnte. :evil:
Es reicht nicht aus passiven Widerstand auszuüben, sondern man muß als Bürgerrechtler schon aktiv sich gegen das Regime auszusprechen, auch wenn daraus Haft die Folge sein könnte. :roll:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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Barbarossa
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dieter hat geschrieben:Lieber Barbarossa,
es ist ziemlich blauäugig, wie Du argumentierst.

Findest du?
dieter hat geschrieben:Da die Hälfte meiner Verwandtschaft im Osten lebt, mit denen wir bis zum Mauerfall und sogar etwas darüber guten Kontakt hatten, weiß ich dass es immer so war, dass man versuchte sich mit dem Regime zu arrangieren. Der Sohn meiner Tante ging doch in die SED, um beruflich weiterzukommen. Solche Menschen gab und gibt es überall in der Geschichte, auch bei den Nazis hat es solche gegben. Die Menschen sind eben auch für geringen Vorteil bestechlich und das wird immer so bleiben, das ist die menschliche Natur.
Und genau das ist aber der Fehler. In die Partei eingetreten, nur um beruflich weiter zu kommen, das haben tatsächlich sehr viele gemacht. Ich glaube sogar, es war die große Mehrheit innerhalb der SED, die das so gemacht hat.
Aber: Letztlich geht es ja darum, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen und herauszufinden, wie sich jeder einzelne in einer Zivilgesellschaft gegen eine Diktatur wehren kann. Wenn aber das Verhalten vieler Menschen so ist und auch bleibt, dann kann immer wieder eine Diktatur entstehen und immer wird es dann genug Menschen geben, die diese Diktatur am Leben erhalten und mitmachen.
Ich finde, es ist wichtig, das man das ausdiskutiert und eventuelle Schlussfolgerungen publik macht. Jede Diktatur ist inhuman und ich betrachte sie sogar als direkte Gegenbewegung zum Humanismus.
dieter hat geschrieben:Deine Aussagen bezüglich des Wehrdienstes kamen in der Spätzeit der DDR, auch waren nicht alle Menschen in der SED, sondern so sagt es wenigstens die Volkskammer aus, in der CDU, LPDP,NPDP, Bauernpartei oder in dem FDGB. Das waren natürlich Blockparteien, die den Kurs der SED mittragen mußten. :wink:
Das ist richtig, aber nach den politischen Säuberungen dieser Parteien und Massenorganisationen fuktionierte das auch ganz "problemlos".
:?
dieter hat geschrieben:Negativ berührt war ich, dass es in der letzten Volkskammer der DDR soviel SED/PDS- Abgeordnete gab und bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl die PDS in Berlin drei Direktmandate erzielen konnte. Das wäre genauso, als ob bei der ersten Wahl nach 1945 die NazIpartei im Westen Direktmandate erringen könnte. :evil:
Ich auch. Mir ging das auch sehr gegen den Strich, das kann ich dir sagen. Ich hätte gern die PDS gleich 1990 verboten gesehen. Aber dazu hat man sich anscheinend nicht durchringen können - leider.
:?
dieter hat geschrieben:Es reicht nicht aus passiven Widerstand auszuüben, sondern man muß als Bürgerrechtler schon aktiv sich gegen das Regime auszusprechen, auch wenn daraus Haft die Folge sein könnte. :roll:
Und das ist eben tatsächlich nicht jedermanns Sache - auch meine nicht. Man hätte wohl erst versuchen müssen mich zu zwingen, eine feste moralische Grenze zu überschreiten, wie z. B. mich zwangweise an die Grenze zu stellen. Erst dann hätte ich auch einen Gefängnisaufenthalt in Kauf genommen - dann allerdings auch gleich mit einem "Ausreiseantrag" in den Westen.

Ich sehe also, daß du meiner These nicht so ganz folgst, oder?
Weil du meinst, daß es immer genug Menschen geben wird, die auch eine Diktatur unterstützen bzw. sich "arrangieren" werden?
Dann kannst du aber auch nicht verlangen, daß jeder Mensch ein Bürgerrechtler wird.
:wink:
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dieter
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Barbarossa hat geschrieben:
dieter hat geschrieben:Lieber Barbarossa,
dieter hat geschrieben:Da die Hälfte meiner Verwandtschaft im Osten lebt, mit denen wir bis zum Mauerfall und sogar etwas darüber guten Kontakt hatten, weiß ich dass es immer so war, dass man versuchte sich mit dem Regime zu arrangieren. Der Sohn meiner Tante ging doch in die SED, um beruflich weiterzukommen. Solche Menschen gab und gibt es überall in der Geschichte, auch bei den Nazis hat es solche gegben. Die Menschen sind eben auch für geringen Vorteil bestechlich und das wird immer so bleiben, das ist die menschliche Natur.
1)Und genau das ist aber der Fehler. In die Partei eingetreten, nur um beruflich weiter zu kommen, das haben tatsächlich sehr viele gemacht. Ich glaube sogar, es war die große Mehrheit innerhalb der SED, die das so gemacht hat.
Aber: Letztlich geht es ja darum, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen und herauszufinden, wie sich jeder einzelne in einer Zivilgesellschaft gegen eine Diktatur wehren kann. Wenn aber das Verhalten vieler Menschen so ist und auch bleibt, dann kann immer wieder eine Diktatur entstehen und immer wird es dann genug Menschen geben, die diese Diktatur am Leben erhalten und mitmachen.
Ich finde, es ist wichtig, das man das ausdiskutiert und eventuelle Schlussfolgerungen publik macht. Jede Diktatur ist inhuman und ich betrachte sie sogar als direkte Gegenbewegung zum Humanismus.
dieter hat geschrieben:Negativ berührt war ich, dass es in der letzten Volkskammer der DDR soviel SED/PDS- Abgeordnete gab und bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl die PDS in Berlin drei Direktmandate erzielen konnte. Das wäre genauso, als ob bei der ersten Wahl nach 1945 die NazIpartei im Westen Direktmandate erringen könnte. :evil:
2)Ich auch. Mir ging das auch sehr gegen den Strich, das kann ich dir sagen. Ich hätte gern die PDS gleich 1990 verboten gesehen. Aber dazu hat man sich anscheinend nicht durchringen können - leider. :?
dieter hat geschrieben:Es reicht nicht aus passiven Widerstand auszuüben, sondern man muß als Bürgerrechtler schon aktiv sich gegen das Regime auszusprechen, auch wenn daraus Haft die Folge sein könnte. :roll:
3)Und das ist eben tatsächlich nicht jedermanns Sache - auch meine nicht. Man hätte wohl erst versuchen müssen mich zu zwingen, eine feste moralische Grenze zu überschreiten, wie z. B. mich zwangweise an die Grenze zu stellen. Erst dann hätte ich auch einen Gefängnisaufenthalt in Kauf genommen - dann allerdings auch gleich mit einem "Ausreiseantrag" in den Westen.
4)Ich sehe also, daß du meiner These nicht so ganz folgst, oder?
Weil du meinst, daß es immer genug Menschen geben wird, die auch eine Diktatur unterstützen bzw. sich "arrangieren" werden?
Dann kannst du aber auch nicht verlangen, daß jeder Mensch ein Bürgerrechtler wird.
:wink:
Lieber Barbarossa,
zu1) Natürlich ist jede Diktatur inhuman und die Gefahr, dass sich alles wiederholt ist groß. Aber die Menschen sind zum großen Teil bequem und faul und zum Helden nicht geboren worden. Wir können nur versuchen eine Diktatur zu verhindern. :wink:
zu2) Ich nehme an, dass es ein geheimes Abkommen mit der SU gab, dass die SED/PDS nicht verboten werden durfte, genauso wie man die Bodenreform von 1946 nicht aufhob. :wink:
zu3) Lieber Barbarossa, wenn sie Dich erst ins Gefängnis gesteckt hätten, dann wäre die Frage zu stellen, ob Du dann noch einen Ausreiseantrag hättest stellen können und wenn ja, ob Du nicht einen Teil der Strafe hättest absitzen müssen und wann Du dann in den Westen gekommen wärest :?:
zu4) Ich sehe es im Nahen Osten, wenn man auch die Motive dort nicht immer billigen kann, aber die sind bereit auch ihr Leben dafür hinzugeben. Aber dafür fehlt uns anscheinend das Temprament. :wink: :mrgreen: (Vorsicht, Ironie)
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
norvegia
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Mal bezugnehmend auf die Bemerkung mit den Bürgerrechtlern.
Die interressierten hier keinen Menschen.
Die interesserierten eure Westpropaganda bei weitem mehr als den DDR-Bürger.
Sie spielten hier gar keine Rolle und sie standen hier auch nicht als heldenhafte Leute hier im Mittelpunkt der Ostdeutschen.
Und schon mal gar nicht standen sie für irgendeine Mehrheit der DDR-Bürger.
Die interessierten hier niemand.
Dem durchschnittlichen Wald und Wiesen Ossi gingen sie meilenweit am Hintern vorbei.
Biermann z.b. kannten wir hier erst als die Westproganda ihn im Westfernsehen ausschlachtete...
Ich bin Ossi und ich darf so reden. ;-)
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Barbarossa
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dieter hat geschrieben:Natürlich ist jede Diktatur inhuman und die Gefahr, dass sich alles wiederholt ist groß. Aber die Menschen sind zum großen Teil bequem und faul und zum Helden nicht geboren worden. Wir können nur versuchen eine Diktatur zu verhindern. :wink:
Das wäre der Idealfall.
Mit anderen Worten, du würdest die Gegenthese aufstellen:

Eine erst einmal errichtete Diktatur wird für eine gewisse Zeit immer funktionieren, weil es immer genug Menschen geben wird, die aktiv mitwirken werden.

Das wäre ein erschütterndes Fazit.
:?
dieter hat geschrieben:Ich nehme an, dass es ein geheimes Abkommen mit der SU gab, dass die SED/PDS nicht verboten werden durfte, genauso wie man die Bodenreform von 1946 nicht aufhob. :wink:
Ui! Das riecht nach Verschwörungstheorie...
:roll:
dieter hat geschrieben:Lieber Barbarossa, wenn sie Dich erst ins Gefängnis gesteckt hätten, dann wäre die Frage zu stellen, ob Du dann noch einen Ausreiseantrag hättest stellen können und wenn ja, ob Du nicht einen Teil der Strafe hättest absitzen müssen und wann Du dann in den Westen gekommen wärest :?:
Ja, wenn man es ausdrücklich verlangte und einen Anwalt hatte, dann ging es recht schnell. Mein Onkel war nach einem Jahr U-Haft im Westen. Für Devisen hätten die Kommunisten auch ihre eigene Großmutter verkauft.
:evil:
dieter hat geschrieben:Ich sehe es im Nahen Osten, wenn man auch die Motive dort nicht immer billigen kann, aber die sind bereit auch ihr Leben dafür hinzugeben. Aber dafür fehlt uns anscheinend das Temprament. :wink: :mrgreen: (Vorsicht, Ironie)
Stimmt, nur den zunehmenden Hang zur Gewaltlosigkeit sehe ich eher als Fortschritt an.
:wink:
norvegia hat geschrieben:Mal bezugnehmend auf die Bemerkung mit den Bürgerrechtlern.
Die interressierten hier keinen Menschen.
Die interesserierten eure Westpropaganda bei weitem mehr als den DDR-Bürger.
Sie spielten hier gar keine Rolle und sie standen hier auch nicht als heldenhafte Leute hier im Mittelpunkt der Ostdeutschen...
Die Bürgerrechtler hatten mit ihren Forderungen nach mehr Demokratie und Meinungsfreiheit am Anfang eine große Aufmerksamkeit in der Bevölkerung - Bürgerrechtsbewegungen wie das "Neue Forum" hatten einen großen Zulauf, wie ich in meinem Buch bereits schrieb:
Am 9./10. September 1989 fand in Grünheide (bei Berlin) ein Ereignis statt, das ebenfalls von herausragender Bedeutung war.
An diesen Tagen wurde der Aufruf "Aufbruch 89 - Neues Forum" unterzeichnet und veröffentlicht. Damit wurde das "Neue Forum" gegründet, das sich als „unabhängige politische Vereinigung von Bürgerinnen und Bürgern, die Demokratie in allen Lebensbereichen durchsetzen wollen“ definierte. Außerdem betonte es, „auf Gewaltlosigkeit, auf Vernunft und die Kraft der Argumente“ zu setzen.
Unterschrieben wurde der Aufruf u.a. von Bärbel Bohley, Frank Eigenfeld, Katrin Eigenfeld, Katja Havemann, Rolf Henrich, Sebastian Pflugbeil, Jens Reich, Reinhard Schult, Jutta Seidel und Hans-Jochen Tschiche.
(...)
Am 18. September solidarisierten sich verschiedene DDR-Unterhaltungskünstler mit den Zielen des Neuen Forums.
Am 19. September meldete das "Neue Forum" die Gründung der Vereinigung entsprechend einer DDR-Verordnung in 11 der 15 DDR-Bezirke an. Der Antrag des "Neuen Forum" wurde am 21. September jedoch abgelehnt, mit der offiziellen Begründung, es gebe keine "gesellschaftliche Notwendigkeit" für eine Neugründung - wurde auch in den Nachrichten des DDR-Fernsehens gesendet.
Innerhalb kürzester Zeit unterzeichneten über 200.000 Menschen den Aufruf des Neuen Forums, wovon die Erstunterzeichner völlig überrascht waren. Sie hatten auf Ihrem Zusammentreffen im September beschlossen, sich erst wieder Anfang Dezember 89 zusammenzufinden, da dies der erste freie Termin war, den alle Beteiligten wahrnehmen konnten.
.
Diese Zahl von 200.000 ist jedoch kaum mit der Mitgliederzahl des Neuen Forums gleichzusetzen. So gab die Bürgerbewegung am 14. Oktober 1989 die Zahl von 25.000 Mitgliedern bekannt.
Die Empörung in der Bevölkerung wegen der Nichtzulassung des "Neuen Forum" war mit Sicherheit groß.
Doch schon gleich nach der Maueröffnung wurden auch die Bürgerrechtsbewegungen von den sich überschlagenen Ereignissen überrollt. Obwohl sie noch auf die DDR-Bürger Einfluss auszuüben versuchten, gelang ihnen das im Laufe der Zeit immer weniger:
Noch auf der großen Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz am 4. November gab es ausschließlich Forderungen nach demokratischer Erneuerung der DDR und einem gerechten und menschlichen – oder wie der Schriftsteller Stephan Heym es nannte – „den richtigen Sozialismus“. Es gab auf dieser Demonstration noch keinen Widerspruch dagegen. Auch die Bürgerrechtsgruppen, wie z. B. das Neue Forum und der Demokratische Aufbruch, waren am Anfang geschlossen für eine Demokratisierung des Staates und der Gesellschaft und somit für einen Fortbestand der DDR in einem sogenannten „Dritten Weg“ mit einem wie auch immer gearteten „demokratischen Sozialismus“ eingetreten. Unmittelbar nach der Maueröffnung am 9. November verlangte ein Aufruf des Neuen Forums:
"Ihr seid die Helden einer politischen Revolution, laßt Euch jetzt nicht ruhigstellen durch Reisen und schuldenerhöhende Konsumspritzen!".
Politisch hatten die Bürgerrechtsbewegungen in der Wendezeit durchaus Gewicht. Sie saßen mit an den "Runden Tischen", die seit dem 17.12.1989 auf allen Ebenen wöchentlich tagten und zudem:
Auf Grund eines Vorschlags des Zentralen Runden Tisches vom 22. 1. 1990 bildete sich am 5. 2. 1990 eine "Regierung der nationalen Verantwortung" durch Aufnahme von 8 neuen "Ministern ohne Geschäftsbereich" aus Bürgerrechtsbewegungen bzw. -parteien in die Regierung. Es handelte sich hierbei um Sebastian Pflugbeil (Neues Forum), Rainer Eppelmann (Demokratischer Aufbruch), Dr. Walter Romberg (SPD), Tatjana Böhm (Unabhängiger Frauenverband), Klaus Schlüter (Grüne Liga), Matthias Platzeck (Grüne Partei), Gerd Poppe (Initiative Frieden und Menschenrechte), Dr. Wolfgang Ullmann (Demokratie Jetzt)
Kurz vor der Volkskammerwahl am 18. März 1989 hatte sich das Blatt endgültig in Richtung deutsche Einheit gewendet:
Jedoch wurde die Öffnung des Brandenburger Tores in Berlin am 22. 12. 1989 mit einem großen Volksfest begangen.
Spätestens in diesen Tagen war die innergesellschaftliche Diskussion in der DDR zugunsten der deutschen Einheit entschieden.
Das hieß also, dass eine Partei in der DDR die Einheit Deutschlands in ihrem Programm zu stehen haben musste, wenn sie bei der nächsten Volkskammerwahl erfolgreich sein wollte. Denn die Erwartungen der DDR-Bürger, in einem vereinten Deutschland würde rasch alles besser werden, waren hoch.
(...)
Die Bürgerrechtler protestierten gegen Kohls Verhandlungen in Moskau, für die er nach ihrer Auffassung kein Mandat der DDR-Bürger gehabt hätte. Der Protest richtete sich auch gegen den Anschluss der DDR an die BRD. Außerdem forderte der Runde Tisch von der Bundesregierung einen Solidarbeitrag in Höhe von etwa 15 Milliarden DM ohne Bedingungen, was von Rudolf Seiters in dieser Form postwendend abgelehnt wurde.
Dagegen forderten die meisten der 80.000 Demonstranten auf der Montagsdemo in Leipzig die Wiedervereinigung und die DM mit Losungen wie: „Kommt die DM bleiben wir, kommt sie nicht geh´n wir zu ihr!“
Damit ist klar, daß die Bürgerrechtsbewegungen mit Ausnahme des "Demokratischen Aufbruch" (innerhalb der "Allianz für Deutschland") in der Spätphase der Friedlichen Revolution tatsächlich nicht mehr die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung vertraten.
norvegia hat geschrieben:Biermann z.b. kannten wir hier erst als die Westproganda ihn im Westfernsehen ausschlachtete...
Er wurde zum Aushängeschild des Westens für die Unzufriedenen in der DDR. Daß er hier vorher kaum bekannt war, hing sicher auch damit zusammen, daß er lange Zeit nicht auftreten durfte. Bekannt war er vor allem in den oppositionellen Kreisen, nicht aber bei der sogenannten "schweigenden Mehrheit".
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norvegia
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Die Wahl: Allianz für Deutschland 48,2 Prozent (CDU 40,9; DA 0,9; DSU 6,3); SPD 21,8 Prozent; PDS 16,3 Prozent, Liberale 5,3 Prozent; Bündnis 90 (Neues Forum, Demokratie Jetzt, Initiative Frieden und Menschenrechte) 2,9 Prozent. Allianz und PDS jubeln, die SPD ist zerstört. Die Bündnis-Bürgerrechtler wissen wieder, was sie immer wussten: dass sie Einzelne sind, nicht das Volk. Stefan Heym, der Ost-Weise vom Dienst, gratuliert "dem Doktor Kohl", obschon er mit ihm nicht tauschen mag. "Denn nun wird er zu liefern haben, was er alles versprochen hat."

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