Die BRD war anders

Die junge Republik: Bonn, Adenauer, RAF, Schmidt, Kohl

Moderator: Barbarossa

Lia

Hochgeholt und mal überlegt, wie ein Westkind ( und manche in der Umgebung) die DDR und die Folgen des Mazuerfalls erlebt haben.
Womit identifizierten sich die Nachkriegskinder, die im wilden Westen aufwuchsen?
Erhebt absolut keinen Anspruch auf repräsentativ zu sein, ist nur eine Sammlung eigenr Gedanken und mal so ein bisschen Umfrage im Umkreis.
Westkind

Früheste Erinnerungen:
Ich vernahm Ostzone, Kommunismus, Russen, Amis. Krieg war gewesen, oder zwei sogar,
und irgendwie musste das mit der Ostzone zu tun haben.
Ich verstand, dass man selbst nicht viel hatte, aber dennoch Pakete für Tante G. und Onkel A. gepackt wurden. Erst nur Nahrungsmittel, viel später auch Kleidung, denn in meiner Kinderzeit bis in die Jugendjahre musste ich auftragen, was beide Schwestern schon vor mir an Selbstgenähtem getragen hatten.
Wir fuhren mal schnell nach Holland, war ja nicht weit. In die Ferien zunächst nach Dänemark, meine älteren Geschwister fuhren nach England und Frankreich, später nach Spanien, ausländische Gäste waren wieder bei uns daheim, nicht nur Europäer.
Nur die „aus der Ostzone“, die kamen nicht. Und erstmal fuhr niemand hin. Ging ja nicht.
Etwas mehr lernte ich verstehen, an dem Tag, an dem die Mauer gebaut wurde, kurz nach meinem 6.Geburtstag. Ein Regentag in Dänemark, für mich so fest in der Erinnerung wie 9/11 und der 9.11 1989.
Die ernsten Gesichter der Erwachsenen, auch meiner älteren Geschwister, bei allen, ob Deutsche oder Dänen, die Diskussionen, bei denen auch die Vorgeschichte vorkam, wieder der Kommunismus gefürchtet wurde, sind mir in Erinnerung.
Gymnasium, Sexta und noch in den höheren Klassen. Wir sollten an bestimmten Tagen in der Adventzeit käuflich zu erwerbende Kerzen für die Brüder und Schwestern in der Ostzone ins Fenster stellen. Gleichzeitig hörten wir etwas von bösen Kommunisten, die dort herrschten. Verstand ich nicht, einerseits Brüder und Schwestern, andererseits böse Kommunisten?
Von den Lehrern nicht erklärt, warum es Hüben und Drüben gab, woher dieser Widerspruch.
Taten dann meine Eltern, und das sehr sachlich und fair- samt den eigentlichen Ursachen.
Grundsätzlich waren die Menschen „drüben“ natürlich nicht böse, auch nicht alle Kommunisten, so ganz einfach war es sicher nicht, einer Achtjährigen die Dinge differenziert zu erklären.
Weiter wurden Pakete in nun die zunehmend „DDR“ im Sprachgebrauch unserer Eltern geschickt, auch bei ihnen hatte sich verfestigt, dass da durchaus ein anderer Staat existierte.
Man hatte sich damit arrangiert, dass andere bestimmten, was geschah. Die Distanz wuchs, die Betroffenheit wich.
Erste Reise von Lübeck nach Bornholm 1963: Alle Erwachsenen sahen sehr ernst und sehr nachdenklich von Bord der Nordland aufs andere Trave-Ufer- dort war Ostzone, DDR, man wusste glaube ich, nicht so wirklich, ob nun Freund oder Feind. So nah, so live, hatte man die Zonengrenze im Ruhrgebiet nicht vor Augen.
Doch auch da, so meine ich gespürt zu haben, war nach dem Mauerschock schon wieder „Alltag“ eingekehrt, trotz Wissens um Stacheldraht und Minenfelder.
Kamen die Brandt-Jahre. Inzwischen war für die meisten von uns Tatsache, dass die einstigen Ostgebiete, die SBZ, nun Polen und Russland waren. Oder eben DDR. DDR ein (Aus) Land, in dem man Deutsch sprach wie in Österreich, und gut war.
Für die meisten meines Abi-Jahrgangs jedenfalls war die Identifikation „ Deutsche, BRD.“
Deutsche, Deutschland, DDR.
Deutsch als Gesamtdeutschland, wenigstens DDR und BRD war irgendwie wenig bis nicht als Vorstellung vorhanden. Floskel im GG, gut, musste sein, aber...
Inzwischen in der Oberstufe, kannten wir die Ursachen der Teilung, sahen selbstverständlich, dass die Menschen im Ostblock nicht in Freiheit lebten.
Nur, irgendwie waren andere Regionen der Welt wichtiger, Wiedervereinigung war nicht so ganz oben auf der Tagesordnung. Hatten dazu selber noch so einige Freiheitskämpfe durchzustehen, so manches Verkrustete auch und gerade in der Schule aufzuweichen.
Beim ersten Berlin-Besuch sollte ich die andere Form des Grenzübertritts kennenlernen, von meinen Eltern verdonnert, vor der Ankunft in Berlin-West bloß keine Kommentare abzulassen.
Berlin Ost? Man sprach Deutsch. Ansonsten war es eine fremde Welt, fremder als Frankreich und GB, Dänemark, Schweden, Holland.
Deutschland, ja. Das andere Deutschland. Die Zonengrenze/ Mauer ging mir nahe, wie später auf einer Klassenreise allen, und doch blieb der Gedanke, man müsse eins werden hinter dem: „Wenn sie doch reisen könnten, frei leben, in dem anderen Deutschland.“
Ein Vereintes Deutschland hatten wir nicht so auf dem Schirm, kannten wir ja nicht, war unrealistisch. Vaterland war eh ein verpönter Begriff, als so ziemlich die ersten Jahrgänge waren wir im Geschichtsunterricht weiter als bis zu Bismarck gekommen.
Gab vor der Haustür wichtiges, was getan, geklärt werden musste- die Kontakte ins westliche Ausland standen weit oben auf dem Zettel, andre Anliegen noch viel weiter oben.

Vielen Unpolitischen in meiner Generation, überhaupt in den Nachkriegs-Jahrgängen war die DDR ziemlich egal.
Zuhause in ehemals Trizonesien, der Bundesrepublik, Westdeutschland. Wir hatten den langsamen Wandel miterlebt, den aufkommenden Luxus, war z.B bis weit in die70-er Jahre bei uns noch lange nicht selbstverständlich dass in jeder Familie ein Auto vorhanden war, geschweige denn, zwei. Lehrer fuhren noch lange Straßenbahn, bis sie sich einen VW leisten konnten. Wir hatten die Kohle-Krise, die Stahlkrise, andere Krisen erlebt- und wussten ergo, dass wir nicht im Wunderland lebten.
Wir hatten einiges bewirkt, demokratische Rechte in Anspruch genommen, hie und da protestiert, demonstriert, was ja „Unruhestiftung“ war, gab noch zu viele, die meinten, Schnauze halten ist so, wie es ist. Gefahr für Leib und Leben gab es dabei nicht, wohl aber oft genug Nachteile.
Aber immerhin, wir konnten uns, wenn auch kritisch, aber doch, mit dem Teil Deutschlands identifizieren, in dem wir aufgewachsen waren.
Irgendwie wurde die DDR immer mehr zu dem selbstverständlich real existierenden anderen Deutschland.
Und dann der Mauerfall, kam dieWiedervereinigung.
Und auch wir fanden uns in einem Gebilde wieder, das uns fremd war.
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Nemeth
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Danke Lia, für diesen sehr interessanten Beitrag den ich zwar lese aber doch nicht so richtig nachvollziehen kann.
Ich lebte , wie schon bekannt ist auf der "anderen " Seite.Durch den Beitrag stieß ich auf das Thema "Die BRD ist anders"
Was ich da lese, na da fehlen mir manche Worte. ----Schwarz, Rot, SENF " --- da gibt es von meiner Seite keinerlei
Kommentar.
Da möchte ich bald dem Chefideologen der SED Karl Eduard von Schnitzler Blumen ans Grab bringen.
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Orianne
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Sehr aufschlussreich Lia, ich wusste nicht, dass dieses Thema nicht in der Schule behandelt wurde.

Zwei meiner Grosstanten waren in Ostberlin mit dem Reisecar, sie erinnerten sich mit Schrecken an die Kontrollen mit Spiegeln unter dem Auto, an die Grenzer, die ziemlich unfreundlich waren. Danach ging die Fahrt in die ehemalige Tschechoslowakei. Wer damals so eine Reise buchte, der wurde in der Schweiz "chiffriert", es wurde über ihn eine Akte angelegt, und die Person durfte observiert werden. Nur, ich denke mir, dass der Katholische Frauenbund der Schweiz sicher nicht so interessant für eine Dauerkontrolle war...
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Lia

Was Weimar, 3. Reich betriff, hing es vom Lehrer ab, oder dessen/deren Kenntnisstand. Ab 1971 Pflicht, aber...
Entstehung der beiden Staaten: Blieb auch lange ein Tabu, das meine Oberstufenlehrer umgingen, allerdings war das an den Unis auch gerade erst in Forschung und Lehre Thema, auch wegen der Quellenlage/ Archiv- Fristen.
Ausserdem durfte es die DDR ja nicht geben, mal eine Verfassung, die den Anspruch von Staat, Rechtsstaat hätte haben können, bis 1972 mal gar nicht. Ignorieren war angesagt.

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Paul
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Man kann auf jedenfall feststellen, das die Menschen eine sehr unterschiedliche Einstellung zur Bundesrepublick Deutschland hatten. Für mich war es immer nur ein Teil Deutschlands. So wie viele in die Ostzone geschaut haben, habe ich über die Oder geschaut. Die DDR war für mich ein fast normaler Teil Deutschlands, wenn man es mit den östlichen Reichsgebieten verglich, nur mit einem anderen Regierungsregime. Später ist meine Oma auch immer wieder nach Polen gefahren, also nach Lodz und zu ihrem Bruder nach Waldenburg und zum Enkel nach Tarnowitz/Tarnowsky Gory in Oberschlesien. Manchmal sind auch Verwandte zu uns gekommen.
Ich bin dann auch als Erwachsener rüber gefahren und konnte dort weitere Cousins und Cousinen und den älteren Onkel von Seiten meines Vaters kennenlernen. Mein Bruder ist noch nie drüben gewesen, seit der Aussiedlung als Kleinkind.
Für mich war es immer sicher, das wir die Wiedervereinigung bekommen. Ich wollte sie auch. Ich hätte sie auch den Schlesiern und Westpreußen gegönnt, wußte aber, das dies nicht möglich sein würde.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
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Nemeth
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Natürlich "Die BRD war anders". Sie musste auch anders sein, sie war kein Kind der Sowjetunion.
Sie war ein demokratischer Staat, hatte eine Marktwirtschaft, die das produzierte was die große Mehrheit der
Bevölkerung brauchte. Der andere Teilstaat hatte das nicht, Satelit der Sowjetunion, Planwirtschaft, Versuch der totalen Kontrolle der Bevölkerung.
Politischer seits gab es keinen Zusammenschluss der "linken" Parteien, obwohl es die Kommunisten gern gesehen hätten.

Natürlich waren die Jahre der Trennung für die ostdeutsche Bevölkerung sehr schmerzhaft, doch das Hoffen starb zuletzt.
Die Kenntnis der Ostdeutschen über die BRD war sehr groß, sie ließen sich nichts vormachen.
Und wenn nicht anders, so quittierten sie die Latrinenparolen der Mächtigen, mit einem vielsagenden, süffisanten Lächeln.
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Orianne
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Was mich interessieren würde ist, wie lange es wohl braucht um die Begriffe "Ossi" und "Wessie" aus den Köpfen zu kriegen, denn meiner Meinung nach wäre dann die Wiedervereinigung zu 99,9 % geschafft.
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Lia

@ Nemeth:
Ich wiederhole mich:
Erst durfte die DDR nicht als solche existieren, in den Schulatlanten hieß es SBZ. Da waren die bösen Kommunisten- dass es Kindern lange schwer fiel zu verstehen, dass weder Ostdeutsche noch Russen böse waren, sondern das Regime, ist ja wohl nachvollziehbar.
Je mehr mit dem DDR- Regime verhandelt wurde, das Kürzel benutzt wurde, desto mehr wurde sie für viele meiner Jahrgänge ein real existierender Staat, wie eben alle anderen Diktaturen des Ostblocks.
Nach dem Grundlagenvertrag 1972, mit dem grundsätzlich veränderten Umgang mit der DDR, so denke ich, rückte ein vereintes Deutschland noch weiter in die Ferne. (Genau das wollte Brandt ja eigentlich mit seiner Politik des Wandels durch Annäherung: Irgendwann doch das wieder vereinte Deutschland. Zunächst hatte das allerdings mal gegenteiligen Effekt.)
Ganz sicher stand in den nach 68 Jahren die Aufarbeitung der NS-Zeit im Vordergrund, und damit waren wir schon gut beschäftigt, den Müll vor der eigenen Haustür zu sehen und zu sortieren. (Zumal es ja nur im Westen nazis und Faschisten gegeben hatte.)
Oder sich mit dem Vietnam-Krieg auseinanderzusetzen, das hehre Bild der USA bekam Risse, die auch für viele schmerzhaft zu verarbeiten waren. Die DDR war eines unter vielen Themen.
Sauerer Regen, Umweltschutz, Anti-Atom,- Demos samt Folgen, Arbeitslosigkeit, Friedensbewegung (deren Haltung zum SED-Regime ziemlich konfus war) und Nato-Doppelbeschluss, sorry, aber die Frage der Wiedervereinigung stand nun nicht permanent im Focus.
Es galt in vielen linken Kreisen als unschicklich, äh, neo-faschistisch, revisonistisch, eine Wiedervereinigung ernsthaft zu wünschen. Zumal es ja Nazis nur im Westen gegeben hatte und gab.
Überspitzt gesagt, doch ganz gewiss nicht meine Meinung: Linke Diktaturen waren nicht so schlimm, sondern nur gut gemeint, das Böse ist konservativ und will das Groß-Deutschland wiederhaben.
Ne, das wollte niemand in meiner Umgebung. Dass nach nach einem Sturz des SED-Regimes durchaus ein zweiter, nun wirklich demokratischer deutscher Staat existieren könnte, ( mal ab von den wirtschaftspolitischen Fragen), war in der Theorie für viele vorstellbar.
Nemeth hat geschrieben:Da möchte ich bald dem Chefideologen der SED Karl Eduard von Schnitzler Blumen ans Grab bringen.
Was soll der Vergleich denn nun? Denn nirgendwo steht, dass das Regime der DDR bejubelt wurde, außer von ganz links.
Edit:
@ Nemeth: Danke für die Aufklärung des Hintergrunds Deines Satzes!
Wenn wir DDR-Biografien verstehen sollen, nachvollziehen sollen, dann muss man halt umgekehrt den Wirrwarr, Mischmasch, die Zwiespältigkeit vieler bundesrepublikanischer Bürger zu verstehen versuchen. Was die Prägung so vieler Westdeutscher mit Schnitzlers schwarzem Kanal zu tun hat, wird mir zusehends unklarer.
Du kannst manches als teilweise westdeutsche Unsicherheit im Umgang mit den Folgen des Nazi-Regimes betrachten, aber wahrscheinlich müsstest Du dann eben auch auf der westlichen Seite der einstigen Grenze von den Widersprüchen und Fragen, und sich wandelnden Anschauungen geprägt sein-samt sich ändernder Focussierung auf andere Probleme.
Ich erinnere mich, dass u.a. DER SPIEGEL mithalf, ein distanziertes Verhältnis zu einem wiedervereinigten Deutschland zu schaffen. Der Zwiespalt im Westen, und nur ein Beispiel:
Unvergessen Erichs Böhmes Artikel
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13499569.html
und Augsteins Replik.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13496227.html
Mal abgesehen davon, dass ziemlich viele Wessis sich mal gar keinen Kopf mehr um die innerdeutsche Grenze machten, die ging einer sicherlich nicht unbeträchtlichen Zahl der MitbürgerInnen West nämlich genauso am Sitzfleisch vorbei wie so vieles andere in der Politik auch. ( Ab1984 mal gar, Tutti Frutti ging auf Sendung.)
Paul hat geschrieben:Man kann auf jedenfall feststellen, das die Menschen eine sehr unterschiedliche Einstellung zur Bundesrepublick Deutschland hatten.
So ist es, Paul. und jeder durfte und darf sie haben. Jeder steht damit nur für einen Teil der unterschiedlichsten Positionen und Prägungen.
Orianne hat geschrieben:Was mich interessieren würde ist, wie lange es wohl braucht um die Begriffe "Ossi" und "Wessie" aus den Köpfen zu kriegen, denn meiner Meinung nach wäre dann die Wiedervereinigung zu 99,9 % geschafft.
So, wie Du es meinst, wird das erst sein, wenn die alte Generation nicht mehr ist.
So, wie ich es mir denke, gehört zu jedem, Ost wie West, eine Biografie. Die sollte man gegenseitig akzeptieren statt gegeneinander auszuspielen.
Wieso man nur ex-DDR-Bürgern Identifikationsprobleme zugestehen soll, sehe ich nicht so ganz ein.
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