Deutsche Einheit - Erinnerungen an den 3. Oktober 1990

Die junge Republik: Bonn, Adenauer, RAF, Schmidt, Kohl

Moderator: Barbarossa

Benutzeravatar
Barbarossa
Mitglied
Beiträge: 15507
Registriert: 09.07.2008, 16:46
Wohnort: Mark Brandenburg

RedScorpion hat geschrieben:... Auch ich kann mich gegen das Stereotyp vom egoistischen Jammerossi nicht immer erwehren, der den Westen abgezockt hat, immer schön auf den eigenen Vorteil bedacht ist, Andere für schlechte Jobs und miese Ausbildung verantwortlich macht, die eigene (in Staat und Partei z.T. kriminelle) Vergangenheit schönredet bzw. gar nicht erst bedenkt oder überdenkt. Das ist freilich 'ne Verzerrung und beruht auf Vorurteilen bzw. ist das Resultat aus bequemer Sicht aus dem Sessel im Westen, aber man kann sie oft - auch hier im Forum - zumindest in Teilen bestätigt finden...

Die Jacke ziehe ich mir aber nicht an, denn ich betrachte mich noch nicht einmal als "Ossi" (Brechreiz lass nach) und würde mich auch nie so bezeichnen. Ich bin
1.) Deutscher
und
2.) Preuße
:mrgreen:
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
RedScorpion

Barbarossa hat geschrieben: ...
... denn ich betrachte mich noch nicht einmal als "Ossi" (Brechreiz lass nach) und würde mich auch nie so bezeichnen.
...
Was soll denn daran schlimm sein, es sei denn, man teilte obige Vorurteile oder machte sie sich zueigen? :shock:

Barbarossa hat geschrieben: ...
Ich bin
1.) Deutscher
und
2.) Preuße
:mrgreen:
Das ist schön.



LG
Renegat
Mitglied
Beiträge: 2045
Registriert: 29.04.2012, 19:42

Laß gut sein, RS, Barbarossa versteht sowieso nur das, was er kennt. Mir vorzuhalten, dass ich mich über den arabischen Frühling genauso freute wie über die Wende, zeigt mir, dass es keinen Sinn hat, mit ihm über allgemeine Werte zu diskutieren.
Das ist schade, ändert aber nichts daran, dass es seine Einzelmeinung ist. Die Botschaftsflüchtlinge in Prag, Budapest und Warschau müssen im Frühherbst 1989 über einen anderen Informationsstand verfügt haben als Barbarossa. Die ehem. DDR-Bürger, die ich seit der Wende kennengelernt habe oder mit denen ich als Tourist gesprochen habe, denken auch nicht alle so wie Barbarossa. Deshalb würde ich seine Einzelmeinung nicht pauschalieren.
Wir sind heute alle schlauer wie damals kurz nach der Wende. Aus heutiger Sicht war die Wiedervereinigung mit viel zu heißer Nadel gestrickt. Über die wirtschaftlichen Fehlerwartungen im Immobiliengeschäft könnte ich einiges berichten.
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Barbarossa hat geschrieben:
dieter hat geschrieben:
dieter hat geschrieben:... Nun zum 187 mal, wenn die Ev. Kirche und die Christen einen so großen Einfluß bei der Vereinigung hatten, so kann ich es immer noch nicht verstehen, dass Ostdeutschland überwiegend atheistisch eingestellt ist. Soviel Undankbarkeit schlägt doch dem Fass den Boden aus. :evil: :twisted:
Da du mich damit offensichtich mit ansprichst, nun also zum 187. Mal zurück: Wozu sollte ich in die Kirche eintreten? Nur aus lauter Dankbarkeit? Ich kenne Kirchen nur von außen, habe überhaupt keinen Bezug dazu. Ich habe damals auch mit Christen zusammen demonstriert - ja und weiter?
Letztens habe ich mit Piraten zusammen demonstriert - soll ich nun auch in die Piratenpartei eintreten? Das wäre genau das gleiche. Das macht doch keinen Sinn.
:?
Lieber Barbarossa,
für mich ist es etwas grundverschiedenes Anderes in einer Kirche zu sein und dem Christlichen Glauben zu haben oder in einer Partei zu sein schon garnicht bei den Piraten, den Chaoten-Club, die kein klares Parteiprogramm haben. Ich war 20 Jahre in der SPD, weil ich für die Kleinen Leute bin, aber das ist doch was Anders als die Bergpredigt und die Nächsten- und Feindesliebe für richtig zu halten.
Für mich gehört Dankbarkeit zum menschlichen Wesen, wenn mir jemand in einer Situation geholfen hat, dann unterstütze ich den, wenn er Hilfe braucht. Hier zum Beispiel in die Kirche einzutreten opder wenigstens die Kinder taufen zu lassen. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Barbarossa hat geschrieben:
RedScorpion hat geschrieben:... Auch ich kann mich gegen das Stereotyp vom egoistischen Jammerossi nicht immer erwehren, der den Westen abgezockt hat, immer schön auf den eigenen Vorteil bedacht ist, Andere für schlechte Jobs und miese Ausbildung verantwortlich macht, die eigene (in Staat und Partei z.T. kriminelle) Vergangenheit schönredet bzw. gar nicht erst bedenkt oder überdenkt. Das ist freilich 'ne Verzerrung und beruht auf Vorurteilen bzw. ist das Resultat aus bequemer Sicht aus dem Sessel im Westen, aber man kann sie oft - auch hier im Forum - zumindest in Teilen bestätigt finden...

Die Jacke ziehe ich mir aber nicht an, denn ich betrachte mich noch nicht einmal als "Ossi" (Brechreiz lass nach) und würde mich auch nie so bezeichnen. Ich bin
1.) Deutscher
und
2.) Preuße
:mrgreen:
Lieber Barbarossa,
ich auch. Bin ein Preußischer Protestant. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Renegat hat geschrieben:Wir sind heute alle schlauer wie damals kurz nach der Wende. Aus heutiger Sicht war die Wiedervereinigung mit viel zu heißer Nadel gestrickt. Über die wirtschaftlichen Fehlerwartungen im Immobiliengeschäft könnte ich einiges berichten.
Lieber Renegat,
da hast Du recht, sie war nur mit heißer Nadel gestrickt, man hatte auch nicht viel Zeit, siehe den baldigen Zusammenbruch der SU. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
RedScorpion

Renegat hat geschrieben: ...
Mir vorzuhalten, dass ich mich über den arabischen Frühling genauso freute wie über die Wende, ...
...
Fand ich auch sehr seltsam. Hab' mir Kommentare dazu extra verkniffen.

Renegat hat geschrieben: ...
Das ist schade, ändert aber nichts daran, dass es seine Einzelmeinung ist. Die Botschaftsflüchtlinge in Prag, Budapest und Warschau müssen im Frühherbst 1989 über einen anderen Informationsstand verfügt haben als Barbarossa. Die ehem. DDR-Bürger, die ich seit der Wende kennengelernt habe oder mit denen ich als Tourist gesprochen habe, denken auch nicht alle so wie Barbarossa. Deshalb würde ich seine Einzelmeinung nicht pauschalieren.
...
Naja, ob's wirklich nur 'ne Einzelmeinung ist ... Was mich nur immer wieder erstaunt bis erschreckt, ist, als sei's geradezu darauf angelegt, existierende Vorurteile zu bestätigen. Aber jut, was soll's.

Seltsamer noch ist aber das hier:
Barbarossa hat geschrieben: ...
Wozu sollte ich in die Kirche eintreten? Nur aus lauter Dankbarkeit? Ich kenne Kirchen nur von außen, habe überhaupt keinen Bezug dazu. Ich habe damals auch mit Christen zusammen demonstriert - ja und weiter?
Letztens habe ich mit Piraten zusammen demonstriert - soll ich nun auch in die Piratenpartei eintreten? Das wäre genau das gleiche. Das macht doch keinen Sinn.
:?
Es geht überhaupt nicht um Eintritt, Austritt, Nichteintritt oder Nichtaustritt.
Sondern darum, v.a. wenn man denn schon erkennt, dass die eine oder andere Grösse an dem einen oder anderen historischen Ereignis Mitwirkung hatte,

und - last but not least - sich in einem Historikforum äussert, noch dazu an massgeblicher Stelle und als Interessierter,

dass man sich auf dem Gebiet +- völlige Ahnungslosigkeit bis gelebte Ignoranz leistet und das völlig normal findet.

Und das scheint leider nicht auf kirchliche oder theologische Aspekte beschränkt zu sein, die in der Historie der DDR offensitlich u.a. ausgemerzt wurden (wie auch soziale Alternativen links des westlichen Establishments, btw.). Da ist m.E. ganz enormer Rückstand, der in 25 Jahren nicht annähernd aufgeholt wurde. Das ist für mich das eigentlich Erschreckende. Diese in meinen Augen eigengewählte Abgeschiedenheit und Verweigerungshaltung. Und ich weiss nicht, ob das 'n Einzelfall ist oder nicht doch irgendwo typisch für Teile der "neuen" Bundesländer.

Renegat hat geschrieben: ...
Wir sind heute alle schlauer wie damals kurz nach der Wende. Aus heutiger Sicht war die Wiedervereinigung mit viel zu heißer Nadel gestrickt. Über die wirtschaftlichen Fehlerwartungen im Immobiliengeschäft könnte ich einiges berichten.
Mag sein, dass hier und da auch grobe Fehlleistungen geliefert wurden, an entscheidender Stelle.

Aber: Was hätten's denn machen sollen? Etwa warten, bis der Schwarzmarkt eine feste Grösse geworden ist, die man nicht wieder loswird? Oder man in Moskau geputscht hatte?



@Dieter: "Dankbarkeit" ist aber 'was anderes. Ich würd's im Falle der Bev. der neuen Bundesländer, die noch DDR-Bürger waren, durch "Anerkennung historischer Fakten" oder so ersetzen; denn ohne Westkassen und politischen Willen zur Einheit im Westen damals wären sie keine Bundesbürger heute. Ohne Gorbatschow und Solidarność allerdings wahrscheinlich auch nicht.


dieter hat geschrieben:
Barbarossa hat geschrieben:
RedScorpion hat geschrieben:... Auch ich kann mich gegen das Stereotyp vom egoistischen Jammerossi nicht immer erwehren, der den Westen abgezockt hat, immer schön auf den eigenen Vorteil bedacht ist, Andere für schlechte Jobs und miese Ausbildung verantwortlich macht, die eigene (in Staat und Partei z.T. kriminelle) Vergangenheit schönredet bzw. gar nicht erst bedenkt oder überdenkt. Das ist freilich 'ne Verzerrung und beruht auf Vorurteilen bzw. ist das Resultat aus bequemer Sicht aus dem Sessel im Westen, aber man kann sie oft - auch hier im Forum - zumindest in Teilen bestätigt finden...

Die Jacke ziehe ich mir aber nicht an, denn ich betrachte mich noch nicht einmal als "Ossi" (Brechreiz lass nach) und würde mich auch nie so bezeichnen. Ich bin
1.) Deutscher
und
2.) Preuße
:mrgreen:
Lieber Barbarossa,
ich auch. Bin ein Preußischer Protestant. :wink:
Auch wenn Ihr da Smilies hingemacht habt: Kann man überhaupt Preusse sein (ist ja eher historischer Begriff), ohne Protestant zu sein, wenn sich damals gar auch schon Protestanten westlich der Elbe als "Musspreussen" schimpften?



LG
ehemaliger Autor K.

Ich bin weder Preuße noch Protestant. Die Hanseaten sind kosmopolitisch, weil Hamburg das Tor zur Welt ist und wir schon deshalb aus kommerziellen Gründen international orientiert sind.

Allerdings ist die deutsche Staatsangehörigkeit durchaus nützlich, denn wir sind in der Welt sehr beliebt, wie ich häufig festgestellt habe. Das gilt nicht für Europa wegen der Kriege, aber für Asien, Afrika und Lateinamerika. Wir haben praktisch keine koloniale Vergangenheit. Die ist schon lange vorbei und wird in den betroffenen Ländern teilweise sogar jetzt nostalgisch verklärt. Aber weil wir gegen die früheren Kolonialmächte, Frankreich, England, Belgien, Holland usw. früher Kriege geführt haben, findet man uns in deren ehemaligen Kolonien sympathisch, weil die Menschen glauben, dass der Feind ihres Feindes automatisch ihr Freund sein müsste. Deshalb wurden Deutsche immer gerne gesehen.

Unter Deutschland verstand man eigentlich überall die BRD. Die DDR wurde fast nirgendwo für voll genommen oder als Staat akzeptiert. Es ist ja auch bemerkenswert, dass praktisch alle Länder auf der Welt die Wiedervereinigung begrüßten, auch die einstigen Verbündeten der DDR oder Staaten, die dem dortigen Regime nahestanden. Selbst solche Burschen wie Gaddafi behaupteten einmal in einem Interview, er hätte den Wunsch der Deutschen nach einem einheitlichen Staat immer unterstützt und fand die Teilung des Landes unnatürlich. Es zeigte sich 1990, dass die DDR weltweit auch nie wirklich als zweites Deutschland akzeptiert worden war, sondern nur als Provisorium.
Renegat
Mitglied
Beiträge: 2045
Registriert: 29.04.2012, 19:42

Karlheinz hat geschrieben:I
Unter Deutschland verstand man eigentlich überall die BRD. Die DDR wurde fast nirgendwo für voll genommen oder als Staat akzeptiert.
Weiß ich nicht mehr, habe die DDR nur auf der Transitstrecke nach Berlin durchfahren, beklemmende Atmossphäre am Kontrollpunkt und fremde Bräuche in den Raststätten "Sie werden plaziert". Den DDR-Boden betreten habe ich das erste Mal in Ostberlin, muß Sommer 89 gewesen sein. Da gab es relativ unbürokratisch Besuchertagesvisa, seit wann es diese Erleichterung gab, weiß ich auch nicht mehr.
Mein Eindruck aus der Erinnerung war, dass in der DDR "150%ige" am Ruder waren, ob das nun preußisch, protestantisch oder sonstwas ist, keine Ahnung.
In meiner Generation kannte man keine Verwandschaft in der DDR mehr persönlich, meine Oma schrieb Briefe an eine entfernte Cousine und mein Vater hatte einen Schulfreund, der uns sogar mal ohne Familie besucht hat. Da war ich noch ein Kleinkind, ein paar Jahre hatte ich mit seiner Tochter einen etwas von den Eltern verordneten Briefkontakt.

Für mich war die DDR schon ein normaler Staat, die Leute sprachen deutsch, ok, das tun sie auch in Ö, CH und anderswo. Über den Freiheitsdrang in Polen, Ungarn und anderen Ostblockländern hat man in der BRD mehr mitgekriegt. In die CSSR, nach Ungarn, Polen und vor allem Jugoslawien konnte man reisen.
Sehr geprägt hat mich der Prager Frühling, zeitgleich mit der 68er Bewegung, dieser Zusammenhang hat sich ins kollektive Gedächtnis meiner Generation eingeprägt. Der 17. Juni und der Mauerbau war dagegen noch mit der Nachkriegszeit verknüpft. Und danach hat man die DDR eigentlich nur bei Sportveranstaltungen wahrgenommen. Selbst die Grenze war irgendwie nicht mehr interessant, war Normalität geworden. Wir haben in den 80ern oft Campingurlaub im Harz gemacht, ich kann mich nicht erinnern, dass wir da jemals an die Grenze gefahren wären.
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Karlheinz hat geschrieben:
Unter Deutschland verstand man eigentlich überall die BRD. Die DDR wurde fast nirgendwo für voll genommen oder als Staat akzeptiert. Es ist ja auch bemerkenswert, dass praktisch alle Länder auf der Welt die Wiedervereinigung begrüßten, auch die einstigen Verbündeten der DDR oder Staaten, die dem dortigen Regime nahestanden. Selbst solche Burschen wie Gaddafi behaupteten einmal in einem Interview, er hätte den Wunsch der Deutschen nach einem einheitlichen Staat immer unterstützt und fand die Teilung des Landes unnatürlich. Es zeigte sich 1990, dass die DDR weltweit auch nie wirklich als zweites Deutschland akzeptiert worden war, sondern nur als Provisorium.
Lieber Karlheinz,
schön dass dieses Provisorium durch den Mut der ostdeutschen Bevölkerung beendet wurde. :)
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
ehemaliger Autor K.

RedScorpion
Sicherlich mitunter nicht einfach, den Feind, den es bisher zu vernichten (oder bestenfalls kaltzustellen) galt, auf einmal als Bruder und Schwester anzusehen, noch dazu, wenn er sich derart "undankbar" aufführt wie die Ossis.
So war es aber nicht. Die Ostdeutschen waren keine Feinde in unseren Augen, so wurde das auch nicht in der Schule gelehrt. Die Feinde waren die Russen, die den östlichen Teil Deutschlands besetzt hielten. Die dort lebenden Menschen waren deren Opfer, die dort gefangen gehalten wurden und nur darauf warteten, zu uns zu kommen. Und dieses Bild war ja auch nicht völlig verkehrt. Ich persönlich glaubte eigentlich, dass die Soldaten der NVA im Falle eines Krieges desertieren und zu uns überlaufen würden. Ich denke einmal, die Sowjets gingen auch davon aus.

An die Teilung gewöhnte man sich im Laufe der Zeit, dass sie aber eigentlich unnatürlich war, das ist mit Sicherheit auch den meisten Westdeutschen immer klar gewesen. Nur ging man nicht davon aus, dass sich dies jemals ändern würde. Wir hatten davon ja auch keine Nachteile, sondern nur die „armen Brüder und Schwestern“ im Osten, wie sie häufig etwas abfällig bezeichnet wurden.

Jemand sagte einmal zu mir: Es ist für die Westdeutschen so gewesen, als ob man eine lange abgeschriebene Braut plötzlich wiederfindet, aber feststellt, dass sie unerwartet hässlich geworden ist in all den Jahren und man deshalb erst einmal zurückschreckt. Aber die verlorene Braut möchte für ihre lange Wartezeit entschädigt werden.
ehemaliger Autor K.

Renegat:
Den DDR-Boden betreten habe ich das erste Mal in Ostberlin, muss Sommer 89 gewesen sein. Da gab es relativ unbürokratisch Besuchertagesvisa, seit wann es diese Erleichterung gab, weiß ich auch nicht mehr.
Für Westdeutsche war es bereits in den sechziger Jahren ziemlich einfach, nach Ostberlin für einen Tag einzureisen. Das machte ich bereits 1969. Schwierigkeiten gab es für die Westberliner mit ihren vorläufigen Personalausweisen. Nach dem Viermächteabkommen über Berlin 1972 wurde aber alles viel unkomplizierter, vor allem der Transit durch die DDR nach Westberlin. Vorher wurde man an den Grenzkontrollen von oben bis unten von den Beamten durchsucht und schikaniert, das hörte dann endlich auf.
Renegat
Mein Eindruck aus der Erinnerung war, dass in der DDR "150%ige" am Ruder waren, ob das nun preußisch, protestantisch oder sonstwas ist, keine Ahnung.
Die Regierenden waren wohl „150%ige“ Kommunisten, mit dem Benehmen preußischer Kleinbürger. Aber für die Masse der DDR-Bürger traf dies sicherlich nicht zu. In den siebziger Jahren machten wir öfters Camping in Budapest und kamen dort mit vielen ostdeutschen Touristen ins Gespräch. Was mir immer auffiel: Ihr extremer Antikommunismus. Sie redeten über ihr Land in der Sprache der westlichen Kalten Krieger, aber in einer Art und Weise, wie das selbst die Hardliner bei uns schon lange nicht mehr taten. Mich störten damals die vielen rassistischen Bemerkungen über Algerier und andere ausländischen Arbeiter in ihrem Land. Das empfand ich als ziemlich unangenehm. Ansonsten hatte ich den Eindruck: Die Bewohner der DDR sind noch viel antikommunistischer als die Menschen in der BRD.

Später kam ich in Prag und in Warschau mit SED - Funktionären zusammen. Die redeten aber in einer hölzernen, auswendig gelernten Sprache, völlig emotionslos und leierten ihre Phrasen herunter. Instinktiv dachte ich: Das ist nicht echt, das ist Maskerade.

Wenn diese Leute endlich verschwanden, konnte man sich mit Polen, Ungarn und anderen Vertretern aus Ostblockländern häufig ganz ungezwungen unterhalten. Die machten sich über die DDR-Vertreter dann auch lustig und fanden deren Auftritte nur peinlich. Offensichtlich wurden die Ostdeutschen auch im Warschauer Pakt nicht ernst genommen.
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Karlheinz hat geschrieben:
RedScorpion
Sicherlich mitunter nicht einfach, den Feind, den es bisher zu vernichten (oder bestenfalls kaltzustellen) galt, auf einmal als Bruder und Schwester anzusehen, noch dazu, wenn er sich derart "undankbar" aufführt wie die Ossis.
So war es aber nicht. Die Ostdeutschen waren keine Feinde in unseren Augen, so wurde das auch nicht in der Schule gelehrt. Die Feinde waren die Russen, die den östlichen Teil Deutschlands besetzt hielten. Die dort lebenden Menschen waren deren Opfer, die dort gefangen gehalten wurden und nur darauf warteten, zu uns zu kommen. Und dieses Bild war ja auch nicht völlig verkehrt. Ich persönlich glaubte eigentlich, dass die Soldaten der NVA im Falle eines Krieges desertieren und zu uns überlaufen würden. Ich denke einmal, die Sowjets gingen auch davon aus.
Lieber Karlheinz,
Du hast recht die Ostdeutschen waren für mich keine Feinde, sondern Onkel und Tanten. Auch die Russen waren keine Feinde, sondern die Kommunisten. Das war sogar während des 2. Weltkrieges in Teilen so. Ich habe Briefe meines gefallenen Vaters, indem er über die Russen schrieb, die ihm 50 Meter entfernt gegenüber lagen. Er hat ihre Geschmeidigkeit und Beweglichkeit bewundert und das, weil er ab 1933 in der HJ, Arbeitsdienst, Wehrdienst und der Wehrmacht gewesen war. :wink:
Was Du vom Desertieren der NVA-Soldaten schreibst glaube ich nicht so ganz, den schließlich wird heute noch in Ostdeutschland die Linke bei freien Wahlen gewählt. In Berlin hat sie vier Wahlkreise errungen. Ich habe auch bis 1989 geglaubt, dass die ganze Bevölkerung gegen dieses Regime wäre, weil meine Verwandten ständig nur über das Regime schimpften, aber die ersten freien Volkskammerwahlen und die erste gesamtedeutsche Wahl hatte mich eines Schlechteren belehrt. :evil:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Benutzeravatar
Barbarossa
Mitglied
Beiträge: 15507
Registriert: 09.07.2008, 16:46
Wohnort: Mark Brandenburg

Renegat hat geschrieben:Laß gut sein, RS, Barbarossa versteht sowieso nur das, was er kennt. Mir vorzuhalten, dass ich mich über den arabischen Frühling genauso freute wie über die Wende, zeigt mir, dass es keinen Sinn hat, mit ihm über allgemeine Werte zu diskutieren...
Ich verstehe nicht, was du jetzt hast. Ich halte es eigentlich für logisch, daß einem die Ereignisse, die die Verhältnisse im eingenen Land grundlegend änderten und zumindest bei uns im Osten sich auch das eigene Leben veränderte, näher sind als der arabische Frühling, den man nur aus der Entfernung beobachtet. Zudem war die friedliche Revolution nun mal weitgehend friedlich - der arabische Frühling jedoch nicht. Letzterer Aspekt ist ja nun eher beklagenswert.
Karlheinz hat geschrieben:... Es zeigte sich 1990, dass die DDR weltweit auch nie wirklich als zweites Deutschland akzeptiert worden war, sondern nur als Provisorium.
Das ist natürlich bemerkenswert. Könnte das am Alleinvertretungsanspruch liegen, den die Bundesregierungen lange Zeit vertraten? Die "Hallstein-Doktrin" wurde ja erst 1969 aufgegeben.
Die DDR mag anfangs möglicherweise noch als "Provisorium" gedacht gewesen sein. Aber das war die Bundesrepublik mit dem Grundgesetz, das noch nicht mal "Verfassung" genannt wurde schon erst recht. Spätestens mit der neuen DDR-Verfassung von 1974 sah die DDR-Führungsriege die Teilung als endgültig an.
Aber auch wir als jüngere Generation haben eine eventuelle Überwindung der Teilung als utopisch angesehen - jedenfalls bis 1989.
dieter hat geschrieben:Lieber Barbarossa,
für mich ist es etwas grundverschiedenes Anderes in einer Kirche zu sein und dem Christlichen Glauben zu haben oder in einer Partei zu sein schon garnicht bei den Piraten, den Chaoten-Club, die kein klares Parteiprogramm haben...
...und für mich wäre das eben genau das selbe. Darum habe ich auch nie eine Veranlassung gesehen, irgendwelche Schritte in dieser Richtung zu unternehmen. Für mich ist der Glaube mit der Kirche fest gekoppelt. Und weder mit Religion oder Glaube hatte ich je etwas zu tun. Ist eben so.
Karlheinz hat geschrieben:...Die Ostdeutschen waren keine Feinde in unseren Augen, so wurde das auch nicht in der Schule gelehrt...
Uns versuchte man in der Schule es so beizubringen. Die wenigsten glaubten es und diejenigen, die es glaubten, hatten auch meist Eltern, die "rot" waren.
An einer Spekulation, ob und wieviele NVA-Soldaten desertiert wären, will ich mich gar nicht beteiligen. Denn klar ist, das Schlachtfeld wäre Mitteleuropa gewesen und höchstwahrscheinlich unter dem Einsatz von Atomwaffen, so daß Desertationen letztlich gar keine entscheidende Rolle auf den Verlauf der Dinge gespielt hätten.
Karlheinz hat geschrieben:... Sie redeten über ihr Land in der Sprache der westlichen Kalten Krieger, aber in einer Art und Weise, wie das selbst die Hardliner bei uns schon lange nicht mehr taten...
(...)
Ansonsten hatte ich den Eindruck: Die Bewohner der DDR sind noch viel antikommunistischer als die Menschen in der BRD.
Kein Wunder, wir hatten ja unter dem Regime zu leiden. Auch nach meiner Erinnerung schimpften eigentlich fast alle auf den Staat, bis auf wenige Parteigenossen.
Karlheinz hat geschrieben:Mich störten damals die vielen rassistischen Bemerkungen über Algerier und andere ausländischen Arbeiter in ihrem Land. Das empfand ich als ziemlich unangenehm...
Das gab es, das stimmt. Es gab wirklich nicht wenige, die auf diese Gastarbeiter herabschauten. Vietnamesen wurden abfällig als "Fidschis" bezeichnet - ich glaube, das tun viele heute noch. Woher das kam, kann ich gar nicht sagen. Ob das vielleicht z. T. daher kam, daß sie nur als Hilfsarbeiter eingesetzt wurden? - Ich weiß es nicht. Ich glaube aber, auf die eigenen Landsleute, die von der Hilfsschule kamen oder auch sonst keinen richtigen Beruf gelernt hatten, wurde in ähnlicher Weise herabgeschaut.
Ich habe sogar von einer Abteilung im Stahlwerk gehört, da wurde noch "Führergeburtstag" gefeiert. Sowas erfuhr man aber nur über mehrere Ecken. Von offizieller Seite wurde das totgeschwiegen.
Ich glaube sogar, Homosexuelle hätten hier im Osten heute noch einen schweren Stand, wenn sie sich outen würden.
Insofern geht es hier noch relativ intolerant zu.
dieter hat geschrieben:Was Du vom Desertieren der NVA-Soldaten schreibst glaube ich nicht so ganz, den schließlich wird heute noch in Ostdeutschland die Linke bei freien Wahlen gewählt. In Berlin hat sie vier Wahlkreise errungen...

Das halte ich in den meisten Fällen inzwischen für reinen Opportunismus.
Der Schwager eines früheren Kumpels von mir ist '89 über die Prager Botschaft in den Westen geflüchtet. 1991 besuchten wir ihn zusammen in Düsseldorf, wo er dann wohnte.
Und jetzt kommt's: Ich traute meinen Ohren kaum, als ich ihn darüber schimpfen hörte, daß die Strompreise und anderes wegen dem Osten immer höher stiegen... Ausgerechnet er!
:evil:

Ich glaube wirklich, viele Menschen sind einfach so: Jeder ist sich selbst der Nächste.
So ist es auch mit der Linkspartei: Früher wurde auf die Kommunisten geschimpft - heute werden sie von vielen gewählt, weil sie deren Versprechunge glauben und einfach vergessen haben, was die Kommunisten früher verbrochen haben.

Nur ich bin da irgendwie anders und ecke möglicherweise deswegen auch hier häufig an. Aber ich muß mich selbst noch im Spiegel betrachten können. Darauf kommt es für mich an.
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
RedScorpion

dieter hat geschrieben: ...
Auch die Russen waren keine Feinde, sondern die Kommunisten. Das war sogar während des 2. Weltkrieges in Teilen so.
...
"Wähnnä, die Russen sind dä!" aus dem Mund des Meister Röhrig klingt da aber anders, sorry. :mrgreen:

dieter hat geschrieben: ...
wink:
Was Du vom Desertieren der NVA-Soldaten schreibst glaube ich nicht so ganz, den schließlich wird heute noch in Ostdeutschland die Linke bei freien Wahlen gewählt. In Berlin hat sie vier Wahlkreise errungen. Ich habe auch bis 1989 geglaubt, dass die ganze Bevölkerung gegen dieses Regime wäre, weil meine Verwandten ständig nur über das Regime schimpften, aber die ersten freien Volkskammerwahlen und die erste gesamtedeutsche Wahl hatte mich eines Schlechteren belehrt. :evil:
Bin ich jetzt nur noch volldoof, oder haste die nicht selbst gewählt? :wtf:


Karlheinz hat geschrieben:
RedScorpion
Sicherlich mitunter nicht einfach, den Feind, den es bisher zu vernichten (oder bestenfalls kaltzustellen) galt, auf einmal als Bruder und Schwester anzusehen, noch dazu, wenn er sich derart "undankbar" aufführt wie die Ossis.
So war es aber nicht. Die Ostdeutschen waren keine Feinde in unseren Augen, so wurde das auch nicht in der Schule gelehrt.
...
Gut, dann eben andersherum:
Sicherlich mitunter nicht einfach, die Familie, die einem ja trotz phyischer Trennung von 28 Jahren irgendwie nahestand (Blut ist ja bekanntlich dicker als Wasser), als Klassenfeind wiederzuerkennen, der in NVA, der Partei, Hitlerj.. ich mein' den Pionieren und FdJ und so wiederzuerkennen.
Zumal statistisch Familie Kasner und der Honecker Erik, sprich Leute, die vom Westen nach dem Krieg in den Osten rübergemacht haben - sofern's nicht gerade Kriegsgefangene waren - ja eher nicht so signifikant sind;

eher andersherum: Und wie lief das da? Doch wohl so: "Kommt mit, solange es noch geht, und damit der komm. Staat das Haus/den Grundbesitz nicht kriegt, nehmt's ihr, solange Ihr nicht nachkommt." Und wenn sie nicht nachkamen, dann hiess es häufig: "Selbst schuld" oder "Was nützen Euch tolle Häuser auf dem Mond". Galt freilich nicht für die Nachkommen sprich deren Kinder dann im grössten offenen Knast der Welt.
Aber es hatte doch für ein bisschen böses Blut gesorgt, dass man - obwohl man es ja besser wusste - nicht für vollgenommen worden war, als noch Zeit für eine relativ gefahrlose Flucht war.
Man nahm es übel wegen der Kinder.

Karlheinz hat geschrieben: ...
... persönlich glaubte eigentlich, dass die Soldaten der NVA im Falle eines Krieges desertieren und zu uns überlaufen würden. Ich denke einmal, die Sowjets gingen auch davon aus.
...
Das Pentagon und auch Bonn glücklicherweise aber nicht.

Karlheinz hat geschrieben: ...
Jemand sagte einmal zu mir: Es ist für die Westdeutschen so gewesen, als ob man eine lange abgeschriebene Braut plötzlich wiederfindet, aber feststellt, dass sie unerwartet hässlich geworden ist in all den Jahren und man deshalb erst einmal zurückschreckt. Aber die verlorene Braut möchte für ihre lange Wartezeit entschädigt werden.
Nana.
Wenn's so wäre, dann wär' die Braut ja heute, aufgemotzt und Schminke mit Buttermesser aufgespachtelt, heute ja wieder recht schnieke anzusehen (die Bauunternehmen mussten ja auch von was leben).

Die Ostmentalität ist aber nach wie vor da, wahrscheinlich (sprich: sie fühlt sich immer noch hässlich, die Braut).



LG
Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag

Zurück zu „Die Bundesrepublik Deutschland“