Deutsche Einheit - Erinnerungen an den 3. Oktober 1990

Die junge Republik: Bonn, Adenauer, RAF, Schmidt, Kohl

Moderator: Barbarossa

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dieter
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Wir haben den 3. Oktober und strahlendes Wetter wenigstens im Odenwald, wo wir uns zur Zeit noch befinden, bis wir unser Häuschen nach einer Woche Winterfest machen.
Vor 23 Jahren wurde die Forderung des Grundgesetzes nach Einheit unseres Vaterlandes erfüllt, durch das mutige Eintreten der ostdeutschen Bevölkerung für Demokratie und damit verbunden das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes in einem gemeisamen Staat zu leben. Am 9.Oktober 1989 haben in Leipzig ausgegangen von der Nikolaikirche und einer weiteren ev. Kirche 70.000 Menschen für Demokratie unter den Rufen "wir sind das Volk" und "keine Gewalt" demonstriert. Meine Verwandtschaft war auch dabei. Sie mußten jederzeit damit rechnen zusammengeschossen zu werden und dass die Sowets mit Panzer kamen, wie am 17.Juni 1953 in Berlin. Bürger unter Kurt Mazur konnten die staatliche Gewalt von Gegenmaßnahmen abhalten. Für mich wäre dieser Tag der eigentliche Feiertag in der deutschen Geschichte. :wink:
Der 9.November 1989 mit der von der Bevölkerung erzwungenen Maueröffnung ausgelöst durch Politbüromitglied Schabowski setzte den Weg zur Deutschen Einheit fort. Aus den Ruf, "wir sind das Volk" wurde der Ruf, "wir sind ein Volk".
Durch Gorbi, Kohl und den "Vier plus zwei Verhandlungen" kam es dann zur Vereinigung unseres Vaterlandes indem die DDR am 3.10.1990 der Bundesrepublik beigetreten ist. :D :)
Als Auslands- und Osthauptsachbearbeiter, der mit diesen Problemen befasst war, weiß ich natürlich, dass die ostdeutsche Bevölkerung immer noch nicht rechtlich so behandelt wird, wie die westdeutsche. Dazu gehört, gleich hohe Renten im Osten und Westen genauso einen gleichhohen Lohn für ganz Deutschland. Mindestens 8,50 € besser wären 10,50€ da sonst unsere Rentner nur die Grundsicherung erreichen. :wink:
Trotz allem, ich bin zufrieden, nicht stolz in diesem Land im Vergleich zu anderen Ländern,die ich kenne zu leben. Stolz deshalb nicht, wegen der Verbrechen der Nazis und weil nach einem Sprichwort: "Dummheit und Stolz auf einem Holz wachsen". :wink:
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Eine sehr schöne Ansprache, Dieter. Sie gefällt mir sehr gut. Auch deine Bemerkungen über den Stolz finde ich völlig zutreffend. Ich würde allerdings noch hinzufügen:

Stolz kann man sein auf seine eigene Leistung oder das, was man zusammen mit einer Gruppe erreichen konnte. Insofern können die Ostdeutschen, die sich dem Regime entgegengestellt haben, obwohl sie damit sehr viel riskierten, wirklich stolz sein, auf ihren Mut und ihre Entschlossenheit. Sie sind in meinen Augen wirklich Helden gewesen und wenn es in der Geschichte Deutschlands, die so voll ist von Tragödien und unglücklichen Ereignissen, Momente gibt, auf die man wirklich stolz sein kann, dann sind es die Ereignisse im Herbst 1989 gewesen. Die ostdeutschen Frauen und Männer in diesem schicksalshaften Jahr, die damals demonstrierten, haben eine unglaubliche Leistung vollbracht und dafür gebührt ihnen unser Dank, denn ohne ihr mutiges Engagement hätten Kohl und die anderen Politiker überhaupt nichts ausrichten können, denn sie ernteten ja nur, was andere gesät hatten.

Deshalb, Dank und Bewunderung für diese Menschen, auf die man wirklich stolz sein kann.
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dieter
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Lieber Karlheinz,
ich sehe es genauso und bin Stolz auf die ostdeutsche Bevölkerung, die durch Mut und Geschick es erreicht hat, dass wir wieder ein Gemeinsames Deutschland haben. Bin nur verwundert, dass es Barbarossa Gestern zu diesem Tag, da er selbst Ostdeutscher ist und in der Bürgerrechtsbewegung tätig war, bisher keine Zeile wert wahr. Ich meine, schon einmal im Jahr sollte man der ostdeutschen Bevölkerung für ihren Mut danken und hoffen, dass es gelingt die Lebensverhältnisse im Osten an die im Westen anzugleichen . :wink:
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Barbarossa
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Entschuldige Dieter, aber ich bin gerade mit etwas beschäftigt, das ich zu Ende bringen möchte. Darum mache ich mich hier gerade etwas rar.
Karlheinz hat geschrieben:... Die ostdeutschen Frauen und Männer in diesem schicksalshaften Jahr, die damals demonstrierten, haben eine unglaubliche Leistung vollbracht und dafür gebührt ihnen unser Dank, denn ohne ihr mutiges Engagement hätten Kohl und die anderen Politiker überhaupt nichts ausrichten können, denn sie ernteten ja nur, was andere gesät hatten.

Deshalb, Dank und Bewunderung für diese Menschen, auf die man wirklich stolz sein kann.
Natürlich war es eine herausragende Leistung des ganzen Volkes.
Ich weiß noch, am 3. Oktober 1990 habe ich mit meinem Kumpel die ganze Nacht durchgefeiert und um Mitternacht gingen wir raus, weil auch viele andere draußen waren und plötzlich und völlig spontan bildete sich in unserer 25.000 Einwohner-Stadt ein Jubel-Demonstrationszug, der dann durch die Straßen zog - ich muß sagen, sowas habe ich noch nie vorher und nie wieder danach erlebt. Vor allem in dieser Sponatität und wirklich echte Freude und Jubel - das war einfach nur der Wahnsinn.
Das war gar nicht zu vergleichen mit diesen organisierten Demonstrationszügen, die es vorher immer zum 1. Mai gegeben hatte, wo zwar auch "Hinz und Kunz" auf den Beinen war, aber man merkte, daß es alles gestellt war. Das war nichts im Vergleich mit der Euphorie in den Jahren 1989/90.
Und nein, ich sehe Kohl nicht als den, der die falschen Lorbeeren geerntet hat. In meinen Augen damals wie heute, war er der "Manager" der Ereignisse. Es ist sein Verdienst, daß er die Forderungen der Menschen bei uns auf der Straße in praktische Politik umgesetzt hat - vor allem außenpolitisch gab es ja ein paar "harte Nüsse zu knacken". So hatte er sich seine Wiederwahl auch wirklich verdient.
Aber damals wie heute sehe ich es so, daß die Politiker in diesen Jahren eigentlich auch nur Getriebene der Ereignisse waren. Sie hatten die Forderungen der Bürger so gut es ging umzusetzen und zwar ohne wenn und aber. Jeder, der das irgendwie in eine andere Richtung zu drehen versuchte oder nicht voll dahinter stand, scheiterte. Das ist das, was unsere Bürgerrechtler auch zu spüren bekamen. Sie stellten sich gegen die schnelle Einheit und wurden bei der Wahl am 18. März 1990 von der Woge überrollt. Auch die SPD unter Lafontaine stand nicht so voll dahinter, wie wir uns das wünschten - auch sie bekamen ihre Quittung mit nur 21 %.
Das Ergebnis war der Wahlsieg der "Allianz für Deutschland" und die schnelle Einführung der DM und die schnelle Einheit Deutschlands. Das fand ich irgendwie toll.
:D
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dieter
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Lieber Barbarossa,
ich nehme Oskar nicht gerne in Schutz, stammt auch aus dem Saarland wie Honi, aber das es wirtschaftlich bergab gehen mußte in Ostdeutschland war ihm sicherlich klar, das war auch dem Bundesbankpräsidenten Blessing klar. Ein Umtauschkurs 1:1 für die ersten 7.000 Mark entsprach natürlich nicht dem Wert der Ostmark. Die Betriebe in der ehemaligen DDR mußten zusammenbrechen, weil dann nur noch in Westmark abgerechnet werden konnte. Auch, dass für die Deutsche Vereinigung keine Kosten entstehen würden hat sich als Illusion erwiesen, es mußte der Soli eingeführt werden. :wink:

Meine Verwandtschaft besuchte uns nach der Vereinigung nicht mehr, wir erhielten Postkarten aus Ägypten, Kenia wo meine Tante mit einem Rettungsflugzeug nach Hause geflogen wurde, und Kroatien. :wink: Der Sohn meiner Tante, der in der SED war und dort ausgetreten ist, wollte mir noch nichtmal mehr zum Geburtstag gratulieren, trotzdem die Tante bei mir angerufen hatte, er meinte, wie wären ja nur Verwandtschaft, trotzdem wir ihnen jeden Monat ein Packet geschickt hatten. :roll:
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Renegat
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Barbarossa hat geschrieben:
Das Ergebnis war der Wahlsieg der "Allianz für Deutschland" und die schnelle Einführung der DM und die schnelle Einheit Deutschlands. Das fand ich irgendwie toll.
:D
Letztlich ging es darum, die DDR-Bürger wollten es genauso haben wie in der BRD und dachten, das ist am schnellsten durch den Anschluß zu erreichen. Das ist für mich nachvollziehbar, war aber nicht sehr vernünftig. Mit dem Abstand von 23 Jahren kann man das kritischer betrachten.

Damals habe ich mich auch gefreut, genauso wie ich mich über den arabischen Frühling gefreut habe. Es ist eine schöne, hoffnungsvoll stimmende Menschheitserfahrung, wenn Menschen mit friedlichen Mitteln eine schnelle, politische Veränderung einleiten.
Genauso wie wir nicht vergessen dürfen, dass der arabische Frühling in Tunesien begann, obwohl man immer auf das dichtbesiedelte Ägypten starrt, sollten wir uns daran erinnern, dass die friedliche Revolution in der DDR sich an die polnischen Veränderungen anlehnte. Der polnische Kampf um mehr Freiheit begann 1980. Nach vielen Rückschlägen kam es schon im Sommer 1989 zu ersten freien Wahlen. Das soll nicht die Anerkennung der Demonstranten in der DDR schmälern, ich finde nur, dass man das zeitgenössische Umfeld nicht vergessen darf. Und die Tatsache, dass der, der zuerst aus der Reihe tritt, immer das höchste Risiko trägt.
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3.Oktober 1990. Erste, eher freudlose Wiedervereinigungsfeier in Hamburg

Am 3.Oktober 1990 fand in Hamburg die erste zentrale Wiedervereinigungsfeier statt. Die Begeisterung der Menschen hielt sich hier allerdings in Grenzen. In der Nacht vom zweiten auf den dritten Oktober gab es an der Alster ein großes Feuerwerk, in der Innenstadt hatte die Verwaltung eine Fress- und Saufmeile errichten lassen, viele Buden, wo Bier und Currywurst verkauft wurde. Die meisten Hamburger freuten sich eigentlich hauptsächlich auf den unverhofften, neuen freien Tag und gaben sich kräftig die Kante. Die Hamburger sind ohnehin nicht gerade für ihre Lebensfreude bekannt, sie sind unterkühlt, nüchtern, Ausgelassenheit ist ihnen verhasst. An den jährlichen Hafengeburtstagen ist mehr los und die Menschen sind dann auch in besserer Stimmung als seinerzeit im Oktober 1990.

Die meisten Hamburger hatten von dem sogenannten „Vereinigungsrummel“, wie er von vielen genannt wurde, ohnehin schon lange die Nase voll. Seit Monaten gab es in der Stadt nur ein einziges Thema: Wie teuer wird das eigentlich? Das auf den Westen eine gigantische Kostenlawine hereinbrechen würde, das konnte jeder sich an seinen fünf Fingern abzählen.

Die Ur-Hanseaten, die so wie ich erzogen wurden, haben in ihrem Kopf, wie meine verstorbene Frau immer beklagte, eine Rechenmaschine eingebaut. Sie denken stets an Soll und Haben, Forderungen und Verbindlichkeiten, Erlöse und Kosten, Gewinn und Verlust. Sie sagen nie: Ich will jetzt Spaß haben, sondern: Wie teuer ist dieser Spaß? Stehen Aufwand und Leistung in einem angemessenen Verhältnis zueinander? Diese rein kommerzielle Denkweise wirkt auf viele Zuwanderer zunächst sehr befremdlich, weil wir alles in Geld umrechnen.

Unser Bürgermeister Voscherau von der SPD kannte seine Leute natürlich und versuchte schon seit Monaten die Wiedervereinigung als großartiges Geschäft darzustellen: Endlich bekommt Hamburg sein Hinterland zurück, mehr Konsumenten, mehr Umsatz usw. Doch so richtig glauben wollte das niemand. Bekannte und Verwandte von mir, die noch nie zuvor in der DDR gewesen waren, kamen entsetzt zurück. Die Städte waren doch eigentlich nur Ruinenlandschaften, das ganze Land ein Fall für die Abrissbirne.

Ich kannte die DDR vorher eigentlich auch nicht. Die Propaganda des Kalten Krieges hatte dies Land immer in dunklen Farben gemalt. Jetzt musste ich sehen: Die Wirklichkeit war ja noch schlimmer. Selbst die düstersten Darstellungen der Propagandisten hatten diesen Staat eigentlich schön geredet. Die Realität übertraf die schlimmsten Befürchtungen bei weitem. Jeder Hamburger wusste deshalb: Das wird teuer, diese Wüstenei wird uns noch viel Geld kosten. Deshalb kam in der Nacht vom zweiten auf den dritten Oktober 1990 keine richtige Stimmung auf. Alle dachten an ihren Geldbeutel.
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dieter
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Lieber Karlheinz,
ich dachte nicht an meinen Geldbeutel. Kassel liegt ja auch ein ziemliches Stück südlicher als Hamburg. :wink: Liegt laut Wetterkarte in der Mitte von Deutschland, die Bevölkerung ist stur nicht wie in Frankfurt/M., trotz 20% Hugenottenanteil, aber das waren auch fleißige und nüchterne Menschen. Wir haben uns trotzdem gefreut, da nun sow. Panzer nicht mehr in einer Viertelstunde von der Zonengrenze in Kassel sein konnten.
Ich besuchte meine Verwandtschaft in Neuendorf heute in Sachsen-Anhalt, bekam mich in Marienborn gleich mit den Grenzern an die Köpfe, weil die mir unterstellten, dass ich Ostgeld dabei hätte, was nicht der Fall war, weil man mir schon an der Nasenspitze ansehen kann, wenn etwas nicht stimmte, also hatte ich das gleich gelassen. :wink:
Lernte in der DDR ein Mädchen kennen und lieben, bei meinem Abschied heulte sie wie ein Schloßhund, ich bewahrte mit Mühe Haltung. Da es bei einer Tanzveranstaltung nocht nichtmal Salzstangen gab, versprach ich ihr, wenn ich im Westen bin ein Packet zu schicken auch als Dankbarkeit für ihr Kümmern. Sie bestätigte das Ankommen meines Packetes. Mein Brief kam auch an, trotzdem ich ihn auf der Rückseite mit Rabattmarken beklebt hatte, um ein Öffnen des Briefes zu verhindern. Sie fand es auch traurig, dass wir uns nicht mehr sehen konnten. Mir ging das damals sehr nahe. :wink: Aber im nächsten Brief hatte sie sich schon getröstet und Jemanden aus Thüringen kennengelernt. Heute wird sie sicherlich Großmutter sein, wie ich Großvater bin. Ich wünsche ihr alles Glück der Erde. :)
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Barbarossa
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Renegat hat geschrieben:...
Damals habe ich mich auch gefreut, genauso wie ich mich über den arabischen Frühling gefreut habe. Es ist eine schöne, hoffnungsvoll stimmende Menschheitserfahrung, wenn Menschen mit friedlichen Mitteln eine schnelle, politische Veränderung einleiten.
Genauso wie wir nicht vergessen dürfen, dass der arabische Frühling in Tunesien begann, obwohl man immer auf das dichtbesiedelte Ägypten starrt, sollten wir uns daran erinnern, dass die friedliche Revolution in der DDR sich an die polnischen Veränderungen anlehnte. Der polnische Kampf um mehr Freiheit begann 1980. Nach vielen Rückschlägen kam es schon im Sommer 1989 zu ersten freien Wahlen. Das soll nicht die Anerkennung der Demonstranten in der DDR schmälern, ich finde nur, dass man das zeitgenössische Umfeld nicht vergessen darf. Und die Tatsache, dass der, der zuerst aus der Reihe tritt, immer das höchste Risiko trägt.
Dass es bei der friedlichen Revolution in der DDR einen Zusammenhang mit den Ereignissen in Polen gab, behauptete Merkel auch. Ich bezweifle das aber. Und zwar bezweifle ich das deswegen, weil es mit Polen kaum Verbindungen gab. Man kam seit 1980 nicht mal mehr ohne Visum nach Polen. Und die Niederschlagung der Streiks reihte sich in die Kette der Niederschlagungen von Volksbewegungen ein und stimmte uns alles andere als hoffnungsvoll. So nahm ich (da kann ich jetzt aber auch nur von mir und meinem Umfeld sprechen) die Veränderungen in Polen wenn überhaupt, dann nur ganz am Rande wahr. Einen Bezug zu uns sah ich nicht, so wie auch die Veränderungen in der Sowjetunion unter Gorbatschow bei uns in keiner Weise irgendwelche politischen Kursänderungen gebracht hatten. Und die hätten eigentlich für uns weitaus größere Relevanz gehabt. Darum schauten wir vor allem nach Moskau, nicht aber nach Warschau - das weiß ich noch.
Dass dir der Arabische Frühling ebenso nah oder fern ist wie die friedliche Revolution bei uns... - na ja dasThema mit der einen Nation, die wir nunmal immer waren und die sich lediglich wieder vereingt hat, das Thema hatten wir schon irgendwo, glaube ich.

Edit:
Übrigens: Wenn ihr zu unserem Teil Deutschlands so wenig Bezug hattet, dann hättet ihr euch vielleicht gelegentlich mal die Präambel des Grundgesetzes anschauen sollen, wo bis 1992 drin stand:
Präambel
Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen,
von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das Deutsche Volk
in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern,
um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben,
kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen.
Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war.
Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4am ... r_Wortlaut

Ich meine, wenn für euch die Einheit Deutschlands kein wirkliches Ziel mehr war, dann hätte es in eurer Hand gelegen, die Präambel ändern zu lassen und die entsprechenden weiteren Artikel (Art.23,146) streichen zu lassen. Ist aber nicht passiert und Kohl hat uns die Signale gesendet, die wir hören wollten.
:wink:
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Paul
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Barbarossa hat geschrieben:
Renegat hat geschrieben:...
Damals habe ich mich auch gefreut, genauso wie ich mich über den arabischen Frühling gefreut habe. Es ist eine schöne, hoffnungsvoll stimmende Menschheitserfahrung, wenn Menschen mit friedlichen Mitteln eine schnelle, politische Veränderung einleiten.
Genauso wie wir nicht vergessen dürfen, dass der arabische Frühling in Tunesien begann, obwohl man immer auf das dichtbesiedelte Ägypten starrt, sollten wir uns daran erinnern, dass die friedliche Revolution in der DDR sich an die polnischen Veränderungen anlehnte. Der polnische Kampf um mehr Freiheit begann 1980. Nach vielen Rückschlägen kam es schon im Sommer 1989 zu ersten freien Wahlen. Das soll nicht die Anerkennung der Demonstranten in der DDR schmälern, ich finde nur, dass man das zeitgenössische Umfeld nicht vergessen darf. Und die Tatsache, dass der, der zuerst aus der Reihe tritt, immer das höchste Risiko trägt.
Dass es bei der friedlichen Revolution in der DDR einen Zusammenhang mit den Ereignissen in Polen gab, behauptete Merkel auch. Ich bezweifle das aber. Und zwar bezweifle ich das deswegen, weil es mit Polen kaum Verbindungen gab. Man kam seit 1980 nicht mal mehr ohne Visum nach Polen. Und die Niederschlagung der Streiks reihte sich in die Kette der Niederschlagungen von Volksbewegungen ein und stimmte uns alles andere als hoffnungsvoll. So nahm ich (da kann ich jetzt aber auch nur von mir und meinem Umfeld sprechen) die Veränderungen in Polen wenn überhaupt, dann nur ganz am Rande wahr. Einen Bezug zu uns sah ich nicht, so wie auch die Veränderungen in der Sowjetunion unter Gorbatschow bei uns in keiner Weise irgendwelche politischen Kursänderungen gebracht hatten. Und die hätten eigentlich für uns weitaus größere Relevanz gehabt. Darum schauten wir vor allem nach Moskau, nicht aber nach Warschau - das weiß ich noch.
Dass dir der Arabische Frühling ebenso nah oder fern ist wie die friedliche Revolution bei uns... - na ja dasThema mit der einen Nation, die wir nunmal immer waren und die sich lediglich wieder vereingt hat, das Thema hatten wir schon irgendwo, glaube ich.
Die Reformen in der Sowjetunion und die Regierung durch Gorbatschof haben natürlich den Weg bereitet, das die Reformbewegung in der DDR nicht mehr unterdrückt wurden. Für Gorbatschof waren natürlich auch die Reformen in Polen ein Zeichen dafür, das diese Reformen letztlich nur noch mit Gewalt zu unterdrücken waren, wenn überhaupt und dies wollte Gorbatschof auch einfach nicht. Er wollte Demokratie und keine Unterdrückung.
viele Grüße

Paul

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Barbarossa
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Paul hat geschrieben:Die Reformen in der Sowjetunion und die Regierung durch Gorbatschof haben natürlich den Weg bereitet, das die Reformbewegung in der DDR nicht mehr unterdrückt wurden. Für Gorbatschof waren natürlich auch die Reformen in Polen ein Zeichen dafür, das diese Reformen letztlich nur noch mit Gewalt zu unterdrücken waren, wenn überhaupt und dies wollte Gorbatschof auch einfach nicht. Er wollte Demokratie und keine Unterdrückung.
Ja, Gorbatschow ließ die sowjetischen Panzer in den Kasernen, was er auch öffentlich sagte. Das war das Signal, das den Bürgerrechtlern und vielen Bürgern sicher Mut gab. Ich behaupte aber, den Anstoß für die Veränderungen gab die Evangelische Kirche und die Christen bei uns im Land und zwar allein. Gorbatschow schaffte mit seiner Zurückhaltung die Rahmenbedingungen dafür.
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dieter
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Barbarossa hat geschrieben:
Renegat hat geschrieben:...
Damals habe ich mich auch gefreut, genauso wie ich mich über den arabischen Frühling gefreut habe. Es ist eine schöne, hoffnungsvoll stimmende Menschheitserfahrung, wenn Menschen mit friedlichen Mitteln eine schnelle, politische Veränderung einleiten.
Genauso wie wir nicht vergessen dürfen, dass der arabische Frühling in Tunesien begann, obwohl man immer auf das dichtbesiedelte Ägypten starrt, sollten wir uns daran erinnern, dass die friedliche Revolution in der DDR sich an die polnischen Veränderungen anlehnte. Der polnische Kampf um mehr Freiheit begann 1980. Nach vielen Rückschlägen kam es schon im Sommer 1989 zu ersten freien Wahlen. Das soll nicht die Anerkennung der Demonstranten in der DDR schmälern, ich finde nur, dass man das zeitgenössische Umfeld nicht vergessen darf. Und die Tatsache, dass der, der zuerst aus der Reihe tritt, immer das höchste Risiko trägt.
Dass es bei der friedlichen Revolution in der DDR einen Zusammenhang mit den Ereignissen in Polen gab, behauptete Merkel auch. Ich bezweifle das aber. Und zwar bezweifle ich das deswegen, weil es mit Polen kaum Verbindungen gab. Man kam seit 1980 nicht mal mehr ohne Visum nach Polen. Und die Niederschlagung der Streiks reihte sich in die Kette der Niederschlagungen von Volksbewegungen ein und stimmte uns alles andere als hoffnungsvoll. So nahm ich (da kann ich jetzt aber auch nur von mir und meinem Umfeld sprechen) die Veränderungen in Polen wenn überhaupt, dann nur ganz am Rande wahr. Einen Bezug zu uns sah ich nicht, so wie auch die Veränderungen in der Sowjetunion unter Gorbatschow bei uns in keiner Weise irgendwelche politischen Kursänderungen gebracht hatten. Und die hätten eigentlich für uns weitaus größere Relevanz gehabt. Darum schauten wir vor allem nach Moskau, nicht aber nach Warschau - das weiß ich noch.
Dass dir der Arabische Frühling ebenso nah oder fern ist wie die friedliche Revolution bei uns... - na ja dasThema mit der einen Nation, die wir nunmal immer waren und die sich lediglich wieder vereingt hat, das Thema hatten wir schon irgendwo, glaube ich.

Edit:
Übrigens: Wenn ihr zu unserem Teil Deutschlands so wenig Bezug hattet, dann hättet ihr euch vielleicht gelegentlich mal die Präambel des Grundgesetzes anschauen sollen, wo bis 1992 drin stand:
Präambel
Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen,
von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das Deutsche Volk
in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern,
um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben,
kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen.
Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war.
Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4am ... r_Wortlaut

Ich meine, wenn für euch die Einheit Deutschlands kein wirkliches Ziel mehr war, dann hätte es in eurer Hand gelegen, die Präambel ändern zu lassen und die entsprechenden weiteren Artikel (Art.23,146) streichen zu lassen. Ist aber nicht passiert und Kohl hat uns die Signale gesendet, die wir hören wollten.
:wink:
Lieber Barbarossa,
für mich war die Deutsche Einheit immer das Ziel, vorallem da die Hälfte meiner Verwandtschaft in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen lebte und lebt. :wink: Die Meinung von Renegat, war natürlich in der BRD verbreitet, ich konnte ihr aber nichts abgewinnen, weil ich als damaliger Sozialdemokrat auch national denke, wie übrigends Willy Brandt auch. :wink:
Ich fand die Haltung, die von Renegat und anderen Renegaten eingenommen wurde, als Vaterlandsverrat. :evil: :twisted:
Natürlich kann man Polen nicht mit der DDR vergleichen, wie es Renegat tut. Da die DDR ein Stalinistisches Regime hatte. :roll:
Die Geschichte hat uns Recht gegeben. :)
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Barbarossa hat geschrieben:
Paul hat geschrieben:Die Reformen in der Sowjetunion und die Regierung durch Gorbatschof haben natürlich den Weg bereitet, das die Reformbewegung in der DDR nicht mehr unterdrückt wurden. Für Gorbatschof waren natürlich auch die Reformen in Polen ein Zeichen dafür, das diese Reformen letztlich nur noch mit Gewalt zu unterdrücken waren, wenn überhaupt und dies wollte Gorbatschof auch einfach nicht. Er wollte Demokratie und keine Unterdrückung.
Ja, Gorbatschow ließ die sowjetischen Panzer in den Kasernen, was er auch öffentlich sagte. Das war das Signal, das den Bürgerrechtlern und vielen Bürgern sicher Mut gab. Ich behaupte aber, den Anstoß für die Veränderungen gab die Evangelische Kirche und die Christen bei uns im Land und zwar allein. Gorbatschow schaffte mit seiner Zurückhaltung die Rahmenbedingungen dafür.
Lieber Barbarossa,
Du sagst es. Nun zum 187 mal, wenn die Ev. Kirche und die Christen einen so großen Einfluß bei der Vereinigung hatten, so kann ich es immer noch nicht verstehen, dass Ostdeutschland überwiegend atheistisch eingestellt ist. Soviel Undankbarkeit schlägt doch dem Fass den Boden aus. :evil: :twisted:
Als Pensionär muß ich jeden Monat Steuern zahlen, dazu gehört auch Kirchensteuer. Ich hätte mir einen schlanken Fuß machen können und wäre mit einer schriftlichen Erklärung aus der Ev. Kirche ausgetreten, wo mir auch nicht alles gefällt. Aber sie ist auch demokratisch eingestellt und die Kirche der Deutschen Einheit. :)
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dieter hat geschrieben:Lieber Barbarossa,
für mich war die Deutsche Einheit immer das Ziel, vorallem da die Hälfte meiner Verwandtschaft in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen lebte und lebt. :wink: Die Meinung von Renegat, war natürlich in der BRD verbreitet, ich konnte ihr aber nichts abgewinnen, weil ich als damaliger Sozialdemokrat auch national denke, wie übrigends Willy Brandt auch. :wink:
Ich fand die Haltung, die von Renegat und anderen Renegaten eingenommen wurde, als Vaterlandsverrat. :evil: :twisted:
Natürlich kann man Polen nicht mit der DDR vergleichen, wie es Renegat tut. Da die DDR ein Stalinistisches Regime hatte. :roll:
Die Geschichte hat uns Recht gegeben. :)
So sehe ich das eigentlich auch. Ich konnte übrigens schon damals am Tag nach der Maueröffnung - also am 10. November 89 - nur mit dem Kopf schütteln, als ich in Westberlin eine Frau mittleren Alters schimpfen sah, die doch tatsächlich meinte, sie sollten die Mauer wieder schließen und sogar noch einen Meter höher bauen - weil sie sich über die vollen S-Bahnen aufregte.
:evil: :evil: :evil:
Die hätte ich damals.... Ach, was solls...
Aber das war an Ignoranz wirklich nicht mehr zu überbieten.
dieter hat geschrieben:... Nun zum 187 mal, wenn die Ev. Kirche und die Christen einen so großen Einfluß bei der Vereinigung hatten, so kann ich es immer noch nicht verstehen, dass Ostdeutschland überwiegend atheistisch eingestellt ist. Soviel Undankbarkeit schlägt doch dem Fass den Boden aus. :evil: :twisted:
Da du mich damit offensichtich mit ansprichst, nun also zum 187. Mal zurück: Wozu sollte ich in die Kirche eintreten? Nur aus lauter Dankbarkeit? Ich kenne Kirchen nur von außen, habe überhaupt keinen Bezug dazu. Ich habe damals auch mit Christen zusammen demonstriert - ja und weiter?
Letztens habe ich mit Piraten zusammen demonstriert - soll ich nun auch in die Piratenpartei eintreten? Das wäre genau das gleiche. Das macht doch keinen Sinn.
:?
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Karlheinz hat geschrieben:3.Oktober 1990. Erste, eher freudlose Wiedervereinigungsfeier in Hamburg

Am 3.Oktober 1990 fand in Hamburg die erste zentrale Wiedervereinigungsfeier statt. Die Begeisterung der Menschen hielt sich hier allerdings in Grenzen. In der Nacht vom zweiten auf den dritten Oktober gab es an der Alster ein großes Feuerwerk, in der Innenstadt hatte die Verwaltung eine Fress- und Saufmeile errichten lassen, viele Buden, wo Bier und Currywurst verkauft wurde. Die meisten Hamburger freuten sich eigentlich hauptsächlich auf den unverhofften, neuen freien Tag und gaben sich kräftig die Kante. Die Hamburger sind ohnehin nicht gerade für ihre Lebensfreude bekannt, sie sind unterkühlt, nüchtern, Ausgelassenheit ist ihnen verhasst. An den jährlichen Hafengeburtstagen ist mehr los und die Menschen sind dann auch in besserer Stimmung als seinerzeit im Oktober 1990.

Die meisten Hamburger hatten von dem sogenannten „Vereinigungsrummel“, wie er von vielen genannt wurde, ohnehin schon lange die Nase voll. Seit Monaten gab es in der Stadt nur ein einziges Thema: Wie teuer wird das eigentlich?
...
Gut; man muss allerdings auch dazusagen, dass der 3.10. ein künstliches, bürokratisches Datum war, und v.a. schon 11 Monate vergangen waren, seitdem die Mauer fiel. Es hätte mehr Sinn, den Tag im Nov. als Feiertag zu führen, Ueberschneidungen mit weiter zurückliegenden Ereignissen und Verbrechen hin oder her.

Die Frage hier hätte lauten müssen: Was empfanden die Hamburger an den Tagen um den 9.11.89? War man da wirklich so klein(lich) und hat sich vor den Kosten gefürchtet? Ich hoffe und denke: Nein.


Karlheinz hat geschrieben: ...
Wie teuer ist dieser Spaß? Stehen Aufwand und Leistung in einem angemessenen Verhältnis zueinander? Diese rein kommerzielle Denkweise wirkt auf viele Zuwanderer zunächst sehr befremdlich, weil wir alles in Geld umrechnen.
...
Verbuchen musste man wohl 4stellige Milliardenabgänge in den Osten, das ist wohl wahr (wenn man das auf die paar Männekes verbliebener Einwohner dort umrechnet: Wow.; und daher rührt wohl auch das totale Unverständnis im Westen ob der Jammermentalität der Ossis);

allerdings hat Voscherau - im Gegensatz zum Hier und Heute, wenn er von Griechenland faselt - nicht unrecht:
Karlheinz hat geschrieben: ...Unser Bürgermeister Voscherau von der SPD kannte seine Leute natürlich und versuchte schon seit Monaten die Wiedervereinigung als großartiges Geschäft darzustellen: Endlich bekommt Hamburg sein Hinterland zurück, mehr Konsumenten, mehr Umsatz usw. Doch so richtig glauben wollte das niemand. Bekannte und Verwandte von mir, die noch nie zuvor in der DDR gewesen waren, kamen entsetzt zurück. Die Städte waren doch eigentlich nur Ruinenlandschaften, das ganze Land ein Fall für die Abrissbirne.
...
... denn gegenrechnen muss man freilich auch den Profit, den die Wirtschaft aus dem Aufbau Ost erwirtschaftet hat, und der Deutschland zu Beginn der 90er vor den Problemen, die andere EU-Staaten hatten, verschonte (allerdings hatte dies dann wieder Reformstau zur Folge, was wiederum zum Kranken Mann Europas Anfang der 2000er beitrug).

Karlheinz hat geschrieben: ...
Ich kannte die DDR vorher eigentlich auch nicht. Die Propaganda des Kalten Krieges hatte dies Land immer in dunklen Farben gemalt. Jetzt musste ich sehen: Die Wirklichkeit war ja noch schlimmer. Selbst die düstersten Darstellungen der Propagandisten hatten diesen Staat eigentlich schön geredet. Die Realität übertraf die schlimmsten Befürchtungen bei weitem. Jeder Hamburger wusste deshalb: Das wird teuer, diese Wüstenei wird uns noch viel Geld kosten. Deshalb kam in der Nacht vom zweiten auf den dritten Oktober 1990 keine richtige Stimmung auf. Alle dachten an ihren Geldbeutel.
Sicherlich mitunter nicht einfach, den Feind, den es bisher zu vernichten (oder bestenfalls kaltzustellen) galt, auf einmal als Bruder und Schwester anzusehen, noch dazu, wenn er sich derart "undankbar" aufführt wie die Ossis.

Aber was hätte die Alternative dazu gekostet, bittschön?
Bei der kriminellen Energie drüben in Partei und Verwaltung, zwischen Russland und der Bundesrepublik, ein Machtvakuum mit umweltversiffender "Produktion" und verarmender Bev. ohne nützliche Ausbildung und Infrastruktur? Das hätte nun wirklich keiner bezahlen können. Weissrussland lässt grüssen.

Barbarossa hat geschrieben:
Renegat hat geschrieben:...
Damals habe ich mich auch gefreut, genauso wie ich mich über den arabischen Frühling gefreut habe. Es ist eine schöne, hoffnungsvoll stimmende Menschheitserfahrung, wenn Menschen mit friedlichen Mitteln eine schnelle, politische Veränderung einleiten.
Genauso wie wir nicht vergessen dürfen, dass der arabische Frühling in Tunesien begann, obwohl man immer auf das dichtbesiedelte Ägypten starrt, sollten wir uns daran erinnern, dass die friedliche Revolution in der DDR sich an die polnischen Veränderungen anlehnte. Der polnische Kampf um mehr Freiheit begann 1980. Nach vielen Rückschlägen kam es schon im Sommer 1989 zu ersten freien Wahlen. Das soll nicht die Anerkennung der Demonstranten in der DDR schmälern, ich finde nur, dass man das zeitgenössische Umfeld nicht vergessen darf. Und die Tatsache, dass der, der zuerst aus der Reihe tritt, immer das höchste Risiko trägt.
Dass es bei der friedlichen Revolution in der DDR einen Zusammenhang mit den Ereignissen in Polen gab, behauptete Merkel auch. Ich bezweifle das aber. Und zwar bezweifle ich das deswegen, weil es mit Polen kaum Verbindungen gab. Man kam seit 1980 nicht mal mehr ohne Visum nach Polen. Und die Niederschlagung der Streiks reihte sich in die Kette der Niederschlagungen von Volksbewegungen ein und stimmte uns alles andere als hoffnungsvoll. So nahm ich (da kann ich jetzt aber auch nur von mir und meinem Umfeld sprechen) die Veränderungen in Polen wenn überhaupt, dann nur ganz am Rande wahr. Einen Bezug zu uns sah ich nicht, so wie auch die Veränderungen in der Sowjetunion unter Gorbatschow bei uns in keiner Weise irgendwelche politischen Kursänderungen gebracht hatten. Und die hätten eigentlich für uns weitaus größere Relevanz gehabt.
...
Ich hatte vorher extra nix geschrieben, weil ich die Rolle der Proteste in Leipzig und Berlin und so nicht kleinreden wollte. Aber natürlich hatte es Vorreiter, die auch erheblich mehr riskiert hatten (und auch tatsächlich mehr bezahlten, ob nun hinterher von Erfolg belohnt oder nicht - Stichwort Tiananmen) und damit auch über Jahrzehnte die Aufmerksamkeit der Sowjetunion wesentlich stärker beschäftigten als irgendjemand in der DDR. Dazu gehört mit Sicherheit Solidarność. Und Gyula Horn hatte den Grenzzaun ja bereits durchschnitten, bevor es zu den Leipziger Massendemos kam. Und das wusste man.

Barbarossa hat geschrieben: ...
Edit:
Übrigens: Wenn ihr zu unserem Teil Deutschlands so wenig Bezug hattet, dann hättet ihr euch vielleicht gelegentlich mal die Präambel des Grundgesetzes anschauen sollen, wo bis 1992 drin stand:
Präambel
Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen,
von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das Deutsche Volk
in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern,
um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben,
kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen.
Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war.
Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.
Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4am ... r_Wortlaut

Ich meine, wenn für euch die Einheit Deutschlands kein wirkliches Ziel mehr war, dann hätte es in eurer Hand gelegen, die Präambel ändern zu lassen und die entsprechenden weiteren Artikel (Art.23,146) streichen zu lassen. Ist aber nicht passiert und Kohl hat uns die Signale gesendet, die wir hören wollten.
:wink:
Das GG ist ja nicht so leicht zu ändern;

und Kohl hatte sich schon deswegen beeilt, weil er merkte, dass die Sympathie mit den Ostbürgern rapide schwand (was auch auf totales gegenseitiges Unverständnis zurückzuführen ist, was man auch nach 25 Jährchen hier im Forum allerdeutlichst herausliest). Abgesehen von wirtschaftlichen und politischen Notwendigkeiten, die imho absolut stringent waren.

dieter hat geschrieben:
Barbarossa hat geschrieben:
Paul hat geschrieben:Die Reformen in der Sowjetunion und die Regierung durch Gorbatschof haben natürlich den Weg bereitet, das die Reformbewegung in der DDR nicht mehr unterdrückt wurden. Für Gorbatschof waren natürlich auch die Reformen in Polen ein Zeichen dafür, das diese Reformen letztlich nur noch mit Gewalt zu unterdrücken waren, wenn überhaupt und dies wollte Gorbatschof auch einfach nicht. Er wollte Demokratie und keine Unterdrückung.
Ja, Gorbatschow ließ die sowjetischen Panzer in den Kasernen, was er auch öffentlich sagte. Das war das Signal, das den Bürgerrechtlern und vielen Bürgern sicher Mut gab. Ich behaupte aber, den Anstoß für die Veränderungen gab die Evangelische Kirche und die Christen bei uns im Land und zwar allein. Gorbatschow schaffte mit seiner Zurückhaltung die Rahmenbedingungen dafür.
Lieber Barbarossa,
Du sagst es. Nun zum 187 mal, wenn die Ev. Kirche und die Christen einen so großen Einfluß bei der Vereinigung hatten, so kann ich es immer noch nicht verstehen, dass Ostdeutschland überwiegend atheistisch eingestellt ist. Soviel Undankbarkeit schlägt doch dem Fass den Boden aus. :evil: :twisted:
...
Obwohl ich einsehe, dass Dankbarkeit ein Seelenzustand bzw. Aeusserung derselben und Haltung der Einzelperson ist und nicht einfach auf die Summe der Psyche eines Kollektivs übertragen werden kann,

muss ich ehrlich sagen, dass mich das auch wurmt. Auch ich kann mich gegen das Stereotyp vom egoistischen Jammerossi nicht immer erwehren, der den Westen abgezockt hat, immer schön auf den eigenen Vorteil bedacht ist, Andere für schlechte Jobs und miese Ausbildung verantwortlich macht, die eigene (in Staat und Partei z.T. kriminelle) Vergangenheit schönredet bzw. gar nicht erst bedenkt oder überdenkt. Das ist freilich 'ne Verzerrung und beruht auf Vorurteilen bzw. ist das Resultat aus bequemer Sicht aus dem Sessel im Westen, aber man kann sie oft - auch hier im Forum - zumindest in Teilen bestätigt finden.

Wär' sicherlich interessant zu sehen, wie jemand das erlebt, der die Zeit vor 1989 nicht mehr aktiv erlebt hat oder aber danach in den Osten gegangen ist, wie Vergobret (denn er schrieb ja hier irgendwo, dass die Ostbürger abgezockt worden wären. Das wär' genau das Gegenteil von meinem Vorurteil oben).



LG
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