Deutsche Einheit - Erinnerungen an den 3. Oktober 1990

Die junge Republik: Bonn, Adenauer, RAF, Schmidt, Kohl

Moderator: Barbarossa

RedScorpion

Barbarossa hat geschrieben:Also manchmal begreife ich deine Philosophie wirklich nicht:
RedScorpion hat geschrieben:...
Naja, er war halt er erste, dem man es glauben konnte, wenn er sagte: "Das Reich des Bösen, das mach' ich fertig!".

Und wir hatten es ja hier im Forum bereits mehrmals, dass sich User wunderten, dass der Spritpreis früher ja so billig war ...
Ja, nur muß man Lippenbekenntnisse von tatsächlichen Möglichkeiten unterscheiden. Steigende Spritpreise haben für mich eher eine untergeordneten Bedeutung. Die weitaus größere Bedeutung hatte wohl das Wettrüsten.
Die höchsten Preissteigerungen beim Sprit gab es erst nach 1990.
...
Eben.
Siehste den kausalen Zshang echt nicht (hatte ich vor ein paar Tagen erst angesprochen hier irgendwo)? :shock: :wtf:

Barbarossa hat geschrieben: ...
Das heißt: Die SED war von da an zwar in vielen (längst nicht in allen) Dingen auf sich allein gestellt, im Umkehrschluss heißt das aber auch: Hätte irgendjemand den Befehl gegeben, auf die Demonstranten zu schießen, dann hätte es auch noch ausreichend Elite-Einheiten gegeben, die den Befehl ausgeführt hätten. Und das hätte auch kein Gorbatschow verhindern können. Einzig die Tatsache, daß sich niemand fand, der sich diese Verantwortung aufladen wollte, hat ein Blutbad verhindert. Vorbereitet für eine Niederschlagung war aber alles - inkusive Internierungslager für festgenommene "Staatsfeinde". Das weiß man heute.
...
... wobei ein Schiessbefehl aber keine Niederschlagung bedeutet hätte, Stichwort Rumänien.
All in all aus der Perspektive der 70er erstaunlich, dass der Ostblock weitgehend friedlich in sich zusammengesackt ist (also bez. des "Wie"), aber nicht aus Sicht Ende der 80er.

Barbarossa hat geschrieben: ...
RedScorpion hat geschrieben:Die Zone war vor 1989 genau wie viele Jahre demokratisch regiert, bitte?
Genau von 1918-1933 - wie bis 1949 in ganz Deutschland.
RedScorpion hat geschrieben:Demokratie will nicht gelernt sein, sondern durchgesetzt.
:?: :?
Und wie? Und vor allem - von wem? - wenn gar niemand genau weiß, was das überhaupt ist?
Selbstverständlich müssen die Menschen - muß die Gesellschaft erst lernen, was demokratische Grundsätze überhaupt sind. Daß man es z. B. in Ägypten noch nicht weiß, sieht man daran, wie die politischen Gegner aufeinander losgehen.
Das liegt aber nicht daran, dass nicht "gelernt wurde", "was demokratische Grundsätze überhaupt sind", sondern dass keine exekutive Power besteht, alle Bewegungen ernsthaft zu entwaffnen, und v.a., dass die Armee kein Garant für Rechtsstaat und Demokratie ist. Mursi ja gerade nicht von ihr verteidigt wurde, sondern - im Ggteil - entmachtet und festgesetzt.

Durchgesetzt wurde die Demokratie in den allermeisten Staaten - selbst in den Wiegen der Demokratie und in Staaten mit langer demokratischer Tradition - durch Feuer und Schwert (fällt mir i.M. als Ausnahme nur San Marino ein).
Und Deutschland ist ein gutes Bsp. dafür, dass sie trotzdem ab dem ersten Tag funxen kann.




LG
Paul
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In Deutschland hat es auch im 1. Weltkrieg mehrheitlich den Willen für einen demokratischen gerechten Frieden gegeben. Der 2. Weltkrieg hätte vermieden werden können.
Spannender ist für mich, warum es in anderen sogenannten Demokratien wie in Frankreich den Wunsch gab, fremde Gebiete wie Elsaß-Nordlothringen zu beanspruchen und hierfür Krieg zu führen o. warum die USA solche undemokratischen Forderungen mit ihrer Militärmacht unterstützten, obwohl sie den Anspruch hatten eine Demokratie zu sein.
Auch jetzt hat man nicht dazugelernt und duldet die Anexion z.B. des mehrheitlich serbischen Nordkosovos durch die Albaner. Das ist undemokratisch und unvernünftig, Demokratien unwürdig. Hier gibt es viele Beispiele.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
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Barbarossa
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RedScorpion hat geschrieben:
Barbarossa hat geschrieben:Ja, nur muß man Lippenbekenntnisse von tatsächlichen Möglichkeiten unterscheiden. Steigende Spritpreise haben für mich eher eine untergeordneten Bedeutung. Die weitaus größere Bedeutung hatte wohl das Wettrüsten.
Die höchsten Preissteigerungen beim Sprit gab es erst nach 1990.
...
Eben.
Siehste den kausalen Zshang echt nicht (hatte ich vor ein paar Tagen erst angesprochen hier irgendwo)? :shock: :wtf:
Ich glaub, ich kann dir jetzt gerade nicht folgen. Erklärst du mir bitte genau, was du meinst?


RedScorpion hat geschrieben:... wobei ein Schiessbefehl aber keine Niederschlagung bedeutet hätte, Stichwort Rumänien.
Rumänien - ja, da hat das Militär gegen die rumänische Stasi gekämpft. Ein solches Szenario hätte ich in der DDR nun niemals als Möglichkeit in Betracht gezogen. Ich weiß jetzt nicht, wie das in Rumänien war, aber bei uns waren alle in der SED - Stasi- genau wie NVA-Offiziere. NVA gegen Stasi? Nää! Nie!
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dieter
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Barbarossa hat geschrieben:
dieter hat geschrieben:... Ich bezweifele, dass die meisten Menschen vor der Wahl die Parteiprogramme der einzelnen Parteien lesen und danach ihre Wahlentscheidung treffen. :wink:
1)Gut, wenn sie da nicht hineinschauen, dann schauen sie eben Fernsehen, wo auch vieles an Zielen transportiert wird. Wer sich gar nicht dafür interessiert, der geht auch nicht wählen. Ich glaube aber, Leute, die "traditionell" immer nur eine bestimmte Partei wählen, sowas gibt es glaub ich fast nur noch in Bayern.
:wink:
dieter hat geschrieben:Soviel Wohltaten kann das SED-Regime garnicht an alle Menschen verteilt haben, wie die PDS Stimmen erhielt. Es muß schon so gewesen sein, dass ein Teil der Gesellschaft mit dem Regime ganz zufrieden gewesen ist. :roll:
2)Wenn du gesehen hast, wieviele Leute am 1. Mai und am 7. Oktober jeweils ihre Flagge aus dem Fenster gehängt haben, dann konnte man das Ergebnis fast erahnen. Das waren dann auch die, die in regelmäßigen Abständen ihre "Rotlichtbestrahlung" bekommen haben. Wer aber mit offenen Augen durch die Straßen und vor allem in die Kaufhallen ging und dann im krassen Kontrast dazu die Propaganda im Fernsehen sah, der konnte nicht für diesen Staat sein, der die Bürger derart anlog. Und vor allem dann nicht, wenn man wußte, was der Staat mit seinen politischen Gefangenen macht. Und nicht zu vergessen, die Mauer mit Schießbefehl...
Manche wollten das natürlich nicht erkennen.
Ignoranz ist wohl der größte Feind der Erkenntnis.:wink:
Lieber Barbarossa,
zu1)natürlich konnten sie sich über das Fernsehen informieren.
zu2) Für mich ist es trotzdem erstaunlich, dass es soviel Menschen eine "Rotlichtbestrahlung" haben. Im Westen kam die KPD, dann die DKP und jetzt die Linke meistens noch nichtmal auf auf 5% mit Ausnahme von Hessen. :wink: :mrgreen:
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dieter
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Ihr Lieben,
dieses Jahr jährt sich zum 25mal der Fall der Mauer, der am 9.November war. Heute ist der Tag der Deutschen Einheit, ich hätte lieber den 9.Oktober als Einheitstag genommen, weil an diesem Tag ausgehend von der Leipziger Nikolaikirche und noch einer anderen ev. Kirche in Leipzig, mindestens 70.000 Menschen mit einem Zug durch Leipzig gegen das SED-Regime und für die Einheit unseres Volkes demonstriert haben. Sie mußten jederzeit damit rechnen von dem SED-Regime zusammengeschossen zu werden. Das passierte nicht, weil Gorbi seine Panzer in den Karsernen ließ.
Ich bewundere den Mut der Bevölkerung der DDR, die friedlich die erste gelungene Revolution auf deutschen Boden zustande brachte. :D :)
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Barbarossa
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Ich habe zu diesem Thema einen neuen Pfad eröffnet:
:arrow: Gedanken zur Deutschen Einheit - warum so, wie sie war

Und:

:arrow: Ich habe diesen Pfad in eine passendere Rubrik verschoben.
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Lieber Barbarossa,
ich hatte den Thread extra der BRD zugeordnet, da es ja nach der Vereinigung am 3.10.1990 keine DDR mehr gab. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Lia

Hatte ich schon den 9.November nicht mitbekommen, bzw. erfuhr erst nächsten Morgen auf Dänisch von den Ereignissen, so war der 3.Oktober für mich Fremdel-Tag, mit dem ich- bei allem Respekt vor den dann Ex-DDR-Bürgern, nichts Rechtes anzufangen wusste.
Ich ignorierte die mitternächtlichen Feierlichkeiten und las, trotz wahrlich Lübecker Grenznähe. Und erhielt um Mitternacht Anrufe meiner Freunde, erst aus Frankreich, die wirklich von Herzen gratulierten und sich freuten, dann aus GB und Irland.
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Barbarossa
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dieter hat geschrieben:Lieber Barbarossa,
ich hatte den Thread extra der BRD zugeordnet, da es ja nach der Vereinigung am 3.10.1990 keine DDR mehr gab. :wink:
Nein, der Pfad war im Bereich "Innenpolitik" zugeordnet, wo ich ihn gestern nur über die Suchfunktion gefunden habe. Ich habe ihn nun in den historischen Bereich BRD verschoben, wo er m. E. besser aufgehoben ist.
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Ruaidhri
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Beuwsst nicht unter den anderen, gerade zum Thema DDR laufenden Thread eingeordnet:
http://www.shz.de/nachrichten/deutschla ... 64311.html
"25 Jahre Deutsche Einheit : Der Tag der Deutschen – oder doch nicht?"

Steckt vieles drin, was sicherlich richtig ist- im Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Auch dieser Satz:
Zitat:
"Einzige ernsthafte Alternative wäre der 9. Oktober gewesen – jener Tag, an dem in Leipzig 70 000 Menschen gegen das SED-Regime demonstrierten. Dieser Tag gilt als Wendepunkt der friedlichen Revolution. Aber, so konstatiert Calabretta, dieser Tag fand nicht genug Zustimmung, um sich gegen den 3. Oktober durchzusetzen. „Dies lag vor allem daran, dass man den Eindruck hatte, die Bürger Westdeutschlands seien durch dieses Datum nicht ausreichend repräsentiert.“ So gilt der Historikerin nun der 3. Oktober als „ein Tag, an dem sich Staatsmänner und politische Elite selbst feiern, ohne dabei das Volk allzu sehr mit einzubeziehen“.
Zitatende

Das im Artikel erwähnte Heft der Bundeszentrale für politische Bildung:
Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 33–34/2015)
25 Jahre deutsche Einheit
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/a ... he-einheit
Muttersprache: Deutsch Vaterland: Keins. Heimat: Europa
LG Ruaidhri
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Barbarossa
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Ruaidhri hat geschrieben:Beuwsst nicht unter den anderen, gerade zum Thema DDR laufenden Thread eingeordnet:
http://www.shz.de/nachrichten/deutschla ... 64311.html
"25 Jahre Deutsche Einheit : Der Tag der Deutschen – oder doch nicht?"

Steckt vieles drin, was sicherlich richtig ist- im Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Auch dieser Satz:
Zitat:
"Einzige ernsthafte Alternative wäre der 9. Oktober gewesen – jener Tag, an dem in Leipzig 70 000 Menschen gegen das SED-Regime demonstrierten. Dieser Tag gilt als Wendepunkt der friedlichen Revolution. Aber, so konstatiert Calabretta, dieser Tag fand nicht genug Zustimmung, um sich gegen den 3. Oktober durchzusetzen. „Dies lag vor allem daran, dass man den Eindruck hatte, die Bürger Westdeutschlands seien durch dieses Datum nicht ausreichend repräsentiert.“ So gilt der Historikerin nun der 3. Oktober als „ein Tag, an dem sich Staatsmänner und politische Elite selbst feiern, ohne dabei das Volk allzu sehr mit einzubeziehen“.
Zitatende
...
Damals involvierte Politiker geben aber einen ganz anderen Grund für den 3. Oktober 1990 an, nämlich, man wollte nicht, dass es am 7. Oktober 1990 noch einmal ein DDR-Gründungsjahrestag gab.
Darum konnte es nicht der 9. Oktober werden. Die italienische Historikerin hätte wohl besser recherchieren sollen.
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Nemeth
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An anderer Stelle hatte ich es schon einmal erwähnt.

Es wären auch andere Tage als der 3. Oktober in Frage gekommen.
Auch dafür hätten sich im Nachhinein viele stichhaltie Begründungen gefunden.

Der Vorschlag den 3.10. zu wählen kam von der DSU vom Abgeordneten
Diestel. Die Begründung war einfach und damals durchaus plausibel.
Die DDR sollte keine 41 Jahre weden.
Wer zur Quelle will, muss gegen den Strom schwimmen
histo rie
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Ich erinnere mich noch an den 3. Oktober 1990. Ich glaube, das war schon ein arbeitsfreier Tag, denn ich konnte den Festakt zur Feier der Einheit selbst im Fernsehen zu Hause verfolgen. Alle hohen Würdenträger saßen im Saal, die Musiker und Redner gaben ihr Bestes, bis auf einen. Einer fiel aus der Rolle, der sprach nicht über die Einheit - der sprach über Weine. Ja - über Weinsorten. Das ging ein Stück lang gut, bis ein Gemurmel aufkam und der Redner bald mit Nachdruck gehindert und hinaus begleitet wurde. Das war ein Lapsus, der bei späteren Wiederholungen natürlich nicht gezeigt wurde. Ich hatte das damals mangels Videorekorders auf Tonband aufgenommen. Leider ist diese Aufnahme verschollen. Wenn jemand also einen link kennt, oder die Aufnahme selbst hat - bitte hier veröffentlichen oder mir selbst zuspielen.
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Barbarossa
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Aus einem anderen Pfad, hier ein Beitrag von Wallenstein (siehe: http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... 093#p60093 ), weil mir der Inhalt nicht aus dem Kopf ging. Ganz ähnliches haben ja auch andere Mitglieder aus den westlichen Bundesländern berichtet:
Wallenstein hat geschrieben:Wie sich die Bilder gleichen.

Anfang 1990 kamen zahlreiche Übersiedler aus der DDR nach Westdeutschland. Willkommen waren sie nicht. Hier Ausschnitte aus einem Artikel im Spiegel vom 19.02.1990.

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13507374.html

„Wieso kommen die noch?"


"In Westdeutschland kocht Haß auf die DDR-Übersiedler hoch. Die Staatenwechsler werden zunehmend als Konkurrenten auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt betrachtet. Vor allem in den Fluren der westdeutschen Sozialämter entlädt sich der Zorn auf die Zuzügler. Ein Beamter: "Wir sind froh, wenn das Mobiliar heil bleibt."

In seiner alten Heimatstadt Neuruppin gilt der Übersiedler Martin Laubsch, 43, heute als gemachter Mann. Vor zwei Wochen, auf Besuch im Osten, saß er mit alten Freunden im "Brauhof", seiner ehemaligen Stammkneipe. Beim Bier trumpfte der gelernte Schlosser groß auf: Eine Arbeit habe er im Westen schon gefunden und auch eine Wohnung. Die sei zwar klein, "aber für den Anfang reicht es".

Alles falsch. In Wahrheit haust Laubsch unter erbärmlichen Umständen in einer dringend renovierungsbedürftigen Turnhalle im Zentrum von Bochum. Jeden Tag kommt es in dem Notquartier zu Streit und Schlägereien, und nachts kann der Mann kaum schlafen, weil Betrunkene krakeelend durch die Gänge torkeln. Laubsch: "Es ist die Hölle."

Auch die Reaktionen der Einheimischen waren ähnlich:


„Schon haben Unbekannte in einigen Hamburger Stadtteilen an Plakaten, die Verständnis für die Staatenwechsler wecken sollen, bei dem Slogan "Offene Grenzen, offene Herzen" den Zusatz "Willkommen bei uns" mit Messern zerfetzt und herausgerissen.

In Herne, bei einer Übersiedlerdiskussion, flogen letzte Woche Steine. In einem neuerrichteten Übersiedlerheim in Godorf bei Köln legten Brandstifter Anfang des Monats gleich zweimal kurz hintereinander Feuer. In Stuttgart brannten Übersiedlergegner ein Übergangsquartier bis auf die Grundmauern nieder….

Vor allem bei den Ärmeren im Lande, die sich durch die Konkurrenz aus dem Osten noch weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt sehen, kocht nun Haß hoch. Besonders heftig entladen sich die sozialen Konflikte auf den Fluren von westdeutschen Sozial- und Wohnungsämtern. Immer häufiger reagierten ortsansässige Wohnungssuchende "mit nackter Wut" auf die DDR-Konkurrenz….

Mancherorts wehren sich Anwohner gegen den Zuzug in ihre Nachbarschaft. In Dortmund beispielsweise, wo 6 von 150 Turnhallen mit Übersiedlern belegt sind, forderte der Vorstand des Vorort-Vereins TuS Westfalia Sölde in einer Resolution Rat und Stadtverwaltung auf, nicht länger "an der langsamen Aushöhlung unseres Turn- und Sportbetriebes" mitzuwirken. In Bremen-Vegesack besetzten letzte Woche 60 Eltern mit ihren Kindern kurzerhand eine Halle, in die Übersiedler einquartiert werden sollten.“

Menschliche Verhaltensweisen sind immer ähnlich und vorhersehbar. Was heute passiert, kann doch keinen überraschen. Nicht Neues unter der Sonne.
Ich habe einmal eine Statistik gesehen über die Zahlen darüber, wie viele Menschen aus dem Gebiet der DDR in den Westen gingen. Das waren (in der Hauptsache von der Maueröffnung am 9. November '89 an) in den Jahren 1989 und 1990 jeweils knapp 400.000, d. h. in etwas über einem Jahr an die 800.000 Übersiedler - also ganz ähnliche Dimensionen, wie die derzeitige Flüchtlingswelle. Nur damals nach der Maueröffnung waren es keine politisch Verfolgten mehr, aber es waren eben Deutsche, die in den anderen Teil Deutschlands wollten!
Zwar sprach man auch bei uns von "drüben", wenn man vom Westen sprach, aber man war doch immer eine Nation - besonders wer "Westverwandte" hatte, spürte das doch ganz besonders. Es gab zwei deutsche Staaten bzw. Kohl sprach bis zum Schluss von "zwei Staaten in Deutschland" - so war ja seine Definition. Aber es gab eben keine extra DDR-Nation und schon gar keine BRD-Nation, sondern "nur" zwei Staaten einer Nation, wobei wir uns die Lebensbedingungen im Westen auch für uns wünschten.
Wir in der DDR hatten gelernt, selbst kleinste Unterschiede bei den Redewendungen zu verstehen und zu schätzen und auch "zwischen den Zeilen zu lesen".
In vielem orientierten wir uns am Westen. Bekam jemand ein "Westpakt" (meist von dessen Verwansten), wurde das bestaunt und hatte jemand etwas "von drüben", dann hatten diese Dinge beinahe schon den Status von "göttlichen Attributen".
Unsere Generation, die Jugend der '80er Jahre, hörte auch so gut keine Musik aus dem Osten mehr. Es gibt dazu auch Erhebungen von Wissenschaftlern, die also feststellten, dass bei uns DDR-Musik - selbst Rockmusik, die eigentlich für uns gemacht war - bei uns zu 95% nicht mehr vorkam. Dies kann ich auch so bestätigen, denn wir hörten ja auch fast nur die Westsender - wir kannten die wöchentliche Top 10 der westdeutschen Verkaufscharts stets auswendig.
In den Discos sollte eigentlich immer zu einem bestimmten Prozentsatz auch DDR-Musik gespielt werden (ich glaube, das waren 40%), aber das konnte kein Discjockey durchhalten, denn jedesmal, wenn er solch eine Scheibe auflegte, leerte sich die Tanzfläche völlig. Hörten wir, dass in unserer Disco eine Band spielte, drehten wir uns um und gingen wieder nach Hause. Ich habe das selbst so erlebt - diese Musik war bei uns "Megaout", wie man heute so schön sagt. In den '70er Jahren mag das noch etwas anders gewesen sein, aber bei unserer 80er-Generation war das auf jeden Fall so - und zwar tatsächlich in diesem Ausmaß.
Wir wussten über die Medien relativ viel über den Westen und so erklärt es sich auch, dass die, die in den Westen gingen, nicht das Gefühl hatten, in ein völlig fremdes Land zu gehen - nur in ein besseres Deutschland.
Die Diskussion ist eröffnet!

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