Sozialismus und Antisemitismus

Zwei Supermächte stehen sich gegenüber: Vereinigte Staaten gegen die UdSSR

Moderator: Barbarossa

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Ursprünglich hatten die Sozialisten immer den Antisemitismus bekämpft. August Bebel bezeichnete ihn als den „Sozialismus des dummen Hans“. Lenin besprach 1920 eine Schallplatte, auf der er die russische Bevölkerung auf die schändliche Funktion des zaristischen Antisemitismus hinwies. Kurz zuvor hatten die Weißgardisten, vorwiegend Kosaken und Ukrainer, 1919 in der Ukraine über 100.000 Juden niedergemetzelt, neben dem deutschen Holocaust eines der schlimmsten Verbrechen an Juden im 20.Jahrhindert. Doch kaum waren die Kommunisten an der Macht, benutzten auch sie den Antisemitismus, um Sündenböcke zu schaffen.

In Polen lebten von den 3 Millionen Juden der Vorkriegszeit nach 1945 nur noch etwa 180.000. Sie waren im Nachkriegspolen nicht wohl gelitten. Polen hatten sich inzwischen die Grundstücke, Häuser und Läden der ermordeten Juden angeeignet, den Überlebenden der Vernichtungslager schlug Abwehr und oftmals Hass entgegen. Zwischen 1945 bis 1946 kam es zu einer Welle antijüdischer Ausschreitungen, in deren Verlauf 1.200 Juden getötet wurden. Das schlimmste Massaker fand am 4. Juli 1946 in Kielce statt, wo 42 Menschen getötet wurden. Das kommunistische Regime hatte kein Interesse daran, den Antisemitismus in der polnischen Gesellschaft zu verarbeiten und verschwieg diese Vorgänge. Der größte Teil der Juden flüchtete daraufhin nach Israel.


Ende der sechziger Jahre geriet das Regime von Gomulka in eine Wirtschaftskrise. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung richtete sich nicht nur gegen die eigene Regierung, sondern auch gegen die Sowjetunion. Um von den Problemen abzulenken, griff man wieder auf das beliebte Feindbild zurück. Der Sechstagekrieg der Israelis 1967 wurde gedeutet als eine Aggression Israels, und diese sei das Resultat der reaktionärsten Verschwörung des internationalen Imperialismus. Die Politik Israels wurde verglichen mit der Politik der Nazis. Gleichzeitig sprach man von der „fünften zionistischen Kolonne“ in Polen. Der Innenminister Mozcar eröffnete eine populistische Kampagne gegen die Juden im eigenen Land. Auch wenn man das Wort Jude nicht in der Öffentlichkeit verwendete, so sprach man von den „altbekannten Feinden der polnischen Nation inmitten unter uns“, und jeder wusste, wer damit gemeint war.

Im März 1968 wurden Demonstrationen von Studenten durch die Miliz niedergeschlagen. Auch hier bezichtigte man jüdische Intellektuelle und Professoren als Drahtzieher der Unruhen. Diese groteske Kampagne hatte bald viele Opfer und führte zu umfangreichen Säuberungen in der Partei, in der Intelligenz, selbst im Militär. Überall wurden Personen jüdischer Abstammung entlassen und in der Regel ins Ausland abgeschoben (ca. 20.000 Personen).


Das heutige Polen verurteilt die antisemitischen Exzesse in den sechziger Jahren unter der kommunistischen Regierung. Auch das Massaker von Kielce 1946 wurde 2006 von Ministerpräsident Kaczynski als „Schande für die polnische Nation“ bezeichnet.

Die oben skizzierten Ereignisse machen deutlich, dass Antisemitismus in allen Gesellschaften auftreten kann. Wir beobachten ihn in der Antike, im Feudalismus, in der kapitalistischen Gesellschaft und auch im Sozialismus. Jeder braucht Sündenböcke.

(Die Juden wurden damals oft direkt in die BRD abgeschoben, da man offensichtlich der Meinung war, die Deutschen hätten die moralische Verpflichtung, ihnen zu helfen. Dies erzählte mir Ende der sechziger Jahre ein polnisch-jüdischer Student. In seinem Pass konnte man in deutscher Sprache lesen: Rückkehr in die Volksrepublik Polen unerwünscht).

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dieter
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Lieber Karlheinz,.
tatsächlich tritt Antisemitismus in jeder Gesellschaft auf, der natürlich verabschäuungswürdig ist. :roll: Ich frage nur, warum sich alles gegen diese Menschen richtet :?: Es gibt auf der Welt soviele Minderheiten, Basken, Kurden, Sinthi und Roma, warum gegen diese Menschen :?:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Aneri

Hallo Karlheinz,

das Thema interessiert mich. Anfangs war es eher aus der Interesse zur Kultur, Religionen etc., später hat es auch einen persönlichen Hintergrund. Ich wollte schon vorher einen Beitrag schreiben, dennoch ich immer mit der Zeit in Verzug bin.

Jetzt habe ich den Dreiteiler „unsere Mütter, unsere Väter“ geguckt. Einen Aspekt fand ich besonders interessant. Es ist der scharfe Antisemitismus, der in Polen herrschte. Aus deinem Beitrag geht es hervor, als es die Wiedergabe des enteigneten Eigentums der Grund für den Antisemitismus wäre. Es ist aber nicht so. Es war schon vorhanden. Der Anspruch der hinterbliebenen Juden auf das enteignete Eigentum war nur der Funke, der den tiefsitzenden Hass zur Aktion erweckte.

Es ist interessant zwei Nachbarländer zu vergleichen: Polen und Litauen. In Hauptstadt Vilnius war ursprünglich eine sehr große judische Gemeinde. Übrigens die Stadt war zwischen beiden Kriegen von Polen besetzt und starke Polonisierung erlebt. Aus dem Artikel in WIkI wird es nicht deutlich. Man nennt nur, dass es war 2% Litauer, 53% Polen und 41% Juden. Warum sollte es zum Hauptstadt Litauens werden?! Es ist nicht erwähnt, dass gezielte Politik zur Austreibung der Litauer im Gange war. Na ja, es ist nicht zum Thema. Wir wollen hier jüdischer Problematik nachgehen.

Ich bin in Litauen aufgewachsen, als brave Pionierin, später Komsomolzin. Uns wurde eingeprägt, dass alle Nationen gleich sind. Es war offiziell kein Antisemitismus weit und breit zu sehen, mindestens aus meiner bescheidenen Perspektive. In Familie, da ich zweisprachig aufgewachsen bin, war auch stetig bemüht die Gleichberechtigung der Nationalitäten unterstreichen. Man könnte im Alltag in anderer sozialen Umwelt aber merken, dass wenn die Sprache über Juden ging, dann man etwas abfällige Note spürte. Es war nicht stark, aber vielleicht auch deswegen, weil es mich selbst nicht betraf. Zudem hatten wir so viele Anekdoten, in denen man die Chukchas, die Eskimos (nordische Ethnien) in Lächerliche zog, ohne es rassistisch zu deuten. Jetzt, aus der Höhe meiner Erfahrung, denke ich, dass es ist ein Fundament auf dem rassistische Gebäude sich baut. Allein das Fundament ist noch kein Rassismus, dennoch bietet er die Basis zur weiteren - rassistischen – Entwicklung. Ich bemühe mich immer zu sagen, dass eigene Selbstbewusstsein darf man nicht auf der Erniedrigung anderer bauen.

Eine Art Schock habe ich erlebt, wenn einmal in einer Unterhaltung ein Gesprächspartner sich als Antisemit entpuppt hat. Ich erinnere nicht, welche Äußerungen er gemacht hat. Mich hat die Reaktion einer Bekannten, einer Anwältin in ehrenhaftem Alter, die ich als intelligente Frau schätzte, umgehauen. Plötzlich war sie sehr „lebendig“, begann zu erinnern, wie sie in Kindheit mit der Geschichte über Juden, die Kinder fangen und sie in ihren Festen töten, geängstigt wurde. Sie stellte ganz seriös die Frage: es muss etwas daran wahr sein, wenn dieser Gerücht sich so hartnäckig hält.

Mein Fazit: der nicht-Jude hat doch nicht viel von Antisemitismus zu spüren. Eine andere Vorstellung habe ich durch Heirat meiner Schwester mit dem Juden erworben. Er hatte russischen Name, den er von seiner ersten Frau übernommen hat. Wann ich ihn gefragt habe, warum, es ist eigentlich ungewohnt, sagte er: er wollte nicht, dass seine Kindern schon von bei Erwähnung seines Namens als Juden wahrgenommen werden. Da braucht man nicht dazu fügen. Mit dem ist alles gesagt.

Übrigens hat seinem Sohn das nicht geholfen. Er hat als 20-Jähriger mit rotem Diplom weltanerkannten Mathematik-Fakultät der Lomonosov-Universität in Moskau abgeschlossen. Dennoch könnte er nicht seine Doktorarbeit schreiben, weil sein Dekan war ein Antisemit, der alles tat es zu verhindern. Obgleich er einen weltberühmten Professor gefunden hatte, der ihn angenommen hätte, der selbst um die „Überweisung“ kümmerte, hat Dekan sein Einverständnis nicht gegeben (warum es nötig war, weiß ich nicht mehr). Was macht man, wenn man keine Aufstiegsmöglichkeit hat? Man wandert aus, wenn möglich ist. Durchaus komische Situation: man sich selbst als Russe identifiziert, wird aber von anderen stetig erinnert, dass man ein Jude ist. So ähnlich gewesen war meines Wissens mit Heinrich Heine, des sich taufen lies und trotzdem ständig erinnert wurde, dass er Jude ist.



Kehren wir zu Unterschieden zwischen Polen und Litauen. Wie der Fall mit meiner Bekannten, die zwischen zwei Kriegen aufgewachsen war, zeigt, waren antisemitische Stimmungen weit verbreitet. Anders als in Polen waren sie durch große Zuwanderungswelle der Russen abgelöst. Das Polen blieb von dieser Zuwanderung verschont. Eigentlich sehe ich hier den entscheidenden Unterschied.

Dieter hat richtig bemerkt, dass Juden wirken anders als andere Ethnien. Nur leider hat er keine Analyse gemacht. Viele Jahrhunderte hat die Religion für den Zusammenhalt der Juden gesorgt. Es ist die einzige monotheistische Religion, die für eine bestimmte Ethnie gilt. Es hat bewirkt, dass die Juden Jahrhunderte als eine ethnisch identifizierbare Gruppe blieben. Sicher war es immer ein Teil, der in die Gastgeberkultur abdrifteten. Der Kern blieb aber und hat gewachsen. Sie hielten die Kontakte mit anderen Gemeinden in anderen Ländern aufrecht. Es wurden Bräute/Bräutigame ausgetauscht, es wurden die Informationen, die z.B. für das das Handel wichtig waren, ausgetauscht. Daher hatten die Juden hier ein Vorteil.

Die kulturelle Abgeschlossenheit bewirkt aber zwangsläufig, dass sie als fremd angesehen werden. Nichts anders ist es mit anderen Ethnien, die im fremden Land die Nähe der Gleichen suchen. So bilden sie eigenen Ghettos, wo sich kulturell daheim fühlen, wo andere Sprache, andere Kleidungsordnung, andere Sitten herrschen. Wenn man ein Land als ein Wechselwirkungsnetz sieht, dann ist nur selbstverständlich, dass ein Wachstum einer Blase – eines relativ isolierten selbständigen Wechselwirkungsnetzes der Ankömmlinge - zu Spannungen bringt. Wenn es dazu geht ihnen prächtig, dann der Neid, die erfundene Geschichten sind auf Tagesordnung. Auch wenn ihnen nicht so gut geht, können sie immer als Feindbild dienen, um die Bevölkerung von wirklichen Problemen abzulenken.
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Barbarossa
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Dieser Aspekt ist ist interessant, Aneri. Wenn du sagst, du hast dich mit den Juden thematisch näher beschäftigt, dann kannst du doch sicher auch meine Frage dazu beantworten:
Wie stark ist die Isolation in der Gesellschaft der Länder Europas?
Haben Außenstehende Einblick in das jüdische Leben?
Ich würde das gern näher untersuchen.

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Aneri

Barbarossa hat geschrieben:Wie stark ist die Isolation in der Gesellschaft der Länder Europas?
Haben Außenstehende Einblick in das jüdische Leben?
Ich denke, dass Isolation in Bezug auf Juden ist nicht die richtige Bezeichnung, sogar falsche Bezeichnung.

Ich kenne keinen Juden, die religiös sind. Es ist ein Witz daran, dass sowietische Juden sind schon assimilert worden. Der Sohn meines Schwagers ist ein russischer Nationalist, wenn er auch in Ausland lebt. Mein Schwager selbst hat in atheistischen judischen Familie aufgewachsen. Sein Vater war einfacher Arbeiter und Kommunist. Sein Sohn (mein Schwager) ist ein Musiker geworden, sein Enkel - der Mathematiker - die Berufe, die man mit Juden assoziiert. Es ist übrigens ein Thema in sich, warum die Juden so viele international bekannte Künstler und Wissenschaftler hervorgebracht haben. Für mich liegt der Antwort in zweier Dingen, die vielleicht bei näherer Betrachtung doch Eins sind. Erstens die Fusion der judischen und Gastgeber Kulturen ist fruchtbar. Diese Fusion betrifft (durch die Proportionen Juden-Gastgeber) eher die judischen Kulturkreis, der sich einerseits anpassen muss, anderseits seine Eigentümlichkeit behalten will.

Zweitens ist es die Außeinandersetzung mit zwei Identitäten. Der Heranwachsende anderseits will von den Landsleuten sich nicht unterscheiden, anderseits kann man eigenen Wurzeln nicht leugnen. So steht man auf zwei Booten und versucht es zusammenhalten. Dadurch kann was Neues entstehen, das die beiden Kulturen bereichert, weil beide erheben den Anspruch.

Aus meiner Beobachtung wird in judischen Familien auf die Ausbildung der Kinder sehr viel Wert gelegt. Auch der Fleiß und Tugend werden gefordert.
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Barbarossa
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Dann ist es am Ende vielleicht doch nur Neid auf die relativ wohlhabenden Juden?
Irgendetwas muß doch diesen recht weit verbreiteten Antisemitismus hervorrufen. Ich habe schon öfter darür nachgedacht, aber bisher noch keine Antwort gefunden.

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Aneri

Barbarossa hat geschrieben:Dann ist es am Ende vielleicht doch nur Neid auf die relativ wohlhabenden Juden?
Bitte beachtest Wörtchen relativ. Auch unter Juden waren arme Leute. Nur ganz armen hat Gemeinde unter den Armen gegriffen. Insofern kann man da immer reichere Leute finden, denn der Staat seine Leute oft in Stich gelassen hat und da Elend überall zu treffen war.
Irgendetwas muß doch diesen recht weit verbreiteten Antisemitismus hervorrufen. Ich habe schon öfter darür nachgedacht, aber bisher noch keine Antwort gefunden.
Neid erklärt es nicht. Es erklärt Jahrhunderte-Geschichte, die die Abneigung zu Juden zementierte. Es muss nicht vergessen werden, dass dieser Zeitraum war extrem religiös.

Das Judentum hat Christentum hervorgebracht, der sich emanzipieren begann. Dadurch entsteht eine gewisse Konkurrenz. Denk zum Beispiel an Evangeliker und Katholiken. Ich weiß nicht wie die Katholiken, aber ich wohne in evangelischen Raum und spüre eine gewisse Argwohnheit. Z. B. ich, Atheistin, wollte den Heiligabend wie in meiner Kindheit bei katholischer Großmutter gestalten (es war ein sinnlicher Abend mit seinen eigenen Ritualen und Gerichten, nicht einfache Feier, wie ich hier vorfand). Meine Schwiegermutter, die nie in Kirche geht, hat sich quer gestellt. Sie hat es als Eingriff auf ihre Identität empfunden, die sie mit evangelischen Glauben verbindet. Oder wenn ich hier in Forum Dieters Beiträge lese, dann spüre ich auch etwas ähnliches, eine abfällige Einstellung zu Katholiken.

Diese Situation ergibt sich in einem säkulären Staat, wo für meisten der Gott keine bzw. Nebenrolle spielt. Man kennt aber die blutige Geschichte der Auseinandersetzungen. Damals Glaube war eine essentielle Frage. Daher auch eine andere Qualität der Auseinandersetzungen der Juden mit Christen als z. B. Atheisten und Islamisten, die wir jetzt vorfinden. Auch politische Ethik durch Demokratie ist eine andere, wie es in der Jahrhunderten der Monarchie, für die jede Mittel zu seiner Erhaltung recht war. Die Juden war willkommende Mittel für den Ablass der gesellschaftliche Spannungen. Es wurde gezielt in dieser Richtung gesteuert, um den Volk von eigentlichen Problemen ablenken. Wenn es über Jahrhunderte so ging, dann auch die Abneigung ist tief verankert.
ehemaliger Autor K.

Ich hatte diesen Aufsatz geschrieben, weil mich interessierte, weshalb der Antisemitismus auch in Gesellschaften fortexistierte, in denen die klassischen Gründe, die man als Ursachen hierfür ansieht, gar nicht mehr zutrafen.

Z.B. Die Juden sind reich, wohlhabend, beuten Nicht-Juden aus durch Zinsen oder sonst wie. Im Sozialismus konnte dies doch nicht mehr gelten, hatte man doch Kapital und Vermögen verstaatlicht und auch die Juden enteignet.

Die Juden sondern sich als Religionsgemeinschaft ab. Der Sozialismus bekämpfte aber alle Religionen, die jüdische und die christliche. Juden konnten ihre Religion häufig gar nicht mehr ausüben.

Die Juden bleiben unter sich und sondern sich ab. Das hatte doch auch keine Gültigkeit mehr, es gab jede Menge Mischehen.

Warum also weiter dieser Hass, der nach dem Zusammenbruch des Sozialismus ganz offen wieder hervorbrach?
Dies ist schwierig zu erklären, aber einige Gründe lassen sich hier anführen:

In Osteuropa gab es seit Jahrhunderten einen extremen Judenhass aus religiösen, wirtschaftlichen, rassistischen Gründen. Wie in dem Film Unsere Väter, unsere Mütter gezeigt wurde, war auch die polnische Widerstandsbewegung gegen die Nazis antisemitisch gewesen. Tatsächlich haben diese Leute kaum etwas für die Juden getan, ihnen auch nicht geholfen, als es zu dem Aufstand im Warschauer Ghetto kam. Über dieses finstere Kapitel wird nicht gerne geredet. Dass antisemitisches Gedankengut weiterhin virulent in der Bevölkerung vorhanden war, kann ich mir gut vorstellen.

Den Juden wurde oftmals unterstellt, dass sie sich besonders stark mit dem Sozialismus und seiner Herrschaftsstruktur identifizieren. Sie würden den Sozialismus ausnutzen für ihre persönliche Karriere. Tatsächlich war der Anteil der Juden im Herrschaftsapparat zeitweilig überproportional hoch. Auch bekleideten viele von ihnen wichtige Positionen im Wissenschaftsbereich. Sie hatten im Sozialismus zeitweilig mehr Möglichkeiten gehabt, sich zu entfalten als unter den früheren Regimen, von denen sie sehr stark diskriminiert wurden.

Aber auch die Machthaber der sozialistischen Staaten haben den latenten Antisemitismus immer wieder benutzt, um ihre Position zu stärken und von Missständen abzulenken. So brach in den dreißiger Jahren während der Zwangskollektivierung in der UDSSR eine Judenfeindschaft aus, da die Brutalität der Unterdrückung als das Werk jüdischer Funktionäre ausgegeben wurde und Stalin wieder unterschwellig den Antisemitismus mobilisierte. Während seiner letzten Monate sprach man von einer jüdischen Ärzteverschwörung, die seinen Tod herbeiführen sollte.

So gilt auch hier: Antisemitismus findet sich vor allem in den Schichten, die an Herrschaft und Macht nicht selbst beteiligt, sondern ihr unterworfen sind. Der Antisemitismus saugt die Kritik der Massen an den bestehenden Herrschaftsverhältnissen ab, lenkt sie auf ein fiktives Objekt und damit in für die Herrschenden ungefährliche Bahnen. Bei denen, die die Macht innehaben, dient er hingegen meistens nur als Instrument, um die Herrschaft zu behaupten.
Das gilt natürlich nicht immer. Die Nazis begnügten sich nicht damit, die Juden zu diskriminieren und gelegentlich Pogrome zu veranstalten, so wie dies sonst üblich war, sondern sie wollten die Juden komplett ausrotten. Dies hatte eine neue Qualität und geht weiter über den traditionellen Antisemitismus hinaus.
Aneri

Karlheinz hat geschrieben: Den Juden wurde oftmals unterstellt, dass sie sich besonders stark mit dem Sozialismus und seiner Herrschaftsstruktur identifizieren.
Ich würde sagen, nicht nur unterstellt, es war wirklich so. Die Gründe liegen auf auf der Hand, wenn auch von Historikern nicht hervorgehoben werden. Ich z.B. durch Zufall erführ, dass die Juden vor Revolution nur in bestimmten Gebieten wohnen dürften. Woanders müssten sie besonderen Erlaubnis haben. Wenn die Großstädte mit ihrem Aufstiegsmöglichkeiten, mit Universitäten waren für Juden geschlossen, ist doch klar, dass sie die Revolution, in der Kommunismus, der die Gleichkeit aller deklarierte, als eine Befreung sahen.

Die Religion war für meisten sowjetische Juden irrelevant. Ihre spezifische kulturelle Prägung des Zusammenhalts wurde durch Anisemitismus aufrechtgehalten. Auf dieser merkwürdige Art würde die völlige Assimilation durch Antisemitismus verhindert.
ehemaliger Autor K.

an Aneri
An Aneri:
Mich würde interessieren: Gerade im Baltikum hat es schlimme Judenverfolgungen gegeben. In Litauen begannen litauische Bürger gleich nach Einmarsch der Deutschen in die Sowjetunion mit der Ermordung von Juden und zwar bevor die deutschen Truppen überhaupt das Land betraten. Sie haben das von sich aus gemacht. Was waren das für Leute? Näheres unter:
http://www.yadvashem.org/yv/de/holocaus ... baltic.asp
Aneri

Karlheinz hat geschrieben:In Litauen begannen litauische Bürger gleich nach Einmarsch der Deutschen in die Sowjetunion mit der Ermordung von Juden und zwar bevor die deutschen Truppen überhaupt das Land betraten. Sie haben das von sich aus gemacht.
Die gleiche Leute, die auch in Polen in Juden die Ursache für eigenes Versagen sahen. Sicher töten kann nicht jeder. Wenn aber der Mensch, dessen Hemmungsschwelle zum Töten niedriger als bei anderen liegt, eine moralische Unterstützung (Antisemitismus) in übrigen Bevölkerung sieht, dann geht er zur Aktion viel früher, als es sonst der Fall wäre.

Die Leute, die mit seinem Eifer den deutschen Besatzer zeigen wollten: wir haben den gleichen Feind. Die Deutsche waren nicht als Besatzer angesehen, sie waren Befreier.

Die Leute, die dadurch sich eine bessere Stellung in der Verwaltung erhofft hatten.

Die Leute, die auf das Eigentum der Juden abgesehen haben.

Die Leute, die persönliche Streitereien mit Juden hatten und auf die Weise haben abgerechnet.

Die Leute, die Schulden bei Juden hatten und könnten sich damit "ofiziell" befreien.

Die Leute, die "ehrlich" dachten, dass Juden der Schlüßel alle Probleme sind.

PS: aber ist es nicht Sozialismus und Antisemitismus. Es betrifft die Zeit davor.
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dieter
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Aneri hat geschrieben:Das Judentum hat Christentum hervorgebracht, der sich emanzipieren begann. Dadurch entsteht eine gewisse Konkurrenz. Denk zum Beispiel an Evangeliker und Katholiken. Ich weiß nicht wie die Katholiken, aber ich wohne in evangelischen Raum und spüre eine gewisse Argwohnheit. Z. B. ich, Atheistin, wollte den Heiligabend wie in meiner Kindheit bei katholischer Großmutter gestalten (es war ein sinnlicher Abend mit seinen eigenen Ritualen und Gerichten, nicht einfache Feier, wie ich hier vorfand). Meine Schwiegermutter, die nie in Kirche geht, hat sich quer gestellt. Sie hat es als Eingriff auf ihre Identität empfunden, die sie mit evangelischen Glauben verbindet. Oder wenn ich hier in Forum Dieters Beiträge lese, dann spüre ich auch etwas ähnliches, eine abfällige Einstellung zu Katholiken.
Liebe Aneri,
ich bin durch Zufall auf Deinen Beitrag gestoßen. Habe keine abfällige Einstellung zu Katholiken, aber zur Katholischen Kirche. Saß sechs jahre lang neben einen Katholiken aus dem Sudetenland in der Schule, die sogar einen großen Kruzefix in der Küche an der Wand hängen hatten. Da ich ein sensibeler Mensch bin, finde ich diese Tötungsart als grausam, vorallem wenn das Blut aus der Dornenkrone herrunterfloß.
Die Katholische Kirche erkennt die Ev. Kirche nicht als Kirche an. Die Mißbrauchsfälle in der Kath. Kirche, es gab sowas auch bei der Ev. Kirche, aber nicht in dem Ausmaß. Die Bischöffin der Nordelbischen Landeskirche trat deshalb zurück, Frau Käßmann auch wegen 1,5 Promille. Kardinal Mixa mußte erst nach Rom reisen, um erklärt zu bekommen, dass er zurücktreten muß. Bei der Aufklärung der Mißbrauchsfälle kommt diese Kirche auch nicht weiter. Dem Wissenschafler aus Hannover Herrn Pfeiffer wurde der Auftrag wieder von der Kath. Kirche entzogen. Einer Frau wird nach einer Vergewaltigung in katholischen Krankenhäusern nicht gholfen.
Priester dürfen nicht heiraten, Frauen keine Prister werden, Homosexuelle werden verfemt, Geschiedene bekekommen kein Sakrament, Kondome, die Aids vorbeugen sollen sind verboten.
Der Neue Papst wird in allen diesen Punkten keine Änderung bringen, er hatte seine Schutzbefohlenen dem argentinischen Militär überlassen. Nach 800 Jahren schmeißt ausgerechnet ein deutsche Papst sein Amt hin. Das gab es vorher nur einmal wegen mangelnder Lateinkenntnisse des Papstes. Nichts von Preußischer Pflicherfüllung. Wie muß es in dieser Kirche aussehen, wenn ein Papst freiwillig geht :?:
Mein Fazit: die Katholische Kirche ist über das Mittelalter und Luther nicht hinausgekommen. :roll:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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Peppone
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dieter hat geschrieben:Wie muß es in dieser Kirche aussehen, wenn ein Papst freiwillig geht :?:
Wenn jemand nicht sklavisch an der Macht festhält und eingestehen kann, dass er überfordert ist, ist das immer ein gutes Zeichen, zumindest was diese eine Person betrifft. Ich habe zu Ratzinger ein durchaus ambivalentes Verhältnis, aber sein Rücktritt hat mich sehr beeindruckt. Ebenso wie Käßmanns Rücktritt übrigens...
dieter hat geschrieben: Mein Fazit: die Katholische Kirche ist über das Mittelalter und Luther nicht hinausgekommen.
DAnn hast du dich noch nicht mit dem 2.Vatikanischen Konzil befasst.

Beppe
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Peppone
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Aneri hat geschrieben:Ich würde sagen, nicht nur unterstellt, es war wirklich so. Die Gründe liegen auf auf der Hand, wenn auch von Historikern nicht hervorgehoben werden. Ich z.B. durch Zufall erführ, dass die Juden vor Revolution nur in bestimmten Gebieten wohnen dürften.
Meines Erachtens liegen die Gründe auch noch woanders: In dem von dir schon erwähnten Intellektualismus der Juden.
Thora-Studium (und wenn nur durch Zuhören in der Synagoge) gehörte zum Judentum schon immer dazu, und in vielen Familien (denen, die es sich leisten konnten) achtete man darauf, dass der Nachwuchs auch sonst eine gute Bildung erhielt.
Überall auf der Welt fühlten sich die Intellektuellen vom Sozialismus/Kommunismus angezogen. Warum also nicht auch die Juden? Als sie in der Sowjetunion die Gelegenheit erhielten, machten sie begeistert mit bei der Revolution und beim Aufbau des Sozialismus. Das war auch in Deutschland so, was dazu führte, dass Hitler relativ zwanglos den Kampf gegen den Bolschewismus in seinen Kampf gegen die Juden integrieren konnte.

Der hohe Anteil von Intellektuellen unter den Juden führte auch zum Vorurteil von den "schlauen Juden". Die Juden waren im 19.Jh. teilweise selber überzeugt davon, dass der hohe Anteil von Intellektuellen unter ihnen genetische Hintergründe hatte. Sie bemühten sich redlich, ihren "Gastvölkern" (Zitat eines jüdischen Autoren!) klarzumachen, dass ihre Anwesenheit befruchtend für die Gastvölker sei.
Die Antisemiten sahen das anders: Auch sie waren überzeugt, dass die Juden einen hohen Intelligenzquotienten (so hätte man das später genannt) aufwiesen, allerdings waren sie ebenfalls davon überzeugt, dass die Juden ihre angeblich höhere Intelligenz erstens dazu nutzten, um den "Gastvölkern" zu schaden bzw. sie auszunutzen, und zweitens waren sie davon überzeugt, dass diese "jüdische Intelligenz" sehr spezifisch sei: Wie du schon angemerkt hast, finden sich unter den Juden viele Wissenschaftler und Finanzleute. Das hat mit den früheren Berufsbeschränkungen für die Juden zu tun, wurde aber so interpretiert, dass die Juden auf eine Weise intelligent seien, die sie gut zur Reproduktion befähigt, aber nicht zur Hervorbringung eigener, "genialer" Ideen. Ein kurzer Blick auf die Liste der Nobelpreisträger hätte schon in den 20er Jahren dieses Vorurteil ad absurdum geführt, aber Vorurteile kümmern sich eben wenig um Argumente...

Interessanterweise wurden die Juden auch für unfähig gehalten, "hohe" Literatur hervorzubringen. Selbst Heine, im 19.Jh. berühmt als "der" jüdische Dichter, wurde vorgehalten, keine guten Dramen schreiben zu können, und als guter Dichter galt man damals offenbar nur, wenn man hochwertige Dramen schreiben konnte.

Alles übrigens nachzulesen z.B. in "Die schlauen Juden" von Sander Gilman.

Beppe
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dieter
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Peppone hat geschrieben:
dieter hat geschrieben:Wie muß es in dieser Kirche aussehen, wenn ein Papst freiwillig geht :?:
1)Wenn jemand nicht sklavisch an der Macht festhält und eingestehen kann, dass er überfordert ist, ist das immer ein gutes Zeichen, zumindest was diese eine Person betrifft. Ich habe zu Ratzinger ein durchaus ambivalentes Verhältnis, aber sein Rücktritt hat mich sehr beeindruckt. Ebenso wie Käßmanns Rücktritt übrigens...
dieter hat geschrieben: Mein Fazit: die Katholische Kirche ist über das Mittelalter und Luther nicht hinausgekommen.
2)DAnn hast du dich noch nicht mit dem 2.Vatikanischen Konzil befasst.

Beppe
Lieber Beppe,
zu 1) Dann ist Benedikt XVi. der erste Papst nach 800 Jahren, dem das auffällt :?: , anstatt sein Kreuz zu nehmen. :roll:
zu 2) Ich weiß, dass es Neuerungen vorallem durch den dicken Papst gab, komme nicht auf seinen Namen, die wurden aber wieder zurückgedreht, vorallem durch Woytilla und Razinger, von einer Erneurung blieb nicht viel übrig. :roll:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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