Die Wiener Philharmoniker und die Nazizeit

Der zerstörerische Krieg von Hitler und seinen Schergen gegen Europa

Moderator: Barbarossa

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Orianne
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Schon ab dem März 1938 wurden von den Wiener Philharmonikern 29 Musiker ermordet oder ins Ausland gejagt. Jeder zweite Musiker war NSDAP-Mitglied.

Hofrat Arnold Rosé bürgerlich Rosenblum wird von einem jungen Geiger mit Parteiabzeichen aufgefordert "Herr Hofrat, hier sind Ihre Tage gezählt", der Konzertmeister muss abtreten.

Rosenblum gelang es mit Hilfe seiner Tochter Alma* und des Musikers Carl Flesch nach London zu fliehen, bis zur Flucht war Rosenblum vom Orchesterbetrieb beurlaubt.

Als Beispiel eines steilen Aufstiegs wurde der Solotrompeter Helmut Wobisch genannt, wohl der strammste Nazi des Orchesters, laut Musikwissenschafter Fritz Trümpi. Nach der Entlassung 1945 stösst Wobisch wieder zum Verein, er gilt als politisch belastet, und ist daher nicht wahlfähig. 1953 wird Wobisch doch Geschäftsführer der Wiener Philharmoniker.
Das Protokoll über die Wahl ist verschwunden laut Trümpi, Wobisch amtet bis 1969 darunter sitzen viele ehemalige Parteigenossen im Vorstand.

2013 haben die Verantwortlichen des Kärntner Musikfestivals "Carinthischer Sommer beschlossen, die Ehrenkonzerte für den Gründer und Intendanten Helmut Wobisch zu streichen. Zu viele belastende NS Details wurden durch Historiker über die Wiener Philharmoniker entdeckt.

Das Archiv war lange Zeit nicht zugänglich, Tonbandaufnahmen von Sitzrungen wurden zurück gehalten oder gleich vernichtet.

*Alma (1906–1944) war ebenfalls Geigerin und kam im KZ Auschwitz-Birkenau ums Leben, sie starb vermutlich an einer Vergiftung, man weiss nicht ob es Suizid war, oder ob sie von anderen Frauen ermordet wurde. Sie hat wie auch ihr Vater ein Ehrengrab in Wien erhalten. Arnold Rosé starb 1946 in London.

Buchhinweis :!:

Bernadette Mayrhofer, Fritz Trümpi: «Orchestrierte Vertreibung. Unerwünschte Wiener Philharmoniker. Verfolgung, Ermordung und Exil», Mandelbaum Verlag, 2014.
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Lia

Alle Bereiche des öffentlichen Lebens waren irgendwo und irgendwie unter den Nazis verstrickt. Die Kultur insbesondere.
Dass es bei den Wienern so extrem war, wusste ich bislang nicht.
Über die Berliner mehr, zwischen Widerstand und Anpassung.
http://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Philharmoniker
Habe beim prompten Recherchieren bei Wikipedia noch ein Buch gefunden, beide Orchester betreffend- und wahrscheinlich Furtwänglers Rolle beleuchtend:
Fritz Trümpi: Die Wiener Philharmoniker und das Berliner Philharmonische Orchester im Nationalsozialismus. Böhlau, Wien/Köln/Weimar 2011, ISBN 978-3-205-78657-3.
Nun weiß ich wieder mehr, mal nachfragen, ob meine große Schwester das Buch hat.
Die Konzerte der heutigen Wiener und Berliner, nehme ich mich aber heraus, genieße ich in ihrem jeweiligen spezifischen Klang ad hoc und unmittelbar, ohne schlechtes Gewissen und ohne dabei betroffen die Vergangenheit zu zitieren.
Augenblicke der Gegenwart, in der die Vergangenheit mal keine Rolle spielt.
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Orianne
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Wilhelm Furtwängler würde ich nicht unbedingt als Nazi bezeichnen, er half doch einigen Musikern, doch profitierte er natürlich vom System gegen das er sich ab und an auflehnte, vielleicht war er opportunistisch. Bei Herbert von Karajan sieht es wieder ein wenig anders aus, er war seit 1933 Parteimitglied, trat als Dirigent vor Hitler, Göring und Goebbels auf. Ich denke aber, dass von Karajan sicher ein begnadeter Dirigent war, so wie Furtwängler auch.
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Lia

Orianne hat geschrieben:Wilhelm Furtwängler würde ich nicht unbedingt als Nazi bezeichnen, er half doch einigen Musikern, doch profitierte er natürlich vom System gegen das er sich ab und an auflehnte, vielleicht war er opportunistisch.
Das wollte ich so auch nicht verstanden wissen. Nur ein Furtwängler, der noch unter den Nazis Mendelssohn dirigierte, konnte, wenn überhaupt, noch mehr Unglück verhindern, und es war der Jude Menuhin, der 1947 demonstrativ mit ihm gemeinsam musizierte.
Opportunistisch mag man es nennen, möglicherweiste hoffte einer wie Furtwängler auch auf die Wirkung der Musik, hoffte, die könne hie und da wieder das Gute im Menschen erreichen.
Ich denke aber, dass von Karajan sicher ein begnadeter Dirigent war, so wie Furtwängler auch.
Politisch Karajan war ein opportunistischer Karrierist, bei dem es den später die Klatschblätter einfach machten, seine Affinität zu den Nazis zu vergessen.
Der erste Klassik-Star der Medien, obwohl es etliche Dirigenten gab, die ihm gleich und auch in manchem überlegen waren, war er beim breiten Publikum, das es damals noch gab, maßgeblich.
Musikalisch hat er in mancher Hinsicht Bahnbrechendes geleistet, setzte absolute Glanzpunkte, aber nicht alles, wo Karajan draufsteht, ist glanzvolle musikalische Interpretation.
Fast hätte ich gesagt, seine Eitelkeit, sein Ego, standen ihm oft im Weg.
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Orianne
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Zu Karajan muss ich noch die Rivalität zu Leonard Bernstein anmerken, er verachtete z.B. die West Side Story, klar es ist ein Musical, aber ich persönlich finde es gut, so wie viele Millionen andere auf der Welt. Porgy and Bess finde ich auch ausgezeichnet. Nun sind beide Männer schon relativ lange tot, aber sie leben mit und durch die Musik weiter.

Ich habe mir diese Doku über Karajan und die Salzburger Festspiele angeschaut:

https://www.youtube.com/watch?v=tXBczlimRmw

Die weiteren Parts immer oben links bei Youtube!
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Lia

Lenny Bernstein habe ich beim SHMF live erlebt- gehört zu den beeindruckendsten musikalischen Erlebnissen, die ich hatte.
Bin nicht durchgehend Karajan-Fan, oft perfekt, aber oft auch irgendwie seelenlos.
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Orianne
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Lia hat geschrieben:Lenny Bernstein habe ich beim SHMF live erlebt- gehört zu den beeindruckendsten musikalischen Erlebnissen, die ich hatte.
Bin nicht durchgehend Karajan-Fan, oft perfekt, aber oft auch irgendwie seelenlos.
Das ist wahr, Perfektion macht Dinge oft seelenlos, Karajan war sicher ein Perfektionist, bei Bernstein, der auch Operetten dirigierte wohl ein bisschen weniger, das machte ihn für mich menschlicher.
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Lia

Perfekt war auch Bernstein- aber- schon richtig formuliert, menschlicher, lebendiger, er machte sich die Musik nicht untertan, irgendwie so ganz anders.
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