93-Jähriger wegen Morden in Auschwitz angeklagt

Der zerstörerische Krieg von Hitler und seinen Schergen gegen Europa

Moderator: Barbarossa

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Orianne
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Fast 70 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz hat die Staatsanwaltschaft Hannover einen früherem SS-Mann des Lagers angeklagt. Der mittlerweile 93 Jahre alte Oskar Gröning war von 1942 bis 1944 als Freiwilliger der Waffen-SS in Auschwitz-Birkenau. Dort soll er bei der Abfertigung der Häftlingstransporte geholfen haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen vor.

Mit ihrer Anklage bezieht sich sie Staatsanwaltschaft Hannover lediglich auf die Zeit von Mai bis Juli 1944. Damals fand die sogenannte „Ungarn-Aktion“ statt, mit der innerhalb weniger Monate ein Großteil der jüdischen Bevölkerung Ungarns deportiert und ermordet wurde.

Laut der Anklage sollen zwischen dem 16. Main und dem 11. Juli 1944 mindestens 137 Eisenbahntransporte mit etwa 425.000 Menschen aus Ungarn in Auschwitz angekommen sein, von denen mindestens 300.000 in den Gaskammern umgebracht wurden.

Gröning, der in der Gefangeneneigentumsverwaltung des Lagers arbeitete, soll dabei geholfen haben, das Gepäck der neu eingetroffenen Opfer wegzuschaffen, das diese auf den Rampen zurückgelassen hatten. Dadurch sollten – so die Anklage – die Spuren der Massentötungen für die nachfolgenden Opfer verwischt werden.

Denn für den Mordablauf im Lager Auschwitz-Birkenau war es nach Einschätzung von Historikern essentiell, dass die neu ankommenden Häftlinge über ihr Schicksal im Unklaren blieben, damit sie freiwillig in die als Duschanlagen gekennzeichneten Gaskammern gingen und sich die Transporte so schneller „abfertigen“ ließen.

Grönings Aufgabe soll es zudem gewesen sein, die Banknoten aus dem Gepäck der Häftlinge zu zählen und an das Wirtschafts- und Verwaltungsamt der SS in Berlin weiterzuleiten. Dadurch habe er dem NS-Regime wirtschaftliche Vorteile verschafft und das systematische Töten unterstützt, so die Anklage.

http://www.sueddeutsche.de/politik/ss-m ... -1.2131179

Ob das noch viel Sinn macht, dass zweifle ich an, aber für die Opfer oder die wenigen Hinterbliebenen vielleicht eine Genugtuung.
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Marga
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Nach 70 Jahren wissen die "Ankläger" im Allgemeinen noch weniger, als wie jüngst im NSU-Prozeß!

Da wird viel bis alles gemutmaßt - er könnte, er soll usw. usf.

Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt. - A. Einstein

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Stephan
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Angesichts der Begründungen in der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Hannover (1) sträuben sich mir die Nackenhaare:
Ihm wird vorgeworfen, zwischen Mai und Juli 1944 als Freiwilliger der Waffen-SS im Bereich der Gefangeneneigentumsverwaltung des Konzentrationslagers Auschwitz geholfen zu haben, das auf den Bahnrampen im Lagerbereich Birkenau zurückgelassene Gepäck neu eintreffender Häftlinge wegzuschaffen. Damit sollten die Spuren der Massentötung für nachfolgende Häftlinge verwischt werden.
Dass die Gepäckstücke von der Rampe / Bahnsteig entfernt wurden, hatte wohl damit zu tun, Platz für den nächsten Zug schaffen - "auf einem deutschen Bahnhof herrscht Ordnung" - und weniger mit dem "Verwischen von Spuren".
Vor allem aber sei es Aufgabe des Angeschuldigten gewesen, die aus dem Gepäck entnommenen Banknoten zu zählen und an das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SS in Berlin weiterzuleiten.

Dem Angeschuldigten sei bewusst gewesen, dass die im Rahmen der Selektion als nicht arbeitsfähig eingestuften überwiegend jüdischen Häftlinge unmittelbar nach ihrer Ankunft in eigens dafür errichteten Gaskammern ermordet wurden. Durch seine Tätigkeit habe er dem NS-Regime wirtschaftliche Vorteile verschafft und das systematische Tötungsgeschehen unterstützt.
Wenn sich diese Lesart als neues deutsches Recht durchsetzen sollte, muss ich sagen, ich bin froh, dass meine Eltern inzwischen in Ruhe verschieden sind, denn sie haben damals als Verkäuferin gearbeitet und als Soldat in Russland gedient. Damit haben sie, wie praktisch alle anderen Menschen in Deutschland, die nicht aktiv Widerstand geleistet haben, "dem NS-Regime wirtschaftliche Vorteile verschafft und das systematische Tötungsgeschehen unterstützt".

Mehr zum Leben Oskar Grönings als in den Agenturmeldungen ist im Spiegel 19/2005 (2) zu finden, auf den auch im Guardian (3) hingewiesen wird. Dessen Einleitung ist aber irgendwie deplaciert:
With only 50 out of 6,500 SS guards at Auschwitz convicted, critics say German law has been too slow to seek justice.
Diese Bilanz ist möglicherweise beschämend - wenn man in Quoten denkt. Lieber Guardian oder liebe Kritiker, es kann nicht sein, dass die Rechtsfindung sich an einem vorgegebenen "Planziel" orientiert - zumindest nicht in einem Rechtstaat. Ansonsten liefert die Katholische Kirche einen inzwischen 1.000 Jahre alten Präzedenzfall:
Papst Stephan VI. (4) und seine Leichensynode (5).

(1) http://www.staatsanwaltschaften.nieders ... psmand=165
(2) http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40325395.html
(3) http://www.theguardian.com/world/2014/s ... st-problem
(4) http://de.wikipedia.org/wiki/Stephan_VI.
(5) http://de.wikipedia.org/wiki/Leichensynode
Freundliche Grüsse
Stephan
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Triton
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Sinn macht das keinen mehr. So ein kleines Licht (wie alt war er damals überhaupt?) in dem Alter noch ein wenig vor Gericht zu zerren, was soll das? Als Angehöriger der Opfer hätte ich da keine Genugtuung, die wahren Täter sind wohl inzwischen alle tot.

Meine Meinung: Im Unterschied zum NS-Regime darf ein demokratischer Rechtsstaat auch Menschlichkeit zeigen, gerade in solch eher harmlosen Fällen.
"Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, in dem man sie ignoriert." (Aldous Huxley)
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Orianne
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Triton hat geschrieben:Sinn macht das keinen mehr. So ein kleines Licht (wie alt war er damals überhaupt?) in dem Alter noch ein wenig vor Gericht zu zerren, was soll das? Als Angehöriger der Opfer hätte ich da keine Genugtuung, die wahren Täter sind wohl inzwischen alle tot.

Meine Meinung: Im Unterschied zum NS-Regime darf ein demokratischer Rechtsstaat auch Menschlichkeit zeigen, gerade in solch eher harmlosen Fällen.
Ich sah ein Bild von ihm, er war 22 Jahre alt und SS-Rottenführer*, also wirklich ein kleines Licht, haftfähig ist er wegen seines Alters auch nicht mehr, untersucht wird er seitens der Staatsanwaltschaft ob er an Demenz leidet, bei so einem alten Mann kann man sicher keinen Prozess mehr führen, so denke ich persönlich.

*Obergefreiter
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Triton
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22 Jahre wäre immerhin schon voll erwachsen gewesen, aber selbst vor 20 oder 30Jahren wären seine "Verbrechen" eher unbedeutend gewesen. Genauso hätte man jeden Reichsbahnangestellten, der dafür sorgte, dass die Deportationszüge rollten, vor Gericht stellen können. Seine Zugehörigkeit zur SS wird es sein, die ihn generell verdächtiger als andere macht.
Seine Rolle zu klären, wäre damals sicher nicht falsch gewesen. Er war in der SS und in einem KZ, da kann man schon mal genauer hinschauen.
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Orianne
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Ich sehe es so, dass er als Kind und Jugendlicher schon die ganze NS-Erziehung durchlebte, so sah er eventuell in seinem Tun in Auschwitz nichts Belastendes.
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dieter
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Ihr Lieben,
man sollte ihn verurteilen und dann wegen Haftunfähigkeit entlassen, wie man es bei Mielke gemacht hat. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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Orianne
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dieter hat geschrieben:Ihr Lieben,
man sollte ihn verurteilen und dann wegen Haftunfähigkeit entlassen, wie man es bei Mielke gemacht hat. :wink:
Man wird ihn prüfen ob er überhaupt noch verhandlungsfähig ist, bei 93 sehe ich da wirklich Schwierigkeiten. Er war schon 80er Jahren im Visier der Behörden, damals hätte die Sache anders ausgesehen.
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Gontscharow
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Mir fehlt das passende Adjektiv, um ein solches Vorgehen unserer Justiz zu beschreiben ....
Erst wollte ich schreiben "albern", aber das trifft es nicht.
Ich frage mich auch, ob es ein anderes Land auf der Welt gibt, wo ein 93-jähriger nach fast
70 Jahren angeklagt würde.
D ist in vielen Bereichen großartig, aber es neigt auch zu solchen Absurditäten.Es mangelt an der
Fähigkeit, fünfe gerade sein zu lassen. Viele Dinge werden "aus Prinzip" getan, obwohl sie
sinnfrei sind.
Mir ist das unsympathisch.
Zuletzt geändert von Gontscharow am 18.09.2014, 10:59, insgesamt 1-mal geändert.
Marga
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Orianne hat geschrieben:Ich sehe es so, dass er als Kind und Jugendlicher schon die ganze NS-Erziehung durchlebte, so sah er eventuell in seinem Tun in Auschwitz nichts Belastendes.
Eine NS-Erziehung wurde den Burschen und Mädel`s hauptsächlich in der HJ angediehen -

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Orianne
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Gontscharow hat geschrieben:Mir fehlt das passende Adjektiv, um ein solches Vorgehen unserer Justiz zu beschreiben ....
Erst wollte ich schreiben "albern", aber das trifft es nicht.
Ich frage mich auch, ob es ein anderes Land auf der Welt gibt, wo ein 93-jähriger nach fast
70 Jahren angeklagt würde.
D ist in vielen Bereichen großartig, aber es neigt auch zu solchen Absurditäten.Es mangelt an der
Fähigkeit, fünfe gerade sein zu lassen. Viele Dinge werden "aus Prinzip" getan, obwohl sie
sinnfrei sind.
Mir ist das unsympathisch.
Da ich keine Deutsche bin kann ich mich nur so äussern, dass ich ihn gar nicht mehr zur Verantwortung ziehen würde, auch keine Untersuchungen u.s.w., es ist wirklich sinnfrei.
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Orianne hat geschrieben:
Gontscharow hat geschrieben:Mir fehlt das passende Adjektiv, um ein solches Vorgehen unserer Justiz zu beschreiben ....
Erst wollte ich schreiben "albern", aber das trifft es nicht.
Ich frage mich auch, ob es ein anderes Land auf der Welt gibt, wo ein 93-jähriger nach fast
70 Jahren angeklagt würde.
D ist in vielen Bereichen großartig, aber es neigt auch zu solchen Absurditäten.Es mangelt an der
Fähigkeit, fünfe gerade sein zu lassen. Viele Dinge werden "aus Prinzip" getan, obwohl sie
sinnfrei sind.
Mir ist das unsympathisch.
Da ich keine Deutsche bin kann ich mich nur so äussern, dass ich ihn gar nicht mehr zur Verantwortung ziehen würde, auch keine Untersuchungen u.s.w., es ist wirklich sinnfrei.
Es stellt sich auch die Frage, ob irgendein Hahn danach gekräht hätte, wenn der Betroffene nicht in der SS oder in keinem anderen Wehrmachtsbereich gewesen wäre -

Wäre dieser 93-Jährige in einer Einheit der Alliierten gewesen und hätte 300.000 Deutsche eventuell auf dem Gewissen, würden deutsche Behörden stillschweigen darüber legen und die Sache aufsich beruhen lassen - sind ja nur Deutsche gewesen, die abgemurkst wurden!!!

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Orianne
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Ob er sie auf dem Gewissen hatte, das ist eine Ansichtssache, das ist wie mit dem Lokomotivführer, der vorne schon erwähnt wurde.
Jeden Bahnangstellten, der Weichen oder Signale stellte, hätte man als Mittäter verurteilen können....
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General William Tecumseh Sherman
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RedScorpion

Jenseits aller plausiblen Antworten auf die Frage, ob es Sinn hat, einen solch alten Mann noch vor Gericht zu stellen, und ob er überhaupt nach so langer Zeit noch derselbe Mensch ist wie früher, und ob Strafen dann - wiederum jenseits des Altersbezugs des Angeklagten - überhaupt noch Sinn haben,

sei aber doch die Frage erlaubt, wie die Sache aussähe, ginge es um eine "hundsgewöhnliche" kriminelle Org, die z.B. organisierte Entführung zwecks der Entnahme von Organen und der Enteignung der Opfer durchführt, und dabei den Tod von Menschen zumindest billigend in Kauf nimmt.

Welche also zahlenmässig und auch im Ansatz her nicht annähernd ans Kaliber der SS hinankommt.

Wären da auch nur 50 Mittäter von 6000 verurteilt worden bzw. diese Relation eingehalten?


LG
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