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Wie ist der Widerstand der Wehrmacht zu werten?

Verfasst: 01.11.2012, 22:51
von Balduin
Die Frage ist natürlich verkürzt: Wie ist der Widerstand des 20. Juli zu werten? Dabei handelte es sich nicht nur um Wehrmachtsoffiziere, sondern natürlich auch um Politiker. Dennoch möchte ich den Fokus auf die beteiligten Personen der Wehrmacht legen.

Oft wird angebracht, dass die Wehrmacht erst im Angesicht der Niederlage handelten und dass sie lange Zeit der Politik des Nationalsozialismus zustimmten.
Dennoch war Walküre der einzige Plan, der ein Ende der Hitler-Herrschaft herbeiführen hätte können.

Wie seht ihr das?

Re: Wie ist der Widerstand der Widerstand zu werten?

Verfasst: 01.11.2012, 23:20
von Barbarossa
Gute Frage.

Einerseits wurden die Offiziere bewusst darauf getrimmt, unpolitisch zu sein - daher sicher auch das lange Zögern, bis es dann doch zu einer solchen Aktion kam. Das heißt also auch, daß man sich von Grundsätzlichem mental trennen mußte und das mußte widerum erst heranreifen.
Solange die Wehrmacht auch nur einigermaßen erfolgreich war - und das war sie bis zum Herbst 1942 - bestand auch nicht der Hauch einer Chance, daß sich ausreichend auf Loyalität eingeschworene Offiziere gegen einen "Führer" auflehnten, auf dessen Person sie einen Eid geleistet hatten.
Nach der Landung der Alliierten in der Normandie mußte auch dem letzten klar geworden sein, daß der Krieg verloren war.

Re: Wie ist der Widerstand der Wehrmacht zu werten?

Verfasst: 02.11.2012, 19:59
von Triton
Wir können uns doch heute gar nicht mehr vorstellen, was es bedeutet, ständig das eigene Leben aufs Spiel zu setzen. Die Widerständler der Wehrmacht, allen voran Stauffenberg, haben erst ihree Knochen für die Wehrmacht hingehalten und wurden dabei auch zum Krüppel, und anstatt wenigstens dann in der Sicherheit der Wehrmachtsbürokratie den Krieg zu überstehen, wählte Stauffenberg den allerriskantesten Weg.
Ich glaube, damals war der Ehrbegriff bedeutend höher als heute. Ein Menschenleben dagegen, auch das eigene, hatte keinen überragenden Stellenwert.

Beste Grüße
Joerg

Re: Wie ist der Widerstand der Wehrmacht zu werten?

Verfasst: 03.11.2012, 09:47
von Peppone
Triton hat geschrieben:Ich glaube, damals war der Ehrbegriff bedeutend höher als heute. Ein Menschenleben dagegen, auch das eigene, hatte keinen überragenden Stellenwert.
Der Selbsterhaltungstrieb des Menschen war und ist überall stark.
Der Kreisauer Kreis bildete sich schon 1940. Moltke und Wartenburg arbeiteten in endlosen Diskussionen ein Programm aus, in dem es im Wesentlichen nicht um Ehre ging, sondern um ein christlich-konservatives Wertverständnis, das mit dem der Nazis kollidierte. Den Kreisauern war klar, dass sie Widerstand leisten mussten gegen Hitler. Nur wie?
Hier kommt die Ehre ins Spiel, denn als auf Hitler vereidigte Offiziere - noch dazu preußischer Tradition (vgl. die parallele Diskussion um preußische Tugenden) - konnten sich vor allem die Offiziere der Gruppe eine Rebellion gegen Hitler lange Zeit nicht vorstellen (anders als die sozialistischen und katholischen Mitglieder des Kreises).
Erst als sie Deutschland massiv in Gefahr sahen - die Kreisauer waren Nationalisten! - traten sie in Aktion; und auch dann nicht geschlossen...

Da die Kreisauer nicht nur aus Wehrmachtsangehörigen bestanden, kann sich allerdings die Beantwortung der Themenfrage nicht nur auf Stauffenberg & Co. konzentrieren.
Ludwig Beck, der schon 1938 die BEsetzung des Sudetenlands als Anlass nehmen wollte, Hitler zu verhaften (der aber nicht zu den Kreisauern gehörte), muss hierbei ebenfalls genannt werden, ebenso weite Teile der Wehrmacht-Offiziersschaft vor 1938. Wikipedia zählt auch die Reichswehr vor 1932 zum Widerstand gegen Hitler, ich würde da allerdings schon eine Zäsur setzen zwischen dem Widerstand gegen eine politische Gruppierung und dem Widerstand gegen den Reichskanzler/Führer.
Auch bei der "Roten Kapelle" waren Offiziere und Soldaten dabei, die muss also auch noch berücksichtigt werden.


Beppe

Re: Wie ist der Widerstand der Wehrmacht zu werten?

Verfasst: 03.11.2012, 15:11
von dieter
Ihr Lieben,
der Wiederstand in der Wehrmacht und den Adligen Kreisen trat erst dann ein, nachdem Hitler einen Weltkrieg angezettelt hatte und nachher 1944 die Niederlage absehbar war. Man hätte vor 1933 die sozialdemokratisch und vom Zentrum geführten Regierungen und den Reichspräsidenten Ebert unterstützen müssen, anstatt zu sagen, wie beim Kapp-Putsch: Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr. Ebert und Noske hatte die Reichswehr und Freikorps gegen die kommunistische Rebellion gerufen.
Die SPD hat als einzige demokratische Partei gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz gestimmt. Die Kommunisten konnten schon nicht mehr mit abstimmen ( KZ, Flucht ins Auslland oder untergetaucht.) Die sog. "Bürgerlichen Parteien" mit Papa Heuss stimmten für dieses Gesetz. :evil:
Ja solange es gut ging war man mit Hitler einig, auch Rommel, erst wenn es schief lief machte man sich auf das zu ändern. Die Prinzipien der Offiziere waren die Prinzipien der Herrrscherschicht von der Kaiserzeit und nicht die der Kleinen Leute. Ich erinnere an den Attentäter Elsner in München, der es zuerst versucht hatte Hitler umzubringen. :wink:

Re: Wie ist der Widerstand der Wehrmacht zu werten?

Verfasst: 03.11.2012, 15:23
von RedScorpion
dieter hat geschrieben:Ihr Lieben,
der Wiederstand in der Wehrmacht und den Adligen Kreisen trat erst dann ein, nachdem Hitler einen Weltkrieg angezettelt hatte und nachher 1944 die Niederlage absehbar war.
...
Das stimmt aber nicht. Wenn es je - abgesehen von Einzelpersonen - einen ernstzunehmenden sprich erfolgsversprechenden Widerstand in D gegen den NS gab, dann kam er aus den Reihen der Reichswehr bzw. Wehrmacht. Teilweise gar nichtmal so unkoordiniert und erfolgsunwahrscheinlich, wie das manchmal dargestellt wird.

Die zweite ernstzunehmende, diesmal wirklich "innere", Gefahr war die HJ, derer welcher sich die Wehrmacht in Sachen Kanonfutter ja bediente. Nicht unbedingt ein kluger Schachzug, Jugendorgs mit Quasi-Zwangsverpflichtungscharakter.



LG

Re: Wie ist der Widerstand der Wehrmacht zu werten?

Verfasst: 03.11.2012, 15:30
von Peppone
Interessanter Gedanke. Könntest du das etwas deutlicher erklären?
Beppe

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Re: Wie ist der Widerstand der Wehrmacht zu werten?

Verfasst: 03.11.2012, 20:27
von Barbarossa
Ich muß sagen, das verstehe ich jetzt auch nicht. Die Nazis versuchten ja bewusst, die Jugend auf ihre Seite zu ziehen. Die Jugend war noch besonders beeinflussbar und damit begeisterungsfähig. Deswegen ging von den Jugendorganisationen (Jungvolk, HJ) keine Gefahr aus - im Gegenteil, sie waren am Ende des Kriegen besonders hörige "Kämpfer" als Flaghelfer usw.
Die Kommunisten haben es in der DDR übrigens ganz ähnlich gemacht (Pioniere, FDJ). Anfangs mag das sogar funktioniert haben, aber uns in den 80er Jahren erreichten sie ganz überwiegend nicht mehr.

Re: Wie ist der Widerstand der Wehrmacht zu werten?

Verfasst: 03.11.2012, 23:05
von RedScorpion
Wehrmacht und HJ hatten ideologisch genau die Probleme, derer welcher man schon in der Partei als Massenorg nicht Herr wurde.

Weil eben so gut wie jeder in die Jugendorgs bzw. an die Front oder zur Zwangsverpflichtung musste, hatte man zwangsläufig auch all diejenigen dabei, die mit dem Regime nur teilweise oder bisweilen auch überhaupt nicht einverstanden waren, die aber dank z.B. guter Arbeit, Freundschaften, Kameradschaft usw. über dieselben Seilschaften verfügen konnten, eben gerade in den Orgs, wie linientreue Untertanen.

Wahrscheinlich nicht unähnlich der DDR: Ich will 'mal behaupten, dass der Grossteil der Demonstranten 1989 irgendwann in der FDJ war. Gereicht, die Mitglieder zu Untertanen zu degradieren, hat die Quasi-Zwangsmitgliedschaft offensichtlich nicht.


Dann hatte der NS zumindest mit der HJ und der Partei das Problem, dass beide zumindest teil- und zeitweise dazu tendierten, die Führung auch weit links zu überholen.

Auch Schirach und Axmann fallen ein bisschen aus dem Raster der NS-Führung heraus, m.E. nicht ohne Grund.



LG

Re: Wie ist der Widerstand der Wehrmacht zu werten?

Verfasst: 04.11.2012, 09:42
von dieter
Barbarossa hat geschrieben:Ich muß sagen, das verstehe ich jetzt auch nicht. Die Nazis versuchten ja bewusst, die Jugend auf ihre Seite zu ziehen. Die Jugend war noch besonders beeinflussbar und damit begeisterungsfähig. Deswegen ging von den Jugendorganisationen (Jungvolk, HJ) keine Gefahr aus - im Gegenteil, sie waren am Ende des Kriegen besonders hörige "Kämpfer" als Flaghelfer usw.
Die Kommunisten haben es in der DDR übrigens ganz ähnlich gemacht (Pioniere, FDJ). Anfangs mag das sogar funktioniert haben, aber uns in den 80er Jahren erreichten sie ganz überwiegend nicht mehr.
Lieber Barbarossa,
ich verstehe es auch nicht.Mein gefallener Vater war HJ-Führer und hat für seine Begeisterung für die Nazis in Rußland mit seinem Leben bezahlt. Auch seine Freunde, soweit sie nach dem Krieg noch lebten, waren solange Anhänger der Nazis wie es militärisch gut lief. Die ganze Adelsclique hat den von der SPD geführten Regierungen und Ebert nicht geholfen. Ein von Papen und ein von Schleicher hat neben Brüning mit seinen Notverordnungen Hitler erst möglich gemacht. Staufenberg hätte Hitler erschießen sollen, auch wenn er dann getötet worden wäre, nach Waffen ist zu der Zeit bei Besprechungen nicht untersucht worden. Aber er wollte ja in der künftigen Reichsregierung noch eine Rolle spielen. :evil: Ich bewundere teilweise die islamisch geprägten Attentäter, die für ihre Überzeugung auch bereit sind zu sterben, wobei ich natürlich dieser Ideologie total ablehnend gegenüber stehe. :roll:

Re: Wie ist der Widerstand der Wehrmacht zu werten?

Verfasst: 26.03.2013, 09:58
von Barbarossa
Eine aktuelle Meldung zum Thema:
13.03.2013
Deutsche Geschichte
Der letzte der Hitler-Verschwörer ist gestorben

Er war der letzte Überlebende aus dem Kreis der Hitler-Attentäter um Stauffenberg: Ewald-Heinrich von Kleist überlebte Haft und Konzentrationslager. Im Alter von 90 Jahren ist er gestorben...
hier: weiterlesen

Ich wußte gar nicht, daß da noch einer lebte. Ist das jetzt eine Bildungslücke?
:roll:

Re: Wie ist der Widerstand der Wehrmacht zu werten?

Verfasst: 26.03.2013, 12:33
von demark
Eine seltsame Situation ist aber auch:
Wie konnte es geschehen, dass die deutsche Generalität sich von einem Gefreiten am Nasenring in den Krieg führen ließ?
Soll man da Hitler bewundern oder wo war da der Stolz und der Widerstand der Generalität?
Als der Krieg und seine Erfolgsaussichten den Bach runtergingen war es fast unvermeidlich, dass man handelte.
Wenn die Kuh im Brunnen liegt, dann hat es aber keinen Sinn mehr, einen Deckel draufzulegen.
Ich weiß, hinterher weiß es jeder besser.
Aber zu Beginn des Krieges war die Möglichkeit für die Generalität, sich selbst zu bereichern größer, als es zur Niederlage hin ging.
Deshalb werte ich ich das Attentat als Versuch der Schadensbegrenzung.

Re: Wie ist der Widerstand der Wehrmacht zu werten?

Verfasst: 26.03.2013, 14:32
von dieter
demark hat geschrieben:Eine seltsame Situation ist aber auch:
Wie konnte es geschehen, dass die deutsche Generalität sich von einem Gefreiten am Nasenring in den Krieg führen ließ?
Soll man da Hitler bewundern oder wo war da der Stolz und der Widerstand der Generalität?
Als der Krieg und seine Erfolgsaussichten den Bach runtergingen war es fast unvermeidlich, dass man handelte.
Wenn die Kuh im Brunnen liegt, dann hat es aber keinen Sinn mehr, einen Deckel draufzulegen.
Ich weiß, hinterher weiß es jeder besser.
Aber zu Beginn des Krieges war die Möglichkeit für die Generalität, sich selbst zu bereichern größer, als es zur Niederlage hin ging.
Deshalb werte ich ich das Attentat als Versuch der Schadensbegrenzung.
Lieber demark,
so isses. :wink:

Re: Wie ist der Widerstand der Wehrmacht zu werten?

Verfasst: 26.03.2013, 21:00
von Triton
Glaubst Du wirklich, gerade die Generalität, die die Dolchstoß-Legende wie eine Monstranz vor sich hertrug, musste erst langatmig von einem neuen Krieg überzeugt werden? Mit den Franzosen und Engländern hatte man noch eine Rechnung offen.
Was anderes war dann "Barbarossa", aber nach den Erfolgen im Westen hatte niemand mehr den Mut, Hitler die Stirn zu bieten. Genutzt hätte es sowieso nichts.

Beste Grüße
Joerg

Re: Wie ist der Widerstand der Wehrmacht zu werten?

Verfasst: 26.03.2013, 21:19
von demark
Triton hat geschrieben:Glaubst Du wirklich, gerade die Generalität, die die Dolchstoß-Legende wie eine Monstranz vor sich hertrug, musste erst langatmig von einem neuen Krieg überzeugt werden? Mit den Franzosen und Engländern hatte man noch eine Rechnung offen.
Was anderes war dann "Barbarossa", aber nach den Erfolgen im Westen hatte niemand mehr den Mut, Hitler die Stirn zu bieten. Genutzt hätte es sowieso nichts.

Beste Grüße
Joerg
Und meinst du ernsthaft, nach dem Völkermord in Europa hätte sich ein deutscher General ernsthaft als Patriot ausgeben können, nachdem er auch noch ein Attentat auf dem Gewissen hat?
Sei es wie es sei!
Den Kuchen "Deutschland" wollten die Alliierten nicht aus der Hand geben. Und nach der Dolchstoßlegende musste eine Kapitulation vor dem Feind für die deutsche Generalität mindestens ehrenrührig sein.