Volksmarine 1919 - Verrat der Mehrheitssozialdemokratie?

Deutschland zwischen den Kriegen: Stresemann, Goldene Zwanziger, Völkerbund, Zerstörung einer Demokratie, Weimarer Republik

Moderator: Barbarossa

Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Ihr Lieben,
es ging doch eigentlich darum, dass Deutschland nach dem WKI nicht auseinanderfiel. Das hat Ebert auch geschafft, dass es trotz der Gebietsabtretungen und den separatistischen Bestrebungen im Rheinland weiter ein einiges Deutschland gab. :)
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Suebe
Mitglied
Beiträge: 201
Registriert: 30.05.2012, 11:01

Katarina Ke hat geschrieben:Die These, es wäre um die Alternative parlamentarische Demokratie oder Bolschewismus gegangen, wurde schon in den sechziger Jahren revidiert.

Historiker wie Eberhard Kolb konnten in ihren Forschungen nachweisen, dass die meisten Arbeiter- und Soldatenräte entweder von Mehrheitssozialdemokraten oder gemäßigten Unabhängigen beherrscht wurden.

Meines Wissens wurden in dieser Zeit keine Unternehmen verstaatlicht und keine bürgerlichen Parteien verboten. Mit der Sowjetunion ist die Situation daher nicht zu vergleichen.

Die Münchner Räterepublik wird gerne als Beispiel für kommunistische Machtbestrebungen angeführt. Der erste Ministerpräsident, Kurt Eisner, war ein Unabhängiger, der seine politische Laufbahn als Linksliberaler begonnen hatte. Nach seinem Tode eskalierte die Entwicklung. Beim "weißen Terror" kamen mehr Menschen ums Leben wie unter dem "roten Terror". Kurt Eisner hatte andere Ziele als Liebknecht - eindeutig.

Nach der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung bildeten Mehrheitssozialdemokraten, das Zentrum und die Linksliberalen eine Regierung. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte es rechtsstaatliche Mittel zur Bekämpfung innerer Unruhen gegeben. In Deutschland gab es immerhin schon im Kaiserreich einen (einigermaßen) funktionierenden Rechtsstaat.

Die USPD radikalisierte sich - wie bereits erwähnt - im Frühjahr 1919, wurde aber immer noch nicht zu einer bolschewistischen Partei. Dass es zu dieser Eskalation kam, lag auch an den regierungsnahen Truppen, die in Landsknechtsmanier zur Rechten neigten.

Ich vermute, dass das Problem auch darin lag, dass auf beiden Seiten Menschen zu finden waren, die seit 1914 nur Krieg gekannt hatten. Gewalt schien eine legitime Lösung der Probleme zu sein.

Die Verhältnisse in Ungarn und der Slowakei kenne ich nicht.

Wenn ich diesen "Reichsweiten" Ausführungen noch etwas Lokalkolorit beifügen darf.

Eines der Hauptprobleme der Exekutive in diesen Wochen war, dass richtig unheimliche Mengen an Waffen, Kriegswaffen in der Bevölkerung vorhanden war. Maschinengewehre, Infanteriegewehre sowieso, und Handgranaten hatte fast jeder. Ein großer Teil der Soldaten hatte sich im November 1918 selbst demobilisiert und manches mit nach Hause genommen.
Bei Demonstrationen die alltäglich waren, auch im Suff, kam es immer wieder zu Gewalttaten. Inwieweit dies politisch einzuordnen ist, oder auch nicht, war damals und ist es heute sowieso, nicht einfach aufzudröseln.
Regional: In Schenningen/Neckar gab es Tote bei einer Demonstration, in Tuttlingen wurden nach einem Handgemenge größere Mengen an Waffen in die Donau geschmissen. Auf einen Pfarrer in Trossingen wurde nach Drohungen Nachts gezielt geschossen usw. usf.
In Tübingen auf dem Bahnhof stand bis ins Jahr 1921eine Lokomotive ständig "unter Dampf" um die dort stationierte Sicherheitskompagnie (die "Noskes" hat sie die Bevölkerung damals genannt) jederzeit an alle möglichen Orte, wo es "brannte" zu bringen. Und sie war sehr häufig im Einsatz. Die kamen, sperrten ab, stellten Schilder auf "Halt wer weitergeht wird erschossen" wie man es aus den Brennpunkten kennt.

Und ich würde diese Verhältnisse im eigentlich ruhigen südlichen Württemberg ohne weiteres auf ganz Deutschland übertragen.
Es hat nicht nur in Kiel, Berlin, Hamburg, München und dem Ruhrgebiet gekracht. Der Staat lag zweifellos in Agonie, und der Eindruck dass er in voller Auflösung war, konnte schon entstehen.
Lia

Dieter hat geschrieben:Ihr Lieben,
es ging doch eigentlich darum, dass Deutschland nach dem WKI nicht auseinanderfiel. Das hat Ebert auch geschafft, dass es trotz der Gebietsabtretungen und den separatistischen Bestrebungen im Rheinland weiter ein einiges Deutschland gab.
Darum geht es in diesem Thread nicht eigentlich, sondern um ein Hinterfragen und Erlären der ordnungspolitischen Maßnahmen in dieser Zeit.
Und um deren Einordung, ohne, wie andere schrieben, richten zu wollen.
Klären, auch was weniger glanzvoll ist, hilft mehr als Verschweigen zum Gesamtverständnis.
Zweite, hier anklingende Frage ist die geschichtswissenschaftliche Analyse im Zuge der Zeit.
Der Angesprochene liest meine Posts zwar nicht, die hier Diskutierenden brauchen es nicht, aber vielleicht lesen andere mit, die sich mit dem Thema beschäftigen.
Ein kleines Spiegelbild, wie mit der Revolution 1918/19 im Laufe der Zeit umgegangen wurde, nie ganz frei von eigenen "Zeitumständen": :)
im memoriam Dirk Dähnhardt, der am 8. Dezember 70 Jahre alt geworden wäre:
http://de.wikipedia.org/wiki/Dirk_D%C3%A4hnhardt
Kursiv gesetzt, die Abschnitte, die als kleine Beispiele für die Vielschichtigkeit und den Wandel der Revolutions-Betrachtung mit zunehmendem Abstand.
Zitat:
„Auf der Basis noch unveröffentlichter Archivmaterialien, vor allem der Marineakten im Militärarchiv in Freiburg, unternimmt sie
( die Disstertation Dähnhardts,Anm. d. Verf.) zum ersten Mal den Versuch, den Ablauf der revolutionären Ereignisse in Kiel so präzise wie möglich zu rekonstruieren.“ Dähnhardt kommt in seiner Arbeit zu dem Schluss, dass es sich bei den Ereignissen in Kiel zwischen dem 3. und 7. November 1918 um einen „Aufstand mit revolutionärem Charakter und mit einer über Kiel hinausweisenden Tendenz“ handelte.[5] „Der revolutionäre Charakter dokumentiert sich in der Ausweitung der Matrosenmeuterei auf die Arbeiterschaft sowie in der Bildung eines Soldaten- und eines Arbeiterrates. Die revolutionäre Tendenz ergibt sich vor allem daraus, dass die '14 Kieler Punkte' einer ganzen Reihe von lokalen Arbeiter- und Soldatenräten als Vorbild dienten.“ [6]......
Wolfram Wette bewertete die Arbeit Dähnhardts in der Badischen Zeitung vom 4. April 1979 folgendermaßen: „Die gut lesbare und solide gearbeitete Lokalstudie Dähnhardts hat nicht nur unser Wissen über die Anfänge der Revolution in Kiel bereichert, sondern zugleich, etwa auf den Sektoren der Militärpolitik und, der Demokratisierungsbemühungen, die Voraussetzungen für ein besseres Verständnis einiger Geburtsfehler der Weimarer Republik geschaffen.“
.............
In einer Presseerklärung der Landeshauptstadt Kiel anlässlich der Übergabe der Hintergrund-Dokumente aus dem Nachlass Dirk Dähnhardts an das Stadtarchiv wird seine Doktorarbeit als „bahnbrechend“ bezeichnet. Weiter heißt es: „Mit seiner akribischen Aufarbeitung dieses umstrittenen Themas wurde er weit über Kiel hinaus bekannt. ...... Es gelang ihm, die bis dahin eher ideologisch geführte Debatte enorm zu versachlichen, so dass die unterschiedlichen politischen Lager motiviert wurden, einen an Fakten orientierten Blick auf die Ereignisse zu werfen.....
Allerdings fanden verschiedene Rezensenten, so etwa Volker Ullrich auch Unzulänglichkeiten in der Studie. Sie monierten beispielsweise, dass die Bezeichnung der Unterstützungsaktion von Teilen der Kieler Arbeiterschaft für die Bremer Räterepublik Anfang Februar 1919 als „Spartakusaufstand in Kiel" unkritisch der Perspektive zeitgenössischer bürgerlicher Kommentatoren folgt. Gerade die Studie von Erhard Lucas [8] habe dagegen gezeigt, wie wenig zulässig es ist, die radikalen Basisinitiativen des Frühjahrs 1919 von vornherein als „spartakistisch“ oder „putschistisch“ abzustempeln.
"
Jede Diss lässt Fragen offen, und die Diskussion, ob die Basisinitiativen tatsächlich "spartakistisch" oder "putschistisch" waren, war/ ist eine davon.
Die zweite, wie die Basis-Initiativen den handelnden Politikern in der Zeit erschienen und ob sie deshalb zu Maßnahmen griffen- ( aus ihrer Sicht greifen mussten?), die gerade im Faden diskutiert werden.
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Suebe hat geschrieben:Und ich würde diese Verhältnisse im eigentlich ruhigen südlichen Württemberg ohne weiteres auf ganz Deutschland übertragen.
Es hat nicht nur in Kiel, Berlin, Hamburg, München und dem Ruhrgebiet gekracht. Der Staat lag zweifellos in Agonie, und der Eindruck dass er in voller Auflösung war, konnte schon entstehen.
Lieber Schwabe,
deshalb war es wichtig, dass es eine Reichsregierung gab, welche die Einheit Deutschlands aufrecht erhielt. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Benutzeravatar
Barbarossa
Mitglied
Beiträge: 15507
Registriert: 09.07.2008, 16:46
Wohnort: Mark Brandenburg

Katarina Ke hat geschrieben:...

Meines Wissens wurden in dieser Zeit keine Unternehmen verstaatlicht und keine bürgerlichen Parteien verboten. Mit der Sowjetunion ist die Situation daher nicht zu vergleichen.

Die Münchner Räterepublik wird gerne als Beispiel für kommunistische Machtbestrebungen angeführt. (...). Kurt Eisner hatte andere Ziele als Liebknecht - eindeutig.
Ok, Eisner mag noch kein Radikaler gewesen sein, doch es erfolgte nach seiner Ermordung eine Radikalisierung in München und es kam auch erst nach seinem Tod zur Ausrufung einer Räterepublik. Und darum geht es. Arbeiter- und Soldatenräte waren nicht von vornherein bolschewistisch. Diejenigen, die in der Weimarer Republik verblieben, kann man als demokratisch in unserem Sinne ansehen. Aber jene, die aus dieser Republik ausscherten und eine "Sozialistische Republik" bzw. eben eine Räterepublik offiziell proklamierten, wollten ganz eindeutig etwas anderes - dort hatte man das Beispiel Sowjetrusslands vor Augen.
Bei Eisner war das noch nicht der Fall.

Dass es in den Räterepubliken in Deutschland nicht zu Enteignungen und Verstaatlichungen kam, lag einfach an deren Kurzlebigkeit. Ziel der Kommunisten und radikalen Linken war es ja, zunächst die Revolution militärisch im ganzen Land zum Erfolg zu bringen. Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen (Vergesellschaftung der Wirtschaft) und der politische Umbau des Staates (Errichtung der "Diktatur des Proletariats") sollten dann im Anschluss erfolgen. Dazu kam es in Deutschland nicht.
Katarina Ke hat geschrieben:Die Verhältnisse in Ungarn und der Slowakei kenne ich nicht.
In diesen Ländern kam es zur weiträumigen Machtübernahme durch die Kommunisten und nicht nur punktuell, wie in Deutschland und siehe da:

Ungarn:
Die Ungarische Räterepublik unter Béla Kun wurde am 21. März 1919 ausgerufen und bestand bis zum 1. August 1919. 
(...)
Am 25. Juni 1919 verkündete Kuns Regierung eine „Diktatur des Proletariats“, worauf Banken, Großindustrie, Mietshäuser und Betriebe mit mehr als zwanzig Angestellten verstaatlicht wurden. Grundbesitz über 100 Joch wurde enteignet und in landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften organisiert. Etwa 590 Personen wurden von Revolutionstribunalen hingerichtet.
Die Räterepublik brach zusammen, als rumänische Truppen im Ungarisch-Rumänischen Krieg die ungarische Hauptstadt Budapest besetzten. 
Quelle: http://de.m.wikipedia.org/wiki/Ungarisc ... terepublik

Slowakei:
Die Slowakische Räterepublik war ein kommunistischer Marionettenstaat im Osten und Süden der heutigen Slowakei. Er existierte vom 16. Juni bis zum 7. Juli 1919 und wurde durch den Vormarsch der Roten Armee der Ungarischen Räterepublik unter Béla Kun ermöglicht. (...) Die Behörden verboten Alkohol und enteigneten größere Besitztümer.[1] Ihr Ende fand sie im Rahmen des Vorstoßes  tschechoslowakischer Truppen  im  Ungarisch-Rumänischen Krieg.
 Sie besaß die weltweit dritte kommunistisch ausgerichtete Regierung.
Quelle: http://de.m.wikipedia.org/wiki/Slowakis ... terepublik

Und nein, ich halte es nicht für einen Zufall, das es dann auch zu Enteignungen und zur Verfolgung politisch Andersdenkender kam - aber eben alles "schön" der Reihe nach.
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
Katarina Ke
Mitglied
Beiträge: 137
Registriert: 04.11.2014, 02:09
Wohnort: Köln
Kontaktdaten:

Die Frage ist doch, ob die Rätebewegung ein bolschewistisches Programm hatte, wie Barbarossa unterstellt. Barbarossa tut so, als ob es eine Art "Rätepartei" gegeben hat, die systematisch die Macht an sich reißen wollte. In Bayern folgten in der Tat auf Eisner die Kommunisten, aber ob das ein Modell für ganz Deutschland sein sollte, ist fraglich.

Ich werde in den nächsten Tagen mal schauen, was ich in meiner kleinen Bibliothek an Literatur habe.

Eines kann ich jetzt schon sagen: Barbarossas These, es wäre 1918/19 in Deutschland um die Alternative parlamentarische Demokratie oder bolschewistische Diktatur gegangen, gilt mittlerweile als überholt.

Der Historiker Ulrich Kluge geht davon aus, die Räte hätten linksdemokratische Positionen, "sozialistisch paraphrasiert", vertreten (Ulrich Kluge, Die deutsche Revolution 1918/19, Frankfurt/M. 1985, S. 62). Sie wollten ein demokratisches Deutschland, eine Republik, in der das Offizierkorps seine Privilegien verlieren sollte.
Geschichte sollte so geschrieben werden, wie man eine Geschichte erzählt - lebendig und an den Fakten orientiert. Meine Homepage: http://www.katharinakellmann-historikerin.de/
Benutzeravatar
Marek1964
Mitglied
Beiträge: 1474
Registriert: 30.11.2013, 12:53

Katarina Ke hat geschrieben: Eines kann ich jetzt schon sagen: Barbarossas These, es wäre 1918/19 in Deutschland um die Alternative parlamentarische Demokratie oder bolschewistische Diktatur gegangen, gilt mittlerweile als überholt.

Der Historiker Ulrich Kluge geht davon aus, die Räte hätten linksdemokratische Positionen, "sozialistisch paraphrasiert", vertreten (Ulrich Kluge, Die deutsche Revolution 1918/19, Frankfurt/M. 1985, S. 62). Sie wollten ein demokratisches Deutschland, eine Republik, in der das Offizierkorps seine Privilegien verlieren sollte.
Gut gut... wenn Du uns das plausibilisieren kannst werden wir uns freuen. Im Disput ist die Wahrheit.
Benutzeravatar
Barbarossa
Mitglied
Beiträge: 15507
Registriert: 09.07.2008, 16:46
Wohnort: Mark Brandenburg

Ja ok, dann warte ich jetzt auch gespannt ab, was du uns da an Argumenten vorbringst, Katarina.
Ich muss zugeben, dass ich da doch stark vorbelastet bin, was Kommunisten und Linke angeht, weil ich den real-existierenden Sozialismus live miterleben musste und dieser ganzen Bewegung daher mit allerhöchstem Misstrauen begegne.
Aber ok, ich lerne auch gern dazu.
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
Lia

Barbarossa hat geschrieben:Ja ok, dann warte ich jetzt auch gespannt ab, was du uns da an Argumenten vorbringst, Katarina.
Ich muss zugeben, dass ich da doch stark vorbelastet bin, was Kommunisten und Linke angeht, weil ich den real-existierenden Sozialismus live miterleben musste und dieser ganzen Bewegung daher mit allerhöchstem Misstrauen begegne.
Aber ok, ich lerne auch gern dazu.
Finde ich eine sehr gute Aussage, denn oft genug- und oft sogar unbewusst, ist man, obwohl man sich objektiv wähnt, doch vom Zeitgeist und / oder eigenem Erleben geprägt.
Ulrich Kluges Buch lohnt zu lesen, versichere ich Dir.
Katarina Ke
Mitglied
Beiträge: 137
Registriert: 04.11.2014, 02:09
Wohnort: Köln
Kontaktdaten:

Dass es 1918/19 nicht um die vermeintliche Alternative Bolschewismus oder parlamentarische Demokratie ging, kann man in Forschungsberichten und Handbüchern nachlesen. Außerdem habe ich bis jetzt hier einen Beleg für meine Behauptung geliefert; du wiederholst nur immer, dass deiner Meinung nach im November 1918 eine bolschewistische Revolution drohte und die Münchner Räterepublik wohl zu einer kommunistischen Diktatur geworden wäre, wenn die vorläufige Reichswehr und rechte Freikorps nicht eingegriffen hätten.

Karl-Dietrich Erdmann trat 1955 mit der Alternativ-These hervor. Sie gilt mittlerweile aus verschiedenen Gründen als
widerlegt. Mit einer breiteren Quellenbasis wurde deutlich, dass es eine den Bolschewisten vergleichbare Partei in Deutschland 1918/19 nicht gab. Die Räte waren eine heterogene Bewegung, deren Ziele mit dem Stichwort "sozialistische Demokratie" umschrieben werden können. In der Regel wollten sie entschiedener als die Mehrheitssozialdemokraten bestimmte Industriezweige verstaatlichen. Außerdem waren die Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit zwischen Mehrheitssozialdemokratie (viele Räte standen ihnen nahe) und der USPD größer, als es Ebert und Konsorten damals wahrhaben wollten (vgl. Kluge, Die deutsche Revolution 1918/19, Frankfurt 1985, S. 16).

Ich hatte beim Lesen deiner Beiträge schon den Eindruck, dass die aktuellen Ereignisse in Thüringen deine Wahrnehmung der Revolution 1918/19 beeinflussen. Historische Ereignisse betrachten wir ja nie ganz objektiv und es überrascht nicht, dass die These von der bolschewistischen Bedrohung, die 1918/19 mit Mühe hätte abgewendet werden können, in den fünfziger Jahren - also auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges - an westdeutschen Universitäten als herrschende Meinung galt.

In deinen Beiträgen vermisse ich auch jede Kritik an der Gewalt, die 1918/19 von rechts ausgeübt wurde. Für dich ist das anscheinend eine Art "staatliche" Notwehr gewesen. Und noch einmal: Dass es vorher keinen Rechtsstaat in Deutschland gab, stimmt nicht.
Geschichte sollte so geschrieben werden, wie man eine Geschichte erzählt - lebendig und an den Fakten orientiert. Meine Homepage: http://www.katharinakellmann-historikerin.de/
Benutzeravatar
Barbarossa
Mitglied
Beiträge: 15507
Registriert: 09.07.2008, 16:46
Wohnort: Mark Brandenburg

Katarina Ke hat geschrieben:Dass es 1918/19 nicht um die vermeintliche Alternative Bolschewismus oder parlamentarische Demokratie ging, kann man in Forschungsberichten und Handbüchern nachlesen. Außerdem habe ich bis jetzt hier einen Beleg für meine Behauptung geliefert; du wiederholst nur immer, dass deiner Meinung nach im November 1918 eine bolschewistische Revolution drohte und die Münchner Räterepublik wohl zu einer kommunistischen Diktatur geworden wäre, wenn die vorläufige Reichswehr und rechte Freikorps nicht eingegriffen hätten.
Nun ja, der sogenannte "Spartakusaufstand" im Januar 1919 war ganz offensichtlich ein solcher Versuch, die Proklamation von Liebknecht vom November 1918 umzusetzen. Das darf man m.E. auf keinen Fall unter den Tisch fallen lassen.
Katarina Ke hat geschrieben:Karl-Dietrich Erdmann trat 1955 mit der Alternativ-These hervor. Sie gilt mittlerweile aus verschiedenen Gründen als widerlegt. Mit einer breiteren Quellenbasis wurde deutlich, dass es eine den Bolschewisten vergleichbare Partei in Deutschland 1918/19 nicht gab.
Doch, die KPD war definitiv eine solche. Die haben das auch selbst so gesehen.
Katarina Ke hat geschrieben:Die Räte waren eine heterogene Bewegung, deren Ziele mit dem Stichwort "sozialistische Demokratie" umschrieben werden können.
Und hier kann ich schon gar nicht folgen. Eine "sozialistische Demokratie" bzw. "demokratischen Sozialismus" kann es nicht geben. Das sollte sich jeder klar machen, dass sich Sozialismus und Demokratie - so wie wir sie verstehen - sich gegenseitig ausschließen.
Katarina Ke hat geschrieben:Ich hatte beim Lesen deiner Beiträge schon den Eindruck, dass die aktuellen Ereignisse in Thüringen deine Wahrnehmung der Revolution 1918/19 beeinflussen. Historische Ereignisse betrachten wir ja nie ganz objektiv und es überrascht nicht, dass die These von der bolschewistischen Bedrohung, die 1918/19 mit Mühe hätte abgewendet werden können, in den fünfziger Jahren - also auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges - an westdeutschen Universitäten als herrschende Meinung galt.
Du hast recht, diese Regierungsbeteiligungen der Linkspartei - jetzt auch noch mit einem Ministerpräsidenten - erschrecken mich schon sehr. Wie gesagt, ich kann eine wie auch immer geartete Form von Sozialismus nicht mit Demokratie in Einklang bringen, weil die Umsetzung immer mit Einschränkungen der Bürgerrechte verbunden ist und dies folglich nur auf autoritäre Weise umgesetzt werden kann.
Katarina Ke hat geschrieben:In deinen Beiträgen vermisse ich auch jede Kritik an der Gewalt, die 1918/19 von rechts ausgeübt wurde. Für dich ist das anscheinend eine Art "staatliche" Notwehr gewesen. Und noch einmal: Dass es vorher keinen Rechtsstaat in Deutschland gab, stimmt nicht.
Na ja, ich sag mal so - wenn radikale oder gar extremistische Gruppierungen auf gewaltsame Weise einen Umsturz versuchen, dann hat der Staat auf jeden Fall das Recht, diesen mit allen Mitteln zu verhindern. Das Prinzip der wehrhaften Demokratie ist auch heute noch Konsens.
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
Katarina Ke
Mitglied
Beiträge: 137
Registriert: 04.11.2014, 02:09
Wohnort: Köln
Kontaktdaten:

In der deutschen Revolution muss man mehrere Phasen unterscheiden.

Bleiben wir mal bei den Monaten November 1918 bis Februar 1919.

Es gab ab dem 30. Dezember 1918 eine KPD. Sie nahm an den Wahlen zur Weimarer Nationalversammlung nicht teil. In Russland erreichten die Bolschewisten bei den Wahlen zur Konstituante am 12/25. November 1917 168 Mandate und wurden zur zweitstärksten Partei.

Die KPD war im Januar 1919 eine Splitterpartei, während die Bolschewiki einen beachtlichen Machtfaktor darstellten - was auf keinen Fall ihre Diktatur rechtfertigt!

Die Arbeiter- und Soldatenräte waren eine Bewegung, in der regional unterschiedliche Ziele formuliert wurden. Es hing davon ab, ob die Räte von Vertretern der MSPD oder der USPD beherrscht wurden. In der Regel drängten die Räte auf eine Sozialisierung des Bergebaus sowie der Eisen- und Stahlindustrie. Auf dem Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte im Dezember 1918 in Berlin wollte die Minderheit die Wahlen verschieben, aber nicht verhindern.

Der Januar-Aufstand war kein gezielter kommunistischer Putsch (vgl. Detlev J.K. Peukert, Die Weimarer Republik, Frankfurt/M. 1987, S. 43). Schon unter diesen Umständen ist der Vergleich mit der Situation in Russland 1917 abwegig.

Meiner Meinung nach hat die MSPD sich zu früh auf die alten Gewalten gestützt. Die MSPD entwickelte im Herbst 1918 eine hysterische Kommunistenfurcht. Möglicherweise spielte das Schicksal der russischen Menschewisten eine Rolle. Diese russischen Sozialdemokraten wurden von den Bolschewiki erbarmungslos verfolgt.

Das Prinzip der wehrhaften Demokratie ist mir bekannt - ja. Und gerade dieses Verfassungsprinzip legt fest, dass man eine verfasssungsfeindliche Partei mit rechtsstaatlichen Mitteln bekämpfen muss. Dein Vergleich mit der Situation 1918/19 ist ahistorisch.
Geschichte sollte so geschrieben werden, wie man eine Geschichte erzählt - lebendig und an den Fakten orientiert. Meine Homepage: http://www.katharinakellmann-historikerin.de/
Katarina Ke
Mitglied
Beiträge: 137
Registriert: 04.11.2014, 02:09
Wohnort: Köln
Kontaktdaten:

Die These von der Alternative "Parlamentarische Demokratie oder Bolschewismus" beruht auf einer starken Überschätzung der kommunistischen Bedrohung.

Die politischen Kräfte, die links von der Mehrheitssozialdemokratie standen, bildeten keinen homogenen Block. Innerhalb der USPD gab es einen gemäßigten Flügel, der im Grunde eine entschieden reformistische Politik wollte. Man sah in den Räten Verbündete bei der demokratischen Umgestaltung Deutschlands, während Ebert die Räte als Hindernis für seine Politik der Stabilisierung betrachtete.

Nur: Wie ist denn der Mehrheitssozialdemokratie 1918 die Macht zugefallen? Durch das Versagen der kaiserlichen Militärs und die Bewegung der Arbeiter- und Soldatenräte, die keine Fortsetzung des Krieges wollten.

Im Laufe der nächsten Wochen radikalisierte sich ein Teil dieser Räte, ohne gleich in kommunistisches Fahrwasser zu geraten.
Geschichte sollte so geschrieben werden, wie man eine Geschichte erzählt - lebendig und an den Fakten orientiert. Meine Homepage: http://www.katharinakellmann-historikerin.de/
Benutzeravatar
Triton
Mitglied
Beiträge: 1909
Registriert: 09.10.2012, 10:30

Die Soldaten-/Matrosenräte waren eine basisdemokratisch/soziale/pazifistische Bewegung, deren Ziel keineswegs eindeutig die "Bolschewisierung" Deutschlands war, sondern eben ein weniger autoritär-militaristischer, gerechterer Staat mit parlamentarischer Demokratie.

Man darf nicht übersehen: 1918 herrschte in der SU Bürgerkrieg, die Bolschewiki hatten das Land ins Chaos gestürzt und in Brest-Litowsk einen Schandfrieden mit dem Kaiserreich aushandeln müssen. Da war wenig mit tollem Vorbild.
Außerdem fehlte in Deutschland ein Lenin und auch ein Trotzki, die Massen hinter sich versammeln konnten.

Mein Opa war damals SPD-Wähler und auf der Seite der Soldatenräte, wenn man ihn kannte (gläubiger Protestant, jeden revolutionären Gedankenguts fremd) wusste man, was das bedeutete. Die SPD war damals der Garant dafür, dass die Interessen und Motive der Räte vertreten wurden ohne das Land in einen Bürgerkrieg zu stürzen. Der von beiden Seiten drohte, von rechts mindestens genauso wie von links. Es war die Zeit, in der Adolf Hitler vom unbedeutenden Gefreiten zum Agitator und Politiker wurde.

"Verrat" kann ich da weniger erkennen als staatstragende Verantwortung, wenn natürlich auch aus heutiger SIcht die Maßnahmen Eberts als überzogen erscheinen mögen.
"Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, in dem man sie ignoriert." (Aldous Huxley)
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Katarina Ke hat geschrieben:
Oft wird Ebert ja vorgeworfen (siehe Sebastian Haffner), dass er die Regierungsübernahme im November 1918 nicht dazu genutzt hätte, grundlegende demokratische Reformen durchzuführen. Historiker wie Eberhard Kolb vertraten die Ansicht, dass Ebert die größtenteils mehrheitssozialdemokratischen Arbeiter- und Soldatenräte besser hätte einbinden können.
Historiker sind keine Richter. Doch bei aller Würdigung für die Verdienste des auch in der eigenen Partei verkannten Ebert: Hier hätte er eingreifen müssen.
Liebe Katarina,
das können wir auch nicht sein. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Mehrheit der Bevölkerung nach 1918 in Deutschland auch nach dem verlorenen Krieg keineswegs Demokraten waren und der konservative Teil der Gesellschaft immer schon wie auch heute konservativ ist. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag

Zurück zu „Zwischenkriegszeit“