Polen in der Zwischenkriegszeit - Intermaria, Medzymorze

Deutschland zwischen den Kriegen: Stresemann, Goldene Zwanziger, Völkerbund, Zerstörung einer Demokratie, Weimarer Republik

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Titus Feuerfuchs
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Katarina Ke hat geschrieben:Dass Polen Großmachtambitionen hatte, mag sein. Warschau profitierte ja auch vom Münchner Abkommen 1938. In München wurde die Tschechoslowakei gezwungen, das Sudetengebiet an Deutschland abzutreten. Warschau annektierte im "Windschatten" Deutschlands ebenfalls Teile der Tschechoslowakei.
Deutschland schlug im Oktober 1938 Polen eine Regelung vor, die auf den ersten Blick für Warschau nicht ungünstig war, aber Polen "hätte künftig an der Kette des Reiches gelegen", so Klaus Hildebrand in seinem Standardwerk über die deutsche Außenpolitik zwischen 1871 und 1945 (Klaus Hildebrand, Das vergangene Reich. Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler, 2. Aufl., 1996, S. 678).
Polen sollte Danzig abtreten; durch den 'Korridor' (polnisches Staatsgebiet, das nach dem Versailler Vertrag einen Keil zwischen dem deutschen Kernland und Ostpreußen trieb) wollten die Deutschen exterritoriale Straßen und Eisenbahnlinien bauen und in der westlichen Slowakei wäre eine „deutsche Militärzone“ (Hildebrand, Reich, S. 678) entstanden. Im Gegenzug hätte das Reich die Grenzen des östlichen Nachbarn garantiert.
Polen konnte Danzig gar nicht abtreten, da es freie Stadt und damit nicht Teil Polens war

Wäre Polen darauf eingegangen, wäre es ihm wohl ähnlich gegangen, wie der Tschechoslowakei. Hitler pfegte sich ja bekanntlich nicht an Abkommen zu halten.




Katarina Ke hat geschrieben: Die deutsche Politik gefährdete die Souveränität Polens. Dass in Warschau immer noch Pläne für ein Groß-Polen ausgebrütet wurden, unterstelle ich mal – vielleicht gibt es hier einen Teilnehmer, der die polnische Literatur und die Quellen im Original kennt.

In Warschau musste man 1938/39 registrieren, dass es nur noch darum gehen konnte, die eigene Unabhängigkeit zu behaupten. Sich dann am 02. Oktober 1938 bei Hitler „einzuklinken“, war sicher kein geschickter Schachzug. In London und Frankreich um Hilfe nachzusuchen, war für Polen das Gebot der Stunde.
Polen war durch die Bestimmungen von VV indirekt auch an die Kette der Westmächte gelegt worden. Diese außenpolitische Abhängigkeit war durch die Eroberung der Kresy 1921 noch erhöht wurden, da es sich dadurch auch noch Revisionisten im Osten geschaffen hatte.



Katarina Ke hat geschrieben: Die These, dass Berlin und Warschau die Krise schürten, würde ich noch unterschreiben. Aber Hitler machte schon wenige Tage nach seiner Ernennung zum Reichskanzler vor hohen Offizieren klar, dass er eine aggressive Außenpolitik treiben wollte. 'Lebensraum im Osten' hieß die Devise. Nach außen gab er den friedenswilligen Kanzler, der als einfacher Soldat die Schrecken des Krieges erlebt hatte. Intern redete er von Machterweiterung, notfalls mit kriegerischen Mitteln.

Es gab einen Aggressor, der in erster Linie an Krieg interessiert war: Das NS-Regime. Den „Anschluss“ Österreichs hatten die Westmächte hingenommen; den Drohgebärden gegenüber der Tschechoslowakei hatte man wieder nachgegeben, aber im Sommer 1939 war das Fass übergelaufen. Wie gesagt: In Warschau hatte man die eigenen Möglichkeiten überschätzt, aber in Berlin rüstete man seit 1936 entschieden für einen Krieg.

Die Formulierungen von Herrn Scheil suggerieren, dass ein friedliebender Hitler 1939 lieber auf dem Obersalzberg den Spätsommer genossen hätte, aber dem ist nicht so.


Jeder, der es wissen wollte, konnte wissen, dass Hitler von Beginn an auf Krieg aus war, das steht aber schon in "Mein Kampf".
Doch Hitler löste vordergründig die drängenden Probleme (Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Agonie, nationales Selbstbewusstsein, abschütteln der "Fesseln von Versailles", etc...) der maroden WR und später auch die Österreichs. Er schaffte, woran Politiker vor ihm gescheitert waren, weswegen es für seine Kritiker sehr schwer war, wirksam gegen ihn vorzugehen.
Also wurden seine gefährlichen Absichten ignoriert, bzw. man ließ sich von seinen Friedensbeteuerungen blenden.

Katarina Ke hat geschrieben: Und in Paris und London hatte man begriffen, dass Deutschland Europa herausforderte. Da mussten die Polen keine Politiker zum „Präventivkrieg initiieren".
Bereits 1933, als Pilsudski dazu aufrief? Das möchte ich bezweifeln.


Katarina Ke hat geschrieben: Vielleicht kann Titus Feuerfuchs noch einen Beleg für seine Thesen nennen.
Wenn du mir sagst, welche Thesen genau du meinst, gerne.
MfG,
Titus Feuerfuchs
Katarina Ke
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In einem Punkt stimme ich dir zu: Danzig war eine freie Stadt. Da habe ich einen Fehler gemacht.

Deine "Anmerkungen zu Hitler" verharmlosen die NS-Diktatur. Seine Kritiker hätten es schwer gehabt, gegen ihn vorzugehen: Die saßen in der Regel im Gefängnis oder hatten das Land verlassen oder verlassen müssen!

Und Polen war von den Westmächten abhängig? Wenn man einen Nachbarn wie Deutschland hatte und außenpolitische Fehler machte: Ja.

Ich würde gerne wissen, wie du deine These belegst, dass Warschau die Westmächte zu einem Präventivkrieg bewegen wollte?
Geschichte sollte so geschrieben werden, wie man eine Geschichte erzählt - lebendig und an den Fakten orientiert. Meine Homepage: http://www.katharinakellmann-historikerin.de/
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Titus Feuerfuchs
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Katarina Ke hat geschrieben:In einem Punkt stimme ich dir zu: Danzig war eine freie Stadt. Da habe ich einen Fehler gemacht.

Deine "Anmerkungen zu Hitler" verharmlosen die NS-Diktatur. Seine Kritiker hätten es schwer gehabt, gegen ihn vorzugehen: Die saßen in der Regel im Gefängnis oder hatten das Land verlassen oder verlassen müssen!

Meine Anmerkungen zu Hitler gründen sich auf Sebastian Haffners gleichnamiges Buch. Ich gehe mit Haffners Ausführungen voll konform. Haffner wurde meines Wissens nie mit dem absurden Vorwurf konfrontiert, er würde Hitler verharmlosen. Aber ich weiß, dass man über dieses Thema in D kaum sachlich diskutieren kann.


Katarina Ke hat geschrieben: Und Polen war von den Westmächten abhängig? Wenn man einen Nachbarn wie Deutschland hatte und außenpolitische Fehler machte: Ja.
Klar, es ist ja kein Geheimnis, dass Frankreich nach dem WK 1 durch die Vororteverträge militärische Verbündete gewinnen wollte, die "kleine Entente" und eben Polen. Zu diesem Zweck trachtete Clemenceau danach, Deutschland möglichst auf Kosten seiner neuen Verbündeten zu schwächen.
Diese Staate waren aber unisono zu schwach, um sich allein gegen Deutschland behaupten zu können, weswegen sie sich durch die Annahme der Vororteverträge in direkte Abhängigkeit von Frankreich brachten.

Hätte also Polen nach dem WK1 nicht so große deutsche Gebiete bekommen, hätte es keinen deutsche Revisionismus gegeben und es hätte keine französische Garantien für Polen gebraucht. Wäre der Korridor, Danzig und das oberschlesische Industrierevier bei Deutschland geblieben, hätten Polen und Deutschland wohl deutlich leichter friedlich koexistieren können.


Katarina Ke hat geschrieben: Ich würde gerne wissen, wie du deine These belegst, dass Warschau die Westmächte zu einem Präventivkrieg bewegen wollte?
http://geschichte-wissen.de/forum/viewt ... 693#p48693
MfG,
Titus Feuerfuchs
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Barbarossa
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Titus Feuerfuchs hat geschrieben:
Dennoch wurde 1932 ein polnisch-sowjetischer Nichtangriffspakt unterzeichnet und, nachdem die Westmächte 1933 zweimal einen von Piłsudski vorgeschlagenen Präventivkrieg gegen das sich gerade etablierende NS-Regime in Deutschland abgelehnt hatten,[...]
http://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%B3zef ... n_Republik
Hmmm - erkennt hier noch jemand das Paradoxon im Wikipedia-Artikel?
:|
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Titus Feuerfuchs
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[...]Pilsudski ließ bei seinem Bündnispartner in Paris wegen eines Präventivkriegs sondieren, stieß aber im Maginot-Frankreich auf wenig Gegenliebe.[...]

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14331015.html
MfG,
Titus Feuerfuchs
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Titus Feuerfuchs hat geschrieben:
[...]Pilsudski ließ bei seinem Bündnispartner in Paris wegen eines Präventivkriegs sondieren, stieß aber im Maginot-Frankreich auf wenig Gegenliebe.[...]

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14331015.html
Auch dieser Artikel beweist - heute, im nachhinein gesehen, wie Recht Pilsudski hatte - das Verlassen des Völkerbundes als einen Schritt zum Krieg (obwohl es eigentlich genügt hätte, mein Kampf zu lesen). Die Franzosen, ja die dachten, diese Maginot Linie würde genügen. Tat sie nicht, ohnehin war eine Defensivstrategie fehl am Platz, aber dafür hatten die Franzosen im ersten Weltkrieg zu viele Männer in sinnlosen Offensiven verheizt.

Weiter heisst es im Spiegel Artikel:
Pilsudski war tot, als Hitler 1936 das entmilitarisierte Rheinland besetzte. Pilsudskis Nachfolger boten, wie es scheint aufrichtig, den völlig konsternierten Franzosen wiederum einen Präventivkrieg an, wieder vergebens. Königsberg hätte, statt wie heute russisch, auch polnisch werden können.
1936 war der ideale Moment Hitler zu stürzen - das wäre kein Krieg gewesen, nur eine Intervention. Und Grund hätte es gegeben. Aber eben. Man wartete lieber zu und liess sich lieber 1940 überrollen.
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