Luxemburgs Traum von der sozialistischen Revolution

Deutschland zwischen den Kriegen: Stresemann, Goldene Zwanziger, Völkerbund, Zerstörung einer Demokratie, Weimarer Republik

Moderator: Barbarossa

Benutzeravatar
Barbarossa
Mitglied
Beiträge: 15507
Registriert: 09.07.2008, 16:46
Wohnort: Mark Brandenburg

dieter hat geschrieben:1) welche Schichten der Bevölkerung werden von Vornherein politisch entrechtet :?:
Die sogenannte "Bourgeosie" als gesellschaftliche "Klasse" insgesamt sollte im Zuge einer Revolution wirtschaftlich enteignet und politisch entmachtet werden. Die "Diktatur des Proletariats" sollte die Ergebnisse der Revolution zementieren. So steht das in den Werken von Marx und Engels. Zu deren Lebzeiten gab es noch keinen "real-existierenden Sozialismus", aber die Entstehung des selben ist für mich nach deren Konzept folgerichtig.
Karlheinz hat geschrieben:...Die Menschen in Spanien, Portugal und Griechenland haben noch vor kurzer Zeit unter wirklichen Diktaturen gelebt. Leben sie jetzt wieder unter einer neuen Diktatur?
Die Menschen in der DDR lebten unter der SED. Hat sich für sie nichts geändert? Sind sie von einer Diktatur in die nächste gekommen?
Ganz sicher nicht. Allerdings gibt es noch immer privilegierte Menschen - in diesem System allerdings in Form von finanziellem Vermögen. Wer nicht reich ist, gehört eben nicht zu diesem "Club". Das wird von vielen ebenso als Obrigkeit wahrgenommen.
Der Unterschied zu einem autoritären oder gar totalitären Staat ist, daß jeder seine Meinung frei äußern kann. Wir könnten in solch einem Staat hier im Internet nicht so ungestört miteinander kommunizieren. In der DDR hatten überhaupt nur schätzungsweise 10 % der Bevölkerung ein Telefon (Internet kam auch im Westen erst später).
Durch neue Iden, die sich so leicht verbreiten lassen und auch durch die Möglichkeit, an der politschen Meinungsbildung mitwirken zu können, ist eine Demokratie im Unterschied zu einer Dktatur anpassungsfähig an Veränderungen in der Gesellschaft.
Eine Demokratie kann so durch Reformen weiterentwickelt und verbessert werden.
Eine Diktatur kann man nur durch eine Revolution stürzen.
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
demark
Mitglied
Beiträge: 262
Registriert: 29.11.2012, 12:46

Barbarossa hat geschrieben: ....
Eine Demokratie kann so durch Reformen weiterentwickelt und verbessert werden.
Eine Diktatur kann man nur durch eine Revolution stürzen.
Eine Diktatur wird durch einen Putsch oder eine erfolgreiche Revolte gestürzt, muss aber nicht zwangsläufig zur Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse führen.
Eine Revolution führt gewaltsam auf eine höhere Ebene der Gesellschaft.
Zum Beispiel Sklaverei > Feudalgesellschaft > Kapitalismus >? (grob gewertet).
Daher habe ich Bedenken, die "friedliche Revolution" 1989 in der DDR als solche zu bezeichnen. Für mich war es die Korrektur eines Irrweges.
Benutzeravatar
Barbarossa
Mitglied
Beiträge: 15507
Registriert: 09.07.2008, 16:46
Wohnort: Mark Brandenburg

demark hat geschrieben:...Eine Revolution führt gewaltsam auf eine höhere Ebene der Gesellschaft.
Zum Beispiel Sklaverei > Feudalgesellschaft > Kapitalismus >? (grob gewertet).
Daher habe ich Bedenken, die "friedliche Revolution" 1989 in der DDR als solche zu bezeichnen. Für mich war es die Korrektur eines Irrweges.
Es war der Sturz einer Diktatur zugunsten einer demokratischen und vor allem rechtsstaalichen Ordnung. Denn die DDR war kein Rechtsstaat und keine Demokratie, das ist klar. Ich betrachte die Ideologien sowohl der Nationalsozialisten, als auch der Kommunisten als Gegenbewegungen zum Humanismus. Der Humanismus hält besonders individuelle Rechte hoch, im Gegensatz zu den beiden kollektivistischen Ideologien. Aus diesen Gründen nenne die Friedliche Revolution eine echte Revolution, weil durch diese Revolution alle diese Werte entscheidend vorangebracht wurden.
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Barbarossa hat geschrieben:
dieter hat geschrieben:1) welche Schichten der Bevölkerung werden von Vornherein politisch entrechtet :?:
Die sogenannte "Bourgeosie" als gesellschaftliche "Klasse" insgesamt sollte im Zuge einer Revolution wirtschaftlich enteignet und politisch entmachtet werden. Die "Diktatur des Proletariats" sollte die Ergebnisse der Revolution zementieren. So steht das in den Werken von Marx und Engels. Zu deren Lebzeiten gab es noch keinen "real-existierenden Sozialismus", aber die Entstehung des selben ist für mich nach deren Konzept folgerichtig.
Lieber Barbarossa,
für mich ist die Entwicklung im realexistierendem Sozialismus keineswegs folgerichtig, weil sie das sowjetisch-stalinsche Modell zum Vorbild hat, das aus einem Agrarland entwickelt wurde. Deutschland war viel weiter auch schon zu den Zeiten von Marx. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
ehemaliger Autor K.

Dieter und Barbarossa:
Für die SPD und Rosa Luxemburg bildeten Sozialismus und Demokratie eine untrennbare Einheit. Erst bei Lenins Modell vom Parteiaufbau nach dem sogenannten „Demokratischen Zentralismus“ war dies nicht mehr der Fall und das wurde von Rosa Luxemburg kritisiert. Lenins Parteityp war den russischen Verhältnissen angepasst, aber hier trennten sich Sozialismus und Demokratie, bildeten im Stalinismus sogar Gegensätze. Ob dies zwangsläufig passieren musste oder auf die Besonderheiten Russlands zurückzuführen ist, lässt sich schwer sagen.

Weil die sozialistische Revolution nach dem ersten Weltkrieg nur in Russland erfolgreich war, glaubten viele, das läge an dem Organisationstyp der KPDSU. In der Folge wurden daher überall die kommunistischen Parteien nach dem sowjetischen Modell undemokratisch umstrukturiert.
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Karlheinz hat geschrieben:
Dieter und Barbarossa:
Für die SPD und Rosa Luxemburg bildeten Sozialismus und Demokratie eine untrennbare Einheit. Erst bei Lenins Modell vom Parteiaufbau nach dem sogenannten „Demokratischen Zentralismus“ war dies nicht mehr der Fall und das wurde von Rosa Luxemburg kritisiert. Lenins Parteityp war den russischen Verhältnissen angepasst, aber hier trennten sich Sozialismus und Demokratie, bildeten im Stalinismus sogar Gegensätze. Ob dies zwangsläufig passieren musste oder auf die Besonderheiten Russlands zurückzuführen ist, lässt sich schwer sagen.

Weil die sozialistische Revolution nach dem ersten Weltkrieg nur in Russland erfolgreich war, glaubten viele, das läge an dem Organisationstyp der KPDSU. In der Folge wurden daher überall die kommunistischen Parteien nach dem sowjetischen Modell undemokratisch umstrukturiert.
Lieber Karlheinz,
so war es. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Ihr Engagement brachte sie wiederholte Male ins Gefängnis - verurteilt wegen Majestätsbeleidigung, Aufforderung zu Ungehorsam, Gefährdung des öffentlichen Friedens. Unermüdlich sprach sich Rosa Luxemburg gegen preußischen Militarismus und gegen die Aufrüstung aus. Als die SPD im August 1914 die Kredite für den Krieg bewilligte, brach sie aus Enttäuschung über den "Verrat" an der internationalen Arbeiterbewegung fast zusammen, dachte sogar an Selbstmord. Rosa Luxemburg, die auch dazu aufgerufen hatte, den Dienst an der Waffe zu verweigern, verbrachte fast die gesamte Dauer des Ersten Weltkrieges hinter Gittern. Doch auch dort blieb sie politisch aktiv.
Quelle: http://www.diedeutschen.zdf.de
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Benutzeravatar
Barbarossa
Mitglied
Beiträge: 15507
Registriert: 09.07.2008, 16:46
Wohnort: Mark Brandenburg

dieter hat geschrieben:
Karlheinz hat geschrieben:Für die SPD und Rosa Luxemburg bildeten Sozialismus und Demokratie eine untrennbare Einheit. Erst bei Lenins Modell vom Parteiaufbau nach dem sogenannten „Demokratischen Zentralismus“ war dies nicht mehr der Fall und das wurde von Rosa Luxemburg kritisiert. Lenins Parteityp war den russischen Verhältnissen angepasst, aber hier trennten sich Sozialismus und Demokratie, bildeten im Stalinismus sogar Gegensätze. Ob dies zwangsläufig passieren musste oder auf die Besonderheiten Russlands zurückzuführen ist, lässt sich schwer sagen.

Weil die sozialistische Revolution nach dem ersten Weltkrieg nur in Russland erfolgreich war, glaubten viele, das läge an dem Organisationstyp der KPDSU. In der Folge wurden daher überall die kommunistischen Parteien nach dem sowjetischen Modell undemokratisch umstrukturiert.
Lieber Karlheinz,
so war es. :wink:
Nein, so war es eben nicht. Es ist schon fast gebetsmühlenartig, was ich hier inzwischen poste, aber lest euch doch einfach das durch, was Friedrich Engels höchstpersönlich schrieb: Friedrich Engels: Von der Autorität

Und mein "Lieblingszitat" daraus:
Eine Revolution ist gewiß das autoritärste Ding, das es gibt; sie ist der Akt, durch den ein Teil der Bevölkerung dem anderen Teil seinen Willen vermittels Gewehren, Bajonetten und Kanonen, also mit denkbar autoritärsten Mitteln aufzwingt; und die siegreiche Partei muß, wenn sie nicht umsonst gekämpft haben will, dieser Herrschaft Dauer verleihen durch den Schrecken, den ihre Waffen den Reaktionären einflößen. Hätte die Pariser Kommune nur einen einzigen Tag Bestand gehabt, wenn sie sich gegenüber den Bourgeois nicht dieser Autorität des bewaffneten Volks bedient hätte? Kann man sie nicht, im Gegenteil, dafür tadeln, daß sie sich ihrer nicht umfassend genug bedient hat?
Das lässt in meinen Augen tief blicken, wie sich Friedrich Engels und Karl Marx (die beiden gingen in vielen Dingen konform) sowohl die "Machtergreifung" als auch die Machterhaltung der Kommunisten in einer "Diktatur des Proletariats" vorstellten. Die Umsetzung solcher Gedanken muß zwangläufig immer in einer Polizei- und Militärdiktatur enden. Und das war lange bevor irgendwas von Lenin zu hören oder zu lesen war.

Wenn Rosa Luxemburg irgendetwas von sich gegeben hat, das dem widerspricht, dann war sie keine Marxistin.
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Lieber Barbarossa,
dann war sie keine Marxistin sondern eine demokratische Sozialistin. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
ehemaliger Autor K.

Barbarossa:
Nein, so war es eben nicht. Es ist schon fast gebetsmühlenartig, was ich hier inzwischen poste, aber lest euch doch einfach das durch, was Friedrich Engels höchstpersönlich schrieb: Friedrich Engels: Von der Autorität
Doch, so war es eben doch. Eine Revolution oder ein Bürgerkrieg ist ein Ausnahmezustand, in dem keine normalen Regeln gelten. Das hat Rosa Luxemburg im Januar 1919 selber erfahren, als sie feige ermordet wurde. Jede Regierung wird sich in einer solchen Situation mit militärischen Mitteln, Kriegsrecht und Ausnahmezustand verteidigen müssen, ganz egal, wer die Macht hat, jeder Staat hat dann das Recht auf Notwehr. Engels wendet sich in dem Aufsatz ja gegen Sozialisten, die die Autorität sofort abschaffen wollen, während er der Meinung ist, das sie erst nach der Revolution abgebaut werden kann. Er dachte ja, der Staat würde hinterher absterben, die Diktatur des Proletariats sollte nur ganz kurz dauern, ähnlich wie ja heute das Kriegsrecht oder bei uns die Notstandsgesetze auch nur befristet gelten sollen. Eine spätere Autorität sei auch danach noch erforderlich, er führt als Beispiel einen Kapitän auf hoher See an, aber das ist dann keine Diktatur.

Es ist also ein entscheidender Unterschied zwischen Machtergreifung und Machterhaltung. Zur dauerhaften Machterhaltung haben sich Marx und Engels nicht eindeutig geäußert, ich will auch nicht spekulieren. Sie dachten, der Staat würde kurz nach der Revolution absterben, aus heutiger Sicht ziemlich einfältig.

Ob Rosa Luxemburg jetzt eine genaue Schülerin von Marx war oder nicht, ist doch gar nicht interessant. Sie war vor allem Sozialistin und Demokratin, das hat Dieter deutlich klar gemacht. Die ganze SPD ist auch keine Partei gewesen, die an den Sätzen von Marx geklebt hätte, deshalb wurde sie von ihm auch häufiger kritisiert. In dem Erfurter Programm steht kein Wort von der Diktatur des Proletariats, in dem Gothaer Programm will sie noch den freien Volksstaat mit gesetzlichen Mitteln durchsetzen. In ihrer konkreten Politik hat sich die SPD auch immer gegen Diktaturen gewendet, auch wenn sie manchmal nicht zimperlich war, politische Gegner zu beseitigen. Auch wenn Rosa Luxemburg nachher mit der SPD brach, aber auch sie wollte nie eine Diktatur.
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Lieber Karlheinz,
ich sehe es genauso. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Es gab in der Sozialdemokratie damals zwei Fraktionen. Die einen waren der Meinung, dass man über Reformen, die man im Parlament erreicht, über Streiks und andere gewaltlose Maßnahmen allmählich das Ziel "Sozialismus" erreichen kann. Rosa Luxemburg war der Meinung, dass man die Gesellschaftsordnung nicht ändern kann, ohne die Staatsmacht zu erobern.
Quelle: Dr. Dietmar Dath, Luxemburg-Biograf
Als am 9.November 1918 die Revolution in Deutschland ausbrach und die Monarchie gestürzt wurde, war sie zur Stelle. Im Gegensatz zu den nun herrschenden Sozialdemokraten, die eine parlamentarische Republik errichten wollten, traten Rosa Luxemburg unf ihre Mitstreiter für eine sozialistische Revolution ein, nach russischen Vorbild von 1917; sie ging jedoch auf Distanz zur Leninistischen Diktatur.
Quelle: http://www.diedeutschen.zdf.de
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Benutzeravatar
Barbarossa
Mitglied
Beiträge: 15507
Registriert: 09.07.2008, 16:46
Wohnort: Mark Brandenburg

Karlheinz hat geschrieben:...Engels wendet sich in dem Aufsatz ja gegen Sozialisten, die die Autorität sofort abschaffen wollen, während er der Meinung ist, das sie erst nach der Revolution abgebaut werden kann. Er dachte ja, der Staat würde hinterher absterben, die Diktatur des Proletariats sollte nur ganz kurz dauern, ähnlich wie ja heute das Kriegsrecht oder bei uns die Notstandsgesetze auch nur befristet gelten sollen. Eine spätere Autorität sei auch danach noch erforderlich, er führt als Beispiel einen Kapitän auf hoher See an, aber das ist dann keine Diktatur.

Es ist also ein entscheidender Unterschied zwischen Machtergreifung und Machterhaltung. Zur dauerhaften Machterhaltung haben sich Marx und Engels nicht eindeutig geäußert, ich will auch nicht spekulieren. Sie dachten, der Staat würde kurz nach der Revolution absterben, aus heutiger Sicht ziemlich einfältig...
Ja, das weiß ich ja auch. Ich habe das mal herausgesucht, wie sich die "Erfinder des Kommunismus" sich das so vorstellten:
18. F[rage]: Welchen Entwicklungsgang wird diese Revolution nehmen?

A[ntwort]: Sie wird vor allen Dingen eine demokratische Staatsverfassung und damit direkt oder indirekt die politische Herrschaft des Proletariats herstellen. Direkt in England, wo die Proletarier schon die Majorität des Volks ausmachen. Indirekt in Frankreich und Deutschland, wo die Majorität des[373] Volkes nicht nur aus Proletariern, sondern auch aus kleinen Bauern und Bürgern besteht, welche eben erst im Übergang ins Proletariat begriffen sind und in allen ihren politischen Interessen mehr und mehr vom Proletariat abhängig werden und sich daher bald den Forderungen des Proletariats fügen müssen. Dies wird vielleicht einen zweiten Kampf kosten, der aber nur mit dem Siege des Proletariats endigen kann.

Die Demokratie würde dem Proletariat ganz nutzlos sein, wenn sie nicht sofort als Mittel zur Durchsetzung weiterer, direkt das Privateigentum angreifender und die Existenz des Proletariats sicherstellender Maßregeln benutzt würde. Die hauptsächlichsten dieser Maßregeln, wie sie sich schon jetzt als notwendige Folgen der bestehenden Verhältnisse ergeben, sind folgende:

1. Beschränkung des Privateigentums durch Progressivsteuern, starke Erbschaftssteuern, Abschaffung der Erbschaft der Seitenlinien (Brüder, Neffen etc.), Zwangsanleihen pp.

2. Allmähliche Expropriation der Grundeigentümer, Fabrikanten, Eisenbahnbesitzer und Schiffsreeder, teils durch Konkurrenz der Staatsindustrie, teils direkt gegen Entschädigung in Assignaten.

3. Konfiskation der Güter aller Emigranten und Rebellen gegen die Majorität des Volks.

4. Organisation der Arbeit oder Beschäftigung der Proletarier auf den Nationalgütern, Fabriken und Werkstätten, wodurch die Konkurrenz der Arbeiter unter sich beseitigt und die Fabrikanten, solange sie noch bestehen, genötigt werden, denselben erhöhten Lohn zu zahlen wie der Staat.

5. Gleicher Arbeitszwang für alle Mitglieder der Gesellschaft bis zur vollständigen Aufhebung des Privateigentums. Bildung industrieller Armeen, besonders für die Agrikultur.

6. Zentralisierung des Kreditsystems und Geldhandels in den Händen des Staats durch eine Nationalbank mit Staatskapital und Unterdrückung aller Privatbanken und Bankiers.

7. Vermehrung der Nationalfabriken, Werkstätten, Eisenbahnen und Schiffe, Urbarmachung aller Ländereien und Verbesserung der schon urbar gemachten, in demselben Verhältnis, in welchem sich die der Nation zur Verfügung stehenden Kapitalien und Arbeiter vermehren.

8. Erziehung sämtlicher Kinder, von dem Augenblicke an, wo sie der ersten mütterlichen Pflege entbehren können, in Nationalanstalten und auf Nationalkosten. Erziehung und Fabrikation zusammen.

9. Errichtung großer Paläste auf den Nationalgütern als gemeinschaftliche Wohnungen für Gemeinden von Staatsbürgern, welche sowohl Industrie wie Ackerbau treiben und die Vorteile sowohl des städtischen wie des [374] Landlebens in sich vereinigen, ohne die Einseitigkeiten und Nachteile beider Lebensweisen zu teilen.

10. Zerstörung aller ungesunden und schlecht gebauten Wohnungen und Stadtviertel.

11. Gleiches Erbrecht für uneheliche wie für eheliche Kinder.

12. Konzentration alles Transportwesens in den Händen der Nation.

Alle diese Maßregeln können natürlich nicht mit einem Male durchgeführt werden. Aber die eine wird immer die andre nach sich ziehen. Ist einmal der erste radikale Angriff gegen das Privateigentum geschehen, so wird das Proletariat sich gezwungen sehen, immer weiter zu gehen, immer mehr alles Kapital, allen Ackerbau, alle Industrie, allen Transport, allen Austausch in den Händen des Staates zu konzentrieren. Dahin arbeiten alle diese Maßregeln; und sie werden genau in demselben Verhältnis ausführbar werden und ihre zentralisierenden Konsequenzen entwickeln, in welchem die Produktivkräfte des Landes durch die Arbeit des Proletariats vervielfältigt werden. Endlich, wenn alles Kapital, alle Produktion und aller Austausch in den Händen der Nation zusammengedrängt sind, ist das Privateigentum von selbst weggefallen, das Geld überflüssig geworden und die Produktion so weit vermehrt und die Menschen so weit verändert, daß auch die letzten Verkehrsformen der alten Gesellschaft fallen können.
Quelle: http://www.zeno.org/Philosophie/M/Engel ... ommunismus

Für mich übrigens ein Widerspruch:
Engels schrieb zwar von einer "demokratischen Staatsverfassung", stellt aber im Anschluß einen Katalog von z. T. unglaublich autoritären Maßnahmen zusammen, welche in der DDR später auch tatsächlich konsequent umgesetzt wurden, wie z. B. die Punkte 3 und 5.

Ansonsten stimme ich dir zu: "Einfältig" - ich nenne es unrealistisch - ist es tatsächlich zu glauben, eine Diktatur würde sich einfach so von selbst wieder auflösen. Das ist eben der Unterschied zwischen Utopie und Realität.
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
Schreib auch du deine Meinung! Nur kurz registrieren und los gehts! ;-)
Benutzeravatar
dieter
Mitglied
Beiträge: 10152
Registriert: 29.04.2012, 09:48
Wohnort: Frankfurt/M.

Barbarossa hat geschrieben:[Ansonsten stimme ich dir zu: "Einfältig" - ich nenne es unrealistisch - ist es tatsächlich zu glauben, eine Diktatur würde sich einfach so von selbst wieder auflösen. Das ist eben der Unterschied zwischen Utopie und Realität.
Lieber Barbarossa,
in diesem Punkt gebe ich Dir Recht. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
ehemaliger Autor K.

zu Barbarossa:
Tut mir leid, ich sehe in dem Programm von Engels nichts, was auf eine Diktatur deutet. Die meisten seiner Forderungen sind inzwischen auch in westlichen Staaten erfüllt worden oder waren es schon einmal.
1. Beschränkung des Privateigentums durch Progressivsteuern, starke Erbschaftssteuern, Abschaffung der Erbschaft der Seitenlinien (Brüder, Neffen etc.), Zwangsanleihen pp.
Progressionssteuern gibt es inzwischen überall, in Schweden sogar 80%, über eine Reichensteuer wird mancherorts diskutiert. Erbschaftssteuern, die fast auf eine Enteignung hinausliefen, gab es lange Zeit in England.
2. Allmähliche Expropriation der Grundeigentümer, Fabrikanten, Eisenbahnbesitzer und Schiffsreeder, teils durch Konkurrenz der Staatsindustrie, teils direkt gegen Entschädigung in Assignaten.
Ein großer Teil der Wirtschaft befindet sich inzwischen in staatlicher Hand oder war es bis vor kurzem: Eisenbahnen, Wasser-und Gas, Elektrizität, es gibt zahlreiche Staatsbetriebe oder Betriebe mit staatlicher Beteiligung. Die Privatisierungen von Teilbereichen erfolgten ja erst kürzlich
Vielfach ist so gelaufen, dass die vormaligen Privatbetriebe bankrott waren und der Staat sie aufkaufte.
3. Konfiskation der Güter aller Emigranten und Rebellen gegen die Majorität des Volks.
Punkt 3. Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes wurde tatsächlich die Enteignung von Kriegsverbrechern gefordert, geplant war die Verstaatlichung von deren Grundbesitz und zahlreicher Fabriken. Ist leider nicht passiert.
4. Organisation der Arbeit oder Beschäftigung der Proletarier auf den Nationalgütern, Fabriken und Werkstätten, wodurch die Konkurrenz der Arbeiter unter sich beseitigt und die Fabrikanten, solange sie noch bestehen, genötigt werden, denselben erhöhten Lohn zu zahlen wie der Staat.
In Punkt 4 wird lediglich gefordert, das Gewerkschaften zugelassen werden (was es bei Engels noch nicht gab) und Tarifverträge eingehalten werden (die es damals auch nicht gab) und ein Mindestlohn gezahlt werden muss. Das erste wurde inzwischen erreicht, Punkt zwei wird diskutiert.
5. Gleicher Arbeitszwang für alle Mitglieder der Gesellschaft bis zur vollständigen Aufhebung des Privateigentums. Bildung industrieller Armeen, besonders für die Agrikultur.
Der Punkt 5 ist durch das Wort Arbeitszwang unglücklich formuliert, aber jeder Arbeitslose oder Empfänger von Hartz IV weiß, dass es auch bei uns einen staatlichen Zwang zur Arbeitsaufnahme gibt.
6. Zentralisierung des Kreditsystems und Geldhandels in den Händen des Staats durch eine Nationalbank mit Staatskapital und Unterdrückung aller Privatbanken und Bankiers.
Der Punkt 6 beispielsweise ist gar nicht so verkehrt und in Island und Irland hat man ja jetzt auch die Banken verstaatlicht.
Er fordert hier eine Nationalbank, die es zu seiner Zeit noch nicht gab. Inzwischen wurde dies überall ralisiert.
7. Vermehrung der Nationalfabriken, Werkstätten, Eisenbahnen und Schiffe, Urbarmachung aller Ländereien und Verbesserung der schon urbar gemachten, in demselben Verhältnis, in welchem sich die der Nation zur Verfügung stehenden Kapitalien und Arbeiter vermehren.
Punkt 7 fordert wirtschaftliches Wachstum. Auch für unsere Regierung ein zentrales Problem.
8. Erziehung sämtlicher Kinder, von dem Augenblicke an, wo sie der ersten mütterlichen Pflege entbehren können, in Nationalanstalten und auf Nationalkosten. Erziehung und Fabrikation zusammen.
Punkt 8 ist in der Tat bedenklich, sofern hier nicht Kita-Plätze gemeint sind und die konsequente Durchführung einer allgemeinen Schulpflicht (bei Engels nicht selbstverständlich)
9. Errichtung großer Paläste auf den Nationalgütern als gemeinschaftliche Wohnungen für Gemeinden von Staatsbürgern, welche sowohl Industrie wie Ackerbau treiben und die Vorteile sowohl des städtischen wie des [374] Landlebens in sich vereinigen, ohne die Einseitigkeiten und Nachteile beider Lebensweisen zu teilen.
Punkt 9 So etwas einzuführen, wäre wirklich sehr lobenswert. Wir haben nur den sozialen Wohnungsbau und der stockt zurzeit. Die Forderung von Engels ist ausgesprochen positiv und schreit nach Verwirklichung.
10. Zerstörung aller ungesunden und schlecht gebauten Wohnungen und Stadtviertel.
Punkt 10. Finde ich gut, wenn man das machen würde.
11. Gleiches Erbrecht für uneheliche wie für eheliche Kinder.
Punkt 11. Was ist dagegen zu sagen? Ist, glaube ich, inzwischen auch realisiert worden.
12. Konzentration alles Transportwesens in den Händen der Nation.
Punkt 12 Wurde teilweise realisiert beispielsweise die Deutsche Bundesbahn. Zu Zeit von Engels war vieles noch privat.

Ich sehe hier wirklich keine Diktatur, beim besten Willen nicht. Der entscheidende Unterschied ist doch der: Werden solche Maßnahmen in einer freien Gesellschaft auf demokratische Weise durchgesetzt oder durch eine Funktionärskaste mit Zwang? Passiert es auf demokratische Weise, sind die Forderungen von Engels durchaus positiv. Da viele seiner Forderungen im Westen inzwischen realisiert wurden, können wir dies nun beurteilen. Wendet man aber Zwang an, kommt nichts Gutes dabei heraus, das zeigt die DDR.
Natürlich wollte Engels keinen reformierten Kapitalismus, sondern eine sozialistische Gesellschaft. Wenn aber eine Gesellschaft sich auf demokratische Weise für den Sozialismus entscheidet, was ist dagegen zu sagen? Selbst unser Grundgesetz schreibt keine kapitalistische Gesellschaft vor. Die Väter des Grundgesetzes haben bekanntlich die Gesellschaftsform der Bundesrepublik offengelassen. Das löste in späteren Zeiten zahlreiche Diskussionen aus.

Angenommen, Friedrich Engels und Rosa Luxemburg würden plötzlich wieder zu neuem Leben erwachen, wo würden sie sich heute politisch wiederfinden? Engels würde feststellen, dass die meisten seiner Forderungen auch vom Kapitalismus erfüllt werden konnten. Er war Sohn eines Unternehmers. Wo stände er heute? SPD oder Grüne, vermute ich. Oder sogar auf dem Arbeitsnehmerflügel der CDU, wie einige glauben, da sie ihn in Wirklichkeit eher als konservativ einschätzen?
Und Rosa Luxemburg? Bei den „Linken“ oder in der SPD? Oder wäre sie politisch heimatlos? Eigentlich hätte sie sich mit beiden überwerfen müssen.
Antworten
  • Vergleichbare Themen
    Antworten
    Zugriffe
    Letzter Beitrag

Zurück zu „Zwischenkriegszeit“