Versailler Vertrag-Grund für Krieg o. besser als sein Ruf?

Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts

Moderator: Barbarossa

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Marek1964
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Renegat hat geschrieben: Die große Völkersortiererei ging doch erst später los, als die Nationalstaatsidee sich auch in Mittel- und Osteuropa ausbreitete, der Vielvölkerstaat ÖR starr und unflexibel agierte während Bismarck die nördliche Mitte auf deutsch trimmte.
Sehr richtig. Auch das ist es, was mich an revisionistischer deutscher Geschichtsschreibung ärgert. Über ein Jahrhundert lang hat man deutscherseits alle Chancen zum Völkerausgleich ausgelassen, aber nach 1918 da hat man das Selbstbestimmungsrecht entdeckt... um es natürlich 1939 späteststens wieder mit Füssen zu treten... aber um es nach 1945 wieder mit den Vertriebeneneverbänden und Landsmannschaften neu zu entdecken.
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Titus Feuerfuchs
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Paul hat geschrieben:Die Grenzziehung war eigentlich einfach. Überall an umstrittenen Grenzen Volksabstimmungen durchführen und sich an die Ergebnisse halten. Dies wäre eine auf Frieden angelegte Strategie gewesen, statt aus nationalistischen Gründen sein Staatsgebiet zu vergrößern.
Deutschland hatte 1871 darauf verzichtet französische Gebiete zu anektieren. es wurden nur die unter den Sonnenkönigen anektierten deutschen Gebiete befreit.

Der amerikanische Präsident Wilson will ja auch das Selbstbestimmungsrecht proklamiert haben. Er hätte sich daran halten sollen.

Hätte er gar nicht können, da in diesem Fall

1) seinen anderen Punkten widersprochen worden wäre (Polens Zugang zum Meer) und

2) Deutschland als deutlich gestärkter Staat (mit Deutsch-Österreich) aus dem Krieg hervorgegangen wäre - eine realpolitische Unmöglichkeit.


Paul hat geschrieben: Deutschland hatte den Krieg nicht mehr angefangen als insbesondere Serbien, Russland und Frankreich.
[...]
Österreich hat den Krieg ausgelöst und begonnen.
MfG,
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Titus Feuerfuchs
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Marek1964 hat geschrieben:
Renegat hat geschrieben: Die große Völkersortiererei ging doch erst später los, als die Nationalstaatsidee sich auch in Mittel- und Osteuropa ausbreitete, der Vielvölkerstaat ÖR starr und unflexibel agierte während Bismarck die nördliche Mitte auf deutsch trimmte.
Sehr richtig. Auch das ist es, was mich an revisionistischer deutscher Geschichtsschreibung ärgert. Über ein Jahrhundert lang hat man deutscherseits alle Chancen zum Völkerausgleich ausgelassen, aber nach 1918 da hat man das Selbstbestimmungsrecht entdeckt...
Logisch erst 1918 -davor gab es Habsburger und Hohenzoller, die viel zu reden und nicht das geirngste interesse daran hatten, etwas von ihrer Macht abzugeben - denn genau das wäre im Fall einer Großdeutschen Lösung passiert.
Marek1964 hat geschrieben: um es natürlich 1939 späteststens wieder mit Füssen zu treten... aber um es nach 1945 wieder mit den Vertriebeneneverbänden und Landsmannschaften neu zu entdecken.
:yawn:
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Titus Feuerfuchs
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Marek1964 hat geschrieben:Hier wollen wir die Disskusion über die Versailler Vertrag weiterführen, in gewisser Weise ein ewig Thema, aber halt ein evergreen .

http://geschichte-wissen.de/forum/posti ... 72&p=45898

Imho gibts dazu schon mindestens einen Thread, in dem bereits vieles gesagt wurde.

Deutschland wurde durch den VV weder dauerhaft integriert, noch dauerhaft entmachtet.
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Orianne
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Ich kann hier anfügen, dass über 80 % der Leute von Elsass-Lothringen damals lieber zu Frankreich gehört hätten, es wäre ihnen viel erspart geblieben. Die "Volksvertretung" der sogenannte Landesausschuss, die Landtagswahl 1911 waren doch ein Witz, über die man hier auch einmal sprechen sollte. Meiner Familie mütterlicherseits hatte 1871 - 1918 und 1940 - 1945 kein Glück gebracht, fast alle Männer fielen in deutschen Uniformen in Polen oder Russland und zuletzt in Deutschland, leider waren sie nicht die einzigen.
Grant stood by me when I was crazy, and I stood by him when he was drunk, and now we stand by each other.

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dieter
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Liebe Orianne,
natürlich mein Beileid für Dich, dass es Deiner Familie so ergangen ist, das tut mir leid. :wink: Meiner Familie ist es nicht besser ergangen, Du kennst meinen Bericht darüber. Das Fazit ist doch, dass die Kleinen Leute nie gefragt wurden, egal in welchen System. :wink:
Woher weißt Du, dass 80% der Elsaß-Lothringer für Frankreich optierten, Ich kenne keine entsprechenden Abstimmungen, hast Du andere Quellen :?:
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Orianne
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Abstimmungen darüber gab es auch keine, man versammelte sich ähnlich wie in Südtirol, und es wurde auch über Anschläge beraten, man sah dann aber davon ab, weil man Angst vor den Repressalien hatte.
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Lia

Man könnte nun auch noch die Grenzziehung der Clausen-Linie nach dem VV als mit-Ursache für den 2.Weltkrieg diskutieren- trotz aller Regelungen zu Gunsten Dänemarks war sie das aber eher nicht, selbst die Nazis tasteten diese Linie nicht an.
Cherusker1
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Der Versailler Vertrag wurde in Deutschland als ungerecht und aufgezwungen betrachtet.
---Vom heutigen Wissensstand ist er nur noch für Historiker und Geschichtsfans interessant.--

In anderen Ländern sind die analogen Verträge, die zum Abschluss des I. Weltkrieges
führten, immer noch Gegenstand von Diskussionen.
In Ungarn z.B. "träumt" man immer noch von der Revision der Verträge von Trianon.
Man möchte sie revi dieren und träumt von ehemaliger Größe.
Man sieht sich heute noch als Opfer der "bösen" Siegermächte.
Ohne an die jeweis nachfolgenden Wiener Diktate zu denken und an deren Auswirkungen
für die Nachbarstaaten.
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Paul
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In vielen Regionen der Welt ist Selbsbestimmung immer noch ein wichtiges Thema z.B. in Schottland, wo sie keine Mehrheit fand o. in Katalonien. Die Slowakei hat sich von der Tschechischen Republik getrennt. Bei der Gelegenheit hätte man auch in der "Südslowakei" über den Beitritt zu Ungarn abstimmen müssen.
Man kann weltweit massenhaft Minderheiten finden, die ihre Wünsche auch noch verwirklichen werden. Man kann nur hoffen, das dies immer ohne Blutvergießen geschehen wird. Selbstbestimmung hat nicht unbedingt etwas mit dem Streben nach Größe zu tun. Sollten sich Albanien und das Kosovo und vielleicht auch der albanische Teil Mazedoniens zusammenschließen, dann entsteht ja trotzdem kein großer Staat. Auch Ungarn würde kein so großer Staat werden, wenn es ein paar gerechte Grenzänderungen gäbe. Ich kann hier solange keinen Größenwahn erkennen, solange keine mehrheitlich fremden z.B.rumänischen...Gebiete beansprucht werden.
viele Grüße

Paul

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Titus Feuerfuchs
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Cherusker1 hat geschrieben:Der Versailler Vertrag wurde in Deutschland als ungerecht und aufgezwungen betrachtet.
---Vom heutigen Wissensstand ist er nur noch für Historiker und Geschichtsfans interessant.--

In anderen Ländern sind die analogen Verträge, die zum Abschluss des I. Weltkrieges
führten, immer noch Gegenstand von Diskussionen.
In Ungarn z.B. "träumt" man immer noch von der Revision der Verträge von Trianon.
Man möchte sie revi dieren und träumt von ehemaliger Größe.
Man sieht sich heute noch als Opfer der "bösen" Siegermächte.
Ohne an die jeweis nachfolgenden Wiener Diktate zu denken und an deren Auswirkungen
für die Nachbarstaaten.

Der Trianoner Vertrag war der härteste Vorortevertrag. Die Korrekturen durch die beiden Wiener Schiedssprüche entsprachen weitestgehend den ethnischen Gegebenheiten.

Trionon ist mit ein Grund dafür, dass Ungarn eine der stärksten rechtsextremen Parteien Europas hat, die im Gegensatz zu anderen auch fest im akademischen Millieu verwurzelt ist.
MfG,
Titus Feuerfuchs
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dieter
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Orianne hat geschrieben:Abstimmungen darüber gab es auch keine, man versammelte sich ähnlich wie in Südtirol, und es wurde auch über Anschläge beraten, man sah dann aber davon ab, weil man Angst vor den Repressalien hatte.
Liebe Orianne,
ohne Abstimmungen wurde aber dem Selbstbestimmungsrecht nicht genüge getan. In Südtirol stimmt die Mehrheit der Südtiroler in Regionalwahlen immer für die Südtiroler Volkspartei. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Cherusker1
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----Der Trianoner Vertrag ist einer der härtesten Vorortverträge----
Das ist auf den ersten Blick richtig.
Wobei es zu bedenken gäbe, daß Ungarn zwei Drittel seiner Fläche aber nur ein Drittel
seiner Bevölkerung verlor.
d.h. auf einer Fläche der doppelten Größe der jetzigen Ungarns, verlor Ungarn 3,2 Millionen
Menschen. Sie lebten dort als MINDERHEIT.
Wenn wir Deutsche unsere ehemaligen Grenzen auch so auf Plakaten, Abziehbildern , Parteiprogranne
darstellen wollten ................
In der heutigen Zeit sind solche Propagandafeldzüge ein Anachronismus des letzten Jahrhunderts und
nicht mehr zeitgemäß.
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Paul
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Cherusker1 hat geschrieben:----Der Trianoner Vertrag ist einer der härtesten Vorortverträge----
Das ist auf den ersten Blick richtig.
Wobei es zu bedenken gäbe, daß Ungarn zwei Drittel seiner Fläche aber nur ein Drittel
seiner Bevölkerung verlor.
d.h. auf einer Fläche der doppelten Größe der jetzigen Ungarns, verlor Ungarn 3,2 Millionen
Menschen. Sie lebten dort als MINDERHEIT.
Wenn wir Deutsche unsere ehemaligen Grenzen auch so auf Plakaten, Abziehbildern , Parteiprogranne
darstellen wollten ................
In der heutigen Zeit sind solche Propagandafeldzüge ein Anachronismus des letzten Jahrhunderts und
nicht mehr zeitgemäß.
Die Ungarn waren nicht überall in der Minderheit und sind es auch heute nicht, also war die Grenzziehung so nicht rechtmäßig, selbst wenn sie in den meisten abgetretenen Gebieten in der Minderheit waren. Sicherlich muß es auch für Siedlungsinseln Sonderregelungen geben.
Was die Slowaken für sich gefordert haben, muß auch für die Ungarn gelten.
Was für die Albaner im Kossovo galt, muß auch für die Serben in der Region Mitrovica gelten. Es darf nicht verschiedenes Recht geben.
viele Grüße

Paul

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Barbarossa
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Marek1964 hat geschrieben:
Barbarossa hat geschrieben:Es geht also auch um die Frage der Verhältnismäßigkeit.
Ja, eigentlich hätte damals schon die Formel Dismemberment of Germany heissen müssen.
Guter Scherz, denn dein Ernst kann das unmöglich gewesen sein.
:wink:

Tatsächlich hätte zu einer Entspannung in Europa schon ab 1919 eine Art "Europäische Gemeinschaft" entstehen müssen oder zumindest Deutschland nicht so isoliert werden dürfen, wie dies geschehen ist. Die übrigen Länder - der Völkerbund - hätte auf die neu entstandene deutsche Republik zugehen müssen, denn schließlich hatte man es nicht mehr mit dem Kaiserreich zu tun.

Aber: Jede noch härtere "Bestrafung" Deutschlands hätte nur noch viel schneller in die Katastrophe geführt, davon bin ich überzeugt.
Eine gar "Zerstückelung Deutschlands", wie von dir erwähnt, hätte eventuell sogar direkt in den Bürgerkrieg geführt. Bürgerkriegsähnliche Zustände gab es 1918/19 ohnehin schon.
Marek1964 hat geschrieben:
Barbarossa hat geschrieben:Sicher war das Verhalten der Deutschen 1871 demütigend, das Verhalten der Sieger von 1918 übertraf dies aber noch.
Wieso? Elsass Lothringen wurde an Frankreich zurückgegeben und Polen wiederhergestellt mit nicht einmal 2 Millionen Deutschen in seinem Staat.
Und die vielen anderen Punkte im VV? Schaut man sie sich in ihrer Gesamtheit an, wird die Demütigung offensichtlich.
Marek1964 hat geschrieben:
Barbarossa hat geschrieben:Da hilft es auch nicht, wenn man als Argument vorbringt, dass sich die Mittelmächte bei einem Sieg auch nicht verhältnismäßiger verhalten hätten.
Und wieso nicht? Das ist es, was micht an der Geschichtsinterpretation gewisser Deutscher nervt - man ist flugs dabei, von den Gegnern Grossmut zu verlangen, obwohl man diesen selbst nie gezeigt hat...
Darum geht es ja bei der heutigen Diskussion/Betrachtung gar nicht - kann es auch gar nicht mehr gehen, aber:

1.) Wie ich bereits schrieb, war Deutschland von 1919 nicht mehr das selbe, wie 1914. Dem wurde in Versailles nicht Rechnung getragen.
2.) In meinem Schlusssatz schrieb ich weiterhin bereits, dass sich "in Europa die Feindschaft unter den Völkern im Laufe der Zeit immer weiter aufschaukelte." - wenn man das ganze jetzt einmal unter gesamteuropäischen Gesichtspunkten betrachtet.

Wichtig: Die Betrachtungsweise muss heute eine andere sein, als damals.
Während wir heute eher eine gesamteuropäische Sicht der Dinge favorisieren sollten, muss man hingegen versuchen, das Denken und das Verhalten der damaligen Menschen auch nach damaligen Denkweisen nachzuvollziehen.
Das ist das Schwierige, wenn man historische Ereignisse betrachtet.
Die Diskussion ist eröffnet!

Jedes Forum lebt erst, wenn Viele mitdiskutieren.
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