Die Broken-Window-Theorie

Arbeits und Lehrstellenmarkt, Arbeits- und Sozialrecht, Rente

Moderator: Barbarossa

ehemaliger Autor K.

Als sich in der Firma, in der ich früher gearbeitet habe, Fälle von stressbedingten Ausfällen mit Burnout-Symptomen häuften, wurde ich gebeten, einen kleinen Bericht darüber zu schreiben. Hier ein kleiner Auszug. Nicht allen hat dies gefallen.

Die Broken-Window-Theorie

Die Broken-Window-Theorie behauptet: Ist in einem Stadtteil ein Fenster zersprungen und wird es nicht in kürzester Zeit repariert, ist schon sehr bald ein weiteres Fenster kaputt.

In konzentrischen Kreisen breitet sich die Verwahrlosung weiter aus. Schon bald entsorgt jeder seinen Müll in den Straßen, Graffiti beschmieren die Wände, der Stadtteil verkommt zum Slum.
Die Römer wussten dies schon vor 2000 Jahren, als sie warnten: „Wehret den Anfängen!“

Diese Theorie ist auf viele Lebensbereiche übertragbar. Ein mit zahlreichen unerledigten Vorgängen überquellender Schreibtisch eines Mitarbeiters in einem Betrieb führt dazu, dass bald alle Schreibtische so aussehen und das allgemeine Chaos dehnt sich weiter aus. Nehmen einige Kollegen dann auch noch Alkohol oder Tabletten zu sich, um die unerträgliche Situation dennoch zu ertragen, wird dies bald zu einem allgemein akzeptierten Normalzustand.

Das Ende ist vorhersehbar: Beginnender Verfall, einzelne Abteilungen verwahrlosen, Mitarbeiter werden zu einem Fall für die Schulmedizin, Auflösung komplexer Strukturen, Entropie.

Müssen wir mit diesem Krebsgeschwür leben? Das System, welches uns täglich mit Gütern und Dienstleistungen versorgt, wird aufgrund seiner Effizienz immun gegen jegliche Kritik und lässt sie als rückständig oder illusionär erscheinen. Die Rationalität des Gesamtsystems verträgt sich mit der Irrationalität seiner Einzelteile und verbucht sie als marginale Störfaktoren, die bei passender Gelegenheit entsorgt werden.

Der Leviathan, den wir selber erschaffen haben, fordert seinen Preis ein und hat sich verselbstständigt. Die Menschheit ist zu weit vorwärtsgegangen, um sich zurückzuwenden und bewegt sich zu rasch, um anzuhalten.

Der Preis, den wir alle dafür zahlen müssen, scheint vertretbar, ist doch selbst das Leben in einer psychiatrischen Anstalt dem Leben eines steinzeitlichen Jägers oder eines Bauern im Mittelalter vorzuziehen.

Möglicherweise kann dies noch lange so weitergehen. Danach aber heißt es zurück auf die Bäume.

(zitiert nach: Karlheinz Winkler, Warum wir alle unsere Psychiater lieben sollten)
Aneri

Karlheinz hat geschrieben:In konzentrischen Kreisen breitet sich die Verwahrlosung weiter aus.
Aber auch das Gegenteil gilt. In jungen Jahren, nach dem Studium müste ich in einem Jury zur Beurteilung des schönsten Vorgartens teilnehmen. Man muss auch in Kopf behalten, dass es war sowietische Dörfe, meistens ein zentrale Ort eines Kolchoses. Bei der vielen Entbehrungen in alltag müsste man wirklich viel Enthusiasmus zeigen, die vielfälltigen Blumen und Sträuche zu besorgen, die man nicht einfach in einem Gärtnerei kaufen könnte, oder eine Kreativität zeigen, da auch Baugeschäfte hatten nur sehr begrenzten Sortiment.
Da habe ich bemerkt, dass das schönste Garten war immer mit anderen schönen Gärten umgeben und die "Schönheit" in abfallende Neigung von einem Zentrum sich zeigte. Also positive Beispiel der Broken-Window-Theorie.

In allgemeinen habe ich nicht verstanden die Schlußfolgerung in deiner Zitat. Was hat es mit der gesellschaftlichen Zerfall und der Affen und Bäumen zu tun?
Aneri

Karlheinz hat geschrieben: Diese Theorie ist auf viele Lebensbereiche übertragbar. Ein mit zahlreichen unerledigten Vorgängen überquellender Schreibtisch eines Mitarbeiters in einem Betrieb führt dazu, dass bald alle Schreibtische so aussehen und das allgemeine Chaos dehnt sich weiter aus. Nehmen einige Kollegen dann auch noch Alkohol oder Tabletten zu sich, um die unerträgliche Situation dennoch zu ertragen, wird dies bald zu einem allgemein akzeptierten Normalzustand.
Wieder der Gegenbeispiel. Ich - die älteste von Geschwistern - bin ein chaotische Mensch. Mit "unerledigten Vorgängen" stimmt nicht, da ich mich zu zuverlässigen Menschen zählen würde. Dennoch mit "überquellenden" Schreibtisch passt sehr genau. Nach Theorie müsste meine Geschwister den Trend zum Chaos fortsetzen. Dennoch ist es nicht der Fall. Sie sind sehr ordentlichen Menschen.

Auch in deinem Beispiel sehe ich mehr Wahrscheinlichkeit, dass dieser Mitarbeiter gekündigt wird als seine Kollegen seinem Beispiel folgen.
ehemaliger Autor K.

Die Broken-Window-Theorie wurde entwickelt, da die Erfahrung lehrt, dass ein schlechtes Beispiel sehr schnell Schule macht, wenn es nicht sofort geahndet wird. Das kann man in der Tat überall beobachten. Schlechte Beispiele werden viel öfters nachgeahmt als gute Beispiele. Daraufhin entstand die Null-Toleranz These.
Aneri

Karlheinz hat geschrieben:Die Broken-Window-Theorie wurde entwickelt, da die Erfahrung lehrt, dass ein schlechtes Beispiel sehr schnell Schule macht, wenn es nicht sofort geahndet wird. Das kann man in der Tat überall beobachten. Schlechte Beispiele werden viel öfters nachgeahmt als gute Beispiele. Daraufhin entstand die Null-Toleranz These.
Du sprichst über eine entwickelte Theorie. Was ist es? So wie ich verstehe geht es um einer Beobachtung, die auf ein Einzellfall keinen Rückschluss machen zulässt. Z. B. ein Fenster, der durch Nachbarn-Kinderspiel zerbrochen wurde, kann zwei wochen nicht neu verglasst werden, da die Eigentümer gerade Urlaub haben und verreist sind. Der Tasache gibt uns keine Annahme, dass die Umwelt sich "einstecken" wird. Die Kinder, wenn nicht schon bestraft wurden, haben jetzt Angst und werden sich anderen Spielplatz aussuchen, wo derartiges nicht passieren kann.

Daher denke ich, dass ein Einzellfall sagt uns nicht, wie es weiter vorgehen soll. Nur eine Tendenz - eine allmählich wachsende Zahl der zerbrochenen Fenstern in Umgebung kann ausschlussreich sein. Aber auch dies kann eben nicht unbedingt durch vandalierende Jugendliche, die jede Nacht auf die "Jagd" gehen, passieren. Ein starkes Gewitter kann auch solche Folgen haben. Deswegen nur das Wachstum, das nur in Beobachtung in einem Zeitraum wahrgenommen werden kann und das druckt eine Tendenz aus, sind von Bedeutung.
Renegat
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Karlheinz hat geschrieben:Ich verweise auf : http://de.wikipedia.org/wiki/Broken-Window-Theorie
Naja, bei Gegenständen im öffentlichen Raum mag die "Broken-Window-Theorie" zutreffen. Das ist ja auch keine neue Erkenntnis, du erwähnst die Römer als Urheber des geflügelten Wortes "Wehret den Anfängen". Es gibt weitere, wie die Beispiele, die Schule machen usw. Eigentlich braucht man nur seinen gesunden Menschenverstand zu benutzen und sich selbst kritisch zu beobachten, um zu erkennen, dass immer dann, wenn der Einzelne meint, das große Ganze durch seine Tat nicht beeinflussen zu können, er sich schlechter verhält, als er könnte.
Es gehört schon eine Portion Rückgrat dazu, in einem vermüllten Bezirk, seinen Abfall zum nächsten Mülleimer zu tragen. In einem sauberen Stadtteil ist das eine Selbstverständlichkeit, man will ja nicht unangenehm auffallen.

Dieses Prinzip des rigiden Bestrafens, der "Null-Toleranz", um den Anfängen zu wehren, fragt jedoch nicht nach den Ursachen.
Deshalb finde ich es bedenklich, es auf Zustände am Arbeitsplatz zu übertragen. Der Messie-Schreibtisch ist vielleicht Ausdruck von Überforderung und mit einer Übertragung der "Null-Toleranz" auf den beruflichen Alltag würde sich der Druck, der zu Burnout führt, ja gerade noch mehr erhöhen. Dann wäre damit das Gegenteil erreicht, nämlich eine Erhöhung des Anteils von kranken Mitarbeitern.
Aneri

Renegat hat geschrieben:Dieses Prinzip des rigiden Bestrafens, der "Null-Toleranz", um den Anfängen zu wehren, fragt jedoch nicht nach den Ursachen.
Auch ist die Kriminalitätbekämpfung in New York nur halbe Sache. Im Grunde die Ursache wurde nicht beseitigt. Es wurde zurückdrängt, dennoch lauert es im Untergrund. Die Ursache zu bekämpfen braucht man langen Atem, langfristige politische und soziale Programe.
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dieter
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Karlheinz hat geschrieben:Die Broken-Window-Theorie wurde entwickelt, da die Erfahrung lehrt, dass ein schlechtes Beispiel sehr schnell Schule macht, wenn es nicht sofort geahndet wird. Das kann man in der Tat überall beobachten. Schlechte Beispiele werden viel öfters nachgeahmt als gute Beispiele. Daraufhin entstand die Null-Toleranz These.
Lieber Karlheinz,
das kommt davon weil schlechte Beispiele meistens bequemer sind als gute. Kleine Begebenheit mit der Frankfurter S-Bahn: Am Bahnhof Ffm.-Rödelheim, wenn wir einsteigen wollen, stelle ich mich meistens nicht am Ein-und Ausgang des Bahnsteigs hin, weil dort schon die meisten Menschen zum Einsteigen stehen, die nicht lange am Bahnsteig laufen wollen, Sondern meistens am Ende des Bahnsteiges, weil dort Platz ist und man im S-Bahnwagen dann auch noch einen Sitzplatz bekommt, was in den vorderen Wagen nicht der fall ist. :wink: :roll:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
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