Reichsgründung am 18.1.1871: Auch heute ein Tag zum feiern?

Versailles, 1871, Bismarck, Deutsches Reich, Wilhelm I

Moderator: Barbarossa

Ist die Reichsgründung von 1871 auch heute noch ein Grund zum Feiern?

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Balduin
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Barbarossa hat geschrieben:Ich habe den Tag heute mit ein paar Gläsern Sekt und Wein ein bisschen gefeiert.
Es ist im Grunde genommen ein erster Tag der deutschen Einheit.
Sitzt Du dann da und hebst das Glas auf den Kaiser?  :) Spaß beiseite...

Ich habe mir gerade durchgelesen, was ich damals zu dem Thema geschrieben habe und stelle fest: An meiner Meinung hat sich in der Zwischenzeit nichts geändert.
Nein, dieses fragile Reich hat Schuld auf sich geladen (I. und II. Weltkrieg) und der damalige Nationalismus hat den NS-Schergen später den Boden bereitet.

Die "Geburt" des GG ist für mich vielmehr ein Feiertag - damals wurde eine Verfassung geschaffen, die einem modernen und demokratischen Staat gebührt. Auch die Einheit ist für mich viel mehr Feiertag.

Auch im Hinblick wie die Reichsgründung geschaffen wurde und dass sie mit einer Demütigung Frankreichs (Ausrufung im Spiegelsaal) einher ging, macht es zu keinem Feiertag. Man muss die Mittel und Wege anhand der damaligen Zeit messen - und damals war Krieg und eben die Feindschaft zu Frankreich Realität. Die Eignung als Feiertag muss man aber an unseren heutigen Vorstellungen messen - und dann ist die Sache klar
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Barbarossa
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Ich habe zumindest die erste Einigung Deutschlands nach dem Zerfall des ,,Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation'' tatsächlich ein bisschen begossen. ;-)

Zugegeben, die Demütigung Frankreichs durch die Art und Weise der Proklamation hätte man sich auch sparen können, aber bei den Verantwortlichen von damals spielten solche Überlegungen wohl keine Rolle. Man wollte Frankreich wohl auch nicht unbedingt zum Freund. Bismarck versuchte wohl auch danach noch, Frankreich politisch zu isolieren.
Und heute wird es natürlich kritisch gesehen, dass Bismarck erst 3 Kriege führte, um diese ,,kleindeutsche Lösung'' zu erreichen. Aber einen anderen Weg gab es offenbar nicht - das hat kürzlich auch der Historiker Christopher Clark (von dem ich persönlich eine Menge halte) eingeräumt.

Und übrigens: Wurden nicht auch die USA erst im Zuge eines Unabhängigkeitskrieges gegründet?
Und gab es in diesem demokratischen Staat nicht noch eine recht lange Zeit Sklaverei? Und als Präsident Lincoln die Sklaverei abschaffen wollte, erklärten sich die Südstaaten kurzerhand für unabhängig und führten einen Bürgerkrieg, um sich das Recht der Sklaverei zu erhalten.

Was ich mit diesem Beispiel sagen will ist, selbst in dieser ersten demokratischen Nation der Welt gab es Elemente, die alles andere als demokratisch waren. Auch die USA haben erst eine Entwicklung durchgemacht, die eigentlich bis heute nicht beendet ist, wenn man sich das Rassismusproblem dort vor Augen hält.

Warum man andererseits dem Deutschen Kaiserreich nicht eine ähnliche Entwicklungsfähigkeit zugestehen will, leuchtet mir nicht so richtig ein. Aus dem Kaiserreich mit eingeschränkten parlamentarischen Befugnissen hätte auch eine echte Parlamentarische Monarchie werden können, ähnlich, wie es Schweden, Norwegen, Dänemark oder die Niederlande etc. heute sind. Genau genommen war das Kaiserreich im letzten Kriegsmonat (immerhin einen Monat lang, bis die Republik ausgerufen wurde) eine solche Parlamentarische Monarchie. Die Verfassung des Deutschen Kaiserreiches ließ diese Option auch offen. Und deswegen wäre für mich die jetzige Staatsform mit dem GG aus historischer Sicht nicht zwingend alternativlos gewesen - obwohl ich mich nun nicht unbedingt als Monarchist sehe.

Christopher Clark spricht beim Ersten Weltkrieg nicht mehr von einer Schuld am Krieg bei einer einzelnen Nation, auch wenn sich Deutschland (da war es schon Republik) im sog. Versailler Vertrag zu dieser Unterschrift erpressen lassen musste.
Eine Schuld des Kaiserreiches am Zweiten Weltkrieg halte ich für zu weit hergeholt. Die sehe ich auch nicht. Es war zwar so, dass bspw. die Dolchstoßlegende schon von den Militärführern des Kaiserreiches in die Welt gesetzt wurde, aber letztlich hatte die Machtübernahme durch die Nazis ein ganzes Bündel von Gründen - nicht zuletzt versagten gerade die demokratischen Parteien der Weimarer Republik auf ganzer Linie, anstatt das zu verhindern. Die Möglichkeiten dazu hätten sie wohl gehabt.
Daneben gab es - zugegeben - bereits in der Kaiserzeit erste gesellschaftliche Entwicklungen, die für das NS-Regime später prägend wurden - nicht zuletzt ein immer stärker werdender Antisemitismus. Auch die Rassenlehre entstand lange vor der NS-Zeit - sie war nicht einmal eine Erfindung von Hitler.
Aber selbst hier würde ich eher einen gesellschaftlichen Zeitgeist als Verantwortlichen ausmachen, als dem Kaiserreich als Staat. Wie die gesellschftliche Entwicklung verlaufen wäre, wenn es bereits 1848/49 zu einer staatlichen Einheit Deutschlands gekommen wäre, wissen wir nicht. Dass es diese Einheit zwingend geben musste steht für mich aber fest. Eigentlich kam sie für meinen Geschmack viel zu spät. Sowohl 1815, wie auch 1848/49 war sie von den damals politisch Verantwortlichen nicht gewollt - von der deutschen Bevölkerung aber sehr wohl. Letzteres ist für mich das Entscheidende.
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Balduin
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Vielen Dank für den ausführlichen Beitrag, Barbarossa.

Dein Vergleich mit den Vereinigten Staaten gefällt mir. 

Was diese Diskussion doch prägt, ist die Auseinandersetzung mit der schwierigen deutschen Vergangenheit. Das kommt so immer wieder vor: Man denke nur an die Probleme in der Bundeswehr mit der Erinnerungskultur.

In den Vereinigten Staaten wird die eigene Geschichte nicht so differenziert und kritisch gesehen. Vielleicht ist gerade das ein Problem, das sich in den heutigen Ereignissen widerspiegelt? 
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Barbarossa
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Das kann gut sein, was du anmerkst. Wenn in den USA bis vor kurzem noch Statuen und Bilder von Vertretern der Konföderierten Staaten standen bzw. hingen und diese demnach auch verehrt wurden, dann macht das natürlich nachdenklich. Dass diese dann gestürmt und gestürzt wurden, ist wohl sogar überfällig gewesen. Andererseits ging mir die Entehrung sogar von Kolumbus dann doch etwas zu weit. Für mich ist er nicht verantwortlich für das, was dann geschah - er fiel am Ende ja sogar selbst in Ungnade. Man muss bei der Aufarbeitung von Geschichte also auch auf Übertreibungen achten, die im Übereifer passieren können.

Ähnlich ist es wohl bei der Aufarbeitung der deutschen Geschichte. Dabei spielt natürlich die Frage eine Hauptrolle: Welche historische Persönlichkeit kann man verehren, und welche nicht. Da scheint mir ,,schon immer'' (also so lange, wie ich zurückdenken kann) ein Ungleichgewicht zu herrschen. Ich kann mich natürlich täuschen, aber mir kommt es vor, wenn bspw. über die britische Kolonialgeschichte berichtet wird, erscheint mir die Argumentation hier fast immer wohlwollender, als die deutschen Bemühungen, zu Kolonien zu kommen. Oft ist sogar vom deutschen Größenwahn die Rede, der der (dann ja wohl einzig rechtmäßigen) britischen Weltherrschaft mit exorbitantem Kolonialreich entgegen stand. Mit welchem Recht eigentlich? Hier scheint mir eine Übertreibung zuungunsten Deutschlands vorzuligen - und das im deutschen Fernsehen. Ich würde mir zumindest bis zum Jahre 1933 eine neutralere Geschichtsaufarbeitung wünschen und nicht oftmals so polemisch antideutsch. Jedenfalls kommt's mir manchmal so vor. Ich kann mich natürlich irren...
Ich hatte es ja übrigens im Magazin über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges demonstriert, wie das aussehen könnte. Das war nicht polemisch - weder zur einen, noch zur anderen Seite.
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