Wie "deutsch" sind die Niederländer?

"Deutschland - aber wo liegt es?" Goethe

Moderator: Barbarossa

Dietrich
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Die Niederländer gingen vor allem aus den germanischen Stämmen der Franken, Friesen und Sachsen hervor. Sie zählten bis zu Beginn des 17. Jh. zum Heiligen Römischen Reich, was allerdings nicht gleichbedeutend mit "deutsch" ist. Ob sich die Niederländer jemals als "Deutsche" fühlten, möchte ich eher bezweifeln. Sie trennten sich ebenso wie die Schweizer bereits früh vom Reich ab, d.h. nach dem 30jährigen Krieg und dem Westfälischen Frieden.

Die Entwicklung einer eigenständigen Identität setzte bei Niederländern und Schweizern bereits früh ein, zudem sie ihr Geschick mangels einer durchgreifenden zentralen Gewalt in eigene Hände nehmen mussten. Insofern kann man weder den Niderländern noch den Schweizern das Prädikat "deutsch" verpassen, was seit dem 20. Jh. auch für die Österreicher gilt.

Diese historische Entwicklung zeigt, dass die Niederländer bis spätestens zu Beginn der Neuzeit eine eigene Identität entwickelt hatten und sich als Volk - oder Ethnie - von den angrenzenden Völkern unterschieden. Es geht hier also um die Selbstidentifikation einer Bevölkerungsgruppe, die schließlich zu einer eigenständigen ethnischen Gruppierung führte. Das war bei den Niederländern der Fall, was ganz folgerichtig ihre Abspaltung vom Heiligen Römischen Reich nach sich zog.

Übrigens muss sich eine Ethnie nicht notwendigerweise durch eine eigene Sprache von einer benachbarten oder anderen Ethnie unterscheiden. So sprechen Chilenen und Argentier, Russen und Ukrainer oder Serben und Kroaten gleiche oder nur in Nuancen verschiedene Sprachen, ohne dass daran zu zweifeln ist, dass sie eigenständige Völker/Ethnien sind.
Paul
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Die Abspaltung kam eigentlich in Gang, weil die Niederlande bei der Teilung der Habsburger Lande zu Spanien kam. Die Niederlande des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation erzwangen dann die Unabhängigkeit von Spanien und verbanden sich nicht mehr mit dem Reich. Sie lösten sich also nicht vom Reich, weil sie sich nicht als Deutsche fühlten. Auch bei der Schweiz hatte es andere Gründe. Sie lösten sich im Zuge der Bauernkriege um Republik zu werden.

Noch der vorletzte Papst, welcher sich als deutsch ansah, kam aus den Niederlanden. Das engliche dutsch heist nichts andere als deutsch. Wenn man langsam spricht, kann man sich noch unterhalten, ohne auf englisch auszuweichen, obwohl die meisten Niederländer ganz gut hochdeutsch können. Sie lernen es aber weniger in der Schule als vom Fernsehen und im Urlaub.
viele Grüße

Paul

aus dem mittelhessischen Tal der Loganaha
Dietrich
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Paul hat geschrieben:Die Abspaltung kam eigentlich in Gang, weil die Niederlande bei der Teilung der Habsburger Lande zu Spanien kam. Die Niederlande des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation erzwangen dann die Unabhängigkeit von Spanien und verbanden sich nicht mehr mit dem Reich. Sie lösten sich also nicht vom Reich, weil sie sich nicht als Deutsche fühlten. Auch bei der Schweiz hatte es andere Gründe. Sie lösten sich im Zuge der Bauernkriege um Republik zu werden.
Die Herausbildung einer eigenen niederländischen Identität ist ein vielschichtiger Prozess, bei dem die Herrschaft der Spanier nur eine Facette von vielen bildet. Bekanntlich spalteten sich auch die Schweizer ab, die keinerlei Fremdherrschaft zu erdulden hatten.

Ob und wer sich um 1648 - also beim Austritt der Niederländer aus dem Reich - als "Deutscher" fühlte, ist ohnehin zweifelhaft. Vermutlich waren die meisten Menschen den Herrschern, die sie direkt regierten, erheblich stärker verbunden - und ausgeliefert. Sie verstanden sich zuerst als Hessen, Baiern, Sachsen, Schwaben oder Holsteiner; das "Reich" war fern und hatte für die Menschen unter ihren Herzögen, Grafen, regierenden Bischöfen oder sonstigen Herren wenig existentielle Bedeutung.
Ruaidhri
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Du meinst die Niederlande von heute, vermute ich?
Stammverwandt mit gemeinsamen sprachlichen Wurzeln, aber deutsch?
Ob sich die Niederländer jemals als "Deutsche" fühlten, möchte ich eher bezweifeln. Sie trennten sich ebenso wie die Schweizer bereits früh vom Reich ab, d.h. nach dem 30jährigen Krieg und dem Westfälischen Frieden.
Das bezweifle ich auch. Für heute mal gar.
Die Region der heutigen Niederlande und Teile Belgiens, im MA eher unter dem Sammelbegriff Flandern bekannt, hatten seit jeher eine wirtschaftliche/ politische Eigenständigkeit entwickelt, aber deutsch?
So deutsch- hessischen Geblütes Willem auch war- die Niederlande wurden eben nicht "Deutsch", was sich bei jeglichem Grenzübertritt sofort zeigt.
Trotz des Textes der Nationalhymne, 1.Strophe
Niederländischer Text
http://de.wikipedia.org/wiki/Het_Wilhelmus
1.) Wilhelmus van Nassouwe
ben ik, van Duitsen bloed,
den vaderland getrouwe
blijf ik tot in den dood.
Een Prinse van Oranje
ben ik, vrij, onverveerd,
den Koning van Hispanje
heb ik altijd geëerd.
http://de.wikipedia.org/wiki/Het_Wilhelmus
"Das mittelniederländische und frühneuniederländische Wort Duyts in der ersten Strophe bedeutete damals „kontinentalwestgermanisch“, also „niederländisch oder deutsch“, besonders im Gegensatz zu den romanischen Sprachen und ihren Sprechern. Siehe auch Niederländisch (Name) und Deutsch (Etymologie). Der moderne niederländische Begriff Duits wurde erst etwa im 18. Jahrhundert auf die moderne Bedeutung „deutsch“ (ohne Niederlande und Belgien) eingeschränkt.[6] Die Niederlande gehörten rechtlich bis 1648 zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, auch wenn sie sich faktisch schon seit dem Spätmittelalter immer stärker verselbständigt hatten (siehe Burgundischer Vertrag und die dort genannte Literatur)."
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LG Ruaidhri
Paul
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Beim großen Bataver-Aufstand gegen die Römer verbündeten sich die Bataver mit den Sugambrern u.a. Stämmen und auch mit den halbherzigen kölnischen Ubiern. Die Seherin Veleda sagte dem den Aufstand führenden Civilis, er solle Köln verschonen, weil sie vom selben Blut seinen wie die anderen germanischen Stämme und auch seine Bataver und dieselben germanischen Götter verehren würden. Er hielt sich daran, es gab also schon damals ein Zusammengehörigkeitsgefühl.
Die Kölner Ubier schlossen sich dem Aufstand an, verschonten aber die römischen Mitbürger.
In der kaiserlichen Laibwache dienten vor allem Ubier und Bataver zusammen. Sie verbrannten später nach ihrem Tod in Ehren die nach Rom entführte Seherin Veleda.
viele Grüße

Paul

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Barbarossa
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Hast du dich im Pfad geirrt, Paul? Soll ich den Beitrag woanders anhängen?

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Paul
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Barbarossa hat geschrieben:Hast du dich im Pfad geirrt, Paul? Soll ich den Beitrag woanders anhängen?

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Ich wollte schon bewußt machen, das es sogar schon vor 2000 Jahren ein Zusammengehörigkeitsgefühl germanischer Stämme gab. Es entstand ja dann auch erst der Großstamm der Franken. Manchmal klingt es bei manchen durch, es hätte nie eine gemeinsame Identifikation gegeben. Es war nicht so entscheident, ob man diese Identifikation im Laufe der Zeit germanisch, fränkisch o. deutsch nannte. Bataver, Sugambrer... und Ubier sprachen ein sehr ähnliches Germanisch und hatten eine ähnliche Religion und dessen waren sie sich auch bewußt.
Sie müssen sich also in der Identifikation nach der Unabhängigkeit von Spanien in der Selbsidentifikation anders ausgerichtet haben.
viele Grüße

Paul

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Sie müssen sich also in der Identifikation nach der Unabhängigkeit von Spanien in der Selbsidentifikation anders ausgerichtet haben.
Nicht erst da. Viel früher.
Paul, schau mal ins Mittelalter und auf die Rolle, die Flandern und die Flamen spielten, oder die ein oder andere heute niederländische Stadt. (Flandern umfasste ist ja nicht nur das heutige Belgien.)
Stamm- und Sprachverwandt- sicher. Mehr aber auch nicht, was sich in Geschichte, Architektur und Kultur zeigt. Die Entwicklung zu etwas Eigenständigem hatte längst eingesetzt, die Frage, ob wer wann sich "deutsch" fühlte, ist kaum zu beantworten.
Der Begriff " Deutsch, Dutch, Duits" gab lange Zeit in etwa die Herkunftsgegend an, nicht so wirklich Nationalität.
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LG Ruaidhri
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dieter
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Paul hat geschrieben:
Barbarossa hat geschrieben:Hast du dich im Pfad geirrt, Paul? Soll ich den Beitrag woanders anhängen?

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Ich wollte schon bewußt machen, das es sogar schon vor 2000 Jahren ein Zusammengehörigkeitsgefühl germanischer Stämme gab. Es entstand ja dann auch erst der Großstamm der Franken. Manchmal klingt es bei manchen durch, es hätte nie eine gemeinsame Identifikation gegeben. Es war nicht so entscheident, ob man diese Identifikation im Laufe der Zeit germanisch, fränkisch o. deutsch nannte. Bataver, Sugambrer... und Ubier sprachen ein sehr ähnliches Germanisch und hatten eine ähnliche Religion und dessen waren sie sich auch bewußt.
Sie müssen sich also in der Identifikation nach der Unabhängigkeit von Spanien in der Selbsidentifikation anders ausgerichtet haben.
Lieber Paul
natürlich sind die Niederländer Germanen. :wink:
Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem Andern zu.
Dietrich
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Paul hat geschrieben: Sie müssen sich also in der Identifikation nach der Unabhängigkeit von Spanien in der Selbsidentifikation anders ausgerichtet haben.
Man muss einfach sehen, dass sich im Lauf der Jahrhunderte immer wieder Völker bilden, d.h. Bevölkerungsgruppen, die zu einer eigenen Identität finden, die sie von benachbarten Bevölkerungen unterscheidet. Das Entstehen neuer Völker können wir auch gegenwärtig beobachten. So sind z.B. die muslimischen Bosnier oder die Ukrainer zu eigenen Völkern geworden (so auch laut UNO), ferner haben auch die Österreicher zu einer eigenen Nationalität gefunden.

Das alles zeigt, dass ethnische Identifikation kein starrer Zustand ist, obwohl vrmutlich heutzutage weniger neue Völker entstehen als in den vergangenen Jahrhunderten. Immerhin belegt das Beispiel der Bosnier, Ukrainer und Österreicher, dass selbst im starren Staatengefüge Europas noch Ethnogenesen erfolgen, allerdings in diesen Fällen stets im Verbund mit Kriegen oder politischen Umwälzungen.
Ruaidhri
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Paul hat geschrieben:Lieber Paul
natürlich sind die Niederländer Germanen.
Das "die Niederländer " Germanen sind, halte ich heutzutage, aber auch im Rückblick auf die Geschichte für eine ziemlich gewagte Behauptung. :mrgreen:
Ein Ausflug ins Paradies der Radfahrer, gleich, wohin, belehrt eines anderen... :)
Auf dem heutigen Staatsgebiet siedelten germanische Stämme, die sicherlich Land und Leute prägten einerseits lange prägten, andererseits waren die Territorien immer schon weltoffen- oder auch mal besetzt. So manch "Spanisches Erbe" findet sich häufig.
Die Niederländer sind seit geraumer Zeit ethnisch bunt gemischt und durch den Zuzug aus einstigen Kolonien mal gar.
Man muss einfach sehen, dass sich im Lauf der Jahrhunderte immer wieder Völker bilden, d.h. Bevölkerungsgruppen, die zu einer eigenen Identität finden, die sie von benachbarten Bevölkerungen unterscheidet.
Ja, was auch ab und zu mal mit den ganz spezifischen Gegebenheiten des Lebensraumes zu tun haben mag. Dass sich in den heute niederländisch genannten Gebieten durch den Kampf gegen die Fluten ein ganz eigenes "Wir"- Gefühl eingestellt hat, hielte ich für einen Grund, neben etlichen anderen, die eine eigenständige Entwicklung begünstigten.
Wie deutsch die Niederlande mal waren, und bis wann, ist eine Frage. Wie deutsch sie noch sind, erübrigt sich eigentlich nach heutigem Stand.
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LG Ruaidhri
Dietrich
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Ruaidhri hat geschrieben: Das "die Niederländer " Germanen sind, halte ich heutzutage, aber auch im Rückblick auf die Geschichte für eine ziemlich gewagte Behauptung.
Dieter wollte vermutlich sagen, dass Niederländisch eine germanische Sprache ist, was sicher korrekt ist.

Aber was besagt das? Auch Englisch, Schwedisch oder Dänisch sind germanische Sprachen. Insofern gibt es es zwischen germanischen Sprachen eine enge Verwandtschaft, wie das auch bei den romanischen oder slawischen Sprachen der Fall ist. Für den politischen Alltag besagt das wenig.
Ruaidhri
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Dieter wollte vermutlich sagen, dass Niederländisch eine germanische Sprache ist, was sicher korrekt ist.
Das ist unbestritten korrekt, so ganz ernst war mein Einwand ja auch nicht gemeint. :)
Ist manchmal lustig, was so alles aus den romanischen Sprachen ins Niederländische eingeflossen ist- und kaum wiederzuerkennen angepasst wurde. Wie auch in dem "Platt", das am Niederrhein gesprochen wird, das, anders als das westfälische Platt, erstmal wenig Ähnlichkeiten mit demn norddeutschen Platt-Varietäten zu tun hat. ( Zu haben scheint.)
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LG Ruaidhri
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